FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO


Wie unsozial ist der Shareholder-Kapitalismus? / [Alfred Pfaller]. - [Electronic ed.]. - Bonn, [2000. - 2] Bl. : graph. Darst. = 21 Kb, Text & Image file . - (Politikinfo / Analyseeinheit Internationale Politik)
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2000

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT




Previous Item Page Top Next Item

Die „Deutschland AG" auf dem Rückzug

Als bekannt wurde, dass das britische Telekommunikations-unternehmen Vodafone eine sogenannte feindliche Übernahme der deutschen Firma Mannesmann vorhabe, war nicht nur der Vorstand der Übernahmekandidatin alarmiert. Politiker, Gewerkschafter und Kommentatoren begriffen, dass es um mehr als die Zukunft von Mannesmann ging. Sollte der geplante Coup gelingen, würde das Ende jenes Unternehmensmodells eingeläutet, das als „Deutschland AG" einst weltweit bewundert wurde - eines Unternehmensmodells, dessen spezifische Stärke auf dem institutionell fundierten, aber auch subtilen Zusammenwirken von Unternehmensführung, organisierten Belegschaften, Großbanken sowie Kommunen, Ländern und Bund beruhte. Das Prinzip, dass Großunternehmen nicht die alleinige Domäne des Kapitals sind, sondern aller, die an ihrem Bestand und Erfolg ein Eigeninteresse haben (die sogenannten „Stake-holder"), galt während der gesamten Nachkriegszeit als wichtiger Baustein des „Modells Deutschland", jener Kombination aus wirtschaftlicher Leistungskraft und breiter Teilhabe am nationalen Wohlstand. „Wohlstand für alle" wurde im Modell Deutschland in signifikantem Maße von den „Sozialpartnern" (ebenfalls ein zentraler Begriff der deutschen Stakeholder-Gesellschaft) auf Unternehmensebene organisiert. Die sichere Beschäftigung war einer der sozialen Eckpfeiler des Modells Deutschland, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer seine symbolische Affirmation.

In den USA waren die Stakeholder-Rechte von jeher weniger ausgeprägt; der angelsächsische Kapitalismus wurde dem sozial eingebundenen „rhei-nischen" Kapitalismus idealty- pisch gegenübergestellt. Letzterer galt lange Zeit als die zivilisierte und auch erfolgreichere Variante. Seit den 80er Jahren scheinen jedoch die Kapitalmärkte das Prinzip des absoluten Vorrangs der Eigentümer-(Shareholder-)Interessen weltweit durchzusetzen.

Vodafone hat Mannesmann schließlich übernommen. Der Welt wurde signalisiert: die Deutschland AG wird nicht bis zum bitteren Ende verteidigt.

Unternehmenszusammenschlüsse
weltweit

Undisplayed Graphic


Die Finanzmärkte und die internationale Wirtschaftspresse haben dies beifällig zur Kenntnis genommen. Wie aber steht es um die Arbeitnehmer und all jene, die keine Shareholder sind? Wird die von den Kapitalmärkten an die Macht gespülte neue - mobile und anonyme - Shareholder-Klasse ihre Rendite-Interessen gnadenlos auf Kosten von Belegschaften und Standortgemeinden durchsetzen?

Previous Item Page Top Next Item

Das „Effizienzmodell" des Shareholder-Kapitalismus

Zunächst hängt dies natürlich weiterhin davon ab, was die anderen Stakeholder, gestützt auf ihre Verhandlungsmacht und auf das Gesetz, zugestehen. Hier wird es auch in Zukunft Unterschiede zwischen USA und Europa geben. Aber es ist auch abzusehen, dass man es mit einem Verhandlungspartner zu tun haben wird, der sich über vorhandene Unternehmensstrukturen leichter hinwegsetzt als die korporatistischen „Clubs" der Deutschland AG. Für die Arbeitnehmer bedeutet dies rauhere Zeiten.

Dennoch: wenn zwei Bedingungen gegeben sind, ist aggressiver Shareholder-Kapitalismus mit einer angemessenen Teilhabe aller Bürger - auch der Nicht-Shareholder - am nationalen Wohlstand voll vereinbar. Die Bedingungen sind (a) funktionierende Güter- und Dienstleistungsmärkte, (b) Vollbeschäftigung. Shareholder-Kapitalismus bedeutet im Kern, daß Unternehmen vom Kapitalmarkt unter starken Druck gesetzt werden, die Rentabilität des eingesetzten Kapitals zu maximieren. Die Unternehmen als „Kapitalver-wertungsmaschinen" konkurrieren um die Gunst wählerischer Anleger (ganz wichtig dabei: Fonds als Sammelstellen individueller Ersparnisse). In diesem Konkurrenzkampf, der früher - zumal in Ländern mit einem Bank-zentrierten Finanzierungsregime - weit weniger ausgeprägt war, können sie es sich nicht mehr so leicht leisten, rentabilitätsfremden Zielen (wie etwa schierer Expansion oder Beschäftigungssicherung) Vorrang einzuräumen.

