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Waldpolitik und nachhaltige Entwicklung : eine Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung / Ralf Schmidt. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1997. - 51 S. = 180 Kb, Text . - (Ökologische Marktwirtschaft). - ISBN 3-86077-656-8
Electronic ed.: Bonn: EDV-Stelle der FES, 1997

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT


  • 1. EINLEITUNG
  • 2. HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
  • 3. WALDPOLITIK TUT NOT
  • 3.1 Waldpolitik - eine zentrale Aufgabe zur Zukunftssicherung
  • 3.2 Die globale Waldsituation
  • 3.2.1 Die Wälder der gemäßigten Breiten
  • Großflächige Waldschäden in Europa
  • Vernichtung der Küstenregenwälder
  • 3.2.2 Die borealen Wälder des Nordens
  • 3.2.3 Die tropischen Wälder
  • Waldvernichtung in den Tropen
  • 4. HANDLUNGSFELDER UND AUFGABEN DER WALDPOLITIK
  • 4.1 Nationale und europaweite Reduktion waldschädigender Emissionen
  • 4.2 Die Globalisierung der Waldpolitik
  • Waldschutz muß verbindlich werden
  • 4.3 Plädoyer für eine neue Waldpolitik
  • 5. WALDSCHUTZ UND ­NUTZUNG ALS MODELL FÜR ÖKOLOGISCH-SOZIALES WIRTSCHAFTEN
  • 5.1 Umsetzung einer ökologisch nachhaltigen Waldbewirtschaftung
  • 5.1.1 Wirtschaftswälder ökologisch nutzen
  • 5.1.2 Waldschutzgebiete ausweiten
  • 5.1.3 Wirtschaftliche und soziale Konsequenzen
  • 5.2 Flankierende Marktpolitik für naturgerecht erzeugte Holzprodukte
  • 5.2.1 Verläßliche Kennzeichnung naturnah erzeugter Holzprodukte
  • 5.2.2 Ökologisch sinnvolle Absatzmärkte erweitern
  • Baustoff Holz
  • Holz als Rohstoff
  • Holz als Energiequelle
  • Papierverschwendung eindämmen und Altpapier nutzen
  • 5.3 Waldschädigende Emissionen verringern
  • 5.3.1 Maßnahmen im Verkehrsbereich
  • 5.3.2 Maßnahmen im Landwirtschaftsbereich
  • 5.4 Internationale Zusammenarbeit
  • 5.4.1 Waldnutzung ohne Zerstörung fördern
  • 5.4.2 Aufforstungsoffensive starten
  • 5.4.3 Solarenergie fördern
  • 5.4.4 Fairer Finanztransfer und effizienter Mitteleinsatz
  • 5.5 Gesellschaftlichen Konsens herstellen
  • LITERATURHINWEISE
  • Vorwort

    Eine Welt ohne Wälder ist nicht lebensfähig. Wir alle wissen das spätestens, seit der Begriff "Waldsterben" zu Beginn der achtziger Jahre nicht nur eine Debatte unter Fachleuten provozierte, sondern jeder Bürger auf seinen Wanderungen und Spaziergängen die kranken Bäume selbst sehen konnte. Seither verfolgt die Bundesrepublik Deutschland die weltweite Diskussion über Klimaschutz oder Tropenwaldvernichtung besonders engagiert. Der jährliche "Waldzustandsbericht" der Bundesregierung belegt die hohe politische und gesellschaftliche Aufmerksamkeit, die das Thema Wald in unserem Land genießt.

    Die Traditionen und Leistungen der deutschen Forst­ und Waldwirtschaft werden zwar in vielen Ländern der Welt respektiert und bewundert. Dennoch wird auch in der Bundesrepublik eine grundlegende Reform der Waldpolitik gefordert, um die ökologischen Herausforderungen erfolgreich beantworten zu können. Denn die Prognose ist erschreckend: Wenn wir den Umgang mit unseren Wäldern so beibehalten, werden ganze Ökosysteme binnen weniger Jahrzehnte vernichtet werden. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Situation und den Perspektiven der Waldpolitik im nationalen und erst recht im internationalen Rahmen gehört daher auf die politische Tagesordnung.

