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ZUSAMMENFASSUNG


Die grundlegenden Prämisse, die für ein Bündnis für Arbeit gesetzt werden muß, lautet: Es gibt genügend Arbeitsmöglichkeiten; Arbeit muß nur besser organisiert werden. Dazu reicht jedoch das „Veränderungstempo", an das sich Deutschland in 16 Jahren Kohl-Regierung gewöhnt hat, bei weitem nicht aus. Aber auch bei einer Erhöhung der Innovationsintensität ist ein längerfristiger Zeithorizont notwendig, um die tiefgreifenden Verwerfungen aus diesen Jahren zu korrigieren. Die Erfolge im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit werden sich nicht unmittelbar einstellen. Der Managerkreis sieht daher für seine Vorschläge einen Zeitraum vor, der weit über die jetzige Legislaturperiode hinausreicht und auf einer Zeitschiene von etwa zehn Jahren anzusiedeln ist.

Ein Blick auf die Arbeitsmarktdaten jener Industrienationen, die Unterbeschäftigung erfolgreich bekämpft haben – allen voran die USA –, zeigt, daß dort höhere Erwerbsbeteiligung und höheres Arbeitsvolumen im Verhältnis zur Bevölkerung Hand in Hand gehen mit niedrigerer Arbeitslosigkeit als in Deutschland. Die empirischen Ergebnisse widersprechen also der Annahme, „uns geht die Arbeit aus" und Arbeitsrationierung und -umverteilung seien dringlich. Vielmehr gilt: Dort, wo die Menschen mehr arbeiten, gibt es weniger Arbeitslosigkeit und nicht umgekehrt! So liegt die Zahl der Erwerbstätigen heute in Deutschland (West) kaum über jener im Jahr 1980, in den USA dagegen ist sie um 30 Prozent gestiegen und bezogen auf die Zahl der Einwohner hatte die USA 1997 zwölf Prozent mehr Erwerbstätige als Deutschland. Wegen der durchschnittlich längeren Arbeitszeit war die Zahl der Arbeitsstunden pro Einwohner, also die relative Menge an bezahlter Arbeit, sogar um 35 Prozent höher als in Deutschland. Während damit die Arbeitsmenge in den USA höher ist und ansteigt, geht das kontinentaleuropäische Beschäftigungsmodell offensichtlich einher mit hoher und wachsender Arbeitslosigkeit.

Der Preis für die positive Entwicklung der Erwerbstätigenzahlen war in den USA ein weitgehender Verzicht auf die Erhöhung der realen Lohnniveaus. Von 1980 bis 1997 ist dort der reale Stundenlohn in der verarbeitenden Industrie leicht gesunken. Es ist also keineswegs so, daß steigendes Beschäftigungsvolumen steigende Reallöhne erfordert. Statistisch gesehen hatten durchweg die Staaten mit langsamerem Reallohnanstieg höhere Beschäftigungserfolge. Gleichzeitig haben die USA, Großbritannien und Irland sowie – speziell auf die Arbeitsmarktbedingungen fokussiert – Dänemark und die Niederlande tiefgreifende ordnungspolitische Reformen durchgeführt und dadurch die Basis für einen erheblichen Anstieg der Erwerbstätigenzahlen seit 1991 geschaffen.

In beweglichen Volkswirtschaften gibt es also keine natürliche Obergrenze für die Nachfrage nach bezahlter Arbeit. Vielmehr besteht grundsätzlich die Option zwischen zwei strategischen Alternativen, die – in gewissen Grenzen – gemischt werden können:

  1. Dauerhaft mehr Beschäftigung durch ordungspolitische Reformen.
  2. Linderung der Folgen einer zu geringen Nachfrage nach bezahlter Arbeit durch Umverteilungsmaßnahmen wie Arbeitszeitverkürzung oder Frühpensionierung.

