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Teildokument zu: Modell Neuseeland?
8. Neuseeland als Modell: Die deutsche Rezeption
sieht nur die halbe Wahrheit
Die deutsche Presse widmete Neuseeland 1996 drei größere
Artikel: In der 11. Ausgabe (März) der Wirtschaftswoche, im Spiegel
Nr. 36 (September) und im Stern Nr. 38 (September).
Die Wirtschaftswoche stellt zwar
in der Überschrift noch ein Fragezeichen hinter das "Vorbild
für Europa", spricht aber im Text dann offen affirmativ vom "Musterland
Neuseeland, Vorbild für ein erstarrtes Europa". Die Gesamtdarstellung
ist ausgewogen. Trotz Betonung und plastischer Beschreibung der positiven
Errungenschaften kommen auch die Kritiker, vor allem aus Neuseeland, zu
Wort. Es fehlt aber eine Analyse, inwieweit die Erfolge der letzten Jahre
struktureller oder konjunktureller Natur sind.
Der Spiegel sieht in Neuseeland
ein Experiment und hält sich mit dem eigenen Urteil relativ zurück.
Das Urteilen überläßt er den vielen von ihm zitierten Bewunderern,
die die Reformen des Landes zur Nachahmung empfehlen. Seine Darstellung
folgt weitgehend der historischen Entwicklung, in deren Rahmen auch gelegentlich
deutlich wird, daß viele Neuseeländer mit der Reformpolitik
unzufrieden waren.
Im Vergleich zu den ersten beiden
Blättern preist der Stern Neuseeland fast marktschreierisch als Wirtschaftswunderland
an, in das Bundesfinanzminister Waigel rasch fahren sollte. Der historische
und politische Hintergrund und Zusammenhang der Reformen bleibt weitgehend
ausgeblendet. Bestimmte Politiken werden mit der deutschen Praxis kontrastiert
und ihre Überlegenheit unterstellt. Die im Artikel erwähnten
Neuseeländer sind alle mit den Reformen zufrieden und haben von ihnen
profitiert. Die politischen Reformen (Wahlrecht) tauchen nicht auf und
die im nächsten Monat anstehenden Wahlen mit der absehbaren Teilniederlage
der Regierungspartei werden verschwiegen.
Mit dieser Sichtweise ordnen sich die Blätter in eine Gesamtlinie
der Darstellung der neuseeländischen Reformen in Europa (und auch
USA) ein, die den Modellcharakter mehr oder weniger stark herausstreicht.
Dies trifft vor allem für die konservativ-liberale Presse wie Economist,
Financial Times, Neue Züricher Zeitung etc. zu.
Im Oktober 1996 gaben drei deutsche Stiftungen (Bertelsmann-, Nixdorf-
und Ludwig-Erhard-Stiftung) im Rahmen ihres gemeinsamen Forschungsprogramms
"Weiterentwicklung und Perspektiven der Sozialen Marktwirtschaft"
ein Büchlein des australischen Professors Wolfgang Kasper mit dem
Titel "Die Befreiung des Arbeitsmarkts. Neuseelands Wirtschaft im
Aufschwung" heraus. Die Vorsitzenden der drei Stiftungen preisen in
ihrem Vorwort Neuseeland als Erfolgsbeispiel für die deutsche "Misere",
auch wenn sie vorsichtshalber noch anfügen, es könne nicht als
"Blaupause für die Lösung der hiesigen Probleme" dienen.
Kasper gibt einen knappen, aber umfassenden und soliden Überblick
über den gesamten Reformprozeß. Er widmet sich dann besonders
dem Arbeitsvertragsgesetz von 1991 und seinen Folgen und seiner Beurteilung
durch die Tarifparteien in Neuseeland. Kasper beurteilt die Reformen abgesehen
von den oben unter 7. erwähnten Inkonsistenzen sehr positiv. Er geht
davon aus, daß sich der Erfolgskurs aufgrund der hohen Flexibilität
und Wettbewerbsfähigkeit Neuseelands langfristig weiter fortsetzen
wird.
Das größte Defizit der Arbeit von Kasper ist die kaum ausgeprägte
Analyse der Bedingungen der neuseeländischen Reformen, die auch für
die Frage der Übertragbarkeit entscheidend sind. Nach Kaspers idealistischer
Darstellung gab es einen breiten Reformkonsens in der Bevölkerung,
den eine umsichtige Regierung pflegte. Er verliert kein Wort über
das spezifische politische System ("gewählte Diktatur")
oder andere strukturelle Faktoren wie etwa seine geringe internationale
politische Einbindung. Auch fällt seine Begründung relativ mager
aus, warum sich Neuseelands Aufschwung langfristig fortsetzen wird. Damit
reiht sich Kasper letztlich doch in die Reihe der übrigen Veröffentlichungen
ein, mit denen das deutsche Publikum in der aktuellen Standort- und Globalisierungsdebatte
für die Reformen gewonnen werden soll.
Der Fall Neuseeland belegt allerdings, daß ein in der Standort- und
Globalisierungsdebatte oft vertretenes Vorurteil nicht zutrifft: Die nationale
Politik hat keineswegs ihr Handlungsspielräume an den Weltmarkt verloren,
sondern es ist möglich, durch innere Reformen die Leistung der eigenen
Wirtschaft erheblich zu beeinflussen. Die gesamte Berichterstattung blendet
aber einen entscheidenden Aspekt aus. Auch wenn man - was viele Neuseeländer
nicht tun - die Reformen als klaren Erfolg bewertet, inwieweit sind sie
auf Europa und insbesondere Deutschland übertragbar ? Diese Frage
versucht der folgende Abschnitt zu beantworten.
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fes-library | März 1998
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