FES | ||
|
|
TEILDOKUMENT:
Schon die Wahrnehmung vorhandener komparativer Vorteile ist also mit erheblichen Entscheidungsproblemen und Konflikten behaftet, obwohl es sich weitgehend um ein Positivsummenspiel handelt. Schwieriger wird die Problemlage, wenn es um mittel- bis langfristige Vorteile handelt, die eventuell auch um den Preis kurzfristiger Nachteile zu erzielen sind. Ein typischer Nachteil ist der Verzicht auf billige Importe, wenn eine - unter Umständen erst noch aufzubauende - einheimische Produktion geschützt wird. Bekannt ist hier die nachholende Industrialisierung Deutschlands, die sich im 19. Jahrhundert gegen die wirtschaftliche Vormachtstellung Großbritanniens durchsetzen mußte und dazu u.a. die von List propagierten Schutzzölle einsetzte. Denn die bedingungslose Mitnahme der jeweils gerade vorhandenen statischen komparativen Vorteile, d.h. die Spezialisierung auf die derzeit wettbewerbsfähige Branche, verhindert wahrscheinlich, daß das Land die Produktivität in anderen Branchen jemals steigert. Das Beispiel oben (siehe 1. Kasten) läßt die Problematik erkennen. Bei (kurzfristig) optimaler Spezialisierung stellt das weniger entwickelte Land (Osten bzw. Süden) die Computerproduktion ein und konzentriert sich auf Fahrräder. Die Fahrradproduktion ist aber für die Entwicklung eines Landes eine weniger vorteilhafte Industrie als die Computerbranche. Vorgelagerte und nachgelagerte Industriezweige bieten weniger Entwicklungschancen. Die weltweite Nachfrage weist ein geringeres Wachstumspotential aus. Aus dieser Perspektive geht es nicht mehr um die Spezialisierung bei gegebener Produktivität und damit gegebenen komparativen Vorteilen, sondern um die Entstehung oder gestaltete Entwicklung, ja Schaffung von Vorteilen. Dabei kann ein historischer Zufall oder ein frühzeitiger voluntaristischer Schritt über kumulative Prozesse langfristige Produktivitätsvorteile und damit komparative Vorteile schaffen. Aber die meisten Produktivitätssteigerungen ergeben sich durch systematische Investition in die Bildung der Arbeitskräfte, in die Kapitalausstattung (Maschinen etc.) und in die Organisation der Produktionsprozesse. Vor allem im letzten Bereich kann internationale Arbeitsteilung dazu beitragen, die Produktivität zu erhöhen. In dem Maße wie einzelne Produktionsschritte global verteilt werden, treffen sich Ricardos Wein und Tuch (inter-industry trade) mit Adam Smiths Nadelfabrikation (intra-industry trade). Es wird dann immer schwieriger, von der Wettbewerbsfähigkeit oder Produktivität einer nationalen Branche zu sprechen. An ihre Stelle tritt die Wettbewerbsfähigkeit von Wertschöpfungsketten, die sich durch verschiedene Länder ziehen, am Ende aber konkurrierende Produkte herstellen. Die zweite wichtige Dimension der dynamischen Perspektive ist - neben der Produktivitätssteigerung - die Nachfrageentwicklung. Besteht für ein Produkt keine, eine geringe oder sinkende Nachfrage, so gibt es entsprechend geringe Chancen für einen vorteilhaften Handelsaustausch. Neben einem Spitzenplatz in der Produktivitätsliga und damit preislich wettbewerbsfähig sollte ein Land daher möglichst Anbieter in Märkten zu sein, auf denen langfristig wenig andere Anbieter und zahlreiche Nachfrager da sind. Auf diese Weise lassen sich langfristig ausreichende Tauschmengen zu günstigen Austauschverhältnissen und entsprechende Wohlstandsgewinne erzielen. Zu vermeiden ist die Position eines Produzenten eines Produktes, das viele andere anbieten, wo man nur durch Preisnachlaß im Markt bleibt. Ein Land, das langfristig exportstark sein will, muß versuchen, in Wachstumsmärkten Fuß zu fassen, also in schnell wachsenden Ländern oder Produktmärkten. In beiden Fällen gibt es in der wirklichen Welt (im Gegensatz zum Modell vollkommener Konkurrenz) Zugangsbarrieren, deren Überwindung Kosten verursacht. Der etablierte Anbieter kann daraus zusätzliches Einkommen (Renten) gewinnen. Damit verbunden sind eventuell wachsende Grenzerträge, wenn nach hohen Einstiegskosten die Angebotserweiterung Kostensenkungen bzw. Produktivitätsgewinne ermöglicht. Internationale Konfliktlagen treten auf, wenn neue Anbieter alte verdrängen oder Nachfrager die Nachfrage reduzieren oder einstellen. Auch hier darf man aber nicht die Sicht aus der Unternehmensperspektive mit der aus der volkswirtschaftlichen verwechseln.
In beiden Fällen mag sich der Konflikt als ein internationaler zwischen Ländern darstellen, da jedes Land (bzw. die Leute) den Handelspartner bzw. Konkurrenten als Verursacher der Kosten und Probleme der Umstellung ansieht, was in diesem Fall auch zutrifft, obwohl das Problem letztlich in der - eventuell naturgegebenen - Unfähigkeit des Landes liegt, eine weltmarktfähige Nutzung seiner Ressourcen zu organisieren. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2001 |