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Teildokument zu: Waldpolitik und nachhaltige Entwicklung


3. Waldpolitik tut not

3.1 Waldpolitik - eine zentrale Aufgabe zur Zukunftssicherung

Die Wälder gehören zu den größten Reichtümern der Erde. Sie sind von herausragender Bedeutung für die Sicherung des Naturhaushaltes und der Lebensgrundlagen des Menschen. Ihre wichtigsten ökologischen, sozialen und ökonomischen Funktionen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen.

  • Die Naturfunktion: Wälder sind ein unersetzlicher Lebensraum für eine unübersehbare Zahl von Tier­ und Pflanzenarten. Sie sind darüber hinaus wichtige Klimaregulatoren und ein entscheidender Faktor des Naturhaushalts (Stoff­ und Wasserkreisläufe).
  • Die Schutzfunktion: Wälder sind unverzichtbar für den Schutz der Böden vor Erosion und Auslaugung, den Schutz vor Hochwässern und den Schutz des Klimas. Sie wirken zudem als Filter für anthropogen freigesetzte Schadstoffe.
  • Die Produktionsfunktion: Wälder bieten eine breite Palette an Nahrungsmitteln und Rohstoffen. Neben Hölzern werden den Wäldern Früchte, Pilze, Wildfleisch, Rattan u. a. Produkte entnommen. Immer wichtiger wird zudem die Rolle der Wälder als Lieferant für Pflanzen und Substanzen, die in der Medizin oder der Landwirtschaft genutzt werden können.
  • Die Kulturfunktion: Wälder sind - zumindest in den hochindustrialisierten Räumen - ein Ort der Erholung und der Entspannung. Mehr und mehr wird der Wert der Wälder für das allgemeine psychische und physische Wohlbefinden der Menschen erkannt. Im globalen Maßstab steht dagegen die Rolle der Wälder als Basis für eine Vielzahl indigener Gesellschaften im Vordergrund, deren Überleben unmittelbar von einem intakten Waldökosystem abhängt.
  • Nur intakte Waldökosysteme sind in der Lage, diese unersetzlichen Funktionen dauerhaft zu erfüllen. Der Erhalt der Naturfunktion stellt daher die Voraussetzung für die Erfüllung der Schutz­, Produktions­ und Kulturfunktion dar.

    Ungeachtet ihrer überlebenswichtigen Funktionen werden die Wälder weltweit massiv geschädigt und vernichtet. Das Ausmaß dieser fortschreitenden ökologischen Katastrophe wird anhand folgender globaler Trends deutlich:

  • Jährlich werden etwa 16 Mio. ha Wald vernichtet, vor allem ökologisch besonders wertvolle Naturwälder. Zu den wichtigsten Folgen dieses Raubbaus an der Natur gehören:
  • Die dramatische Verringerung der biologischen Vielfalt. Täglich sterben schätzungsweise 50 bis 200 Arten aus. Vor allem in den Tropenwäldern ist erst ein verschwindend geringer Anteil der vorkommenden Arten bekannt, so daß das ganze Ausmaß dieses unwiederbringlichen Verlusts an biologischer Vielfalt nicht genau beziffert werden kann.
  • Die Freisetzung von klimaschädlichem Kohlendioxid. Pro Jahr werden etwa 7 Mrd. t Kohlendioxid durch Waldvernichtung freigesetzt. Dies ist rund ein Viertel der globalen CO2-Emission.
  • Die Vertreibung und Auslöschung indigener Kulturen und der Verlust ihrer an die Ökologie der Wälder angepaßten traditionellen Bewirtschaftungsformen.
  • Schadstoffbedingte Waldschäden führen vor allem in Europa in wachsendem Maße zu einer Destabilisierung der Waldökosysteme. In den meisten europäischen Staaten weisen inzwischen mehr als die Hälfte der Bäume ernsthafte Krankheitssymptome auf.
  • Hauptursachen für diese dramatische Entwicklung sind die Ausweitung der Siedlungs­ und Wirtschaftsflächen in bisher unberührte Waldgebiete, die zunehmende Ausbeutung der in Waldgebieten lagernden Bodenschätze, der massive Eintrag luftgetragener Schadstoffe in die Wälder, ein rapider Anstieg der Nachfrage nach Holz und vor allem kurzlebigen Holzprodukten sowie die Ausweitung nicht nachhaltiger Einschlagmethoden ohne geregelte Bewirtschaftung und Wiederaufforstung. Alle Prognosen gehen davon aus, daß sich der Druck auf die Wälder in Zukunft weiter erhöhen wird, wenn nicht bald Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Zudem stellt die anthropogene Klimaänderung eine zusätzliche, ernsthafte Gefährdung für die Wäldökosysteme dar. In vielen Regionen drohen die Waldökosysteme im Laufe des kommenden Jahrhunderts unter klimatische Bedingungen zu geraten, an die sie nicht angepaßt sind. Dies kann zum großflächigen Zusammenbruch der Wälder führen.

