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TEILDOKUMENT:
Zur Beantwortung bedienen wir uns eines Gedankenexperiments, das sich auf ein einfaches Modell internationaler Wirtschaftsbeziehungen stützt. Wir beginnen mit dem Ricardo-Modell des internationalen Handels, das wir nach und nach mit weiteren Elementen (mehr als zwei Länder, Geld, Ersparnis, Faktormobilität) anreichern, um es etwas realitätsnäher zu gestalten. Wichtige Dimensionen der ökonomischen Wirklichkeit bleiben trotzdem weitgehend unberücksichtigt - wie z.B. die Unternehmen. Aber wie sich zeigen wird, erlaubt dieses einfache Modell schon die Modellierung und Erklärung wichtiger Probleme internationaler Wirtschaftsbeziehungen. Das klassische und wohl beste Argument für eine Beziehung zum gegenseitigen Nutzen liefert die Handelstheorie. Sie betrachtet Staaten als autonome Akteure, die ihren jeweiligen Nutzen optimieren. Schon in dieser Prämisse ist angelegt, daß eigentlich kein Schaden auftreten kann, da sonst das betroffene Land diese Beziehung (den Tausch- oder Kaufakt etc.) nicht eingegangen wäre. In der Tat kauft ein Land zunächst im Ausland, weil das importierte Gut im eigenen Land gar nicht vorhanden oder das konkurrierende eigene Gut teurer oder schlechter ist. In beiden Fällen ist ein offensichtlicher Nutzenzuwachs da. Aber der Tausch schafft gleichzeitig neue Abhängigkeiten. Wenn beim nächsten Tausch der Partner (das andere Land) den Tausch ablehnt, kann das schon Probleme auslösen, da der dadurch erzwungene Verzicht auf das inzwischen gewohnte Gut einen Nutzenentgang bedeutet. Handelsembargos sind bekannte Maßnahmen der internationalen Konfliktaustragung im vormilitärischen Bereich. Umgekehrt war in vielen Fällen die bloße Verweigerung, Handel zu treiben, schon Anlaß für kriegerische Auseinandersetzungen (z.B. die militärische Öffnung Japans oder Chinas im Opiumkrieg). Etwas präziser läßt sich die harmonische Sicht des internationalen Handels im Rahmen von Ricardos Theorie der komparativen Vorteile fassen. Land A und Land B spezialisieren sich jeweils auf die Produktion des Gutes, das sie relativ kostengünstiger (mit geringerem Arbeitsaufwand, also produktiver) herstellen können. Beide können dann mit dem gleichen Arbeitsaufwand mehr Güter herstellen und auch konsumieren (bzw. die gleiche Menge mit geringerem Aufwand) als sie es ohne Spezialisierung gekonnt hätten. Im klassischen Beispiel von Ricardo spezialisiert sich Portugal auf Wein und England auf Tuch. Das Austauschverhältnis (terms of trade) wird begrenzt durch die relativen Produktivitäten, da kein Land mehr von seinem Produkt (und damit an darin erhaltener Arbeit) für eine Einheit des anderen Produktes zu bezahlen bereit ist, als es an Arbeit zur Erstellung dieser Einheit aufwenden müßte. In der Grundtendenz ist der internationale Handel bei Ricardo also arbeitssparend.
