FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.:11]



2. Auswirkungen der Agrarwende auf die Entwicklungsländer aufgrund einer geringeren Agrarproduktion der EU




Page Top

2.1 Welche Produkte könnten von einer Agrarwende betroffen sein?

Aufgrund der oben dargestellten Ausgangssituation muß dieser Abschnitt spekulativ bleiben. Es sollen jedoch einige grobe Annahmen getroffen werden, um die potentiellen Effekte auf Entwicklungsländer basierend auf diesen Annahmen diskutieren zu können. Tabelle 1 stellt die Produkte dar, für die angenommen wird, daß sie von einer Agrarwende in erheblichem Ausmaß betroffen wären. Spalte 2 der Tabelle weist auf die Gründe hin, aus denen sie von der Agrarwende betroffen wären:

  1. Abbau preisstützender Politiken (P)

  2. Entkoppelung der Direktzahlungen (DZ)

  3. Anhebung von Umwelt- oder Tierschutzstandards (S)

Tabelle 1:
Potentiell von einer Agrarwende betroffene Produkte

Produkt

Ursache

Rindfleisch (inklusive lebende Rinder)

S, P, DZ

Schaffleisch (inklusive lebende Schafe)

S, P, DZ

Getreideabhängige Veredelung (Schweine, Geflügel)

S

Milchprodukte

P, DZ

Getreide, Ölsaaten, Hülsenfrüchte

DZ

Zucker

P

Für die Produktbereiche Rind- und Schaffleisch sowie Milchprodukte ist im Zuge einer über die Beschlüsse der Agenda 2000 hinausgehenden EU-Reform der Agrarpolitik sowohl von einem Abbau der Preisstützung als auch von einer Entkoppelung der Direktzahlungen von der aktuellen Produktion auszugehen, die auch aus Umweltschutzgründen gefordert wird [So fordert der NABU (2000) eine Umwandlung der Tierprämien in eine Grünlandprämie, die deutlich weniger an die aktuelle Produktion gekoppelt ist, als die gegenwärtigen Direktzahlungen.] und in erheblichem Umfang Mittel für die Verfolgung von Tier- und Umweltschutzzielen freisetzen würde. Für die Handelsgüter "lebende Rinder und Schafe" wird außerdem eine Abschaffung der EU-Exportsubventionen für lebende Schlachttiere diskutiert, da die Bedingungen internationaler Schlachttiertransporte unter Tierschutzgesichtspunkten häufig inakzeptabel sind. Beispielhaft wird für dieses Papier für die Produktbereiche Rind- und Schaffleisch sowie Milchprodukte eine Absenkung des Preisniveaus um 10 Prozent und eine vollständige Entkoppelung der Ausgleichszahlungen angenommen. Modellsimulationen haben ergeben, daß diese Politik-

[Seite der Druckausg.:12]

änderungen für Rindfleisch zu einer Absenkung des Weltmarktpreises von etwa 4 Prozent führen würden. [Grethe (2001, S. 7).] Für Milchprodukte ist es fraglich, ob die angenommene Preissenkung um 10 Prozent sich direkt in eine Angebotsreaktion übersetzen würde. So ist es durchaus denkbar, daß eine Milchpreissenkung politisch von einer Quotenerhöhung begleitet würde – der Effekt auf den Nettohandel und damit auf den Weltmarktpreis ist also unsicher.

Für die Veredelungsprodukte Schweine- und Geflügelfleisch sowie Eier gibt es zur Zeit in der EU keine direkten Einkommensbeihilfen und keine hohe Preisstützung. Ein Produktionsrückgang wäre hier jedoch aufgrund einer strengeren Umwelt- und Tierschutzgesetzgebung denkbar. Inwieweit höhere Umwelt- und Tierschutzstandards zu einem höheren Preisniveau in der EU führen würden, liegt noch völlig im Dunkeln und hängt vor allem von den begleitenden Politiken (staatliche Kompensationszahlungen an Produzenten? Besteuerung herkömmlicher Verfahren? Kein Ausgleich?) ab. Zur Zeit ist die EU Nettoexporteur für alle Veredelungsprodukte. Es ist jedoch unwahrscheinlich, daß die EU diese Position bei deutlich erhöhten Produktionskosten aufgrund von höheren Umwelt- und Tierschutzstandards halten könnte. Allerdings scheint es auch nicht realistisch, daß die EU größere Mengen von Importen zulassen würde, die zu deutlich niedrigeren Tierschutzstandards produziert wurden, so daß eine zukünftige Produktion in etwa in Höhe des inländischen Verbrauchs wahrscheinlich erscheint.

