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TEILDOKUMENT:

Teil C:
Folgerungen und Empfehlungen


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Teil C:
Folgerungen und Empfehlungen

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I. Verwaltungspolitik für mehr
Qualität der Ministerien



1. Warum Qualitätspolitik?



1.1 Für und Wider einer Verwaltungspolitik als Qualitätspolitik

Die strukturelle Analyse des ersten Teils hat Stärken und Schwächen der Ministerien deutlich gemacht. Der zweite Teil diente als Illustration, um die Ergebnisse der strukturellen Analyse zu untermauern. Nun geht es darum, beide Teile miteinander zu verknüpfen, um Empfehlungen zu begründen. Hierzu sind einige allgemeine Überlegungen vorab notwendig.

Die Qualität der Leistungen der Ministerien ist verflochten mit politischen Entscheidungen. Die politischen Entscheidungen folgen dabei oft einer anderen Logik als der einer möglichst hohen Wirksamkeit oder Einfachheit der angestrebten Instrumente, weil immer auch die Mehrheitssicherung berücksichtigt werden muß. Fragen der Wirksamkeit oder Sparsamkeit von Lösungen spielen nur zum Teil eine Rolle. Die Bürokratie ist in diese Entscheidungen eng eingebunden und muß dementsprechend, auch gemessen an Qualitätszielen, problematische Maßnahmen vorantreiben.

Eine Qualitätspolitik muß den Handlungsspielraum der Ministerien erweitern, soweit es um Aufklärung, die Bereitstellung von Grundsatzinformationen, um Wirkungsanalysen oder Kostenschätzungen geht. Ohne zunächst die Frage des Wie einer Qualitätspolitik aufzuwerfen, wird unmittelbar einsichtig, daß die Politik autonome Anstöße geben muß, weil eine Qualitätspolitik nur im Rahmen einer allgemeinen Verwaltungspolitik in Gang gesetzt werden kann. Ministerien können sich nicht an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen. Eine umfassende Modernisierung, die auch das Qualitätsziel gleichgewichtig miteinbezieht, muß als eine allgemeine politische Aufgabe begriffen werden, die unabhängig von dem aktuellen politischen Nutzen als Langfristthema angegangen wird. Von der Politik wird hierbei ein hohes Maß an kritischer Distanz gegenüber der eigenen Rolle gefordert werden müssen.

Damit stellt sich die Frage, welches Interesse die Politik an einer Qualitätssteigerung haben sollte. Im Vergleich zur Effizienzpolitik besteht eine andere Ausgangslage. Effizienzpolitik bringt im Ergebnis einen einfach festzustellenden politischen Nettogewinn. Es werden Kosten eingespart. Im Falle einer echten Effizienzsteigerung können mit gleichem Ressourcenaufwand mehr Bedürfnisse befriedigt bzw. mehr Aufgaben erfüllt werden. In der Umsetzung entstehen für einige Beteiligte Anpassungslasten, die sich jedoch in der Regel in Grenzen halten. In der Wirklichkeit finden Effizienzbemühungen dennoch oft nur geringe Unterstützung. Dies hängt damit zusammen, daß sich Politiker ständig einer Warteschlange von Problemen gegenübersehen. Sie agieren unter extremem Zeitdruck. Sie müssen deshalb in ihrer Zeitverwendung sehr harte Prioritätsentscheidungen treffen. Leider spürt praktisch keine Wählergruppe die Vorteile einer Effizienzpolitik direkt. Die Nutzen fallen diffus „irgendwo" im System an. Demgegenüber gibt es fast ständig dringlichere Themen, die in einem politischen Kosten-Nutzen-Kalkül einen größeren politischen Ertrag im Rahmen einer Optimierung des Zeit- und Energieeinsatzes von aktiver Politikt erbringen.

1.2 Lohnt sich Qualitätspolitik unter den geltenden Entscheidungsbedingungen?

Dennoch lohnt es sich, die Voraussetzungen für eine gute Politikvorbereitung und -beratung zu