    Doch eine Politik zum Schutz der nationalen und internationalen Wälder ist vielschichtig und komplex. Zahlreiche Interessen und Akteure sind betroffen. Um so wichtiger ist es, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und von Beginn an in die Debatte um eine nachhaltige Waldpolitik zu integrieren. Eine Bestandsaufnahme der aktuellen Situation und der Perspektiven sowie die Identifikation von Handlungsfeldern sind ein erster Schritt, um einen gesamtgesellschaftlichen Dialog über dies nicht nur ökologisch wichtige, sondern auch wirtschaftlich bedeutsame Thema zu beginnen. Alle beteiligten Sektoren, die Forstwirtschaft und ­wissenschaft, die Politik, die Umweltverbände, die Gewerkschaften und die Holzindustrie, aber auch - wegen der großen Bedeutung der Wälder im Besitz der öffentlichen Hand - die öffentlichen Verwaltungen in Bund, Ländern und Kommunen sind aufgerufen, sachgerechte und zukunftssichernde Entscheidungen zu treffen und umzusetzen. Hierzu soll die vorliegende Studie einen Beitrag leisten.

    Die Friedrich-Ebert-Stiftung beteiligt sich seit langem mit praxisorientierten Vorschlägen an den Diskussionen um eine sozial und ökologisch verantwortliche Ausgestaltung unserer marktwirtschaftlichen Ordnung. Zugleich versuchen wir, im Rahmen dieser Debatten den seit der Umweltkonferenz von Rio de Janeiro als weltweites Entwicklungsziel formulierten Begriff der "Nachhaltigkeit" zu konkretisieren. Damit eine "nachhaltige Entwicklung" nicht nur ein Schlagwort bleibt, sondern zu einer politischen Strategie umgesetzt werden kann, bedarf es vielfältiger konkreter Analysen der einzelnen Handlungsfelder. Hierzu gehört - nicht nur im Rahmen der klimapolitischen Überlegungen - auch eine kritische Bestandsaufnahme der Waldpolitik, die sich freilich nicht allein auf die naturwissenschaftlich evidenten und alarmierenden Aspekte konzentrieren kann. Vielmehr müssen die ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen mitbedacht werden.

    Wir danken dem Autor Ralf Schmidt für die Fülle an Material und konkreten Handlungsvorschlägen, die wir mit dieser Studie der Öffentlichkeit vorlegen. Nicht nur auf nationaler Ebene, dies zeigt das Gutachten, muß für Klarheit gesorgt werden. Ökonomische, ökologische und soziale Folgen sind nur reparabel, wenn darüber hinaus die Staaten auch auf der internationalen Ebene stärker zum Schutz der globalen Wälder kooperieren. Die Bundesrepublik Deutschland kann hier aus historischen und aktuellen Gründen eine Vorreiterrolle übernehmen.

    Wir hoffen, daß diese Studie dazu beiträgt, das Gespräch und den Interessenausgleich zwischen den beteiligten Akteuren und damit die Praxis einer nachhaltigen Waldpolitik zu befördern.

    Dr. Jürgen Burckhardt
    Geschäftsführendes Vorstandsmitglied
    der Friedrich-Ebert-Stiftung

    1. Einleitung

    Die Wälder sind ein unersetzlicher Bestandteil der Lebensgrundlagen der Menschheit. Ihr unüberschaubarer Reichtum an Pflanzen­ und Tierarten und ihre herausragende Rolle als Klimastabilisatoren, als Schutz vor Bodenerosion und Überschwemmungen und als vielfältige Vorratskammer für den Menschen verleihen ihnen eine überragende Bedeutung für die Überlebensfähigkeit des Planeten.

    Ungeachtet ihrer unersetzlichen ökologischen, ökonomischen und sozialen Funktionen werden die Wälder weltweit mehr und mehr vernichtet und geschädigt. Jedes Jahr verringert sich die globale Waldfläche, vornehmlich infolge der fortschreitenden Vernichtung der Tropenwälder, um etwa 15 Mio. ha. Zudem führen vor allem Schadstoffeinträge und nicht nachhaltige Bewirtschaftungsmethoden weltweit zu gravierenden Schäden in den Waldökosystemen. Die Naturressource Wald droht innerhalb der kommenden Jahrzehnte großflächig verlorenzugehen. Diese Gefahr erhöht sich noch durch die sich abzeichnende menschgemachte Klimaänderung. Sie übersteigt die Anpassungsfähigkeit der ohnehin vielerorts vorgeschädigten Waldökosysteme und kann ihren "plötzlichen" Zusammenbruch hervorrufen. Die ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen wären katastrophal.

    Die jahrelangen Diskussionen über Waldsterben, Tropenwaldvernichtung und Klimaschutz haben zwar das Bewußtsein in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft über die Gefährdung der Wälder geschärft. Eine dringend erforderliche Kurskorrektur im Umgang mit den Wäldern ist jedoch weit und breit nicht in Sicht. Statt dessen tritt die Waldpolitik national und erst recht auf der globalen Ebene seit Jahren auf der Stelle.

