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Die Lehren für Deutschland



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Die zentrale Aufgabe: Wirtschaftswachstum beschäftigungsintensiver machen

Im Gegensatz zu den USA ist die Arbeitslosigkeit in Westdeutschland von Rezession zu Rezession gestiegen und vollzieht nach einem neuen Höchststand in 1997 eine nur zögerliche Trendwende. Im Osten Deutschlands ist die Lage aufgrund der noch nicht überwundenen Folgen der Transformation noch schlechter. Auch in 1998 dürfte in den neuen Bundesländern die Arbeitslosigkeit aufgrund der Schrumpfungsprozesse in der Bauwirtschaft noch einmal zunehmen. Obwohl bei einem Vergleich zwischen Deutschland und den USA zeitversetzte Konjunkturverläufe zu berücksichtigen sind, ist zumindest am aktuellen Rand für Deutschland eine gewisse Wachstumsschwäche unverkennbar. Doch auch wenn die deutsche Volkswirtschaft wieder auf einen angesichts ihres Entwicklungsstandes „normalen" - im Osten zwangsläufig höheren als im Westen - Wachstumspfad zurückkehren würde, ist das Hauptaugenmerk auf eine Steigerung der im Vergleich zu den USA geringen Beschäftigungsintensität des Wirtschaftswachstums zu legen.

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... aber nicht unbedingt mit amerikanischen Methoden

Das US-Beschäftigungswunder ist erstens vor einem bestimmten historisch-traditionellen Hintergrund entstanden und läßt sich deshalb nicht einfach kopieren. Die individualistisch ausgerichtete Wirtschafts- und Gesellschaftsverfassung der USA unterscheidet sich zu sehr von der hierzulande gesellschaftlich weithin akzeptierten sozialen Marktwirtschaft. Das amerikanische Modell ist zweitens mit hohen sozialen Kosten verbunden, die seinen Vorbildcharakter stark in Frage stellen. Das sogenannte Beschäftigungswunder hat zweifellos viele zusätzliche „good jobs" hervorgebracht, aber eben auch viele „bad jobs", also Arbeitsplätze mit schlechter Bezahlung und hohem Risiko des Arbeitsplatzverlustes. Bei lediglich rudimentärer sozialer Absicherung wie in den USA ist mit „bad jobs" das Risiko von Einkommensarmut verbunden. Die große Zahl sogenannter „working poor" hat zweifellos zur Verschärfung der sozialen Probleme in den USA beigetragen.

So befanden sich zum Beispiel 1994 1,5 Millionen Amerikaner in Gefängnissen - bei einer Bevölkerungszahl von 260 Millionen. Die vergleichbare Zahl für Deutschland betrug rund 44 Tausend - bei einer Bevölkerung von 81 Millionen. Die Kriminalitätsrate sank zwar in den letzten Jahren in den USA, gleichzeitig stieg die Zahl der Strafgefangenen, von 1992 auf 1994 allein um 216.000. Bei Aufgliederung der Gefängnisinsassen nach ethnischer Herkunft verschiebt sich das Bild dramatisch: ca. 7 - 8 Prozent der männlichen Erwerbspersonen afro-amerikanischer Herkunft sitzen im Gefängnis. Jeder vierte männliche Afro-Amerikaner zwischen 18 und 34 Jahren befindet sich unter „criminal supervision", d. h. er ist entweder im Gefängnis oder auf Bewährung. Die Tendenz ist weiter steigend. Es wäre also z. B. eine Alternativkostenrechnung aufzumachen zwischen sozialer Sicherheit und öffentlicher Sicherheit, denn letztere hat auch ihren Preis: Die Ausgaben für Polizei und Gefängnisse stiegen zwischen 1985 - 1992 um jährlich 10 Prozent. Für 1993 schätzte man, daß je Gefängnisinsassen 22.600 Dollar pro Jahr aufgebracht werden mußten. Der Schaden aus Kriminalität und die Kosten des Justizvollzugssystems werden zusammen inzwischen auf 4 Prozent des Sozialprodukts geschätzt. Demgegenüber geben die USA nur 0,55 Prozent ihres Sozialprodukts für Arbeitsmarktpolitik, einschließlich Lohnersatz, aus.