Die EU-Preise für Getreide, Ölsaaten und Hülsenfrüchte liegen schon jetzt in der Nähe des Weltmarktpreisniveaus. Eine Ausnahme bilden hier einige Grobgetreide (Hafer, Roggen), die jedoch für die Entwicklungsländer eine eher geringe Rolle spielen. Im Rahmen einer über die Agenda 2000 hinausgehenden agrarpolitischen Reform ist einerseits ein Produktionsrückgang durch Entkoppelung der direkten Einkommensbeihilfen zu erwarten. Dem produktionssenkenden Effekt einer Entkoppelung der Ausgleichszahlungen stünde die mögliche Abschaffung der Flächenstillegung entgegen, deren Notwendigkeit entfallen würde, da die Ausgleichszahlungen bei einer Entkoppelung im Rahmen der WTO von der blue-box, die Zahlungen nur im Rahmen von produktionsbeschränkenden Programmen zuläßt, in die green-box fallen würden, für die eine derartige Auflage nicht existiert. Der Netto-Effekt einer solchen Politikänderung ist somit unsicher, und es scheint nicht unrealistisch, daß sich keine wesentlichen Produktionsänderungen und damit auch keine Effekte auf den Weltmarktpreis ergeben würden.

Die Agrarmarktordnung für Zucker hat zwar mit einem gegenüber dem Weltmarktpreisniveau etwa dreifach höheren EU-Preis bisher alle agrarpolitischen Reformrunden überlebt, aber die everything-but-arms-Initiative sowie der voraussichtliche Wegfall der Möglichkeit subventionierter Exporte im Rahmen der WTO-Verhandlungen werden einen erheblichen Druck auf die Kürzung der Quoten ausüben, oder, alternativ zur alleinigen Quotenkürzung, zu einer massiven Preissenkung führen. Für dieses Papier wird eine Preissenkung um 30 Prozent im Rahmen der Agrarwende angenommen. Auf der Angebotsseite würde eine derartige Preissenkung kaum zu Anpassungsreaktionen führen, da es lediglich zu einer Reduktion der Renten käme, ein Preis von 70 Prozent des heutigen Niveaus jedoch noch immer deutlich über den Grenzkosten der meisten Betriebe läge. Für dieses Papier wird die These vertreten, daß auch eine dreißigprozentige Preisreduktion nicht zu einer Änderung des Nettohandels führen würde, da eine potentielle Nachfragesteigerung politisch genutzt würde, um die Quoten weniger stark kürzen zu müssen, als es aus den obengenannten Gründen notwendig sein wird. Somit sind auch keine Auswirkungen der EU-Politikänderung auf das Weltmarktpreisniveau zu erwarten.

Page Top

2.2 Welche Entwicklungsländer wären in welcher Weise betroffen?

Von einem im Rahmen der Agrarwende ansteigenden Weltmarktpreisniveau z. B. für die Pro-

[Seite der Druckausg.:13]

duktgruppen Rindfleisch, Veredelungsprodukte und Milchprodukte würden bei einer statischen Betrachtung die Nettoexporteure dieser Produkte unter den Entwicklungsländern profitieren, da der Anstieg ihrer Exporteinnahmen den Rückgang ihrer Importausgaben übersteigen würde. Die Nettoimporteure wären aufgrund ihrer höheren Importausgaben negativ betroffen. Tabelle 2 zeigt, daß die Entwicklungsländer insgesamt wie auch die Gruppen der AKP-Länder und der LDC bis auf die Produktgruppe "verarbeitetes Fleisch" Nettoimporteure dieser Produktgruppen sind oder eine ausgeglichene Handelsbilanz aufweisen. Insbesondere einige lateinamerikanische und afrikanische Länder sind jedoch auch bedeutende Nettoexporteure von Rindfleisch.

Tabelle 2:
Nettohandelsposition der Entwicklungsländer für Agrarprodukte (1998/99)


ELa

Afrika

Asien

Lat.-Am.

And. EL

LDC

AKP

Landwirtschaftliche Produkte

0

Im.

Im.

Ex.

Im.

Im.

Ex.

"Produkte der Agrarwende"

Im.

Im.

Im.

Ex.

Im.

Im.

Im.

Lebende Rinder

Im.

