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3. Auswirkungen von höheren Standards
auf den EU-Marktzugang für Entwicklungsländer


Im Rahmen der Agrarwende wird neben der Anhebung von verpflichtenden Produktstandards (z. B. Schadstoffrückstandsmengen) vor allem die Anhebung von verpflichtenden Prozeßstandards (Tierschutz, Einsatzmenge Stickstoff usw.) diskutiert. In einigen Bereichen ist es schon zu konkreten Änderungen gekommen: Der Einsatz von Tiermehl in der Fütterung ist europaweit verboten, und die Käfighaltung von Legehennen wird in Deutschland ab 2007 verboten sein. Neben den verpflichtenden Standards gibt es eine Reihe von freiwilligen Standards, die nur von Produzenten eingehalten werden müssen, die ihre Produkte entsprechend kennzeichnen wollen, wie z. B. die EU-Öko-Verordnung. Bei allen diesen Standards stellt sich die Frage, wie mit Produkten aus Drittländern umgegangen wird. Müssen sie denselben Standards unterliegen? Darf/sollte an der Außengrenze zwischen Produkten, die zu unterschiedlichen Standards produziert wurden, unterschieden werden? Insbesondere Entwicklungsländer stehen hohen verpflichtenden Standards häufig kritisch gegenüber, da sie die Gefahr eines Mißbrauchs von Standards aus protektionistischen Gründen sowie die häufig mit der Implementierung von Standards verbundenen Kosten fürchten.

In den Abschnitten 3.1 bis 3.3 werden die derzeitigen Regelungen innerhalb der WTO für den Umgang mit Standards im internationalen Handel kurz umrissen. Außerdem wird ein Ausblick auf die mögliche Weiterentwicklung dieser Regelungen und die damit verbundenen Konsequenzen speziell für die Exporte von Agrarprodukten aus Entwicklungsländern in Industrieländer gegeben.

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3.1 Verpflichtende Produktstandards

Der Umgang mit Produktstandards ist in der WTO im Abkommen über technische Handelshemmnisse und, von besonderer Bedeutung für landwirtschaftliche Produkte, im Abkommen über sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen (SPS-Abkommen) geregelt. Das SPS-Abkommen betrifft alle Produktstandards, die mit dem Ziel des Schutzes der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen erlassen sind. Allerdings sind im Rahmen des SPS-Abkommens keine konkreten Standards definiert, sondern Grundsätze festgelegt, die bei der Setzung von Standards beachtet werden sollten. Insbesondere wird die Anwendung international harmonisierter Standards (Codex Alimentarius, internationales Tierseuchenamt und internationale Pflanzenschutzkonvention) empfohlen. Es ist den Mitgliedstaaten jedoch freigestellt, darüber hinausgehende Standards anzuwenden, allerdings müssen sie dies auf Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen tun. In vielen Bereichen sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse jedoch noch lückenhaft, und in solchen Fällen, wie etwa beim Hormoneinsatz in der Fleischproduktion oder bei der Verwendung gentechnisch veränderter Organismen, ist im Rahmen der Agrarwende eine eher weiter als bisher gehende Anwendung des Vorsorgeprinzips zu erwarten. Die Anwendung des Vorsorgeprinzips innerhalb der WTO ist jedoch schon heute problematisch, wie z. B. der EU/US-Hormonstreit zeigt, da es bei der Risikoanalyse nicht immer einen wissenschaftlichen Konsens gibt.

Bei einer weiter als bisher gehenden Anwendung des Vorsorgeprinzips innerhalb der WTO ergibt sich das Problem, "legitime Beweggründe" von protektionistischen Interessen zu unterscheiden. Es ist deshalb für Entwicklungsländer

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von großem Interesse, Einfluß darauf zu nehmen, daß der Prozeß der Standardsetzung möglichst transparent und unabhängig erfolgt. So ist es z. B. denkbar, unabhängige Verbraucherschutzbehörden über die Anwendung des Vorsorgeprinzips entscheiden zu lassen. Zu prüfen sind die Möglichkeiten einer internationalen Beteiligung an dem Entscheidungsprozeß oder etwa die Prüfung des Entscheidungsprozesses durch eine internationale Institution. Die Beteiligung der Entwicklungsländer an diesem Prozeß ist insbesondere von Bedeutung, weil der Nutzen höherer Standards im Importland entsteht und bekannt ist, die Kosten jedoch zu einem großen Teil von den Exporteuren getragen und deshalb nicht genügend in den Entscheidungsprozeß einbezogen werden.

