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Teildokument zu: Ethnisierung der Politik in Bosnien-Herzegowina

Politische Gruppierungen im Schatten der ethnischen Parteien

Auf die politische Nachkriegsentwicklung werden zwei Faktoren einen entscheidenden Einfluß haben:

  1. Die politischen Verhältnisse innerhalb einzelner Ethnien, welche auch die Ergebnisse der für den Sommer l996 geplanten Parlamentswahlen bestimmen werden.
  2. Die politischen Verhältnisse zwischen den ethnischen Hauptgruppen, vor allem zwischen den Kroaten und Moslems in der proklamierten Föderation.

Der Krieg verstärkte die politische Homogenisierung innerhalb aller ethnischer Gruppen im Land. Diese ethnische Homogenisierung verhinderte jedoch die politische Pluralisierung innerhalb der ethnischen Gruppen, so daß noch immer die drei "alten" ethnischen Parteien (SDA, SDS und HDZ) bzw. ihre politischen Führungen einen entscheidenden Einfluß auf die politischen Orientierungen der Mehrheit ausüben. Diese Parteien werden mit großer Wahrscheinlichkeit einen neuen Wahlsieg erreichen und - wie nach den Wahlen von 1990 - als "Koalitionspartner" wieder auftreten. Aufgrund einer solchen Entwicklung wäre zu befürchten, daß politische Gespräche und die Bildung des Konsenses über die grundlegenden Staatsfragen äußerst erschwert werden. Die Erneuerung ethnischer Blöcke könnte wieder zur Obstruktion der Parlamentsarbeit und zum Scheitern des Parlamentarismus führen.

Trotz politischer "Monopolposition" dieser Parteien innerhalb "ihrer" Nationen, bestehen heute eine Reihe politischer Parteien und Organisationen - einige von ihnen wurden während des Krieges gegründet - welche als politische Opposition und "bürgerliche Alternative" zu großen ethnischen Parteien auftreten wollen.

Postkommunistische Parteien

Die erste Gruppe bilden die Nachfolgeorganisationen des Bundes der Kommunisten und ihrer Satelliten:

  • die Sozialdemokratische Partei (SDP),
  • die Union der Sozialdemokraten von Bosnien-Herzegowina (UBSD) und
  • die Liberale Partei (LP).

Außer gemeinsamer ideologisch-politischer Herkunft, haben diese Parteien noch ein wichtiges gemeinsames Merkmal: alle streben nach einer multiethnischen Mitgliedschaft und alle wollen eine "nicht-ethnische" oder, besser gesagt, "überethnische" bürgerliche Politik führen. In der praktischen Politik gelingt es ihnen aber nicht immer, eine "ethnische Balance" zu realisieren: sie treten nämlich als politische Gegner aller ethnischer Parteien hinsichtlich einer Reihe ideologisch-politischer Fragen auf, aber hinsichtlich der inneren verfassungsrechtlichen und politisch-institutionellen Ordnung des Staates stehen sie im Grunde ganz in der Nähe der moslemischen SDA..

Die direkte rechtlich-politische BdK-Nachfolgeorganisation ist die Sozialdemokratische Partei (SDP) unter der Führung von Dr. Nijaz Durakovic, der zu den kooptierten Mitgliedern des heutigen Präsidiums der Republik gehört. In den Wahlen von 1990 erlitt der BdK - der im Rahmen des ehemaligen Bundes der Kommunisten Jugoslawiens als besonders "monolithisch" und stark galt - eine schwere Niederlage: in der Verhältniswahl zur ersten Kammer erreichte er 10.3% der Stimmen und 11.5% der Sitze und in der Mehrheitswahl zur zweiten Kammer (dem "Haus der Gemeinden") nur vier von 110 Wahlkreismandaten. Nach den Wahlen zerfiel der BdK und die meisten seiner Mitglieder traten den ethnischen Parteien bei. Das geschah nicht nur auf der Staats-, sondern auch auf der lokalen Ebene, d.h. in den Gemeinderäten. Die SDP hat heute keine zahlreiche Mitgliedschaft und ihre wirkliche politische Bedeutung ist ziemlich begrenzt.

Die zweite wichtigere "Nachfolgepartei" ist die Union der Sozialdemokraten von Bosnien-Herzegowina (UBSD) unter der Führung von Selim Beclagic, den heutigen Bürgermeister von Tuzla. Diese Union entstand durch die Umbenennung des Bundes der Reformistischen Kräfte, der bosnischen Fraktion der Partei des ehemaligen jugoslawischen Ministerpräsident Ante Markovic, der 1990 als ökonomisch liberalere Fraktion des BdKJ gegründet wurde. In den 1990 durchgeführten Parlamentswahlen gewann er 7.2% der Stimmen und 9.2% der Sitze in erster Kammer. Die heutige politische Stellung der Union ist im großen Maß unbekannt und unklar. Einerseits trat ihre Führung zeitweise zusammen mit den radikallinken Organisationen und Parteien in anderen Nachfolgestaaten Jugoslawiens auf (z.B. mit der Sozialdemokratischen Union in Kroatien); anderseits unterhielt sie politische Kontakte mit den "bürgerlichen", "übernationalen" Parteien und Organisationen im Land.

Die dritte wichtigere Organisation in dieser Gruppe ist die Liberale Partei LP, die von Funktionären und Aktivisten des ehemaligen Bundes der Sozialistischen Jugend gegründet wurde. An der Spitze der LP steht Rasim Kadic, der ehemalige Präsident des Bundes der Sozialistischen Jugend und ein Parlamentsmitglied von l990.