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schaffen oder zu verbessern. Anders als bei der Effizienzmodernisierung werden allerdings immer wieder Situationen auftreten, in denen eine hohe Qualität der Politikvorbereitung wegen der Interessenbindung von Politik gar nicht erwünscht ist. Ohne Zweifel erfordert eine Qualitätspolitik eine hohe Rationalität. Sie erfordert die Bereitsschaft, alle politischen Maßnahmen mit wenig Rücksicht auf die taktische Situation einer öffentlichen Wirkungsanalyse zu unterwerfen und kritisch auf verschiedene Effekte hin zu untersuchen und zu testen. Qualitätspolitik setzt die Bereitschaft voraus, alle wichtigen politischen Maßnahmen in einem ständigen Planspiel in öffentlicher Debatte zu testen. Sie muß ein hohes Maß an Unabhängigkeit und Kritikfähigkeit der Ministerien wollen. Qualitätspolitik hat gleichzeitig keine direkten, politisch meßbaren und honorierten Ergebnisse für bestimmte Gruppen. Eine Zustimmung und Unterstützung kann allerdings als Folge allgemeiner Veränderungen der Politikvorbereitung gewonnen werden. Die Komplexität des politischen Prozesses und der politischen Themen erzeugen in der Öffentlichkeit ein eher wachsendes Unbehagen, weil man ständig vor gegensätzlichen Meinungen steht, die jede für sich plausibel klingen. In den Medien findet man regelmäßig gegensätzliche Positionen gleichgewichtig und wertfrei nebeneinander. Es entsteht eine erhebliche Orientierungslosigkeit. Politik darf diese Orientierungslosigkeit nicht verstärken. Sie muß akzeptieren, daß es Standards zur Bewertung der Eignung politischer Maßnahmen, zur Bereitstellung von Informationen für bestimmte politische Ziele und Maßnahmen gibt. Politik muß die Neigung zu freihändigen, interessengebundenen Bewertungen eindämmen.

Eine Quelle des Aufklärungsbedarfs entsteht aus der wachsenden Komplexität des politischen Prozesses und der politischen Themen. Allein die immer stärkeren Tendenzen zu einem Vier-Ebenen-Staat von Bund, Ländern, Gemeinden und EU bringen für die Bürokratie eine neue Bedeutung, weil jeweils Fachverwaltungen über mehrere Ebenen hinweg Politik nicht mehr nur vorbereiten, sondern in ganz erheblichem Maße auch festzurren.

Eine weitere Begründung ergibt sich aus dem steigenden Unbehagen in der Öffentlichkeit über die in vielen Bereichen um sich greifenden politischen Scheinlösungen. Man beobachtet angesichts ganzer Serien erfogloser Beschäftigungspogramme und -initiativen eine wachsende Distanz zur Politik. Immer mehr Wähler sind keine Gewinnmaximierer, sondern Verlustminimierer. Sie gehen nicht zur Wahl, um zuzustimmen, sondern um das kleinere Übel zu wählen. Diese Wähler wird man nur für eine Zustimmung zurückgewinnen können, wenn sich die politische Debatte stärker themenbezogen auf die Wirkungen von Maßnahmen konzentriert und deutlicher wird, daß jeweils nach einer kritischen Prüfung eine abgewogene Strategie gefunden wird. Je mehr Politik versucht, die aufgelaufenen Probleme in einer lang angelegten inneren Entwicklungspolitik zu lösen und je weniger sie sich damit zufrieden gibt, die jeweils vorfindbaren Interessen auszutarieren, um so mehr braucht Politik eine funktionstüchtige Verwaltung, die in einem Prozeß der Aufklärung und der Werbung für eine langfristige Entwicklungsstrategie ein aktiver und kompetenter Partner wird. Ein solches Politikverständnis, das sich stärker an die Wähler wendet, die keine speziellen Sonderinteressen artikulieren, die ihre Steuern zahlen und immer häufiger erleben, wie andere vom Staat profitieren, während sie selbst eher zu den Verlierern gegenüber dem Staat werden, kann nach einiger Zeit ganz erhebliche Zustimmung auslösen. Diese Politik braucht jeweils Mobilisierungs- und Aufklärungsdebatten, um die von einzelnen Entscheidungen weniger betroffenen Gruppen zu mobilisieren und zu engagieren. Der natürliche Verbündete in einer solchen Strategie bleibt die Bürokratie. Die Stärkung ihrer Aufklärungs- und Analyserolle kann der Politik im Rahmen eines solchen Politikverständnisses nur nützen.

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2. Die Rolle der Ministerien bei erhöhten Qualitätsanforderungen

Im Zentrum muß die Anerkennung einer eigenen autonomen Rolle der Ministerien stehen.

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Dies verpflichtet sie zu hoher Leistungsqualität. Das was vorausgesetzt wird kann aber z. T. erst in einem längeren Prozeß entstehen. Notwendig ist ein iterativer Prozeß in einem öffentlich diskutierten und wissenschaftlich begleiteten Modernisierungsprozeß. In diesem Modernisierungsprozeß sind auch alle Techniken einzubeziehen, die gegenwärtig unter dem Schlagwort Lean administration erörtert werden.

Sollen die Ministerien eine aktivere und unabhängigere Rolle erhalten, dann muß sichergestellt werden, daß sie nicht auf Partialinteressen hereinfallen und Wirkungen interessengebunden analysieren. Die Ministerien müssen im Gegenteil viel offener in ihren internen Meinungsbildungen und Analysen sein. Sie müssen ihre Neigung, aus einer Art Selbsterhaltungstrieb heraus interne feststehende Fachtheologien zu entwickeln, systematisch bekämpfen. Sie müssen sich externer Kritik systematischer stellen. Sie müssen vor allem in ihrer Personalrekrutierung alle Tendenzen zur Inzucht bekämpfen, organisatorisch offener und anpassungsfähiger sein, um den Tendenzen zu Schablonenanlysen oder einseitigen Wertungen entgegenzutreten.