Eine Untersuchung der beschäftigungspolitisch erfolgreichen und weniger erfolgreichen Länder führt zu folgenden Ansätzen für eine dauerhafte Erhöhung des Beschäftigungsniveaus, die zugleich jene Synthese zwischen dem kontinentaleuropäischen und angelsächsi

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schen Gesellschaftsmodell bilden, die beim Bündnis für Arbeit auf der Tagesordnung stehen muß:

  • Wachstumspolitik ist immer auch Beschäftigungspolitik, wobei gilt: je höher der Wachstumspfad und je gleichmäßiger das Wirtschaftswachstum, desto mehr Beschäftigung gibt es.
  • Hohe Mindestlöhne, niedrige Lohnspreizung, hoher Lohnanstieg und geringe Möglichkeiten der Unternehmen zu flexiblen und kostengünstigen Anpassungen der Beschäftigung nach oben und unten machen das Wachstum arbeitsparender.
  • Hohe Abgabesätze auf Arbeitseinkommen und Gewinne wirken wachstumshemmend.
  • Fortwährende Deregulierung muß unverzichtbare Regulierungstätigkeit des Staates ergänzen.
  • Ein Sozialsystem kann beschäftigungshemmend sein, wenn und soweit es den Erwerbsimpuls im Übermaß senkt: Jede Aufnahme einer bezahlten Tätigkeit – auch im Niedriglohnsektor – muß die materielle Lebenssituation fühlbar verbessern.

Ergänzend zu diesen generellen arbeitsmarktpolitischen Optionen müssen einige spezielle Rahmenbedingungen für das Bündnis in Deutschland berücksichtigt werden: Hierzulande hat sich in den letzten 20 Jahren ein gespaltener Arbeitsmarkt herausgebildet, auf dem in den meisten Regionen für gut qualifizierte Arbeitnehmer nahezu Vollbeschäftigung herrscht, wohingegen sich die Unterbeschäftigung auf Arbeitnehmer mit niedrigen Qualifikationen und auf bestimmte Regionen konzentriert. Daraus folgt, daß alle globalen nachfrageorientierten Strategien nur begrenzte Effekte haben können. In den Vollbeschäftigungsbereichen würden relativ rasch Engpässe entstehen und lange bevor Vollbeschäftigung bei niedrig Qualifizierten möglich wird, würde die Inflation zurückkehren.

Inflationsfreies Wachstum wird jedoch möglich, wenn die Gewerkschaften einer mehrjährigen Strategie zustimmen würden, bei der die Lohnsteigerung hinter den Produktivitätssteigerungen zurückbleiben. Diese Strategie empfiehlt sich schon deshalb, weil die Produktivitätsunterschiede größer sind als die Lohndifferenzen. Gleichzeitig würden dadurch der Zentralbank größere geld- und wachstumspolitische Spielräume eröffnet werden.

Da die niedrig qualifizierten Arbeitskräfte bei einem Vollbeschäftigungslohnniveau weder einen angemessenen Mindestkonsum noch die Finanzierung der eigenen Alterssicherung, Deckungsbeiträge für die staatlichen Kollektivgüter und die Aufwendungen für Kindererziehung erwirtschaften können, sollten diesen Arbeitnehmern keine Deckungsbeiträge für die staatlichen Kollektivgüter und keine – oder nur geringe – Deckungsbeiträge für die eigene Alterssicherung abverlangt werden. Die dadurch mögliche Senkung der Bruttolöhne kann zu einer kräftigen Ausweitung der Nachfrage nach einfacher Arbeit in allen Sektoren der Volkswirtschaft führen, wobei durch einen breiten und massiven Subventionsabbau nicht nur die dafür notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung stehen würden, sondern gleichzeitig eine Vielzahl marktlicher Verzerrungen beseitigt werden könnten.