    Der Mensch ist dabei, sich zunehmend einer seiner wichtigsten Lebensgrundlagen zu berauben. Die kostbare und unersetzliche Naturressource Wald droht in vielen Teilen der Erde zu verschwinden. Die ökologischen, sozialen und ökonomischen Folgen dieser Naturausbeutung wären katastrophal.

    Waldpolitik tut also not. Sie muß es sich zum Ziel setzen, diesem Trend entgegenzuwirken und den dauerhaften Erhalt der Wälder und ihrer Funktionen weltweit sicherzustellen. Hierin liegt eine der zentralen Zukunftsaufgaben zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen. Um ihr gerecht zu werden, bedarf es einerseits einer Veränderung der waldschädigenden wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen sowie der Ausweitung von Schutzgebieten. Andererseits müssen nachhaltige Bewirtschaftungskonzepte für die Wälder in allen Klimazonen der Erde entwickelt und umgesetzt werden.

    Spätestens seit der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio ist der Schutz und die nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder als zentrales Aufgabenfeld der internationalen Politik klar benannt. Doch weder die Konferenz noch die zahlreichen Verhandlungsrunden in der Folgezeit brachten substanzielle Fortschritte. Die Gründe dafür sind vielfältig. Nationale Egoismen und kurzfristige Wirtschaftsinteressen spielen dabei eine wichtige Rolle. Von entscheidender Bedeutung für die bisher unzureichenden Ergebnisse der globalen Waldschutzbestrebungen sind zudem die folgenden Ursachen:

  • Es gibt bisher keinen internationalen Konsens über Wert und Bedeutung der Wälder. Es gibt diesen Konsens nicht einmal unter den Industrieländern und nur in Ansätzen innerhalb der Staaten der Europäischen Union. Den sozialen und ökologischen Funktionen der Wälder wird immer noch weit weniger Wert beigemessen als kurzfristigen Profitinteressen.
  • Es fehlen wirtschaftliche Anreize für den Schutz und die nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder. Weder die sozialen noch die ökologischen Folgen der Ausbeutung von Naturressourcen spiegeln sich in den Marktpreisen wider. Weltmarktpreise sind daher keine "ehrlichen Preise". Sie fördern die Waldvernichtung und lassen diese sogar als ökonomisch vernünftig erscheinen.
  • Es fehlen Vorreiter für eine konsequente Waldpolitik, d. h. Länder, die sich freiwillig dazu verpflichten, auf nationaler und internationaler Ebene die unverbindlichen Beschlüsse der Rio-Konferenz konsequent umzusetzen.
  • Es muß das Ziel einer globalen Waldpolitik sein, diese Hemmnisse so rasch wie möglich zu überwinden und den Weg freizumachen für eine rechtsverbindliche Vereinbarung zum Schutz und zur nachhaltigen Bewirtschaftung der Wälder. Die internationalen Verhandlungen allein reichen jedoch nicht aus. Vielmehr sind Vorreiter für eine neue Waldpolitik gefragt, die beispielhaft aufzeigen, wie die ökonomischen, ökologischen und sozialen Belange der Wälder im Rahmen eines integrierten Schutz­ und Nutzungskonzeptes miteinander in Einklang gebracht werden können.

    Vor diesem Hintergrund wird in den folgenden Kapiteln - über die auf globaler Ebene umzusetzenden Maßnahmen hinaus - ein Sofortprogramm entworfen, zu dem sich Vorreiter in der Waldpolitik verpflichten sollten. Besonderes Gewicht wird dabei der Rolle Deutschlands beigemessen.

