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Teildokument zu: Modell Neuseeland?
6. Die Ergebnisse der Reformen
Der Reformprozeß dauerte im Kern von 1984 bis mindestens 1993
und setzt sich in einigen Bereichen weiter fort. Die Zuordnung von Ursachen
(Reformmaßnahmen) und Folgen über den Zeitraum ist daher nicht
immer klar und eindeutig.
Die volkswirtschaftlichen Ergebnisse der Reformen sind recht überzeugend.
Die Inflation ist nach einem starken Anstieg bis 1986 ständig gefallen
und liegt seit 1992 bei unter 2%. Das Wachstum blieb lange bescheiden (Ausnahme
1985) und schwankte stark zwischen Rezession und kurzen Erholungen. Erst
1993 setzte ein deutlicher Aufschwung ein: 1993: 3%; 1994: über 5%;
1995: über 6%. Die Prognosen für 1996 und die Folgejahre liegen
niedriger, aber um die 3%. Die Arbeitslosigkeit stieg bis 1993, also über
die gesamte Reformperiode, fast kontinuierlich an. Allein im Staatsdienst
fiel die Anzahl der Beschäftigten von 88.000 auf 36.000. Das Verkehrsministerium
hatte statt ursprünglich 4000 nach den Reformen nur noch 60 Beamte
und Angestellte. Die privatisierte Bahn entließ 16.000 von 21.000
Arbeitnehmer. Die Beschäftigung in der verarbeitenden Industrie fiel
von 330.000 auf 240.000 zwischen 1986 und 1991. Die Baubranche, die bis
1987 noch eine hohe Nachfrage hatte, verlor bis 1990 40% ihrer Arbeitskräfte.
Die Arbeitslosigkeit erreichte ihren Höchststand 1992 mit über
10% und ist seitdem deutlich auf 6% zurückgegangen. Zwischen 1991
und 1995 entstanden 150.000 neue Arbeitsplätze. Auch die Langzeitarbeitslosigkeit
ging deutlich zurück (um 35% von 1994 bis 1995). Die Jugendarbeitslosigkeit
liegt zwar höher als der Durchschnitt, sinkt aber ebenfalls. Die meisten
Arbeitnehmer investieren stärker in ihre Qualifikation, die insgesamt
spürbar zugenommen hat. Die Prognosen sehen weitere Beschäftigungszuwächse
voraus. Die Zahlungsbilanz blieb wegen der steigenden Importe negativ,
aber finanzierbar. Das Haushaltsdefizit überschritt seit 1987 kaum
je 3% des BSP. Seit 1993 weist der Staatshaushalt einen Überschuß
aus, der 1994 und 1995 über 2% des BSP betrug.
Die Verbesserung der entscheidenden Indikatoren, Wachstum und Beschäftigung,
ist also jüngeren Datums und könnte eher konjunktureller als
struktureller Art sein. Nur wenn die günstigen Prognosen bis 1998
zutreffen, kann man von einem wirklichen Erfolg der Reformen sprechen.
Für eine optimistische Interpretation sprechen einige Faktoren. Die
Exportstruktur hat sich deutlich diversifiziert, vor allem in der Güterzusammensetzung.
Der Ausfuhranteil der klassischen Agrarprodukte ging zugunsten von Fertigwaren
und Dienstleistungen zurück. Zu den Erfolgsstories gehören der
Sportbootebau und die Software-Industrie. Ausländische Direktinvestitionen
nahmen zu. Neuseeland hat eine inzwischen international anerkannt hohe
Standortqualität, die ihm in der Rangliste des Davoser World Econmic
Forum den dritten Platz hinter Singapur und Hongkong bescherte.
Obwohl die Privatwirtschaft im allgemeinen die Reformen unterstützte,
war sie doch von der Härte des Anpassungsdruck überrascht und
brauchte Jahre zur Umstellung. Der Boom der ersten Jahre bis 1984-87 verschleierte
die Probleme noch, aber danach begannen die Firmen mit massiven Anstrengungen
zur Produktivitätssteigerungen, die sich zunächst in Entlassungen
ausdrückten. Einige Sektoren wie z.B. Haushaltselektonik verschwanden
völlig, da sie nur dank der hohen Protektion existiert hatten. Allerdings
wuchs die Beschäftigung im Dienstleistungssektor während der
ganzen Zeit. Die übrige Wirtschaft begann nach Jahren des Beschäftigungsabbaus
erst ab 1993 wieder mit Neueinstellungen.
Die Haushalte litten zwischen 1987 und 1992 unter Einkommensstagnation
und Verschuldungsproblemen. Ihnen standen aber Liberalisierungsnutzen gegenüber,
in Form größerer Auswahl an importierten Gütern, Preisstabilität
und besserem Service. Die Lohnquote sank von 55% 1983 auf 43% 1993. Die
Lohnspreizung nahm ebenso zu wie die Ungleichheit der Einkommensverteilung.
Die Reform der Arbeitsgesetzgebung und die Entlassungswelle schwächten
die Gewerkschaften erheblich. Aufgrund der Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft
sank der Organisationsgrad um mindestens die Hälfte. Allein in der
Zeit nach der Verabschiedung des neuen Arbeitsgesetzes (ECA) 1991 sank
er von vorher 65% in sechs Monaten auf 56% und bis 1993 auf 43%. Die Anzahl
der Gewerkschaften ging von 259 im Jahr 1985 auf 67 - allerdings größere
- Gewerkschaften 1993 zurück.
Die politische Landschaft Neuseelands veränderte sich ebenfalls radikal.
Die Labourparty verlor in den ersten Jahren der Reform fast 90% ihrer etwa
100.000 Mitglieder (gewann aber trotzdem die Wahlen 1987). Die Wähler
wechselten stärker, da die Parteien nicht mehr die traditionellen
Werte und Interessen ihrer jeweiligen Klientel zu verkörpern schienen.
Die Bevölkerung gab den beiden großen Parteien, Labour und National,
einen deutlichen Rüffel mit der Volksabstimmung zum Verhältniswahlrecht.
Obwohl beide Parteien sich überwiegend dagegen aussprachen, stimmten
53% der Wähler dafür. Die Wahlen am 12. Oktober führten
zur relativen Entmachtung der großen Parteien. Dies dürfte das
Ende des neuseeländischen Systems der "gewählten Diktatur"
einläuten und künftige radikale Reformen spürbar erschweren.
Schon die Regierungsbildung nach dem 12. Oktober 1996 dauerte mit zwei
Monaten für neuseeländische Verhältnisse, die seit Jahrzehnten
keine Koalitionsregierung gekannt hatten, extrem lange. Die schließlich
gebildete Koalition von National und der populistischen "New Zealand
First" verfügt nur über einen Sitz Mehrheit und ist angesichts
der problematischen Loyalitäten der Populisten, die vor allem Maoris
und weiße Pensionäre vertreten, wahrscheinlich auf gelegentliche
Unterstützung anderer Parteien angewiesen. Der Reformeifer ist erst
einmal gebrochen. Die neue Mitte-Rechts-Regierung hat höhere Sozialausgaben
und eine schwächere Stabilitätsvorgabe (0-3% statt vorher 0-2%
Inflationsziel) an die Zentralbank angekündigt. Eine von National
im Wahlkampf versprochene Steuersenkung wird zugunsten einer Steuerentlastung
von Pensionären verschoben. Über eine von Peters, dem Vorsitzenden
von "New Zealand First" und neuen Finanzminister, angestrebte
Zwangsrentenversicherung findet ein Referendum statt, dem man aber kaum
Erfolgsaussichten zuspricht.
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fes-library | März 1998
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