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Aus diesen Rahmenbedingungen ergeben sich zehn Thesen, die in einem Bündnis für Arbeit Berücksichtigung finden sollten:

1. Qualitatives Wachstum und Strukturwandel fördern. Grundlage des Bündnisses kann nur eine in allen Bereichen klar wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik sein, in deren Mittelpunkt eine beschäftigungsorientierte Lohnpolitik stehen muß, zusammen mit einer Steuerpolitik, die sowohl die mittleren und unteren Einkommen nachhaltig entlastet sowie die Perspektiven der Kapitalverwertung für die Unternehmen fördert. Darüber hinaus muß die aktive Arbeitsmarktpolitik dafür Sorge tragen, daß der Bedarf an Qualifikation rechtzeitig und wachstumsorientiert gedeckt wird, damit Wachstum nicht durch die Knappheit an spezifischen Qualifikationen abgebremst wird.

2. Beschäftigungsorientierte Deregulierung und Förderung der Selbständigkeit. Neue Selbständigkeit, Handwerk und Kleingewerbe sind bedeutende Quellen zusätzlicher Beschäftigung. Die Lockerung oder Aufhebung der herrschenden Regulierungen in der Handwerksordnung, bei den Ladenöffnungszeiten, der Flächenrationierung für Gewerbeansiedelungen und den Buchführungenvorschriften für Kleinunternehmen wird helfen, das enorme Beschäftigungspotential in diesen Bereichen zu erschließen.

3. Flexibilisierungsrechte der Betriebsparteien stärken. Dringlich ist die Deregulierung auch auf dem Arbeitsmarkt. Dort müssen den Betriebsparteien weitergehende Flexibilisierungsmöglichkeiten insbesondere bei der Gestaltung des Kündigungsschutzes und den Arbeitszeitregelungen zuwachsen. Denn Regelungen in diesen Bereichen dürfen nicht vorrangig die Interessen der arbeitsplatzbesitzenden „Insider" berücksichtigen, sondern müssen auch den Arbeitsuchenden faire Beschäftigungschancen eröffnen. Die Politik muß daher den Mut aufbringen, die Freiheitsgrade so zu definieren, daß ein Ausgleich zwischen individuellen Interessen und Unternehmensinteressen vereinbart werden kann.

4. Günstigere Löhne in Ostdeutschland nutzen. Für die Wirtschaftsentwickung in Ostdeutschland muß es für in- und ausländische Investoren möglich sein, Standortvorteile auszunutzen. Nur so kann Ostdeutschland erfolgreich reindustrialisert und die Arbeitsplatzlücke geschlossen werden. Dazu ist es notwendig, daß ansiedelungswillige Unternehmen das Lohngefälle zwischen den Alten und den Neuen Ländern auch noch über einen längeren Zeitraum hinweg nutzen können. Die Möglichkeiten der regionalen Lohnspreizung sollten verstärkt genutzt werden. Tarifverträge müssen dazu den Betriebsparteien auf der Unternehmensebene die notwendigen Spielräume eröffnen.

5. Keine überzogenen Erwartungen an eine Arbeitszeitverkürzung. Starre, branchenweite Regelungen der Arbeitszeiten regional und betriebsindividuell unausgewogen. Wo Arbeitszeitverkürzung mit hoher Flexibilität einhergeht, kann sie jedoch zu Effizienzgewinnen und steigender Beschäftigung führen. Arbeitszeitregelungen sollten daher vermehrt in den einzelnen Unternehmen ausgehandelt und an die individuellen Zeitprofile der Beanspruchung angepaßt werden. Wie im Falle von Jobsharing und Teilzeitarbeit muß sich bei Arbeitszeitverkürzung das mehr an Freizeit in einem entsprechenden Einkommensverzicht niederschlagen, denn Umverteilung von Arbeit ist auch Umverteilung von Einkommen.