Unternehmen konkurrieren je-doch nach wie vor auch auf den Märkten, auf denen sie ihre Produkte (Güter und Dienstleistungen) absetzen. Das aber bedeutet, daß sie die Rentabilitätsgewinne, zu denen sie der Kapitalmarkt permanent „zwingt", an ihre Kunden weiter geben müssen - in Form billigerer und besserer Produkte. Letztendlich sind es also die Konsumenten, die profitieren. Die Shareholder machen den Unternehmen über die Kapitalmärkte jenen zusätzlichen Dampf, den ihnen der Wettbewerb auf den Produktmärkten offensichtlich nicht immer macht. Ein erbarmungsloser Wettlauf also um immer höhere Effizienz (weniger Input, mehr Output)! Produktive Effizienz aber ist der Stoff, aus dem - auf umkämpften Märkten wohlgemerkt - sowohl der Profit des Kapitalisten als auch der Massenwohlstand, wie wir ihn kennen, gemacht ist.

Und was passiert mit den Arbeitnehmern? Im Grunde nichts anderes als stets bei Produktivitätssteigerungen: Man benötigt weniger Arbeitskraft, um die gleiche Güter- und Dienstleistungsmenge zu erzeugen. Wenn aber die Arbeitsmärkte funktionieren, und das heißt auch in einem makroökonomischen Sinn funktionieren, wird die freigesetzte Arbeitskraft zur Herstellung zusätzlicher Produkte - der gleichen Art oder anderer Produkte - eingesetzt. Die gigantischen Produktivitätssteigerungen seit der industriellen Revolution haben nicht zu immer mehr Arbeitslosigkeit, sondern zu einer ebenso gigantischen Ausweitung der Produktion geführt. Anhaltende Arbeitslosigkeit hingegen war stets Störungen und Blockaden im gesamtwirtschaftlichen Kreislauf oder auch im Arbeitsmarkt selbst geschuldet.

In unserem gesamtwirtschaftlichen „Effizienzmodell" wirken die von den Shareholdern verstärkt geltend gemachten Rentabilitätsforderungen gleichsam als Turboverstärker jenes Effizienzdrucks, der vom Wettbewerb ohnehin ausgeht. Die berühmte unsichtbare Hand verbündet die Shareholder-Interessen mit den Konsumenteninteressen gegen eine latente, bestehenden Strukturen verhaftete Beharrungskoalition aus Management, Belegschaften und sonstigen Stakeholdern. Die resultierenden Konsumentenvorteile kommen dabei auch den freigesetzten und wiederbeschäftigten Arbeitnehmern zugute.

Man mag einwenden, die von relativ autonomen Managern geleitete „Deutschland AG" habe sich auch ohne Shareholder-Druck im internationalen Konkurrenzkampf behauptet. Anpassung sei für sie ein permanenter Imperativ gewesen. Shareholder wollen jedoch mehr als Markterfolg, sie wollen eine hohe Rendite. Und hier blieben deutsche Unternehmen in der Vergangenheit klar hinter den amerikanischen zurück.

Previous Item Page Top Next Item

Die Trennung von Produktion und Verteilung

Ob Shareholder-Druck mehr bewirkt als der Anpassungsdruck, der vom Wettbewerb auf den Produktmärkten ausgeht, mag eine offene Frage bleiben. Aber Shareholder-Druck setzt sich eher über bestehende Unternehmensstrukturen hinweg als es die Stakeholder-Allianzen der Deutschland AG taten. Das bedeutet, dass die Teilhabe der Arbeitnehmer an den Produktivitätszuwächsen in geringerem Maße als bisher innerhalb ein und desselben Unternehmens sicherzustellen ist. Die „Aufmischung" von Unternehmensstrukturen durch die neue Eigentümerklasse setzt die Arbeitnehmer unter verstärkten Anpassungsdruck. Die Zahl derer, die sich eine neue Stelle suchen müssen, wird steigen. Umso wichtiger wird es werden, dass es (a) diese neuen Stellen auch gibt und dass (b) die Qualifikationen stimmen.

