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Die Dynamik der Ungleichheit auf dem US-Arbeitsmarkt

Zusammengefaßt ergab sich auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt das folgende Ablaufmuster: Der permanente Anstieg des Arbeitsangebotes bremste das Lohnwachstum. Die Löhne reagierten ohne jegliche tarifpolitische Intervention marktgerecht auf Veränderungen der Angebots- und Nachfragebedingungen am Arbeitsmarkt. Die minimale soziale Sicherung übte dabei Druck auf Arbeitslose und andere Arbeitsuchende (z B. Berufseinsteiger, Berufsrückkehrerinnen, Migranten) aus, sich den Nachfragebedingungen notfalls mit Lohnkonzessionen (und nicht mit Angebotszurückhaltung) anzupassen. Die solchermaßen von den Marktkräften gelenkte Lohnentwicklung trug dabei nicht nur konjunkturellen Schwankungen Rechnung, sondern führte auch - je nach Knappheitsverhältnissen in den verschiedenen qualifikationsbezogenen Teilarbeitsmärkte - zu erheblichen Lohndisparitäten. Die relativ niedrige Abgabenquote auf Löhne und Gehälter sorgte für eine geringe Kostenbelastung des Faktors Arbeit und verminderte damit den Rationalisierungsdruck. Vor allem bei guter Konjunkturlage erleichterte die hohe Arbeitsmarktflexibilität die Einstellungsbereitschaft der Betriebe.

Daraus resultierte nun folgende Marktstruktur: Qualifizierte, gut verdienende Personen haben die Kaufkraft, die Arbeitsplätze für die Niedrigverdiener entstehen läßt. Je höher das Einkommen der Besserverdienenden liegt, um so mehr billige Arbeitnehmer können beschäftigt werden. Je kaufkräftiger das obere Drittel der Gesellschaft wird, um so mehr Hausangestellte, Berater, Bewacher und personenbezogene Dienste können sie sich leisten. Andererseits erwarten sie auch durch Rechtsanwälte, Ärzte, Lehrer für sich und ihre Kinder eine bessere Versorgung. So entstehen nicht nur Billigjobs, sondern auch zusätzliche Verdienstmöglichkeiten in der Schicht der Besserverdienenden.

Im oberen Teil des Arbeitsmarktes entfaltet sich ein Leistungswettbewerb, der für die Gewinner einen Aufstieg in das oberste Drittel verspricht. So gibt es im oberen Einkommensbereich einen sich selbst nährenden Prozeß, der zugleich ein Auswahlverfahren darstellt, bei dem es auf wirtschaftliche Leistung ankommt. An diesem Wettbewerb können allerdings nur diejenigen teilnehmen, die eine gute schulische bzw. akademische Ausbildung mitbringen und Berufseignung erwerben.

Im unteren Drittel liegen andere Entwicklungsbedingungen vor. Durch Einwanderer, Schulabbrecher usw. gibt es eine wachsende Zahl an Menschen, die kaum eine andere Wahl haben, als Einfacharbeitsplätze einzunehmen. Die starke Konkurrenz auf diesem Teil des Arbeitsmarktes hält die Löhne niedrig bzw. senkt sie sogar.

Je billiger die Dienstleistungsangebote gehalten werden, um so mehr vergrößert dies die Nachfrage. Es kommt in diesem Prozeß nicht auf Produktivität, sondern auf die Größe der Lohndifferentiale an. Je größer deren Bandbreite und je größer der Angebotsdruck billiger Arbeitskräfte, um so mehr Arbeitsplätze werden für Hilfskräfte geschaffen.

Im Bereich der Produktion ergibt sich ein anderes Faktorpreisverhältnis als beispielsweise in Deutschland. In den USA ist in vielen Branchen die Arbeitskraft relativ zum Kapitaleinsatz billig. Damit entsteht ein viel geringerer Rationalisierungsdruck, der seinerseits natürlich auch die Arbeitsproduktivität kaum steigen läßt. Wenn die Arbeitsproduktivität nicht steigt, gibt es aber auch keinen Spielraum für reale Lohnerhöhungen.

So befindet sich die amerikanische Wirtschaft auf einem anderen Wachstumspfad als Westeuropa und Japan. Dort überwiegen Kapitaleinsatz und Rationalisierung, in den USA ist wegen der Lohnzurückhaltung und der hohen Lohnspreizung die Substitution von Arbeit durch Kapital viel weniger ausgeprägt als in Deutschland. Nach Berechnungen der Europäischen Kommission waren in der EU fast die Hälfte des Produkktivitätsfortschritts auf solchen arbeitssparenden Fortschritt zurückzuführen. In den USA dagegen hat auf makroökonomischer Ebene kaum eine Substitution stattgefunden, der Einsatz von Kapital und Arbeit wurde mehr oder weniger parallel ausgeweitet.

Im Kontext gemäßigten Wirtschaftswachstums und einer rasch wachsenden Erwerbsbevölkerung kann nur mit Hilfe dieses Entwicklungspfads zunehmende Arbeitslosigkeit verhindert werden. Dieses Konzept kann allerdings nur solange funktionieren, wie die amerikanische Wirtschaft der überwiegend geschlossen ist, d.h. der Binnenmarkt die Entwicklung dominiert. In dem Umfang jedoch, wie die Importkonkurrenz aus Niedriglohnländern zunimmt, entsteht ein Dilemma: Entweder die amerikanischen Löhne müssen sinken oder die Produktivität muß steigen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999

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