Für die Entwicklungszusammenarbeit bestehen zwei grundsätzliche Ansatzstellen, um die Position der Entwicklungsländer zu stärken. Zum einen die Förderung der Entwicklungsländer bei der Vertretung ihrer Interessen im Rahmen der WTO. Dort geht es sowohl um die Weiterentwicklung des bestehenden Regelwerks wie auch die Interessenvertretung bei konkreten Streitfällen. [Für eine umfassende Darstellung der Auswirkungen von SPS-Maßnahmen auf Entwicklungsländer und Handlungsempfehlungen für die Weiterentwicklung der Standardsetzung auf EU-Ebene vgl. Henson et al. (2000).]
Zum zweiten die Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Implementierung höherer Standards, die häufig mit erheblichen Kosten verbunden ist.

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3.2 Verpflichtende Prozeßstandards

Verpflichtende Prozeßstandards, soweit es sich nicht um "produktbezogene Prozeßstandards" handelt, sind im Rahmen der WTO bisher nicht vorgesehen. Es gilt im vollen Umfang das Gebot der Nichtdiskriminierung von ausländischen Produkten, wenn es sich um gleichartige Produkte handelt, die sich nur in ihrem Entstehungsprozeß unterscheiden. Solange es um Prozeßstandards geht, die dem Schutz lokaler Umweltgüter dienen, ist diese Regelung gerechtfertigt. Wenn z. B. in Deutschland strengere Anforderungen an die Vermeidung von Geruchsbelästigung oder Grundwassereinträgen bei der Erstellung von Stallanlagen gestellt werden, als das z. B. in der Ukraine der Fall ist, so ist es unsinnig zu fordern, auch innerhalb der Ukraine müßten diese Anforderungen erfüllt werden. Genauso unsinnig ist es, die Produkte aus der Ukraine deshalb mit Zusatzzöllen zu belegen oder den Nachteil der deutschen Produzenten mit anderen Mitteln ausgleichen zu wollen, z. B. durch Kompensationszahlungen. Es sollte der Ukraine überlassen bleiben, wie sie ihre lokalen Umweltgüter bewertet und dementsprechend ihre Umweltschutzgesetzgebung ausgestaltet. Eine teilweise Verlagerung der landwirtschaftlichen Produktion an Standorte im Ausland, an denen Geruchsbelästigung und Grundwassereintrag z. B. aufgrund von geringerer Besiedelungsdichte und niedrigerem Einkommensniveau weniger negativ bewertet werden, ist aus ökonomischer Sicht als sinnvoll zu beurteilen. [Problematisch wird diese Argumentation immer dann, wenn die Umweltschutzgesetzgebung eines Landes die Interessen der Bevölkerung nicht angemessen widerspiegelt. Dies kann insbesondere in Staaten mit undemokratischen politischen Systemen der Fall sein, die keine hinreichende Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen an der politischen Entscheidungsfindung ermöglichen. Allerdings ist es fraglich, ob die „handelspolitische Bestrafung„ in solchen Fällen eine angemessene und effiziente Maßnahme wäre.]

Beim Schutz von globalen oder grenzüberschreitenden Umweltgütern sowie bei Tierschutzstandards hingegen wird bei einer Verlagerung der Produktion an Standorte mit niedrigeren Prozeßstandards das eigentliche Politikziel verfehlt: Das Tierleid bzw. die Belastung globaler Umweltgüter findet an einem anderen Standort statt, eventuell sogar an einem Standort mit noch geringeren Prozeßstandards. Dieses Argument spielt in der Diskussion um eine Handelsliberalisierung zwischen Ländern mit unterschiedlichen Umwelt-/Tierschutzstandards schon seit langem eine Rolle. Allerdings haben empirische Untersuchungen gezeigt, daß sowohl im industriellen Bereich wie auch im Agrarsektor der Anteil der durch Umwelt- und Tierschutzstandards entstehenden Kosten an den gesamten Produktionskosten selbst in Ländern mit relativ hohen Standards derzeit eher gering ist. [Für den Agrarsektor siehe z.B. die Arbeiten von Grote et al. (2001) und Hirschfeld (2001).]
Bei

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einer Erhöhung der Tierschutzstandards im Rahmen der Agrarwende könnte sich diese Situation jedoch ändern, da tierfreundlichere Haltungssysteme zu erheblichen Mehrkosten führen können. So verursacht z. B. die Legehennenhaltung in ausgestalteten statt herkömmlichen Käfigen Mehrkosten von etwa 20 Prozent. Boden und Volieren-Haltungssysteme, die einzigen ab 2007 in Deutschland noch zugelassen Systeme, verursachen gegenüber der herkömmlichen Käfighaltung Mehrkosten von 25–50 Prozent (Damme 2000). Aufgrund der bei unterschiedlichen Tierschutzstandards teilweise erheblichen Unterschiede in den Produktionskosten soll im weiteren Verlauf das Beispiel der Tierschutzstandards diskutiert werden. Standards zum Schutz von überregionalen und globalen Umweltgütern sind jedoch analog zu behandeln.