    3.2 Die globale Waldsituation

    Die weltweite Ausdehnung der Wälder wurde und wird in starkem Maße vom Menschen bestimmt. Zu Beginn der Ausbreitung des Ackerbaus, vor etwa 10 000 Jahren, waren schätzungsweise 6,2 Mrd. ha, also über 40 Prozent der Erdoberfläche, mit Wäldern bedeckt. Heute sind es noch rund 3,5 Mrd. ha. Mehr als ein Drittel der Waldflächen sind also gerodet worden, um Platz für Landwirtschaft, Industrie, Siedlungen und andere Nutzflächen zu schaffen. Etwa die Hälfte der verbliebenen Wälder ist mehr oder weniger stark vom Menschen verändert worden. Nur noch 1,5 Mrd. ha, fast ausnahmslos in den Tropen und der borealen Zone, sind in einem natürlichen Zustand, mit abnehmender Tendenz.

    Die aktuelle globale Situation ist durch eine fortschreitende Vernichtung und Destabilisierung der Wälder gekennzeichnet. Dabei sind - wenn auch in sehr unterschiedlichem Ausmaß - alle Hauptwaldzonen betroffen, wie im folgenden dargestellt wird.

    3.2.1 Die Wälder der gemäßigten Breiten

    Die Wälder der gemäßigten Breiten sind am stärksten abgeholzt und vom Menschen geprägt worden. Der heutige Gesamtwaldbestand der gemäßigten Zone wird auf etwa 600 bis 700 Mio. ha geschätzt. Der Waldanteil in den Ländern dieser Klimazone überschreitet nur in Ausnahmefällen 40 Prozent. Größere natürliche Bestände finden sich lediglich in Japan und den USA. Die aktuelle Waldfläche in der gemäßigten Zone dehnt sich zur Zeit langsam aus, in Europa und den USA jährlich um etwa 1 Prozent. Ursache dafür ist die Stillegung und Aufforstung nicht mehr benötigter Ackerflächen.

    Die (potentiell) natürliche Struktur und Artenzusammensetzung der temperierten Wälder variieren regional sehr stark. Natürlicherweise vorherrschend sind Laubmischwälder, in Europa vorwiegend Buchen­ und Eichenmischwälder, in Nordamerika vor allem Eichen­ und Nußbaummischwälder. In den Höhenlagen und auf ungünstigen Standorten treten verstärkt Nadelbaumarten (v. a. Fichte, Kiefer, Lärche) auf. Kennzeichnend für die Waldökosysteme der gemäßigten Zone sind kleinräumig und kontinuierlich ablaufende Regenerationsprozesse. Natürliche bzw. naturnahe Wälder weisen häufig auf engem Raum Bäume unterschiedlicher Entwicklungsstufen auf. Dadurch ergibt sich in der Regel ein mehrschichtiger Aufbau.

    In den meisten Gebieten der gemäßigten Zone werden Artenzusammensetzung und Bestandsentwicklung nach wirtschaftlichen Zielsetzungen gesteuert, sind also anthropogen geprägt. In Deutschland nehmen zum Beispiel nadelbaumdominierte Bestände etwa zwei Drittel der Gesamtwaldfläche ein. Der natürliche Nadelholzanteil läge dagegen bei höchstens einem Viertel. Ein Drittel der Wälder sind geplante Monokulturen, weitere 20 Prozent bestehen zu mindestens 90 Prozent aus einer Baumart.

    In den USA, die ursprünglich zu etwa 50 Prozent mit Wald bedeckt waren, wurde rund ein Viertel der Waldfläche in Acker­, Weide­ und Siedlungsland, der Rest überwiegend in oftmals monotone Wirtschaftswälder umgewandelt. In China gilt etwa ein Drittel der temperierten Wälder als Primärwald, zwei Drittel sind als Sekundärwälder oder Forste - vor allem aus Fichten und Kiefern - klassifiziert. In Japan, das in den schwer zugänglichen Gebirgsregionen noch ausgedehnte Naturwälder aufweist, wurde rund ein Drittel der Wälder in Plantagen umgewandelt.