Im idealtypischen Shareholder-Kapitalismus ist das Unternehmen exklusiv der Produktionssphäre zugeordnet. Es ist die Organisationsform, die einerseits Inputs in vermarktbaren Output umwandelt und dadurch andererseits Kapital rentabel verwertet. Die (Pri-mär-)Verteilung des Sozialprodukts hingegen wird außerhalb des Unternehmens organisiert: (a) über die Arbeitsmärkte, auf denen die - konjunkturell bedingte oder kartellmäßig herbeigeführte - Knappheit des Faktors Arbeit entscheidet, und (b) über die Produktmärkte, auf denen die auf den Arbeitsmärkten getroffene verteilungsmäßige Vorentscheidung relativiert wird (durch Umwandlung von Nominal- in Reallöhne). In dieser idealtypischen Konzeption ist das einzelne Unternehmen von der Zuständigkeit für die sozialen Belange seiner Arbeitnehmer im Grundsatz entbunden. Soweit sie sich vom Produktionsprozess selbst nicht trennen lassen, werden diese Belange (etwa Arbeitszeiten) im Arbeitsvertrag festgelegt. Hier gewisse Standards zu sichern, ist nach wie vor eine wichtige Funktion von Gewerkschaften. Darüberhinaus bedarf es unternehmensübergreifender Versicherungs- und Solidaritätsstrukturen, die entweder von den Arbeitnehmern selbst oder von allen Steuersubjekten (darunter natürlich auch Unternehmen) alimentiert werden.

Dass den Unternehmen die Externalisierung von Kosten durch entsprechende Regeln zum Schutz von Umwelt, Verbrauchern, Arbeitnehmern u.a. verwehrt wird, steht nicht in Widerspruch zur Konzeption des Shareholder-Primats - Unternehmen stehen nicht ausserhalb des Gesetzes.

Shareholder-Kapitalismus schließt auch nicht aus, dass Unternehmen ihre Arbeitnehmer oder einen Teil davon als Aktiva ansehen, die es zu bewahren und zu pflegen gilt. Aber dies ist Sache der unternehmensinternen Überlegungen zur Rentabilitätsmaximierung, nicht einer von aussen auferlegten sozialen Verantwortung.

Previous Item Page Top Next Item

Einwände gegen das „Effizienzmodell": die unsichtbare Hand lahmt

Gegen das skizzierte Modell, das bedrohte Stakeholder-Interessen mittels des Konsumentennutzen-Konzeptes relativiert, bestehen indes gewichtige Einwände:

  • Die real existierenden Güter- und Dienstleistungsmärkte sind durch eine Unzahl von temporären und dauerhaften Quasimonopolen gekennzeichnet. Die mit Shareholdermacht einhergehende Welle von Unternehmenszusammenschlüssen dürfte die Produktmärkte eher noch stärker vermachten. Dies läßt für die Unternehmen Renten anfallen, und zwar auf Kosten der Konsumenten. Die Deutschland AG und ähnliche Organisationsmodelle der Arbeitsbeziehungen haben den Arbeitnehmern die Teilhabe an diesen Renten gesichert - in Form von Löhnen und in Form von Arbeitsplätzen, die unter strikten Rentabilitätsgesichtspunkten nicht unbedingt aufrechtzuerhalten wären. Der neue Shareholder-Kapitalismus tendiert die Produzentenrente zugunsten der Kapitaleigner umzuverteilen. Erhöhte produktive Effizienz kommt dabei den Arbeitnehmern nicht in Form erhöhten Konsumentennutzens zugute. Entscheidend ist bei all dem die Unterwerfung der Manager unter den Willen der neu erstarkten Shareholder-Klasse. Der Spielraum der Manager für Kompromisse mit Arbeitnehmern und anderen Stakeholdern wird dadurch eingeschränkt.

  • Die Voraussetzung funktionierender Arbeitsmärkte ist in der Realität derzeit nicht gegeben. Der Zuwachs an Produktionspotenzial, der durch Effizienzsteigerungen entsteht, wird deshalb nur unzureichend realisiert. D.h., viele „frei-gesetzte" Arbeitskräfte werden in der Realität nicht wieder in den Produktionsprozess integriert, oder nur zu erheblich ungünstigeren Bedingungen.

  • Der Zuwachs an Produktionspotenzial wird oft anderswo realisiert. Transnationale Shareholder-Strategien decken sich nicht unbedingt mit nationalen Wohlfahrtsinteressen. So gesehen, läßt sich das Stakeholder-Interesse nicht im allgemeinen Konsumenteninteresse aufheben. Im Kontext der Globalisierung verteilt der Strukturwandel Kosten und Nutzen recht ungleich.