    Die bisher erzielten Ergebnisse der Waldschutz-Aktivitäten reichen bei weitem nicht aus, um die Wälder und ihre unersetzlichen Funktionen für Mensch und Natur dauerhaft zu erhalten. So liegt auf nationaler und europäischer Ebene der Ausstoß von waldschädigenden Stickstoff­ und Schwefelverbindungen immer noch weit über dem von den Waldökosystemen zu verkraftenden Mengen. Entsprechend weiten sich die emissionsbedingten Waldschäden weiterhin aus bzw. verharren auf sehr hohem Niveau. Mehr als die Hälfte der europäischen und der deutschen Wälder zeigen inzwischen sichtbare Schäden.

    Auf der globalen Ebene konnte auch fünf Jahre nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung kein Einstieg in eine wirksame Waldpolitik erreicht werden. Lediglich unverbindliche Grundsätze für den Schutz und die nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder in allen Klimazonen wurden in den letzten Jahren vereinbart. Eine dringend erforderliche rechtsverbindliche Wald-Vereinbarung ist - wenn überhaupt - erst in Jahren zu erwarten.

    In keinem wirtschaftlich relevanten Bereich lassen sich ökologische, soziale und ökonomische Erfordernisse im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung besser in Einklang bringen als bei den Wäldern, ist der wirtschaftliche Erfolg und damit die Sicherung von Arbeitsplätzen so unmittelbar von intakten Ökosystemen abhängig. Das Nachhaltigkeitsprinzip des weitestmöglichen Nutzens natürlicher Prozesse kann in der Waldwirtschaft geradezu beispielhaft entwickelt werden. Durch das allgemeine Zögern und Abwarten bleibt diese Chance jedoch ungenutzt, zu Lasten künftiger Generationen.

    Neue Impulse für den Schutz und die nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder brauchen Vorreiter. Die Bundesrepublik Deutschland ist dafür prädestiniert, eine solche Vorreiterrolle innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft zu übernehmen und gleichzeitig die eigenen Probleme im Waldsektor zu lösen. Dazu bedarf es eines integrierten waldpolitischen Konzeptes, das alle waldrelevanten Politikbereiche miteinander verknüpft und das Ziel verfolgt, der Waldbewirtschaftung eine "Schrittmacherfunktion" auf dem Weg in eine ökologisch-soziale Reform des Wirtschaftssystems zu verleihen.

    2. Handlungsempfehlungen

    Die Chancen einer ökologisch-sozialen Reform des Waldbewirtschaftung sind zu nutzen, um die drängenden ökologischen und wirtschaftlichen Probleme zu lösen und gleichzeitig neue Impulse in der globalen Waldpolitik zu geben. Eine von der Bundesregierung eingerichtete ressortübergreifende Arbeitsgruppe, der auch Vertreter der Länder, der Forst­ und Holzwirtschaft sowie von Nichtregierungsorganisationen angehören, sollte hierzu die Grundlagen in einem Programm zum Schutz und zur naturnahen Bewirtschaftung der Wälder erarbeiten, das als Leitlinie der künftigen Waldpolitik umgesetzt wird. Zentrale Inhalte und Maßnahmen dieses Programms müßten sein:

    Umsetzung einer ökologisch nachhaltigen Waldbewirtschaftung

    Die Bewirtschaftung der Wälder muß sich künftig stärker an der Natur orientieren. Dazu sind insbesondere folgende Maßnahmen zu ergreifen:

  • - Überprüfung und Novellierung der Bundes­ und Landeswaldgesetze sowie der Landeswaldbauprogramme mit dem Ziel, den Umbau der Altersklassenwälder in Dauerwälder zu fördern und die steuernden Eingriffe des Menschen in die Waldökosysteme zu minimieren und entsprechend Bewirtschaftungsprinzipien festzuschreiben und umzusetzen (z. B. Vorrang für Naturverjüngung, einheimische Baumarten und einzelstammweisen Einschlag, Verzicht auf Pestizid­ und Düngereinsatz, Erhöhung des Totholzanteils in den Wäldern).
  • - Novellierung der Jagdgesetze, um den Schalenwildbestand auf ein waldverträgliches Maß zurückzuführen. Insbesondere sind ökologisch-waldbauliche Kriterien für die Abschußplanung festzuschreiben.
  • - Ausweitung von Schutzgebieten auf mindestens 5 Prozent der heutigen Waldfläche. In diesen Totalreservaten steht die natürliche Waldentwicklung im Vordergrund. Hierzu sollen in erster Linie öffentliche Wälder genutzt werden. Darüber hinaus sollten private Waldbesitzer durch die Bereitstellung von Fördermittel ebenfalls zur "Stillegung" eines Teils ihrer Nutzflächen angereizt werden.
  • Förderung der ökologisch sinnvollen Holzverwendung