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Sinnvolle Deregulierung plus soziale Abfederung

Auch wenn eine Kopie des US-Modells nicht in Betracht kommt, können die amerikanischen Erfahrungen doch als eine wichtige Orientierungshilfe für beschäftigungspolitische Reformen hierzulande gesehen werden. Folgende Aspekte stehen dabei im Vordergrund:

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a) Differenzierte Lohnentwicklung durch mehr dezentrale Lohnfindung

Die amerikanischen Erfahrungen legen den Schluß nahe, daß unter Beschäftigungsaspekten ein dezentrales Lohnfindungssystem in weit stärkerem Maße den Marktgegebenheiten Rechnung tragen kann. Je nach Knappheitsverhältnissen und den Bedingungen vor Ort kann dadurch eine den Marktverhältnissen entsprechende Entlohnung vereinbart werden. Im Ergebnis haben Vereinbarungen auf der Mikroebene in den USA zu einer moderaten Entwicklung der Reallöhne auf volkswirtschaftlicher Ebene geführt. Das hat den Druck der „Produktivitätspeitsche" gelockert und Kostenrelationen geschaffen, die die Investitionsneigung begünstigen. Das System hat aber auch zu einer Spreizung der Löhne nach unten und nach oben geführt. Die Existenz eines Niedriglohnsektors ermöglichte den Einbezug vieler haushaltsbezogener Dienste, die hierzulande nicht bezahlbar wären, in die reguläre Wirtschaft.

In Deutschland würden dezentralisiertere Formen der Tarifverhandlungen - vor allem im Sinne von Öffnungsklauseln der Flächenverträge - betriebliche „Bündnisse für Arbeit" zustande kommen lassen, in denen in größerem Umfang als bisher und realistischer als auf zentraler Ebene nicht nur über Löhne, sondern auch über das Niveau der Beschäftigung verhandelt werden könnte. So könnten in stärkerem Maße „Einsteigertarife" für Arbeitslose geschaffen werden, die bestimmte Abschläge von den Tariflöhnen (während einer Einarbeitungszeit) vorsehen. Diskussionswürdig erscheint auch eine Verständigung der Tarifparteien darüber, bei entsprechendem betrieblichen Bedarf die bestehenden untersten, gegenwärtig kaum in Anspruch genommenen Lohngruppen wieder stärker zu besetzen.

Eine wichtige flankierende Rahmenbedingung für eine stärkere Lohndifferenzierung ist eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge. Sie wären durch Einsparungen im Sozialhaushalt (z. B. in Form einer Beschränkung auf Grundsicherungskomponenten) und/oder durch Umfinanzierung (z. B. in Form einer stärkeren Steuerfinanzierung) erreichbar.

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b) Höhere Arbeitsmarktflexibilität durch mehr vertragliche Freiheiten

Der rechtlich-institutionelle Rahmen des amerikanischen Arbeitsmarktes ist geprägt durch eine sehr weitgehende Vertragsfreiheit. Dies macht nicht nur die Lohnfindung, sondern auch die Arbeitszeit und die Dauer der Beschäftigungsverhältnisse flexibler. Aufgrund des Fehlens von Höchstarbeitszeitbeschränkungen hat sich auf dem US-Arbeitsmarkt neben der schon erwähnten Lohnspreizung auch eine Polarisierung der Arbeitszeiten ergeben.

Auch in Deutschland können längere Betriebsnutzungszeiten die Kapitalstückkosten senken und mehr Spielräume für individuelle und kostenneutrale Formen der Arbeitszeitverkürzung schaffen. Beschäftigungswirksam wäre vor allem eine Forcierung der freiwilligen Teilzeitbeschäftigung, die Vereinbarung flexibler Arbeitszeitkorridore mit Wochenarbeitszeiten von z. B. 30 bis 40 Arbeitsstunden für unterschiedliche Teile der Belegschaft und eine Reduzierung von Mehrarbeit (Überstunden), vor allem durch den stärkeren Einsatz flexibler Jahresarbeitszeitkonten.