Schon in diesem scheinbar konsensualen Modell internationaler Wirtschaftsbeziehungen stecken einige Haken, die zu Konflikten führen können. Innerhalb der durch die jeweiligen Kosten gesetzten Grenzen sind unterschiedliche Austauschverhältnisse möglich, die den möglichen Nutzengewinn unterschiedlich zwischen den Ländern verteilen. Hier findet ein Nullsummenspiel statt, das aber angesichts der zu verteilenden Masse zu lösen sein müßte. Je größer die Produktivitätsunterschiede, desto größer sind die Spielräume und desto stärker nimmt die Festlegung des Austauschverhältnisses den Charakter eines Nullsummenspiels an. Tauschen z.B. die Deutschland und Saudiarabien Öl gegen Kampfpanzer, so sind in beiden Ländern die Produktionskosten des jeweils importierten Gutes fast unendlich. Im Zweiländermodell gibt es dann keine einfache Lösung für das Austauschverhältnis. Die Wahl der Austauschverhältnisse hat aber auch Auswirkungen auf das Konsum- und (Realeinkommen) und Beschäftigungsniveau. Entweder reduzieren die Länder die Beschäftigung, um das Produktionsniveau vor der Spezialisierung zu erhalten, oder sie konsumieren mehr, um das bei Vollbeschäftigung und höherer Produktivität gewachsene Produkt zu absorbieren. Es geht um die Wahl der Verteilung der durch die Spezialisierung ermöglichten Produktivitätszuwächse. Je günstiger die Austauschverhältnisse für ein beteiligtes Land ausfallen, desto höher ist der notwendige Beschäftigungsabbau bzw. Realeinkommenszuwachs, wobei auch ein Mix vorstellbar ist. Es gibt also einen intranationalen (einheimischen) Konflikt um die Nutzung der Produktivitätsgewinne und einen internationalen um die Austauschverhältnisse. Die gewählten Austauschverhältnisse legen dabei die Rahmenbedingungen für den nationalen Verteilungsspielraum fest. Wenn Vollbeschäftigung herrscht (alle Arbeitskräfte werden eingesetzt), dann bestimmen die Austauschverhältnisse die Verteilung der Spezialisierungsgewinne. Wenn - wie im folgenden Kasten unterstellt - die Produktion und der Konsum nach Spezialisierung nicht wachsen, dann kann Vollbeschäftigung nur in einem Land erzielt werden, indem - paradoxer Weise - dieses Land für sich ungünstigere Austauschverhältnisse gegenüber dem Handelspartner durchsetzt.
Wie bestimmt sich das Produktions- und Konsumniveau ? Im realwirtschaftlichen Modell entscheiden die Produzenten. Eine Unterscheidung von Kapitaleigentümern und Lohnempfängern ist zunächst nicht vorgesehen und trägt auch wenig zur Erklärung bei, da beide Gruppen ein Interesse an Konsumsteigerung oder Arbeitsreduzierung haben könnten. Der Verdacht liegt aber nahe, daß die Arbeiter an einer Produktionsausweitung bei gleichbleibendem Beschäftigungsvolumen interessiert sind, da eine Arbeitsreduzierung mit Arbeitslosigkeit für einige verbunden sein dürfte. Das produktivere Land (bzw. in jedem Land der jeweils produktivere Sektor) hat die Qual der Wahl zwischen Realeinkommenssteigerung oder Arbeitsreduzierung (Produktionseinschränkung und -ausdehnung). Schon diese Tatsache mag zu internationalen Konflikten führen, wenn die nationalen Kontrahenten sich durch auswärtige Einflüsse zu umstrittenen Entscheidungen gedrängt sehen. Die jeweils benachteiligte Seite nimmt die Bedrohung ihrer Interessen dann als äußere Bedrohung statt als inneren Konflikt wahr. Diese Entscheidung erhellt aber eine grundsätzliche Problematik, die im geldwirtschaftlichen Modell verstärkt auftritt: der umstrittene Nutzen von Exporten. Der offensichtliche Nutzen von Exporten liegt in der Möglichkeit zu importieren. Im realwirtschaftlichen Modell gibt es keine Exportüberschüsse im eigentlichen Sinne. Aber durch Verschlechterung des Tauschverhältnisses - wie im vorhergehenden Absatz erläutert - kann sich das Volumen der notwendigen Exporte und damit der notwendigen Arbeit erhöhen. Offensichtlich ist das einerseits eine Nutzenminderung, da mehr Arbeit zur Erzielung des gleichen Konsumniveaus aufgewandt werden muß. Andererseits sichert es Vollbeschäftigung. Letztlich steckt dahinter das Dilemma des Doppelcharakters der Arbeit als Arbeitsleid und Einkommensquelle. Auch