    Um die ökologisch sinnvolle Verwendung naturnah erzeugter Hölzer vor allem in Form langlebiger Produkte zu fördern, sind folgende Instrumente zu schaffen:

  • - Einführung einer verläßlichen Positiv-Kennzeichnung für ökologisch-nachhaltig erzeugte Holzprodukte. Ziel ist es dabei, sich auf einen von Forst­ und Holzwirtschaft, Umweltverbänden, Gewerkschaften und Handel gemeinsam getragenen Katalog aus nachprüfbaren Vergabekriterien zu einigen. Eine Chance dazu bieten die Verhandlungen unter dem Dach des "Forest Stewardship Councils".
  • - Überprüfung und Novellierung der Landesbauordnungen mit dem Ziel, Restriktionen für Holzbauteile im Gebäudebau zu eliminieren.
  • - Förderung und Ausbau einer umweltverträglichen nationalen Zellstoffproduktion auf der Basis einheimischer (Schwach)hölzer.
  • - Förderung der energetischen Holznutzung, insbesondere durch die zügige Einführung einer nationalen CO2-/Energiesteuer.
  • - Erlaß einer Altpapierverordnung, die den Recyclinganteil bei Papier­ und Pappeprodukten weiter steigert.
  • Waldschädigende Emissionen verringern

    Die Freisetzung waldschädigender Stickstoff­ und Schwefelverbindungen aus dem Verkehrs­, Landwirtschafts­ und Energiebereich muß erheblich reduziert werden, um möglichst bald ein waldverträgliches Niveau zu erreichen. Dies gelingt nur, wenn - neben technologischen Innovationen - auch strukturelle Veränderungen vorgenommen werden. Verkehrsvermeidung und die Stärkung umweltfreundlicher Verkehrsmittel, die Förderung der ökologischen Landwirtschaft und die Absenkung des Energieverbrauchs sind vordringliche Aufgaben, die auch dem Wald zugute kämen. Grundlagen dafür bilden

  • - eine ökologisch-soziale Steuerreform, die die Belastung der Umwelt verteuert und die Arbeitskosten senkt. Kernpunkt sind dabei die Einführung einer Energiesteuer und eine Erhöhung der Mineralölsteuer bei gleichzeitiger Entlastung privater Haushalte, insbesondere mit geringerem Einkommen.
  • - die Ausrichtung der Agrarsubventionen an ökologischen Kriterien. Hierzu müssen die Zuweisungskriterien auf EU­, Bundes­ und Länderebene entsprechend überarbeitet werden.
  • Internationale Zusammenarbeit

    Die Bundesregierung ist aufgefordert, Partner für die Umsetzung einer wirksamen Waldpolitik zu finden. Diese "Allianz zum Schutz der Wälder" kann einerseits den Druck auf die internationale Staatengemeinschaft erhöhen und andererseits Projekte zum Schutz und zur nachhaltigen Bewirtschaftung der Wälder effizient und zielgerichtet durchführen. Dazu sollten in der Nord-Süd-Kooperation folgende Maßnahmen umgesetzt werden:

  • - Moratorium für waldvernichtende Projekte der wirtschaftlichen Zusammenarbeit,
  • - Modellprojekte für den Schutz und die nachhaltige Bewirtschaftung insbesondere der Tropenwälder,
  • - Start einer ökologisch und sozialverträglichen Aufforstungsoffensive,
  • - Förderung der Solarenergienutzung zur Verminderung des Brennholzbedarfs in den Tropen.
  • Insgesamt sind die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit deutlich zu erhöhen und an das bekannte Ziel von 0,7 Prozent des BSP heranzuführen.

    Gesellschaftlichen Konsens herstellen

    Eine integrierte Waldpolitik muß sich zum Ziel setzen, einen gesellschaftlichen Konsens über die künftige Bewirtschaftung der Wälder herbeizuführen. Damit würde nicht nur der in der Agenda 21 von Rio festgelegten verstärkten Beteiligung der lokalen Bevölkerung und der Nichtregierungsorganisationen bei allen Fragen der Naturnutzung Rechnung getragen, auch die Forstwirtschaft würde von einem solchen Konsens profitieren.


    © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998

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