Im.

Im.

0

0

0

0

Lebende Schafe

Im.

Ex.

Im.

0

0

0

0

Rindfleisch

Im.

Im.

Im.

Ex.

Im.

0

0

Schaffleisch

Im.

0

Im.

0

0

0

0

Schweinefleisch

0

0

0

0

Im.

0

0

Geflügelfleisch

0

Im.

0

Ex.

Im.

0

Im.

Verarbeitetes Fleisch

Ex.

Im.

Ex.

Ex.

Im.

0

Im.

Milchprodukte

Im.

Im.

Im.

Im.

Im.

Im.

Im.

Eier

0

0

0

0

0

0

0

Weizen

Im.

Im.

Im.

Im.

Im.

Im.

Im.

Gerste

Im.

Im.

Im.

0

0

0

0

Mais

Im.

Im.

Im.

Im.

Im.

Im.

Im.

Weizenverarbeitungsprodukte

Im.

Im.

0

0

Im.

Im.

Im.

Ölsaaten

Im.

0

Im.

Ex.

0

0

0

Pflanzliche Öle

0

Im.

0

Ex.

Im.

Im.

Im.

Zucker

Ex.

Im.

Im.

Ex.

Ex.

Im.

Ex.

Hülsenfrüchte

Im.

Im.

Im.

0

0

0

0

a EL = Entwicklungsländer. 0 = ausgeglichene Handelsposition. Quellen: FAO (2001), eigene Berechnungen.

Die Wohlfahrtswirkungen von höheren Weltmarktpreisen auf unterschiedliche Länder und Ländergruppen sind im Rahmen der multilateralen Liberalisierung des Agrarhandels, die einen zumindest in der Richtung vergleichbaren Effekt auf das Weltmarktpreisniveau hat, in zahlreichen Studien untersucht und diskutiert worden. Die Ergebnisse unterstützen die Annahme, daß insbesondere viele der heutigen Nettoimporteure von Nahrungsmitteln unter den Entwicklungsländern, zu denen auch viele der ärmsten Entwicklungsländer gehören, von höheren Weltmarktpreisen negativ betroffen wären. Insbesondere schwierig einzuschätzen sind jedoch die dynamischen Wirkungen, d.h. die langfristigen Anpassungen der Agrarsektoren der Ent-

[Seite der Druckausg.:14]

wicklungsländer an eine Situation höherer Weltmarktpreise. In vielen Entwicklungsländern sind die Agrarsektoren aufgrund der politisch "wichtigeren" Bevölkerung in den Ballungsgebieten, die ein Interesse an niedrigen Nahrungsmittelpreisen hat, relativ hoch besteuert. Hierdurch wird eine Entwicklung der inländischen Agrarsektoren, die sich sowohl auf die Ernährungssicherheit wie auch die Einkommensverteilung positiv auswirken kann, behindert. Höhere Weltmarktpreise für Agrarprodukte können in einigen dieser Fälle zu einer Entwicklung der inländischen Agrarsektoren beitragen. Trotzdem wird es unter den Nettoimporteuren von Nahrungsmitteln wahrscheinlich eine Reihe von Ländern geben, die von höheren Weltmarktpreisen aufgrund eines geringen inländischen Produktionspotentials auch langfristig negativ betroffen wären.

Neben den Auswirkungen auf die Weltmarktpreise hat die Absenkung des EU-Agrarpreisniveaus in einigen Fällen auch eine direkte Auswirkung auf die Exporterlöse von Entwicklungsländern. Dies ist immer dann der Fall, wenn Entwicklungsländer einen vergünstigten Marktzugang zu den EU-Agrarmärkten zu erniedrigten und teilweise auch völlig ausgesetzten Zöllen haben. Diese Exporte werden zu einem Preis oberhalb des Weltmarktniveaus in die EU verkauft, und eine Verringerung des EU-Preises führt zu geringeren Exporterlösen der betroffenen Entwicklungsländer. Für die "Produkte der Agrarwende", wie sie oben definiert wurden, haben vor allem einige AKP-Länder erhebliche Präferenzen für Rindfleisch und Zucker im Rahmen der Zusatzprotokolle des Cotonou-Abkommens. Außerdem genießen die LDC im Rahmen der everything-but-arms-Initiative für ihre Agrarprodukte freien Zugang zu den EU-Agrarmärkten, für Zucker, Reis und Bananen jedoch in den kommenden Jahren nur für begrenzte Mengen.

