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Politik: Träume von Frieden - Realitäten des Krieges

1998 war ein Jahr der Kontraste: Ein Regierungswechsel mit breiter Wählerunterstützung, der das politische Klima veränderte, Verschlechterungen der Menschenrechts-Situation mit noch mehr durch Gewalt Vertriebenen (desplazados), Verschärfung und Brutalisierung des bewaffneten Konflikts zwischen Guerilla, Paramilitärs und Militär, durch die Wirtschaftskrise verstärkte soziale Konflikte und zugleich ein neues Panorama von Optionen eines beginnenden Friedensverhandlungsprozesses.

Gewalt in Kolumbien

Jahr

Massaker

Entführungen

Morde

Vertriebene

1998

1451

1,4271

24,2411

241,3122

1997

125

1,536

27,510

257,000

1996

110

1,608

26,642

181,010

1995

81

1,158

25,398

89,510

1994

75

1,293

26,828

586,0003

Quelle: Human Rights Watch und andere

1) bis Nov. 1998, 2) bis Sept. 1998¸ 3) 1985-94


Daß die Zeit Präsident Sampers, der bewußt wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen in Konzertierung mit den Gewerkschaften formulierte und dafür deren stillschweigende oder explizite Unterstützung erhielt, zu Ende gegangen war, zeigte der massivste und längste Streik im Staatssektor seit mehreren Jahrzehnten im September/Oktober des Jahres 1998. Erziehungs-, Justiz-, Gesundheits- (Krankenhäuser) und Telekommunikationssektor wurden wochenlang bestreikt. Nicht nur tarifliche Fragen, auch die Forderung nach Mitbestimmung des Entwicklungsmodells durch die Gewerkschaften standen im Mittelpunkt. Die Ermordung des Vizepräsidenten des Gewerkschaftsverbandes Confederación Unitaria de Trabajadores (CUT) steigerte die Emotionen. Mit einer Lohnerhöhung knapp unterhalb der Inflationsrate setzte sich die Regierung mit ihrer Haltung durch, im Unterschied zur vorangegangenen Regierung keine das Haushaltsdefizit erhöhende Forderungen zu akzeptieren. Die Diskussion von politischen Themen und die Zusage der Regierung, bei der vorgesehenen Reform der öffentlichen Verwaltung und der Staatsunternehmen existierende Strukturen zu berücksichtigen, galten als politischer Sieg der Gewerkschaften.

Die Bemühungen der Regierung Pastrana und die Person des neuen Präsidenten sowie seine Besuche bei Präsident Clinton öffneten und entkrampften die Haltung von Teilen der US-Administration gegenüber Kolumbien. Das Land wird zunehmend nicht nur als Drogen-, sondern als generelles Sicherheitsproblem gesehen, in den Worten des Chefs des Kommando Süd der US-Streifkräfte, General Wilhem, „noch vor Cuba das größte Sicherheitsproblem der westlichen Hemisphäre".

Die USA haben eine Politik der „Zwei Gleise" gegenüber Kolumbien entwickelt: Unter Federführung des State Department werden die Friedensinitiativen der Regierung Pastrana unterstützt. Unter Führung des Pentagon mit Unterstützung des „Comando Sur", des Anti-Drogenzars und einer erheblichen Gruppe von republikanischen Kongreßabgeordneten versucht man, die kolumbianischen Sicherheitskräfte, Streitkräfte wie Polizei, zu stärken. In Cartagena vereinbarten die Verteidungsminister beider Länder, William Cohen und Rodrigo Lloreda, Anfang Dezember eine US-Militärhilfe von jährlich 300 bis 400 Mio US-$. Kolumbien würde damit nach Israel und Aegypten die dritthöchste amerikanische Militärhilfe erhalten.

In militärischen und akademischen Zirkeln der USA wird der bewaffnete Konflikt, wegen der Überlagerungen von Drogenhandel und Guerilla, als ambiguos warfare charakterisiert. Um ihren Waffennachschub zu sichern, haben sich die Truppen der FARC im Departament Putumayo an den Grenzen zu Ecuador und Peru gut eingerichtet. Die Paramilitärs drängen ebenfalls in Grenzgebiete. Die Möglichkeit zusätzlicher Fronten an der Grenze zu Brasilien und Panamá haben zu Initiativen der USA zwecks stärkerer Militarisierung der Grenzen dieser Länder geführt.

Kolumbiens Außenpolitik wird in Zukunft stärker in Funktion des begonnenen Friedensprozesses konzipiert. Im Bereich der lateinamerikanischen Integration versucht man, neben der Priorität der Beziehung zu Venezuela und der Andengemeinschaft eine Reaktivierung der Gruppe der Drei (Mexico, Venezuela, Kolumbien: G-3). Hierüber soll Mexico näher an die Andengemeinschaft geführt werden, um so deren Verhandlungsposition gegenüber Mercosur und ALCA (Area de Libre Comercio de las Américas) zu stärken. Die ersten Reisen des neuen Präsidenten gingen in die Vereinigten Staaten, Venezuela, Mexico und Kuba. Entscheidende Aufgabe der kolumbianischen Diplomatie ist es, bei der internationalen Gemeinschaft Geld locker zu machen zur Finanzierung der Substitution des Drogenanbaus in den Guerillazonen und anderer Friedensinvestitionen. Hilfe im Friedensprozeß erwartet man sich - außer von den USA - von dem neuen venezolanischen Präsidenten Oberst Hugo Chavez und von Fidel Castro.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2000

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