6. Teilzeitarbeit aktivieren und flexibler gestalten. Gerade in einem Bündnis für Arbeit, das Elemente des angelsächsischen und des kontinentaleuropäischen Arbeitsmarktmodells kombiniert, bietet verstärkte Teilzeitarbeit ein umfangreiches Beschäftigungspotential. Dies

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zeigt die Arbeitsmarktentwicklung in den Niederlanden. Im „geschützten" Sektor der lokalen Dienstleistungen bestehen in Deutschland noch vielfältige unausgeschöpfte Arbeitsmöglichkeiten. Wichtig ist, daß im Bereich der geringen (Teilzeit-)Einkommen die Bruttolöhne in einem marktkonformen Verhältnis zur Arbeitsproduktivität stehen. Der Staat sollte dort auch weiterhin auf eine volle Erhebung der Beiträge zu den Kollektivgütern und der gesetzlichen Sozialversicherung verzichten.

7. Teilzeitlohnersatzleistungen einführen. In all jenen Fällen, in denen die Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung wegen der zu geringen Differenz zu den Lohnersatzleistungen nicht attraktiv genug erscheint, sollten sog. Teilzeitlohnersatzleistungen eingeführt werden. Um jedoch gleichzeitig der Gefahr zu begegnen, daß der Anreiz zur Aufnahme einer Vollzeitbeschäftigung im Niedriglohnbereich dadurch dauerhaft sinkt, sollten Lohnersatzleistungen nach einer angemessenen Frist grundsätzlich gekürzt werden, falls zumutbare Beschäftigungsangebote abgelehnt werden.

8. Bereitschaft zur Arbeit fördern. Bei Langzeitarbeitslosen ist die psychologische Entfernung zur Welt der Arbeit häufig bereits sehr weit fortgeschritten. Dieser immer größer werdende Kern der Arbeitslosigkeit kann nur dann erfolgreich aufgebrochen werden, wenn die Ablehnung von Beschäftigungs- und/oder Weitbildungsangeboten ohne wichtigen Grund in weit höherem Maß als bislang zur Verhängung einer Sperrzeit beim Bezug von Lohnersatzleistungen führt.

9. Schwarzarbeit in legale Erwerbsarbeit überführen. Schwarzarbeit ist nicht nur ein Zeichen für zu hohe Steuern und Sozialabgaben, sondern auch für überregulierte Sektoren. Deshalb kann die Reduzierung der Sozialabgaben im unteren Einkommensbereich auch hier entscheidend dazu beitragen, Schwarzarbeit abzubauen, weil der Unterschied zwischen Brutto und Netto für Niedrigeinkommen deutlich verringert wird. Darüber hinaus bietet in Kleinstbetrieben die Pauschalbesteuerung und die pauschale Abrechnung von Sozialabgaben weitere Möglichkeiten, diese Beschäftigungsformen in legale Erwerbsarbeit zu überführen.

10. Qualifizierung und Arbeitsvermittlung nach marktwirtschaftlichen Kriterien organisieren. Ohne verstärkte Investitionen in die Köpfe der Menschen wird der Strukturwandel in Deutschland nicht zu bewältigen sein. Deshalb müssen Unternehmen, Arbeitnehmer und Staat einem rationalen volkswirtschaftlichen Kalkül folgen und bei Weiterbildungsinvestitionen den Return on Investment in die Bewertung einzubeziehen. Daher muß bereits von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmern eine Qualifizierung angeboten werden – die zumindest teilweise an die Stelle der Abfindung tritt –, um ihnen eine Chance zu eröffnen, Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Der Staat muß dort, wo betriebliche Qualifizierung nicht möglich ist, Angebote auf dem zweiten Arbeitsmarkt vorhalten. Dazu gehört auch, über eine Zertifizierung von Bildungsträgern einen hohen Qualitätsstandard bei der Weiterbildung zu sichern, über Qualifizierungsgutscheine einen kundenorientierter Qualitätswettbewerb anzuregen sowie Qualität und Effizienz der Arbeitsvermittlung zu steigern.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2000

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