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3. Wie kann Qualitätspolitik gestartet und in Gang gesetzt werden?

Verwaltungspolitik ist ein Feld, das kaum beackert wird. Die Ministerien werden von den meisten Politikern in ihrer Funktionsweise als gegeben hingenommen. Ständige Reform der Organisation ist keine politische Aufgabe, die mit Priorität betrieben wird. Eine Änderung kann nur durch einen bewußten Akt erfolgen. Die Politiker müssen erkennen, daß eine unzureichende Qualität der Ministerien langfristig auf sie zurückschlägt. Eine unabhängige, kritische Analyse in ausgewählten Politikbereichen könnte herausarbeiten, in welchem Ausmaß Qualitätsdefizite entstehen. Diese Analyse könnte von einer Enquetekommission vorgenommen werden. Sie sollte das Ausmaß der Defizite und der inneren Starrheiten deutlich machen.

In privaten Großunternehmen werden Erfolge und Mißerfolge ständig systematisch auf ihre Ursachen hin untersucht. Qualitätsmängel bei Gesetzesentwürfen, die im Verfahren nicht entdeckt werden, rufen hohe Kosten hervor. Es werden niemals systematische Kosten-Nutzen-Ananalysen angestellt, um zu demonstrieren, ob und wie Mängel beseitigt werden können. Das ist gerade deshalb problematisch, weil die Qualität der Leistungen von Ministerien nur schwer zu messen ist und auch die Ursachen von Qualitätsdefiziten nur schwer zu erfassen sind. Gleichzeitig sind die Folgen unzureichender Qualität der Politikvorbereitung ganz erheblich. Gegengenwärtig beobachtet man, wie internationale Firmen mit hoher Wettbewerbsfähigkeit bei hohen Gewinnen Personal abbauen, weil sie auch künftig ihren Wettbewerbern überlegen sein wollen. Eine solche innere Disziplin kann man bei Ministerien nicht beobachten. Es hat noch keinen Fall gegeben, daß ein Ministerium freiwillig, ohne Druck des Finanzministers, Stellen eingespart hätte. Hier ist eine Kulturrevolution notwendig. Am einfachsten wäre es, den Ressorts in ihren jeweiligen Arbeitsfeldern eine Rationalisierungsvorgabe zu machen. Die eingesparten Stellen kämen in einen Verfügungsfonds, aus dem neue Aufgaben ggf. zeitlich befristet dotiert werden könnten.

Eine solche Strategie setzt natürlich eine hohe Autonomie der Ressorts in der Personalwirtschaft voraus. Sie müssen insbesondere eine hohe Flexibilität durch Zeit-, Werk-, Beratungsverträge und entsprechende Organisationsformen entwickeln. Allein eine solche Offenheit der Organisation wird den Tendenzen zur inneren Verhärtung entgegenwirken. Allerdings dürfen bei diesen Flexibilisierungs- und Öffnungsbemühungen die klassischen Tugenden der Ministeriumsorganisation nicht auf der Strecke bleiben. Eine Balance zwischen Stabilität und Offenheit muß in jedem Fall gewahrt bleiben. Ministerien sind nicht mit Vorrang Analyseorganisationen. Sie müssen in einem schwierigen Kontext funktionieren und Dienstleistungen für die Politik erbringen.

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Eine Verwaltungspolitik braucht Informationen über die Ergebnisse ministeriellen Handelns. Dabei sind neben den Organisationsanalysen Informationen erfoderlich, die deutlich machen, inwieweit die Aufgabenerfüllung zu befriedigenden Ergebnissen geführt hat oder inwieweit Mängel in der Politikvorbereitung zu Mängeln in den Lösungen beigetragen. Solche Grundlagenstudien einer Verwaltungspolitik könnten auch die Öffentlichkeit auf das Thema vorbereiten. Es liegt auf der Hand, daß die Bereitschaft zu einer solchen kritischen Auseinandersetzung nicht automatisch vorausgesetzt werden kann. Ohne ein detailliertes Wissen über die wiederkehrenden Mängel in der Politikvorbereitung bleibt die Reformbereitschaft im Unbestimmten stecken. Das latente Unbehagen, das sich immer wieder aus Beispielen über politische Umsetzungspannen nährt, kann nur wirksam werden, wenn es durch konkrete Informationen aus bloßem Unbehagen in zielgerichtete Kritik umgemünzt werden kann.

Angesichts ständiger Burning-Out- und Abschottungseffekte muß aufbauend auf einem konkreten Wissen über Mängel und Fehler dann ständig eine innere Erneuerungspraxis etabliert werden. Die Techniken einer solchen ständigen Renaissance sind für die Ministerien ad hoc zu entwickeln. Sie können nur z. T. aus dem privaten Sektor durch Imitation übernommen werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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