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In der Geldwirtschaft beschleunigen sich Anpassungsprozesse


Die Lage kompliziert sich, wenn man Geld in die bisher realwirtschaftlich geprägte Betrachtung einführt. Die terms of trade wandeln sich dann von einem Austauschverhältnis zweier Produkte zu einem zweier Preise in unterschiedlichen Währungen, die durch einen Wechselkurs verknüpft sind. Günstigere Austauschverhältnisse entsprechen dann einem höheren Außenwert der Währung. Das Land mit der „besseren" Währung hat das höhere Wachstum (Konsum). Im Extremfall findet das gesamte Wachstum im begünstigten Land mit der stärksten Währung statt. Hier ist offensichtlich Stoff für internationale Konflikte gegeben. Im Grunde geht es wie bei jedem Kaufakt um den vorteilhaftesten Preis. Solange beide Länder Vollbeschäftigung haben, kann aber kein Land schlechter gestellt werden als ohne jeden internationalen Handel.

Unser Beispiel mit Preisen und Wechselkursen

Im oben genannten Zahlenbeispiel unterstellen wir folgende Preise (die absolute Höhe ist unerheblich, aber die relativen Preise ergeben sich aus den Kosten bzw. Arbeitsaufwand):

Land/Region

Preis Fahrrad

Preis Computer

Ost/Süd (Kronen)

400

10.000

West/Nord (Euro)

200

1000

Daraus ergibt sich in beiden Ländern aus der Multiplikation der Produktion bei Autarkie mit diesen Preisen ein Sozialprodukt von 100.000 Kronen bzw. Euro. Das entspricht Arbeitskosten von 100 Kronen oder Euro pro Arbeiter und Jahr. Bei Spezialisierung verändert sich (bei unveränderten Preisen) das monetäre Produkt nicht. Nun tauschen die Länder 10 Computer gegen 120 Fahrräder. Damit ergibt sich ein Wechselkurs von 4,8 Kronen/Euro. Nach diesem Austausch steigt das konsumierte Sozialprodukt in alten Preisen auf 152.000 in Ost/Süd und auf 114.000 in West/Nord. Die Wachstumsrate ist also bei unveränderten Preisen und bei dem angenommenen Austauschverhältnis mit 52% viel höher im weniger produktiven Land als im produktiveren mit nur 14%.

Rechnung in Geldwert





Land/Region

Produktion bei Autarkie

Produktion bei Spezialisierung

Konsum nach Handel

Produkt

Fahrräder

Computer

Fahrräder

Computer

Fahrräder

Computer

Ost/Süd (Kr)

50000

50000

100000

0

52000

100000

West/Nord

50000

50000

30000

55000

54000

60000

Summe (Anzahl)

375

55

400

70

400

70

Ost/Süd (Kr.)

100000


100000


152000


West/Nord

100000


85000


114000


Der Wechselkurs kann sich nur zwischen zwei Werten bewegen, die durch die beiden extremen Austauschverhältnisse bestimmt sind, die ihrerseits von den relativen Preisen in den beiden beteiligten Ländern abhängen. In unserem Beispiel sind die Austauschverhältnisse 25 Fahrräder gegen 1 Computer das eine Extrem (Ost/Süd-Preisstruktur) und 5 Fahrräder gegen 1 Computer (West/Nord-Preisstruktur) das andere. Diesen Austauschverhältnissen entsprechen die Wechselkurse von 10 Kronen/Euro und 2Kronen/Euro. Bei diesen Grenzwechselkursen bleibt das Sozialprodukt des schwächeren Landes unverändert, während das gesamte Wachstum im anderen Land anfällt. Bei einem Kurs von 10 Kronen/Euro nimmt also der Konsum in Ost/Süd nicht zu; dafür wächst West/Nord um 40%.