Um bei höheren inländischen Tierschutzstandards eine Abwanderung der Produktion in Drittländer zu verringern oder sogar zu vermeiden, gibt es vier verschiedene Möglichkeiten. Zum einen die immer wieder geäußerte Forderung nach einer internationalen Harmonisierung von Tierschutzstandards auf einem hohen Niveau, die jedoch weder realistisch noch sinnvoll ist. Auch die Möglichkeiten der Kennzeichnung sind sehr eingeschränkt, da ein großer Teil der Produkte in verarbeiteter Form (z. B. Trockenei) den Endverbraucher erreicht. Es bleiben somit nur zwei Möglichkeiten, eine Abwanderung effektiv zu verhindern, die jedoch beide zur Zeit nicht WTO-konform sind:

  1. Staatliche Zahlungen an die inländischen Produzenten, um sie für ihre Mehrkosten zu kompensieren. Hierfür müßten die green-box-Kriterien innerhalb der WTO erweitert werden, wenn die Verpflichtungen im Rahmen der "inländischen Stützung" keine zusätzlichen Maßnahmen mehr zulassen.

  2. "Tierschutzzölle" in Höhe der durch die verschärften Tierschutzbestimmungen verursachten Kosten. Solche Zölle würden nur auf Produkte erhoben, die nicht den inländischen Tierschutzstandards oder als äquivalent beurteilten Standards entsprächen. Eine solche Kategorie von Zöllen müßte in der WTO neu geschaffen werden.

In der bisherigen Diskussion steht die Option im Vordergrund, Kostenunterschiede zu kompensieren, statt zwischen Produkten, die zu unterschiedlichen Standards produziert wurden, an der Grenze zu unterscheiden (Isermeyer 2001, WTO 2000). Dies liegt wohl in erster Linie an der wesentlich geringeren internationalen Transparenz inländischer Politiken und der damit verbundenen leichteren Durchsetzbarkeit innerhalb der WTO-Verhandlungen. Viele Entwicklungsländer befürchten bei einer Diskussion um Umwelt- oder Tierschutzzölle die völlige Aufweichung des "like product"-Prinzips und einen protektionistisch motivierten Mißbrauch dieser Instrumente. Allerdings ist mit der "Kompensationslösung" ein erheblicher Nachteil für Drittländer verbunden, der bisher weitgehend übersehen wird und durch Umwelt- und Tierschutzzölle vermieden würde:

Wenn die inländischen Produzenten für ihre Mehraufwendungen aufgrund von Tierschutzstandards kompensiert werden, müssen alle ausländischen Produzenten, auch solche, die zu hohen Tierschutzstandards produzieren, mit diesen Produkten konkurrieren. Dies bedeutet einen ungerechtfertigten Wettbewerbsnachteil für die "tiergerecht" produzierenden Produzenten im Ausland, sowohl auf dem EU-Markt als auch auf anderen internationalen Märkten für "tiergerecht" produzierte Produkte. Diese Wettbewerbsverzerrung wird mit dem fortschreitenden Abbau der Marktzugangsbeschränkungen im Rahmen des Liberalisierungsprozesses in der WTO zunehmend relevant, da es aufgrund der Reduktion der gebundenen Zollsätze schwieriger wird, die inländischen Märkte vom Weltmarkt zu isolieren.

Die häufig implizit vorhandene Vorstellung, daß die Tierproduktion in der EU per se tiergerechter als im Ausland sei, ist nicht richtig. Zwar liegen die gesetzlichen Anforderungen häufig höher als in Drittländern, jedoch führen die wirtschaftlichen und natürlichen Rahmenbedingungen in einigen Ländern teilweise auch zu eindeutig tierfreundlicheren Haltungssystemen als in der EU, ohne daß diese gesetzlich vorgeschrieben sind. Ein Beispiel hierfür ist die ganzjährige Weidehaltung von Fleischrindern in Teilen Südamerikas im

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Gegensatz zur in der EU weitverbreiteten intensiven Mast auf Vollspalten ohne Weidegang.