Ein weiteres Charakteristikum des US-amerikanischen Arbeitsmarktes ist das weitgehende Fehlen eines Kündigungsschutzes. Der Hauptnachteil von Kündigungsschutzregelungen liegt darin, daß sie sich negativ auf die Einstellungsbereitschaft auswirken können. Die Unternehmen antizipieren die zu erwartenden Kündigungsschutzkosten, was - ohne Kompensation durch geringere Löhne oder eine höhere Produktivität - zu einer Erhöhung der Arbeitskosten führt. Weniger Kündigungsschutz führt aber nicht nur tendenziell zu zügigeren Einstellungen, sondern auch zu früheren Entlassungen, wenn Betriebe aufgrund geringer Kündigungskosten bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht mehr produktiv einsetzbare Arbeitnehmer relativ schnell entlassen. Eine offene und auch empirisch nur schwer zu beantwortende Frage ist somit, wie sich durch eine Lockerung des Kündigungsschutzes der Beschäftigungstrend (Saldo von mehr Einstellungen in der Aufschwungphase und mehr Entlassungen in der Abschwungphase) verändert. Zu berücksichtigen ist dabei einerseits, daß die Arbeitskosten durch Lockerungen beim Kündigungsschutz - und dem damit verbundenen Wegfall potentieller Entlassungskosten - unabhängig vom Konjunkturverlauf in der Tendenz sinken dürften. Andererseits kann weniger Kündigungsschutz auch negative Begleiterscheinungen auf einzelwirtschaftlicher Ebene mit sich bringen, denn Beschäftigungssicherheit unterstützt die Bereitschaft, in Humankapital zu investieren, fördert die Identifikation mit den Betriebszielen, erleichtert die betriebsinterne Mobilität und verbessert die Akzeptanz des technischen Fortschritts.

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c) Sozialer Flankenschutz

Ohne eine gewisse sozialpolitische Flankierung ist die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen am unteren Ende der Lohnskala in Deutschland nicht vorstellbar. Verschiedene sozialpolitische Alternativen kommen als Flankenschutz in Betracht.

  • Gezielte Senkung von Steuern und Abgaben bei Geringverdienern. Sie würde deren „Nettolohnposition" verbessern und die Bereitschaft erhöhen, Teilzeitbeschäftigung zu akzeptieren oder schlechter bezahlte Vollzeitstellen anzunehmen.
  • Arbeitskosten- oder Einkommenssubventionen sind alternativ oder ergänzend dazu in Erwägung zu ziehen.
  • Befristete Lohnkostenzuschüsse können helfen, die Wiedereingliederung von schwervermittelbaren Personengruppen zu unterstützen. Dauerhaft gewährte Lohnkostensubventionen bergen dagegen die Gefahr, daß Normalarbeitsplätze durch subventionierte Arbeitsplätze ersetzt werden, weil sich kein klar überprüfbares Kriterium der Zusätzlichkeit neu geschaffener Arbeitsplätze finden läßt.
  • Einkommenssubventionen (wie z. B. der US-amerikanische „earned income tax credit") haben den Vorteil, daß bei Aufstockung eines niedrigen Lohns durch Sozialleistungen weniger Menschen ausschließlich von sozialen Hilfen abhängig sind. Vor allem bei dauerhaft gewährten Einkommenssubventionen sind aber Verfestigungseffekte („Lock-in-Effekte") kaum zu vermeiden. Sie treten auf, wenn Arbeitnehmer sich mit der Kombination von Arbeitseinkommen und Transfereinkommen arrangieren und keinen Anlaß mehr sehen, den erreichten Status zu verändern. Für die Sozialpolitik könnte aus finanzieller Sicht ein „Faß ohne Boden" entstehen.

Die vielfältigen Ambivalenzen machen deutlich, daß es kein Patentrezept für die notwendige Vemeidung von Einkommensarmut bei Geringverdienern gibt. Von daher böte es sich an, in diesem Zusammenhang stärker experimentell (z. B. auf regionaler Ebene) vorzugehen und dann zu vergleichen, welche Vor- und Nachteile bei der praktischen Umsetzung zu berücksichtigen sind.


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