    Mit einem jährlichen Einschlagvolumen von über 1 Mrd. Kubikmeter Holz liefern die temperierten Wälder etwa ein Drittel des globalen Holzaufkommens. Etwa zwei Drittel davon werden weiterverarbeitet, gut 300 Mio. Kubikmeter werden als Brennholz verwendet. Die Einschlagfläche liegt mit etwa 15 Mio. ha pro Jahr bei 2,5 Prozent der Gesamtwaldfläche. Nur rund 4 Prozent der temperierten Wälder stehen unter Schutz, in Deutschland sind es lediglich 0,2 Prozent.

    Eine Gefährdung der Wälder in der gemäßigten Zone geht - vor allem in Europa - von den seit langer Zeit anhaltenden Schadstoffeinträgen aus. Außerdem hat die Verdrängung natürlicher Waldbestände zur strukturellen und biologischen Verarmung der Wälder geführt. Nicht übersehen werden darf zudem, daß in den gemäßigten Breiten weiterhin Naturwälder vernichtet werden, insbesondere die Küstenregenwälder entlang der nordamerikanischen Küste.

    Großflächige Waldschäden in Europa

    Stickstoffemissionen aus dem Verkehrsbereich und der Intensivlandwirtschaft, hohe sommerliche Ozonkonzentrationen sowie Schwefeldioxid, das vor allem dem Energiebereich entstammt, verursachen gravierende Schäden in den Waldökosystemen. Dabei sind folgende negativen Einflüsse auf den Waldzustand zu unterscheiden:

  • Direkte Schädigung der oberirdischen Pflanzenorgane (Blätter/Nadeln): Mit ihren Blättern bzw. Nadeln filtern Bäume die Stickstoff­ und Schwefelverbindungen aus der Luft. In Verbindung mit Niederschlägen entstehen aus ihnen Säuren, die unmittelbar die Pflanzenorgane schädigen und letztlich zur Verfärbung von Blättern und Nadeln führen können. Ähnliche Wirkungen rufen hohe bodennahe Ozonkonzentrationen hervor. Das aggressive Reizgas bildet sich, wenn Stickstoffoxide und Kohlenwasserstoffverbindungen unter intensiver Sonneneinstrahlung photochemisch umgewandelt werden.
  • Verringerung der Bodenfruchtbarkeit durch Versauerung, Nährstoffauswaschung, Stickstoffüberdüngung und Freisetzen giftig wirkender Substanzen. Ebenfalls gravierende Schädigung der Waldökosysteme erfolgen über den sogenannten "unterirdischen Wirkungspfad" der Schadstoffeinträge. Im Mittelpunkt steht dabei die Versauerung der Waldböden, die im wesentlichen folgende Effekte hervorruft:
  • Der Nährstoffgehalt der Böden wird reduziert, da wichtige Nährstoffe (vor allem Kalium, Kalzium und Magnesium) aus dem Wurzelraum ausgewaschen werden.
  • Die Abbaubedingungen für die abgestorbene organische Substanz verschlechtern sich, so daß es zur Entstehung von Humusauflagen kommt, aus denen - je nach Zusammensetzung - zusätzliche Säuren freigesetzt werden können.
  • Die Zahl der Bodenlebewesen (Mikroorganismen, Regenwürmer etc.) nimmt deutlich ab, das Feinwurzelwerk der Bäume wird geschädigt.
  • Es werden giftig wirkende Stoffe im Boden freigesetzt, die von den Pflanzen aufgenommen werden bzw. ins Grundwasser gelangen können (v. a. Aluminium und Schwermetalle).
  • Ein Problem besonderer Natur stellt der hohe Eintrag von Stickstoff in die Waldökosysteme dar. Lange Zeit galt der Stickstoffeintrag aus der Luft als willkommene Düngung, da jahrhundertelange Übernutzung den Stickstoffgehalt der Waldböden reduziert hatte. Dieser Mangel wurde nach und nach über den Lufteintrag behoben, so daß in vielen Wäldern eine Zuwachssteigerung festgestellt werden konnte. Unter der "Stickstoffdusche" wachsen die Bäume schneller und üppiger. Die Wachstumssteigerung ist jedoch ein trügerischer Indikator für den Zustand der Wälder. Denn tatsächlich liegt der Stickstoffeintrag über die Luft um ein Vielfaches über den von Waldökosystemen dauerhaft verkraftbaren Mengen. Ein Hektar Wald kann etwa 10-20 kg Stickstoff pro Jahr verwerten. Der Eintrag beträgt dagegen 20 bis 80 kg, in Extremfällen bis zu 200 kg Stickstoff pro Jahr und Hektar. Diese Überdüngung ruft folgende negativen Auswirkungen hervor:

  • Der überschüssige Stickstoff beschleunigt die Auswaschung anderer für die Pflanzen lebenswichtiger Nährstoffe und verstärkt damit das Nährstoffungleichgewicht im Waldboden und in den Pflanzen,
  • er fördert die Bodenversauerung und behindert die für die Waldgesundheit wichtigen Mykorrhizapilze,
  • vermindert die Widerstandskräfte der Bäume gegenüber äußeren Einflüssen und
  • führt zur Auswaschung von gesundheitsgefährdendem Nitrat ins Grundwasser.
  • Die Schadstoffeinträge rufen inzwischen eine großräumige Destabilisierung der Wälder hervor. Im Zusammenspiel mit klimatischen Extremereignissen (Trockenphasen, Hitzeperioden, Frühfröste etc.) sowie von Schädlingen und Kranheiten hat dies seit Ende der 70er Jahre zur massiven Ausbreitung von Waldschäden geführt. Im Mittel weist etwa ein Viertel der Waldbäume in Europa deutliche Schadmerkmale auf, d. h., daß mindestens ein Viertel ihres Blatt­ bzw. Nadelwerks vergilbt ist. Besonders stark ist Mittel­ und Osteuropa betroffen. Am dramatischsten treten Waldschäden in Tschechien und Polen auf, wo über die Hälfte der Bäume deutlich geschädigt ist. In Deutschland lag dieser Anteil im Jahr 1996 bei 20 Prozent und damit um zwei Prozent unter dem Vorjahreswert. Darüber hinaus wiesen 37 Prozent der Bäume leichtere Schadsymptome auf, d. h., daß 10 bis 25 Prozent ihres Nadel­ bzw. Blattwerks vergilbt sind. Nur gut 40 Prozent der Bäume zeigten keine ernstzunehmenden Schäden.

    Vernichtung der Küstenregenwälder

    Auch in den gemäßigten Breiten gehen aktuell Naturwälder verloren. Betroffen sind dabei die gebirgigen Landschaften entlang der niederschlagreichen und relativ warmen Westküsten. Diese wurden ursprünglich von etwa 30 bis 40 Mio. ha üppiger Regenwälder bedeckt. Das relativ milde und sehr feuchte Klima hat hier biologisch und strukturell vielfältige Wälder entstehen lassen, die durchweg durch sehr hohe Biomassedichten gekennzeichnet sind. In Nordamerika liegt die Biomassedichte pro Hektar über 1000 t und erreicht an besonders günstigen Standorten bis zu 3500 t. Schätzungen zufolge sind bereits 56 Prozent des ursprünglich vorhandenen temperierten Regenwaldes zerstört, werden forstwirtschaftlich genutzt oder sind mit anderen Nutzungsformen belegt. In Nordwesteuropa, Argentinien und - bis auf einzelne Restbestände - in Norwegen und Japan sind die Regenwälder bereits im vergangenen Jahrhundert verschwunden. In Chile ist dieser Prozeß noch im Gang. Zwei Drittel der noch nicht eingeschlagenen Regenwälder befinden sich in Nordamerika, der größte Teil in Alaska. Von den ökologisch besonders wertvollen Beständen entlang der kanadischen Westküste sind noch rund 40 Prozent in einem natürlichen Zustand. Der Rest wurde nach Kahlschlägen in biologisch eintönige Sekundärwälder umgewandelt. Ein erheblicher Teil blieb infolge ökologischer Schäden und mangelhafter Aufforstungsbemühungen unbewaldet. Laut Forstbericht des Bundeslandes Britisch Kolumbien hatte sich zu Beginn der 90er Jahre "die Einschlagfläche von zehn Jahren" nicht ausreichend bestockt. Von den heute noch in Nordamerika vorhandenen 8 Mio. ha Küstenregenwäldern stehen 300 000 ha unter Schutz und sind vor dem Kahlschlag sicher.