Bei stagnierender Produktion und Nachfrage kompliziert sich die Lage. In dem Maße, wie ein Land die Produktivitätszuwächse in Produktions- und damit Arbeitsrückgang umsetzt, sinkt der Geldwert der Produktion. Dabei bleibt zunächst offen, ob alle Arbeiter weniger arbeiten oder einige voll beschäftigt sind und der Rest arbeitslos. Nach vollzogenem Austausch erreicht der Konsum und damit auch das Realeinkommen aber wieder den Wert vor Spezialisierung. Genauer ist dies so zu erklären: Bei der Produktion in der produktiveren Branche entsteht ein Einkommen, das durch internationalen Handel zum Erwerb eines Güterkorbs ausreicht, dessen Wert zu ursprünglichen Preisen dem Einkommen bei Autarkie entspricht. Die Konsumenten erzielen also eine Konsumentenrente, die sie für den Rückgang des monetären Einkommens entschädigt.

Wechselkurs: 2 Kronen/Euro
(schwacher Euro)




Land/Region

Produktion bei Autarkie

Produktion bei Spezialisierung

Konsum nach Handel

Produkt

Fahrräder

Computer

Fahrräder

Computer

Fahrräder

Computer

Ost/Süd

125

5

150

0

125

5

West/Nord

250

50

225

55

250

50

Summe

375

55

375

55

375

55

Geldwert







Ost/Süd

100000


60000


100000


West/Nord

100000


100000


100000




Wechselkurs: 10 Kronen/Euro (starker Euro)




Land/Region

Produktion bei Autarkie

Produktion bei Spezialisierung

Konsum nach Handel

Produkt

Fahrräder

Computer

Fahrräder

Computer

Fahrräder

Computer

Ost/Süd

125

5

250

0

125

5

West/Nord

250

50

125

55

250

50

Summe

375

55

375

55

375

55

Geldwert







Ost/Süd

100000


100000


100000


West/Nord

100000


80000


100000




Im ersten Fall des „schwachen Euro" benötigt Süd/Ost nur 100 Arbeiter mehr in der Fahrradbranche, aber dafür 500 weniger in der Computerindustrie. Die Arbeitskosten sinken auf 60.000 Kronen, den Wert von 150 Fahrrädern (2. Spalte). Da die Preise wie bisher sind, kaufen die Arbeiter für 50.000 Kronen 125 Räder. Für die restlichen 10.000 Kronen kaufen sie 5 Computer, die bei alten Preisen aber 50.000 Kronen gekostet hätten. Die „Konsumentenrente" beträgt also 8000 Kronen pro Computer, womit das Realeinkommen wieder den Autarkiestand erreicht (3. Spalte der Tabelle). Beim zweiten Fall des „starken Euro" liegt es umgekehrt zugunsten Nord/West. Die Gesamtproduktion bleibt in diesem Beispiel unverändert.



Bis jetzt wurde immer alles konsumiert, was produziert wurde. Unterstellen wir nun, daß in einem Land netto gespart, also mehr gespart als investiert wird. Dann bleiben realwirtschaftlich Güter übrig. Geldwirtschaftlich wird entstandenes Einkommen nicht verausgabt. Damit stehen die Güter zum Export zur Verfügung. In der normalen Saldenmechanik müssen sie sogar per definitionem exportiert werden, da die Lagerung über die laufende Periode hinaus als Investition betrachtet wird. Diesen Exporten stehen erst mal keine Importe gegenüber, da ja die Einkommensbezieher keine zusätzlichen importierten Güter erwerben, sondern das Geld sparen.

