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Teildokument zu: Modell Neuseeland?
9. Die Übertragbarkeit: Nicht immer nötig,
oft unmöglich, aber trotzdem bedenkenswert
Prüft man die Übertragbarkeit auf Deutschland, so ist es sinnvoll,
zunächst die Notwendigkeit zu untersuchen, indem man die neuseeländische
Krise mit der deutschen vergleicht. Als zweites stellt sich die Frage,
inwieweit die neuseeländischen Reformpolitiken in Deutschland überhaupt
durchführen lassen und hier ähnliche Effekte zeigen würden.
Schließlich sind die Aspekte herauszuarbeiten, die sowohl sinnvoll
als auch machbar erscheinen.
a) Vergleichbarkeit des Reformbedarfs:
Das Ausmaß der Probleme Neuseelands am Beginn des Reformprozesses
1984 waren in wichtigen Bereichen erheblich größer als etwa
in Deutschland 1996: das Zahlungsbilanzdefizit betrug 10% des BSP, das
Haushaltsdefizit 8%, die Inflation trotz Kontrollen fast 10%, die Währung
stand unter dauerndem Abwertungsdruck, die Zahl der Arbeitslosen hatte
sich innerhalb von drei Jahren auf eine Rate von 4-5% verdoppelt. All dies
trifft auf Deutschland trotz allen Standortgeunkes nicht zu. Nur die Arbeitslosigkeit
liegt mit 10% in Deutschland erheblich höher. Dieses Niveau erreichte
Neuseeland erst 1991.
In anderen Bereichen weist Deutschland kaum Reformbedarf auf, z.B. in der
Preisstabilität. Die Bundesbank ist immer noch unabhängiger als
die neuseeländische Zentralbank. In der Privatisierung liegt Deutschland
inzwischen nicht mehr weit hinter Neuseeland zurück. Die in Neuseeland
abgeschaffte Zwangsmitgliedschaft in Gewerkschaften gab es in Deutschland
nicht. Selbst beim Beschäftigungswachstum schneidet Deutschland zwischen
1985 und 1995 mit einer jährlichen Zuwachsrate von 0,8% im Durchschnitt
doppelt so gut ab wie Neuseeland (BIZ-Jahresbericht 1996, S.22). Die handelspolitische
Protektion lag in Deutschland seit langem niedriger als in Neuseeland 1984.
Im Wahlrecht ist Neuseeland dem deutschen Vorbild gefolgt - ob zu seinem
Nutzen oder Schaden, sei dahingestellt.
Aber die Erfolge Neuseelands sind als solche vorbildlich, worauf sich auch
die Presseberichte konzentrieren. Der Abbau der Arbeitslosigkeit um 40%,
der Umschwung im Staatshaushalt zu einem Überschuß und die jüngsten
Wachstumsraten von über 5% sind alle wünschenswerte Ziele auch
der deutschen Wirtschaftspolitik.
b) Vergleich der Reformfähigkeit:
Neuseeland konnte seine Reformen in dieser Härte und Geschwindigkeit
nur aufgrund der spezifischen politischen Bedingungen der "gewählten
Diktatur" durchführen. Eine deutsche Bundesregierung verfügt
weder nach innen noch nach außen über die entsprechenden Kompetenzen.
Nach innen müßte sie über eine Zwei-Drittel-Mehrheit im
Parlament verfügen, um alle verfassungsrechtlichen Hürden für
radikale Reformen überwinden zu können. Der Widerstand allein
der Länder, der Gemeinden und des Bundesverfassungsgerichts, ganz
zu schweigen von Interessenverbänden, wäre trotzdem erheblich,
und politisch wäre daher in der Mediendemokratie mit ihren häufigen
Umfragen das Reformmomentum kaum durchzuhalten. Nach außen müßte
sie vielleicht sogar bereit sein, die EU zu verlassen, um notfalls auch
ohne Zustimmung der EU-Organe entsprechende Reformen (z.B. in der Agrarpolitik)
durchzusetzen.
Den formell-rechtlichen Unterschieden entsprechen eine Reihe ebenso schwer
wiegender realer Unterschiede. Deutschlands Bevölkerung ist 20mal
größer und es ist nach außen erheblich verflochtener als
Neuseeland. Schon geographisch liegt es in der Mitte eines Kontinents und
ist keine sehr abgelegene Insel. Mit über 12% der Weltexporte kann
Deutschlands Exportstrategie keine Nischenstrategie sein. Auch beim Arbeitsmarkt
ist Vorsicht geboten. Entstünden in Deutschland entsprechend viele
neue Arbeitsplätze wie in Neuseeland zwischen 1993 und 1996, also
für etwa 10% der Beschäftigten, so kann das trotzdem dazu führen,
daß die Arbeitslosigkeit nur wenig zurückgeht. So wurden in
Westdeutschland zwischen 1984 und 1992 3-4 Millionen neuer Arbeitsplätze
geschaffen, ohne daß die Arbeitslosenrate massiv absank, da neue
Arbeitskräfte, darunter viele aus dem Ausland, auf den Markt strömten.
c) Bewertung der Reformpolitiken
Aus den beiden vorhergehenden Punkten ergibt sich, daß
in einigen Bereichen entweder kaum Reformbedarf besteht und/oder die Voraussetzungen
für eine nationale deutsche Reformpolitik fehlen. Trotzdem verbleiben
eine Reihe von Politikfeldern, auf denen die neuseeländischen Reformen
Anregungen für Verbesserungen in Deutschland geben können. Dazu
zählt insbesondere die Steuer- und Haushaltspolitik, die Neuseeland
erheblich klarer und freier von Verzerrungen gestaltet hat. Die Steuersätze
sind beschränkt und einheitlich ohne große Abschreibungsmöglichkeiten.
Der Staatshaushalt unterliegt buchhalterischen Grundsätzen, die keine
Verschleierung von Defiziten durch Nebenhaushalte ermöglichen. Die
Einführung betriebswirtschaftlicher Organisations- und Managementverfahren
könnte auch in Deutschland die Effizienz der öffentlichen Verwaltung
verbessern, allerdings bei absehbaren Konflikten, vor allem mit dem Berufsbeamtentum.
Der Abbau von Subventionen entlastet nicht nur den Staatshaushalt, sondern
enthüllt auch die wirkliche Wettbewerbsfähigkeit einzelner Unternehmen.
Insgesamt liegt der Wert der neuseeländischen Reformen für die
europäische und deutsche Politik mehr in ihrer grundsätzlichen
Philosophie der Verantwortlichkeit und Klarheit. Personen und Institutionen
erhalten fest umrissene Aufgaben, deren Erledigung honoriert und deren
Vernachlässigung bestraft wird. Im Privatsektor übernimmt der
Markt diese Aufgabe weitgehend, ohne daß ihn der Staat daran hindert.
Im Staatssektor gelingt es durch ein System klarer Regeln. Die Armen erhalten
eine soziale Grundsicherung, die aber keine Entschuldigung für das
Unterlassen weiterer Anstrengungen darstellt.
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fes-library | März 1998
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