    3.2.2 Die borealen Wälder des Nordens

    Der boreale Waldgürtel zieht sich als 700 bis 2000 km breites Band durch die nördliche kaltgemäßigte Klimazone Europas, Asiens und Nordamerikas. Insgesamt nehmen die nadelwalddominierten borealen Wälder etwa 1,2 Mrd. ha ein. Allein 60 Prozent davon befinden sich in Rußland, weitere 30 Prozent entfallen auf Kanada. Die restlichen 10 Prozent verteilen sich auf Alaska, Nordeuropa, die Mongolei und Nordchina. Es wird geschätzt, daß knapp die Hälfte der borealen Wälder in einem natürlichen Zustand sind. Eine radikale Ausweitung des Einschlags, die zunehmende industrielle Erschließung sowie zum Teil extreme Schadstoffbelastungen führen jedoch zu einer dramatischen Abnahme der Naturwälder und zu gravierenden Waldschäden.

    Die borealen Wälder sind durch eine geringe Baumartenzahl gekennzeichnet. Sie weisen in der Regel nicht mehr als zwei oder drei verschiedene Hauptbaumarten auf, auf ungünstigen Standorten bilden sich oftmals natürliche Reinbestände aus Kiefern oder Lärchen aus. Der einförmige Charakter dieses Waldtyps wird noch verstärkt durch die homogene Altersstruktur. Diese ist das Produkt der für die borealen Wälder typischen, auf großen Flächen ablaufenden natürlichen Regeneration, die oftmals an vorhergehende Brände gebunden ist. Diese setzen die in der Rohhumusauflage gespeicherten Nährstoffe kurzfristig frei und verbessern so die Bedingungen für die nachfolgende Baumgeneration, die sich rasch auf großen Flächen ausdehnt. Meist siedeln sich zunächst die Pionierbaumarten Pappel oder Birke an, die später von Fichten bzw. Kiefern verdrängt werden. Je nach Standortverhältnissen dauert dieser natürliche Entwicklungsprozeß Jahrzehnte bis Jahrhunderte. Zu häufige Brände und Kahlschläge stören diese Entwicklung und können die Regeneration der Wälder gefährden.

    Die natürlichen Wälder der borealen Zone werden fortschreitend erschlossen und ausgebeutet. Heute stammen etwa ein Drittel des weltweit hergestellten Zellstoffs, ein Fünftel aller Papierprodukte und knapp 40 Prozent des weltweit produzierten Sägeholzes aus der borealen Zone. Die Forst­ und Holzwirtschaft ist der wichtigste Auslöser für Veränderungen der Waldvegetation, für die Reduktion der biologischen Vielfalt und für flächige Waldzerstörungen.

    In vielen Regionen hat die üblicherweise praktizierte Kahlschlagwirtschaft dem Naturhaushalt gravierende, dauerhafte Schäden zugefügt. Bodenverdichtung und ­erosion, Versumpfung, Schäden an der verbleibenden Vegetation und die Veränderung des Mikroklimas haben zusammen mit unzureichenden Wiederaufforstungsbemühungen zu einer Ausweitung der waldfreien Flächen geführt. Ebenso unterdrückt die Zunahme von Waldbränden die Wiederbewaldung. In Kanada hat sich die unbestockte Waldfläche seit den 60er Jahren von 5 Mio. auf 25 Mio. ha vergrößert. In Rußland dürften mindestens 100 Mio. ha ehemaliger Waldfläche nach Einschlag oder Bränden unbestockt sein. Es ist äußerst fraglich, ob sich auf diesen Flächen wieder ein Wald entwickeln wird.

    Vor allem in Rußland führen immense Schadstoffeinträge zur Ausbreitung massiver Waldschäden, deren Ausmaß erst grob abgeschätzt werden kann. Allein 50 Mio. ha Waldtundra gelten als zerstört. Großflächiges Absterben als Folge der Schadstofflast tritt im Umland fast aller großen Industriekomplexe Rußlands auf. Allein bei Norilsk sind durch die gigantischen Schadstofffrachten 500 000 ha Wald abgestorben. Ähnlich gravierende Waldschäden treten auch auf der Halbinsel Kola auf.