Abspaltungen ethnischer Parteien

Die zweite Gruppe politischer Parteien und Organisationen, die sich als politische Konkurrenz zu den alten ethnischen Parteien profilieren wollen, bilden überwiegend die abtrünnigen Fraktionen dieser ethnischer Parteien. Sie profilieren sich zumeist ebenfalls als Nationalparteien, betonen jedoch im Unterschied zu den Stammparteien ihre "demokratische" und "anti-nationalistische" Natur.

Die serbischen und kroatischen Organisationen und Parteien in dieser Gruppe akzentuierten - und das ist das wesentliche Kennzeichen ihrer Politik - die bedingungslose Staatsloyalität und widersetzten sich der Politik der Staatsteilung, die ständig und militant von der SDS, zeitweilig und verhüllt auch von der HDZ geführt wurde. Die moslemischen Parteien und Organisationen in dieser Gruppe stellten sich vor allem gegen die konfessionellen Dogmatiker (sog. Fundamentalisten) in der SDA und befürworteten einen "säkularen" bosnischen Staat.

Die bedeutendste "pro-bosnische" Partei unter den Kroaten ist die Kroatische Bauernpartei HSS unter der Führung von Dr. Ivo Komcic, der heute als kooptiertes Mitglied des Präsidiums der Republik wirkte. Sie ist die größte "historische" Partei unter den Kroaten überhaupt, die nie nur eine "Schichtpartei" war. HSS unterstützt bedingungslos die moslemisch-kroatische Föderation; laut Aussagen ihrer Führer stammt von ihr sogar die ursprüngliche Initiative zur Föderationsbildung. Die "Versammlung der Kroaten" in Februar 1994 in Sarajewo - welche in der Tat ein Zusammentreffen verschiedener politischer, kultureller und konfessioneller Organisationen war - hat eine Erklärung über Bosnien-Herzegowina und einen Föderationsentwurf erlassen und den Kroatischen Volksrat (HNV) als Exekutivorgan gewählt. Bemerkenswert ist, daß dieser Föderationsentwurf nicht nur die Kroaten und die Moslems, sondern auch die Serben umfaßte. Diese Politik hatte die wichtige Unterstützung der katholischen Kirche, besonders ihrer oberen Hierarchie. Daneben konnte HSS in erster Linie auf die Unterstützung der in Sarajewo und im gesamten Gebiet "unter der Kontrolle der Armee Bosnien-Herzegowinas" lebenden Kroaten, d.h. auf jene außerhalb der "Kroatischen Republik Herceg-Bosna", zählen.

In Sarajewo hat Stjepan Kljuic - der ehemalige Präsident der HDZ von Bosnien-Herzegowina, heute Mitglied des Präsidiums der Republik - die Republikanische Partei RP gegründet. Sie sollte eine "reine" bürgerliche und patriotische Partei sein. Kljuic kritisierte alle ethnischen Parteien scharf, besonders seine ehemalige Partei HDZ, der er ein absolutes politisches Gehorsam und eine Servilität den Machthabern in Zagreb gegenüber und den Verlust von politischer Identität und Staatsloyalität vorwarf.

Die bekannteste serbische "pro-bosnische" Organisation ist der Serbische Bürgerrat unter der Führung von Dr. Ljubomir Berberovic. Er wurde in Sarajewo gegründet, d.h. in den "moslemischen Teilen" von Sarajewo. Dieser Rat will die "bürgerliche" und "pro-bosnische" politische Option unter den Serben Bosnien-Herzegowinas vertreten. Objektiv ist er jedoch zum Vertreter der Serben außerhalb der "Republika Srbska" reduziert. Nach der Gründung der moslemisch-kroatischen Föderation begann er die "konstitutive Rolle" der Serben auch in dieser Föderation zu fordern. Die künftige politische Rolle dieses Rates kann nur symbolisch sein: z.B. in der möglichen Bildung "symbolischer" multiethnischer Wahlkoalitionen, in nicht offiziellen politischen Gesprächen usw. Unter den Serben in der "Republika Srpska" hat er keinen Einfluß.

Neben der SDS wirken dort noch die extrem nationalistische Serbische Radikalpartei (SRS) und der neokommunistische und neo-jugoslawische Bund der Kommunisten - Bewegung für Jugoslawien SK-PJ.

Die heutige ethnische parteipolitische Konkurrenz der SDA stellen zwei Organisationen dar: die Moslemisch-bosniakische Organisation (MBO) und die Liberal-Bosniakische Organisation (LBO). MBO entstand schon vor den Wahlen von l990 als ideologisch-politisch abtrünnige Fraktion der SDA. Die Gründer - Dr. Adil Zulfikarpacic, ein in der Schweiz lebender politischer Emigrant, und Dr. Muhamed Filipovic, der hervorragende moslemische Intellektuelle und heutige bosnische Botschafter in Großbritannien - wollten im Unterschied von SDA eine Partei bilden, die eine moderne nationale statt konfessionelle Emanzipation (Bosniaken vs. Moslems) präferieren sollte. Sie traten als bosnische Integralisten auf und kritisierten anfangs die Politik aller ethnischer Parteien. In den Wahlen von l990 gewann MBO aber nur l.4% der Stimmen und zwei von l30 Sitzen in der ersten Parlamentskammer. Während des Krieges näherte sich MBO der SDA an, zersplitterte sich aber gleichzeitig wegen politischer und personeller Konflikte in eine Stammpartei MBO und in die abtrünnige Fraktion LBO. Diese Fraktionsparteien könnten sich mit einer möglichen abtrünnigen liberalen Fraktion der SDA verbinden und so ihre politische Bedeutung vergrößern.

Diese Ausgabe der Politikinformation Osteuropa stützt sich auf ein Papier von Mirjana Kasapovic, Zagreb

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© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998

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