Bei einem System von Tierschutzzöllen würden diejenigen ausländischen Produzenten, deren Haltungssysteme genauso tiergerecht oder sogar tiergerechter als in der EU sind, keinem Zusatzzoll unterliegen. Sie würden bei einem Export in die EU sogar einen höheren Preis erlösen, als in einer Situation ohne Tierschutzregelungen, da das EU-Preisniveau in einer solchen Situation höher läge. Die Produzenten, die zu niedrigeren Tierschutzstandards produzieren, wären im Verhältnis zu den EU-Produzenten zumindest nicht schlechter gestellt als vorher, da der Zusatzzoll ja nur die in der EU tatsächlich aus Tierschutzgründen zusätzlich entstehenden Kosten kompensiert, die der ausländische Produzent nicht zu tragen braucht.

Es scheint daher für die Entwicklungsländer als Gruppe vorteilhafter, sich für eine "Zoll-Lösung" als für eine "Kompensationslösung" einzusetzen. Voraussetzung hierfür ist jedoch die zufriedenstellende Bewältigung von zwei mit einem solchen System verbundenen Problemkomplexen. Zum einen muß geklärt werden, wer über die Höhe der Zölle und die Äquivalenz unterschiedlicher Tierschutzstandards entscheidet. Um den Mißbrauch von Tierschutzzöllen zu protektionistischen Zwecken zu vermeiden, sollte sowohl über die Höhe der Zölle wie auch Fragen der Äquivalenz unterschiedlicher Standards in einem Prozeß mit internationaler Beteiligung, vielleicht sogar im Rahmen einer internationalen Organisation oder Behörde entschieden werden.

Zum zweiten muß die Frage geklärt werden, wie die Tierschutzstandards in den Herkunftsländern geprüft werden sollen. Hierfür gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten. Erstens könnte für ein gesamtes Land anerkannt werden, daß bestimmte Tierschutzstandards generell eingehalten werden. Alle Produkte aus solch einem Land würden dann nicht dem Zusatzzoll unterliegen. Eine andere Möglichkeit wäre die erzeugerspezifische Zertifizierung von Drittlandsware, wie sie für Importe von Öko-Produkten aus Drittländern schon heute erfolgreich praktiziert wird.

Vor dem Hintergrund dieser Probleme wird deutlich, daß Tierschutzzölle nicht geeignet sind, geringe Abweichungen von Tierschutzstandards auszugleichen. Dazu sind die Transaktionskosten eines solchen Systems zu hoch und die Feststellung der Äquivalenz zu problematisch. Erwägenswert wird ein solches System erst bei erheblichen Kostensprüngen, wie sie z. B. in der Legehennenhaltung beim Systemübergang von herkömmlichen Käfigen zu Volieren- oder Bodenhaltungssystemen entstehen.

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3.3 Freiwillige Standards: Kennzeichnung

Ebenso wie verpflichtende Produktstandards sind auch freiwillige Produktstandards, deren Einhaltung durch Kennzeichnung dokumentiert wird, WTO-konform. Unklar ist die Situation allerdings bei freiwilligen Prozeßstandards, und die Verhandlungsgeschichte stützt die Auffassung, daß die Kennzeichnung von Prozeßstandards nicht konform mit dem WTO-Regelwerk ist. [WTO (1995, S. 2).] Aufgrund der Befürchtung, daß auch die Kennzeichnung der Einhaltung freiwilliger Prozeßstandards zu protektionistischen Zwecken mißbraucht werden kann, sind viele Vertreter der Entwicklungsländer gegen eine Einbeziehung in das WTO-Regelwerk. So waren in einer von Grote et al. (2001, S. 37 ff.) durchgeführten Befragung die Vertreter von Entwicklungsländern mehrheitlich der Meinung, daß Öko-Label nicht in Übereinstimmung mit den WTO-Regeln seien und auch nicht im WTO-System verankert werden sollten. Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Position wirklich im Interesse der Entwicklungsländer liegt. Die Kennzeichnung von freiwillig eingehaltenen Prozeßstandards im internationalen Handel ist schon heute weit verbreitet – der gesamte Handel mit Produkten aus ökologischem Anbau fällt unter diese Kategorie –, unterliegt aber keinerlei Regeln innerhalb der WTO. Eine explizite Einbeziehung von freiwilligen Prozeßstandards in das WTO-System würde es den Entwicklungsländern vielleicht erlauben, ihre Interessen z. B. bei der Notifikationspflicht, der Beurteilung der Äquivalenz ähn-

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licher Standards in anderen Ländern und der Definition der unter die Standards fallenden Produktgruppen besser zu vertreten, als das bisher in einem "rechtsfreien Raum" der Fall ist.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 2003

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