Im Partnerland wiederum steht eigentlich kein Geld zur Verfügung, um zusätzliche Importe zu erwerben. Sie müssen den Importüberschuß also geschenkt erhalten oder das Spargeld des exportierenden Landes muß an das importierende verliehen werden. Diese Nachfrage nach der Währung des exportierenden Landes müßte in der Regel bald zu einer Aufwertung führen. Letztlich sollte der Zwang zur langfristig ausgeglichenen Zahlungsbilanz (hergestellt durch den Wechselkursmechanismus) eine dauerhafte Unterbietung verhindern. Wenn ein Land durch reale Unterbewertung (durch niedrige Preise/Löhne oder nominale Abwertung der Währung) seine Exporte verbilligt, so kann es einen Überschuß erzielen. Aber das korrespondierende Defizit des Importlandes erzwingt dort dann Anpassungsreaktionen beim Wechselkurs oder bei den Preisen und Löhnen. Diese Anpassung kann aber sehr lang dauern, wenn die Exportüberschußländer die Importeure durch Kredite oder Transferzahlungen alimentieren (z.B. Exportfinanzierung, Entwicklungshilfe, EU-Transfers). Vorstellbar ist auch ein Unterbietungswettlauf von competitive devaluations , bei denen sich die beteiligten Länder durch ständige Abwertungen und Kostensenkungen die Märkte wegnehmen wollen. Dieser Wettlauf ist ein internationaler Konflikt, der aber auch ebenso im nationalen Rahmen vorstellbar ist, wenn bei gleicher Produktivität einzelne Unternehmen etwa durch niedrigere Löhne Kostenvorteile erwerben.

Das Verhalten der Abwerter oder Exportfinanzierer ist dabei eigentlich selbstschädigend, wie oben im realwirtschaftlichen Modell schon bei der Verschlechterung der Austauschverhältnisse erläutert wurde. Eigene Arbeit bzw. Produktion wird verschenkt, wenn auch mit dem Ergebnis höherer Beschäftigung. Letztlich geht es um eine Umverteilung im Lande. Die Konsumenten verzichten auf möglichen Konsum zugunsten der Beschäftigten in der Exportbranche. Alle zahlen höhere Preise (bei Abwertung) oder Steuern (bei staatlicher Exportfinanzierung, z.B. durch Hilfe), um den Absatz (und damit die Einkommen) der Exporteure zu erhöhen.

Mit dem Dazwischentreten des Geldes verändern sich die Anpassungsprobleme. Reale Anpassungen können verschoben und verzögert werden. Paßt ein Land seine Produktionsstruktur kurzfristigen Währungs- und Preiskonstellationen an, so kann sich das als voreilige Fehlentscheidung herausstellen. Verändern sich die Preise erneut, so wäre die gegebenenfalls gerade eingestellte Produktion wieder rentabel und müßte erneut aufgenommen werden. Hier können Kosten auftreten, die höher liegen als die einer konservativen Strukturpolitik. Beispiel: Erdöl. Bei niedrigen Ölpreisen wird ein Ölimporteur (z.B. Deutschland) seine Kohleproduktion stillegen. Bei hohen Ölpreisen verlieren im Ölexportland (z.B. Norwegen) andere Exporte ihre Wettbewerbsfähigkeit. Verändern sich die Preise, wäre die deutsche Kohle vielleicht wieder eine kostengünstige Alternative oder das norwegische Öl ist zu teuer und auf dem Weltmarkt nicht mehr absetzbar. Dagegen wird z.B. seine Fischerei wieder wettbewerbsfähig.

Die unterschiedliche Zeitstruktur von Preis- bzw. Mengenanpassungen und Investitions- oder Desinvestitionsprozessen kann wirtschaftspolitische Eingriffe rechtfertigen, um überflüssige, sozial und politisch disruptive Anpassungen zu vermeiden. Da es dabei um die Bewertung und Einschätzung künftiger Verläufe geht, sind derartige Maßnahmen immer mit Risiko verbunden. Wie lange soll ein Staat z.B. bestimmte mögliche Exporte beschränken oder wie hoch besteuern, um ein dutch disease zu vermeiden (sinkenden Wettbewerbsfähigkeit wegen der Exportstärke eines Industriezweigs, im niederländischen Fall: Erdgas)? Wie lange soll er eine nicht mehr wettbewerbsfähige Industrie subventionieren, um sie für den Fall von Preissteigerungen oder Versorgungsproblemen auf dem Weltmarkt produktionsreif zu erhalten ? Diese Entscheidungen sind schon schwer zu treffen, wenn es nicht um Interessenkonflikte ginge, die durch die Einkommensveränderungen einzelner Gruppen innerhalb des Landes ausgelöst werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2001

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