    Verglichen mit mitteleuropäischen Ländern nehmen Schutzgebiete in der borealen Zone relativ große Flächen ein. In Kanada stehen 74 Mio. ha unter Schutz, das sind etwa 7 Prozent der Landesfläche. Eine ähnliche prozentuale Größenordnung nehmen Schutzgebiete in Fennoskandien ein. In Rußland sind lediglich 2,5 Mio. ha Wald, das sind rund 0,3 Prozent, als Nationalparks geschützt. Die Schutzgebiete der borealen Zone befinden sich allerdings überwiegend in nichtbewaldeten Berg­ und Tundrenregionen sowie in wirtschaftlich uninteressanten Waldgebieten.

    3.2.3 Die tropischen Wälder

    Zu den tropischen Wäldern wird eine Vielzahl ökologisch sehr unterschiedlicher Waldtypen gezählt, die insgesamt knapp 1 700 Mio. ha Fläche einnehmen. Ausprägung und Artenzusammensetzung der Waldökosysteme in den Tropen sind in erster Linie an die Menge und die zeitliche Verteilung der Niederschläge gebunden. Dabei lassen sich grob die folgenden Hauptgruppen voneinander unterscheiden.

  • Die immergrünen Regenwäldern der ganzjährig feuchten Tropen
  • Mit einem Anteil von 50 bis 90 Prozent aller auf den Kontinenten vorkommenden Arten sind die tropischen Regenwälder das mit Abstand artenreichste Ökosystem der Erde. Das warme und feuchte Tropenklima führt zu sehr hohen Biomassedichten und zum schnellen Abbau der abgestorbenen organischen Substanz. Die in ihr gespeicherten Nährstoffe werden rasch wieder freigesetzt und unter Beteiligung von Bodenpilzen unmittelbar von den Pflanzen aufgenommen. Dadurch befindet sich der allergrößte Teil der Nährstoffe in der lebenden Biomasse, während die tiefgründig verwitterten Böden meist nährstoffarm sind und über ein geringes Nährstoffspeichervermögen verfügen. Solange der Wald intakt ist, führt der rasche Stoffumsatz zu extrem niedrigen Nährstoffverlusten. Wird jedoch die Pflanzendecke geschädigt oder vernichtet, setzt unmittelbar eine starke Nährstoffauswaschung ein. Gerodete Tropenwaldböden sind deshalb nach wenigen Jahren ausgelaugt und für eine intensive landwirtschaftliche Nutzung kaum noch geeignet. Ausnahmen stellen die Böden aus jungen vulkanischen Gesteinen dar, wie sie zum Beispiel in Ostafrika, auf Bali und Java sowie in den Anden vorkommen. Auch in den Überschwemmungsbereichen der sogenannten Weißwasserflüsse, in denen sich die nährstoffreichen Sedimente aus geologisch jungen Gebirgen (z. B. den Anden) ablagern, gibt es fruchtbare Böden.
  • Die regengrünen Feucht­ und Trockenwälder der wechselfeuchten Tropen
  • Im Vergleich zu den Regenwäldern liegt die strukturelle und biologische Vielfalt der regengrünen Wälder deutlich niedriger. Die regengrünen Feuchtwälder sind dadurch gekennzeichnet, daß sie während der deutlich ausgeprägten, zwei­ bis fünfmonatigen Trockenzeit zumindest einen Teil ihres Laubes abwerfen. Sie sind weniger dicht bestockt als die immergrünen Regenwälder und weisen einen mehr oder weniger dichten Unterwuchs aus Kräutern und Gräsern auf. Mit zunehmender Trockenheit nimmt der Anteil laubabwerfender Baumarten zu. Wälder, in denen sie mehr als die Hälfte des Baumbestandes ausmachen, werden als regengrüne Trockenwälder bezeichnet. Diese sind während der Trockenzeit ganz oder überwiegend laubfrei und durch relativ geringe Baumhöhen geprägt. Der Bestand ist zumeist aufgelockert und von einer durchgehenden Grasschicht durchsetzt. Bekannt sind die tropischen Trockenwälder auch als Savanne.
  • Waldvernichtung in den Tropen

    Nach Schätzungen der FAO sind seit 1980 rund 250 Mio. ha Tropenwald vernichtet worden, der Löwenanteil davon im Bereich der immerfeuchten Tropen. Die tropische Waldfläche hat sich dadurch auf 1650 Mio. ha verringert. Die jährliche Vernichtungsrate stieg im Laufe der 80er Jahre von 11 Mio. ha auf bis zu 17 Mio. ha. Aktuell wird sie auf knapp 14 Mio. ha geschätzt. Setzt sich der Trend fort, dann werden bis Mitte des nächsten Jahrhunderts nur noch entlegene Gebiete der Tropen bewaldet sein. Die Hälfte des heute noch vorhandenen Waldbestandes wird bis dahin verschwinden.

