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Teildokument zu: Modell Neuseeland?


7. Neuseeland hat das Reformpferd vom Schwanz aufgezäumt

Offensichtlich hat die Reform eine Reihe erheblicher Übergangsprobleme verursacht. In den ersten Jahren blieben Inflation, Zinsen und die Defizite im Haushalt und im Außenhandel sehr hoch. Dann stieg mit der Rezession, die die vorherigen Probleme "löste", die Arbeitslosigkeit massiv an. Erst nach etwa zehn Jahren bewegten sich alle Indikatoren in eine positive Richtung.
Diese Kosten entstanden durch eine unglückliche Bestimmung der Reihenfolge (sequencing) der Reformschritte. Diese Bestimmung erfolgte weniger nach einem Konzept als nach einer politischen Logik. Trotz allen Reformeifers verzögerte die Labourparty harte Eingriffe bei den Staatsausgaben, also in den Sozialstaat und in den Arbeitsmarkt. Damit verursachte sie eine Reihe von Folgeproblemen wie die überbewertete Währung, die ihrerseits die Wettbewerbsfähigkeit und Rentabilität der neuseeländischen Industrie untergrub und die Gewichtung von Export- und Binnenmarktorientierung verzerrte.
Der schwerste Fehler war es, die Stabilisierung zu verschieben. Die vorzeitige Liberalisierung der Kapitalmärkte bei weiter hoher Kreditnachfrage des Staates und restriktiver Geldpolitik mußte die Zinsen erhöhen und den Zustrom ausländischen Kapitals verstärken. Damit stieg der frei gegebene Kurs des neuseeländischen Dollars. Die fast gleichzeitige und nur wenig langsamere Liberalisierung des Außenhandels setzte die einheimische Industrie unter zusätzlichen Konkurrenzdruck. Auf den mußte sie mit Produktivitätssteigerungen und Personalabbau reagieren. Unter den Bedingungen eines immer noch relativ regulierten Arbeitsmarktes führte das zu einer hohen Arbeitslosigkeit, da die für eine alternative Beschäftigung notwendigen Absenkungen der Arbeitskosten (Transaktionskosten auf dem Arbeitsmarkt, Reallöhne) nur langsam, wenn überhaupt eintraten.
Das neuseeländische Vorgehen läßt sich besser aus politischen Faktoren und dem Diskurs erklären, in dem das Reformkonzept entwickelt wurde. Die richtige Reihenfolge von Reformschritten war und ist in der Wirtschaftswissenschaft umstritten. Anfang der 80er Jahre gab es gewisse Erfahrungen aus den Anpassungsprogrammen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, die sich meist auf hoch verschuldete Entwicklungsländer mit Zahlungsbilanzproblemen bezogen. Die gesamte Debatte über umfassende Systemreformen nahm erst 1989 mit dem Zusammenbruch des Kommunismus einen größeren Aufschwung, allerdings mehr als Kontroverse zwischen Schocktherapie und gradualistischer Reform.
Die neuseeländische Reformdebatte war dagegen stärker von wirtschaftstheoretischen Überlegungen geprägt. In den 70 und 80er Jahren fanden in der Ökonomie neben einer immer stärkeren monetaristischen Kritik am Keynesianismus eine Reihe von Ansätzen (public choice, principal-agent, etc.) zunehmende Beachtung, die das Handeln des Staats und anderer kollektiver Akteure kritisch analysierten. Sie stellten dabei häufig ein relatives Versagen im Vergleich zur marktmäßigen Steuerung fest. Dieser theoretische Diskurs verband sich mit den Wahlerfolgen konservativer und neoliberaler Politiker (Reagan, Thatcher) Anfang der 80er Jahre.
In der neuseeländischen Labourparty standen sich bis 1984 zwei Reformströmungen gegenüber: die letztlich tonangebenden Umstrukturierer um Douglas und die Korporatisten, die eine gesllschaftlich gesteuerte, stärker interventionistische Politik befürworteten. Bis 1983 vertrat auch Douglas zwar marktwirtschaftliche, aber noch relativ gemäßigte Reformen, die sich vor allem auf die Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen konzentrierten und etwa in der Währungspolitik für feste Wechselkurse eintraten.
Ab Mitte 1983 machte sich zunehmend der Einfluß der Experten des Schatzministeriums (Treasury) geltend, die stark von der internationalen neoliberalen Strömung beeinflußt waren. Die Treasury verfügte über die höchste Konzentration ökonomischen Sachverstands in Neuseeland. Traditionell ordnete sie immer einen Ökonomen ab, um im Büro des Oppositionsführers zu arbeiten. 1983/84 arbeitete dort Doug Andrew, der offensichtlich Douglas überzeugen konnte.
Daß Douglas sich in der Partei und in der 1984 gewählten Labourregierung durchsetzte, war eher eine Folge der Panik, die nach den überraschend angesetzten Wahlen, dem ebenfalls überraschenden Wahlsieg von Labour und der daraus resultierenden Krise mit massiven Druck auf den neuseeländischen Dollar und der 20%igen Abwertung entstand. Die wirtschaftspolitischen Papiere der Labour Party vor der Wahl spiegelten zwar schon viele Konzepte von Douglas wider, unterstrichen aber immer noch ein gradualistisches und konsensuales Vorgehen. Genau diese Aspekte fielen dann dem Handlungsdruck zum Opfer.
Die rasche Folge drastischer Reformmaßnahmen raubte der innerparteilichen Opposition weitgehend den Atem - eine Nebeneffekt, der den Reformern wohl nicht entging. Sie behielten diesen Stil bei und wurden bis 1988 auch durch Erfolge belohnt, die die Opposition weiter schwächten. Erst danach kam es zu den oben erwähnten tiefen Auseinandersetzungen innerhalb der Labourparty, die schließlich zur Abschwächung des Reformprozesses und zum Sieg der National Party 1991 führten.
Erst die National Party griff die bis dahin vernachlässigten Bereiche der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik auf und vollendete damit das gesamte Reformpaket. Aber für diese politisch bestimmte Reihenfolge bezahlte Neuseeland mit deutlichen Einbußen bei Wachstum und Beschäftigung durch eine Verlängerung der Rezession zur Halbzeit des Reformprozesses.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998

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