  • Da sie sich nicht für immer an ein Unternehmen ketten, neigen moderne Shareholder dazu, die Rentabilität des investierten Kapitals auch durch „Raubbau" an der Unternehmenssubstanz (F&E-Kapazitäten, Humankapital u.a.) zu erhöhen. Andererseits dient der Aufkauf einer Firma oft nur der „Erbeutung" derartiger Substanzwerte, die dann als Ren-tenquellen dem eigenen Unternehmen einverleibt werden.

  • Arbeitnehmer sind mit der Anpassung an den von den Shareholdern erzwungenen ra-schen Strukturwandel überfordert. Ihre spezifischen Anpassungskosten übersteigen den letztendlich winkenden zusätzlichen Konsumentennutzen.

Previous Item Page Top Next Item

Shareholder- oder Stakeholder-Kapitalismus: eine zweitrangige Frage

Das „Effizienzmodell" des Shareholder-Kapitalismus ist in der Tat zu idealtypisch, um die durchwachsene Realität angemessen zu beschreiben. Aber auch das Alternativkonzept des Stakeholder-Kapitalismus abstrahiert von jener Bedingung, die für die Teilhabe der Arbeitnehmer am gesellschaftlichen Wohlstand die eigentlich entscheidende ist, nämlich dass Arbeitskraft knapp ist, dass es kein Überangebot gibt. Dies hat mit Wirtschaftswachstum und Arbeitsmarktverfassung zu tun. Unter widrigen makroökonomischen Bedingungen hat die „Deutsch-land AG" nicht Wohlstand für alle hervorgebracht, sondern ein zunehmendes Gefälle zwischen den Insidern und den Outsidern des Arbeitsmarktes. Nur erstere sind Stakeholder. Im anhaltenden Wirtschaftsboom der 90er Jahre ist andererseits auch im amerikanischen Shareholder-Kapitalismus die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer gestiegen.

Previous Item Page Top Next Item

Die politische Antwort: Wettbewerbs-, Wachstums- und Arbeitsmarktpolitik

Unabhängig davon, was man von den Vorzügen der Deutschland AG halten mag, erscheint es unzweckmäßig, dieses Modell auf Biegen und Brechen zu verteidigen. Denn der zunehmende Wettbewerb der Unternehmen um die Gunst der Anleger auf den Kapitalmärkten ist eine Realität, mit der man sich arrangieren muss. Gleichzeitig sind Zweifel angebracht, ob der neue Shareholder-Kapitalismus so fundamental andere Bedingungen setzt, wie es die idealtypische Betrachtungsweise nahelegt. Dies gilt vor allem dann, wenn die Unternehmen sowieso unter starkem Anpassungsdruck stehen.

Für eine an Gerechtigkeitszielen festhaltende Politik stellen sich vielmehr folgende Aufgaben:

Politik muss zusehen, dass der Wettbewerb auf den Güter- und Dienstleistungsmärkten die Produzentenrente möglichst weit abschmelzt. In dem Maße, wie dies gelingt, werden die Voraussetzungen für das „Effizienzmodell" des Shareholder-Kapitalismus hergestellt.

Wenn der vordringende Shareholder-Kapitalismus die unternehmensinterne Absicherung der Arbeitnehmerinteressen unterminiert, muß der Arbeitsmarkt diese Funktion übernehmen. Zunächst verlangt dies eine beträchtliche Weiterentwicklung des Arbeitsmarktes für qualifiziertes Personal. Auch ältere Arbeitnehmer müssen mit Wiedereinstellung ohne Herabstufung rechnen können.

Zentral ist jedoch etwas ganz anderes, nämlich die Überwindung der derzeitigen Situation des Arbeitskräfte-Überflusses. Dynamisierung der Volkswirtschaft und gewerkschaftliche Kartellisierung des Arbeitskräfte-Angebots umreissen die Gratwanderung, die dabei erforderlich ist.

Politik hat auch die Aufgabe, die Anforderungen der „Le-benswelt" und des Marktes gemäß gesellschaftlichen Präferenzen auszutarieren und nicht dem Markt bedingungslosen Vorrang einzuräumen. Dies setzt den Mobilitätsanforderungen, die der Shareholder-Kapitalismus verstärkt geltend macht, Grenzen. Weiterhin ist dafür Sorge zu tragen, dass die dauerhaften Verlierer Shareholder-induzierten Strukturwandels angemessen entschädigt werden. Und schliesslich fällt im Shareholder-Kapitalismus dem Staat wahrscheinlich eine (noch) größere Rolle bei der Bereitstellung von produktionsrelevantem Wissen und Humankapital zu.

Alfred Pfaller

Friedrich-Ebert-Stiftung, 5310 Bonn, fax: 0228 / 883 625, e-mail: PfallerA@fes.de


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 2000