    Als Hauptursache der Tropenwaldvernichtung wird meist der sogenannte Landnutzungswandel angegeben. Darunter ist die fortschreitende Ausdehnung der vom Menschen besiedelten und genutzten Flächen in natürliche oder naturnahe Waldgebiete zu verstehen. Hinter diesem Prozeß steht ein ganzes Bündel von Ursachen. Er ist keineswegs allein auf das Bevölkerungswachstum und die notwendige Steigerung der Nahrungsmittelproduktion zurückzuführen. Die wachsenden Landansprüche resultieren zu einem erheblichen Teil aus der Ausweitung der Anbauflächen für agrare Exportprodukte (Zukkerrohr, Kaffee etc.) und aus den Verlusten von Landwirtschaftsflächen als Folge einer unangepaßten Nutzung (z. B. durch Versalzung und Bodenerosion). Wesentlichen Anteil an der Tropenwaldzerstörung hatte darüber hinaus die massive Ausdehnung einer steuerlich subventionierten Viehwirtschaft. In Brasilien war diese für 40 Prozent der Tropenwaldvernichtung verantwortlich. Der Landnutzungswandel in den Tropen ist also im wesentlichen das Ergebnis einer verfehlten Sozial­ und Wirtschaftspolitik in den Tropenländern selbst. Sie ist darüber hinaus das Produkt der falsch gesetzten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die immer mehr Entwicklungsländer zur Erzeugung von Exportprodukten zwingen, um die immense Schuldenlast abtragen zu können.

    Häufig unterschätzt wird der Anteil der Holzwirtschaft an der Tropenwaldvernichtung. Nach einer Weltbank-Schätzung ist sie unmittelbar für ein Fünftel der Verluste an Tropenwald verantwortlich. Darin enthalten sind die forstlichen Erschließungswege sowie die durch Einschlag und Abtransport irreversibel geschädigten Waldflächen. Indirekt spielt die Holzwirtschaft jedoch eine weit wichtigere Rolle, da die Erschließung immer neuer Primärwaldgebiete in aller Regel die Voraussetzung für eine anschließende Brandrodung mit nachfolgender Agrarnutzung ist. Mehr als 70 Prozent der brandgerodeten Tropenwaldflächen wurden zuvor von der Holzwirtschaft erschlossen und eingeschlagen.

    Weitere wesentliche Ursachen der Tropenwaldzerstörung sind industrielle Großprojekte, wie etwa Stauseen zur Energieerzeugung, Abbau und industrielle Verarbeitung von Bodenschätzen etc. Diese dienen häufig der Exportsteigerung und sind nicht selten aus Mitteln der bi­ und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit mitfinanziert worden.

    Resümee

    Die Wälder sind ein unersetzlicher Bestandteil der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit. Sie sind von überragender Bedeutung für die biologische Vielfalt der Erde, für das Klima, als Schutz vor Bodenerosion und Hochwässern sowie für die Versorgung und das Wohlbefinden der Menschen.

    Ungeachtet ihrer ökologischen, ökonomischen und sozialen Leistungen werden die Wälder weltweit vernichtet und geschädigt. Ausmaß und Ursachen variieren regional. In den Tropen spielt vor allem das Vordringen des Menschen in die noch verbliebenen Naturwälder sowie der nicht nachhaltige Holzeinschlag eine entscheidende Rolle. In den Ländern der borealen Zone führt die Kahlschlagwirtschaft zu großen ökologischen Schäden, die eine Wiederbewaldung behindern oder unterbinden. Die Wälder der gemäßigten Breiten sind vor allem durch den Eintrag von Schadstoffen gefährdet. Als Folge nimmt einerseits die weltweite Waldfläche dramatisch ab, andererseits verschlechtert sich die ökologische und ökonomische Qualität der verbliebenen Bestände. Setzt sich dieser Trend fort, droht innerhalb der nächsten Jahrzehnte mit den Wäldern eine der wichtigsten natürlichen Lebensgrundlagen der Erde großflächig verlorenzugehen.


    © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998

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