Tabelle 3 zeigt die Ergebnisse einer Analyse der Auswirkungen der oben beschriebenen Preisänderungen bei Rindfleisch, sowohl auf dem Weltmarkt wie auch dem EU-Markt, auf die Exporterlöse bzw. die Importausgaben verschiedener Gruppen von Entwicklungsländern. Hierbei wurden nur die gegenwärtigen Handelsmengen der Entwicklungsländer, nicht jedoch Anpassungen der Handelsströme an die neue Preissituation berücksichtigt. [Für eine Beschreibung der Datengrundlage und Methodik der Berechnungen siehe Grethe (2001).]

Tabelle 3:
Auswirkungen einer EU-Preissenkung um 10 Prozent und
einer Weltmarktpreiserhöhung um 4 Prozent für Rindfleisch
auf die Exporterlöse und Importausgaben der Entwicklungsländer

Länder

Erlös-/Ausgaben
differenz auf WM

Erlösdifferenz
auf EU Markt

Gesamt-Erlös-/
Ausgabendifferenz

Spalte:

(1)

(2)

(3)

(4)


(Mio. €)

(Mio. €)

(Mio. €)

0/00 BSP

Entwicklungsländer

–66,4

–37,0

–103,4

–0,02


Davon AKP

–5,0

–25,2

–30,2

–0,14


Davon LDC

3,8

–14,3

–10,5

–0,07

Afrika

–28,3

–25,0

–53,3

–0,11

Lateinamerika

16,1

–11,2

4,9

0,00

Asien

–44,0

–0,6

–44,6

–0,01

Quellen: FAO (2001), Eurostat (versch. Ausg.), Weltbank (2001), Baratta (2000), eigene Berechnungen.

[Seite der Druckausg.:15]

Spalte 1 zeigt, daß die Entwicklungsländer insgesamt etwa 66 Mio. € mehr für ihre Nettoimporte zu Weltmarktpreisen bezahlen. Nettoexporteure wie Lateinamerika oder auch einige der LDC Afrikas wären von einer solchen Weltmarktpreiserhöhung positiv betroffen. Spalte 2 gibt Erlösverluste in Höhe von 37 Mio. € an, die sich für Exporteure in die EU aus den dort gesunkenen Marktpreisen (–10%) ergeben. Die Verluste für die Entwicklungsländer insgesamt betragen etwa 100 Mio. €, die ca. zur Hälfte jeweils auf Afrika und Asien entfallen. Die Verluste der asiatischen Länder resultieren vor allem aus dem höheren Weltmarktpreis bei einer Nettoimportsituation, während die Verluste der afrikanischen Länder etwa zur Hälfte aus den höheren Importpreisen und zur anderen Hälfte aus dem niedrigeren Exportpreis auf dem EU-Markt resultieren. Wie ist der Umfang dieser Verluste zu bewerten? Spalte 4 gibt die Erlösdifferenzen in Promille des Bruttosozialprodukts (BSP) der jeweiligen Ländergruppen an. Bei allen Ländergruppen sind die Erlös-/Ausgabendifferenzen deutlich kleiner als 0,2 Promille des gesamten Bruttosozialprodukts.

Ähnliche Berechnungen auf Grundlage der oben getroffenen Annahmen für Zucker haben zu dem Ergebnis geführt, daß die EL insgesamt bei einer Absenkung des EU-Preises um 30 Prozent bis zu 830 Mio. € verlieren würden, wovon etwa 90 Prozent auf die AKP-Länder und etwa 65 Prozent auf die LDC entfallen würden. [Vgl. Grethe (2001, S. 14 f.).]

Was ist das Fazit hieraus? Sollte eine Liberalisierung der Agrarpolitik unterbleiben, weil insbesondere einige besonders arme Entwicklungsländer hiervon negativ betroffen wären? Nein, der Subventionsabbau sollte weiter fortgeführt werden – er führt für die Summe der beteiligten Länder, auch für viele Entwicklungsländer, zu erheblichen Wohlfahrtsgewinnen. Allerdings sollten Teile dieser Wohlfahrtsgewinne, die in der EU zu einem erheblichen Teil in der Form von Budgeteinsparungen in der Agrarpolitik realisiert würden, zur Aufstockung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit verwendet werden, um letztendlich alle Staaten an den positiven Auswirkungen des Abbaus der Subventionspolitiken zu beteiligen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 2003

Previous Page TOC Next Page