Robinson muß entscheiden, ob ihm die zusätzliche Banane oder der weitere Fisch den Aufwand an Zeit und Energie wert ist. Das zweite Problem ist der Strukturwandel in den beiden Ländern, der die einheimischen Produzenten des importierten Gutes zur Geschäftsaufgabe bzw. zum Arbeitsplatzwechsel in die exportierende Industrie zwingt. Bei Ricardo wird unterstellt, daß diese Re-allokation der Arbeit kostenlos abläuft. Tatsächlich ist es eventuell schwierig oder unmöglich, die komparativ günstigere Produktion zu den Kosten, die vor Aufnahme des Handels herrschten, hinreichend auszuweiten. Die Arbeitskräfte verfügen nicht über die nötige Qualifikation oder sind nicht geographisch mobil. Komplementäre Produktionsfaktoren (z.B. Land) können knapp sein. Allgemeiner gesagt, wenn die Stückkosten steigen, gibt es einen Punkt, an dem weiterer Handel nicht mehr vorteilhaft ist. Im schlimmsten Fall bleibt das Land damit auf dem Realeinkommensniveau, das seiner autarken Produktivität entspricht. Dieser Konflikt ist somit primär ein Binnenkonflikt, auch wenn die Betroffenen ihn als Konflikt mit dem Ausland darstellen wollen. Der typische internationale Interessenkonflikt entsteht dabei jedoch, wenn einheimische Unternehmen die Produktion einstellen müssen, weil sie der Konkurrenz billigerer Importe nicht gewachsen sind. Zwar böte sich den Kapitalisten und Arbeitern die Chance, in den produktiveren Sektor zu wechseln, der höhere Profite und Löhne verspricht. Aber sie verweigern diese Anpassung, da sie die sicheren Kosten angesichts unsicherer (wie das meiste Zukünftige) Gewinne scheuen. Die Politik könnte die Risiken reduzieren, indem sie Garantien oder Versicherungen für den Fall ausbleibender Gewinne anbietet. Letztlich entsteht dieses Problem auch, wenn ein einheimischer billigerer Anbieter auftritt, der einen Weg gefunden hat, ein Gut kostengünstiger (produktiver) herzustellen. Die nationalen Gefühle, mit denen so begründeter Protektionismus aufgeladen ist, sind also nur bedingt berechtigt. Eine weitere klassische" Konfliktlage ist die Bedrohung, die angeblich von der internationalen Konkurrenz auf Umwelt- und Sozialstandards ausgeht. Dazu sind zunächst diese Standards im Rahmen des statischen Modells zu interpretieren. Eine Umweltauflage oder Arbeitszeitbegrenzung läuft immer auf eine kurzfristige Produktivitätssenkung hinaus (langfristig mögen die Nutzen diesen Nachteil aufwiegen). Entschließt sich z.B. ein Land, seine Flüsse sauber zu halten, so steigt der Arbeitsaufwand in der Branche, die vorher verschmutzt hat, da sie jetzt nicht nur die Arbeit zur Produktion des Gutes, sondern auch zur Säuberung des Abwassers aufwenden muß. Dieser Produktivitätsverlust entsteht unabhängig davon, ob ein Handelspartner seine Flüsse weiter verschmutzt (und damit vielleicht einen komparativen Vorteil hat) oder ob er im Zuge einer international harmonisierten Umweltpolitik die gleichen Sauberkeitsstandards einführt. Bei Einführung einer solchen Regelung in (nur) einem Land sinkt also auch ohne Handel bei konstantem Arbeitsinput (Beschäftigung) das Produktionsvolumen. Der Preis (d.h. das Austauschverhältnis in Arbeitskosten) des regulierten Produktes steigt. Bei Spezialisierung und internationalem Handel wird also - ceteris paribus - die Produktion dieses Gutes stärker dem Ausland überlassen. Die Entwicklung im einzelnen hängt davon ab, ob die Regulierung beide Sektoren gleich betrifft oder unterschiedlich. Bei unterschiedlicher Betroffenheit können sich im Extremfall sogar die relativen Arbeitskosten und komparativen Vorteile umkehren. Schon im statischen Realmodell kann also der Effekt erklärt werden, der bei internationalem Handel in einem Land zur Aufgabe oder Einschränkung einer (aus sozialen oder ökologischen Gründen) regulierten Produktion führt. Es zeigt sich aber auch, daß der Wohlfahrtsverlust (Wohlfahrt hier eng klassisch als Produktionseinbuße oder erhöhter Arbeitsaufwand verstanden) durch Regulierung auch ohne Spezialisierung und Handel auftritt, ja dann noch größer ausfällt. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2001 |