FES | ||
|
|
TEILDOKUMENT:
Die Funktionsweise des amerikanischen Arbeitsmarktes Hohe Flexibilität - hohe Unsicherheit Die hohe Beschäftigungsintensität des amerikanischen Wirtschaftswachstums ergibt sich aus dem Zusammenwirken verschiedener Elemente des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems. Dieses ist geprägt durch eine individualistische Lebensphilosophie. Das Individuum ist verantwortlich für seine wirtschaftliche Existenz und der Staat greift so wenig wie möglich in das Wirtschaftsgeschehen ein. Die für die Arbeitsmarktentwicklung entscheidenden Faktoren sind das dezentrale Lohnfindungssystem mit dem Betrieb als vorherrschender Verhandlungsebene, die starke Lohnspreizung, die niedrige Abgabenbelastung der Arbeitseinkommen, die geringe und meistens nur zeitlich befristete soziale Absicherung, die hohe Arbeitsmarktflexibilität in einem quasi weitgehend deregulierten Beschäftigungssystem sowie eine weitgehend der privaten Initiative überlassenen beruflichen Aus- und Weiterbildung. Das amerikanische Flexibilitätssyndrom wird von folgenden institutionellen und kulturellen Vorgaben geprägt:
Insgesamt führen diese Rahmenbedingungen dazu, daß das amerikanische Beschäftigungssystem viel lohnreagibler als das europäische ist und daß die Anpassung des Arbeitsvolumens stärker über Einstellungen und Entlassungen als über eine Veränderung der betrieblichen Arbeitszeiten (Überstunden, Kurzarbeit) erfolgt. Der amerikanische Arbeitsmarkt verlangt deshalb von jedem einzelnen Arbeitnehmer eine große Flexibilität. Verbunden damit ist selbst bei günstiger Beschäftigungslage eine hohe Unsicherheit hinsichtlich des eigenen Arbeitsplatzes. Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt werden für viele immer wieder neu verteilt. Diejenigen, die z.B. aufgrund der Rationalisierungswelle in Großunternehmen ihren Arbeitsplatz verlieren, finden zwar vergleichsweise schnell wieder eine Beschäftigung, doch sind bei einem erzwungenen Arbeitsplatzwechsel oft merkliche Einkommenseinbußen und geringere soziale Absicherung (z. B. Krankheitsschutz) hinzunehmen.
Arbeitsmarktpolitik: Druck auf Arbeitslose
Die USA geben im Vergleich zu anderen Industriestaaten neben Japan am wenigsten für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen aus - gerechnet als Anteil am Sozialprodukt. Für 1994/95 lag ihr Anteil bei 0,55 Prozent, mit fallender Tendenz (zum Vergleich Deutschland: 3,5%). Von den Maßnahmekosten entfielen etwa 60 Prozent auf sogenannte passive Maßnahmen, wie die Zahlung von Arbeitslosenunterstützung. Diese Lohnersatzzahlungen bei Arbeitslosigkeit sind vergleichsweise gering und von kurzer Dauer. Sie belaufen sich im Durchschnitt auf 35 Prozent des letzten Lohnes bei erheblichen Schwankungen zwischen den Staaten: von 27,5 Prozent in Kalifornien bis 49,5 Prozent in Hawaii. Arbeitslosengeld wird für maximal 26 Wochen gezahlt. Unter bestimmten Bedingungen sind Verlängerungen um weitere 13 Wochen möglich. Der verbleibende aktive" Teil der Arbeitsmarktpolitik zielt darauf ab, über Vermittlung, Beratung und Bildungsprogramme (meist von relativ kurzer Dauer) eine möglichst schnelle Wiederbeschäftigung von denjenigen Entlassenen zu erreichen, deren Wiederbeschäftigungschancen gering sind. Zu diesem Zweck wurde 1993 das Worker Profiling and Reemployment Services System" verabschiedet. Danach müssen die Träger der Arbeitslosenversicherung den Arbeitslosen, die Gefahr laufen, länger arbeitslos zu bleiben, Dienstleistungen zur Wiederbeschäftigung in Form von Beratung, Information, Tests und Job-Clubs anbieten. Arbeitslose müssen sich einem solchen profiling" unterziehen, um Lohnersatzleistungen zu erhalten. Der ebenfalls 1993 verabschiedete School-to-Work Opportunities Act" sieht eine Reihe von Fördermaßnahmen für den Übergang von der Schule in das Arbeitsleben vor. Dies gilt vor allem für Armutsgebiete. Das Programm - und seine früheren Versionen - baut stark auf der Mitarbeit lokaler Entscheidungsträger auf und beabsichtigt sowohl eine bessere Angleichung der Schulausbildung an die Erfordernisse der Arbeitsplätze als auch eine allgemeine Erhöhung der beruflichen Bildungsstandards. Zu erwähnen ist auch das sogenannte Job Corps": Besonders benachteiligte Jugendliche - ca. 60.000 pro Jahr - werden in Ganztagszentren untergebracht und einem strikten Reglement unterworfen. Inhaltlich reicht das jährliche Kursprogramm von der Vermittlung von Grundkenntnissen bis zu Sozialverhalten. Allerdings sind die Kosten relativ hoch: 15.000 Dollar pro Jahr und Teilnehmer. Eine Aktivierung" der Erwerbslosen soll auch über die Sozialhilfe erfolgen. Die Sozialhilfe für Alleinerziehende (AFDC, das größte welfare"-programm der USA mit rund 5 Mill. Leistungsbeziehern) wird seit Mitte 1997 als passive" Transferleistung nur noch für maximal zwei Jahre gewährt. Sozialhilfeempfänger können bereits nach zwei Monaten zu Gemeindearbeiten herangezogen werden. Bei Arbeitsverweigerung wird die Hilfe gekürzt. Nach zwei Jahren werden Zahlungen lediglich im Zusammenhang mit der Teilnahme an einem Arbeits- oder Ausbildungsprogramm geleistet. Um zu garantieren, daß solche Arbeits- und Ausbildungsplätze auch tatsächlich zur Verfügung stehen, soll einerseits das bereits 1988 bestehende Arbeits- und Ausbildungsprogramm für Sozialhilfeempfänger (JOBS - Job Opportunities and Basic Skills) ausgebaut sowie ein zusätzliches Arbeitsbeschaffungsprogramm eingerichtet werden. AFDC und JOBS wurden inzwischen zu TANF (Temporary Assistance for Needy Families) verschmolzen. Beide Programme lassen den Einzelstaaten große Spielräume bei der Ausgestaltung. Daß die Zahl der Sozialhilfeempfänger seit 1993 um rund ein Drittel gesunken ist, hängt allerdings in erster Linie mit der guten Wirtschaftslage zusammen, erst in zweiter Linie mit den neuen Bestimmungen seit 1996. Es besteht die Befürchtung, daß bei einem Konjunktureinbruch die Armutsbevölkerung wieder zunehmen wird, und zwar auch deshalb, weil viele dann nicht einmal mehr Sozialhilfe erhalten. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Arbeitsmarktpolitik stark von passiven Unterstützungsleistungen geprägt ist, die wegen ihrer niedrigen Höhe und Dauer einen Druck zur Wiederbeschäftigung ausüben. Bei einer Entlassung ist der betroffene Arbeitnehmer bestrebt - ja auch gezwungen - möglichst schnell wieder eine neue Stelle anzutreten, notfalls eine schlechter bezahlte. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999 |