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Teildokument zu: Modell Neuseeland?


5. Die Reformen der National Party 1990 - 1996

Die National Party setzte nach ihrem triumphalen Wahlsieg 1990 einerseits die Reformpolitik der Labourregierung fort, weitete sie aber andererseits auf die Sozialpolitik und den Arbeitsmarkt aus. Eines der wichtigsten Ziele der neuen Regierung war die Senkung der Staatsausgaben. Zu diesem Zweck formulierte sie ein Wirtschafts- und Sozialprogramm mit folgenden Elementen:

Senkung der Sozialleistungen: Die Regierung kürzte die Sozialhilfe um bis zu 25% und vereinheitlichte das Arbeitslosengeld. Gleichzeitig verschärfte sie die Berechtigungsbedingungen. So wird Arbeitslosen, die zwei Arbeitsangebote abgelehnt haben, die Arbeitslosenunterstützung gesperrt. Das Rentenalter wurde von 60 auf 65 erhöht.
Gesundheitsreform: Auch im Gesundheitssektor wandte Neuseeland die Reformprinzipien an, die schon für die allgemeine Staatsverwaltung galten: weniger Inputorientierung, dafür Wettbewerb und Outputvorgaben. So richtete die Regierung regionale Gesundheitsgremien (health boards) ein, die unter bestimmten Haushaltsvorgaben bestimmte Leistungen für die in ihrer Region lebenden Anspruchsberechtigten anbieten mußten. Diese Leistungen konnten sie am Markt ausschreiben, wodurch eine Konkurrenz zwischen öffentlichen und privaten Anbietern von Gesundheitsdienstleistungen entstand. Die Regierung führte außerdem einkommensabhängige Gebühren für diese Leistungen ein. Die von der Accident Compensation Commission geregelte Unfallversicherung wird mit Hilfe zusätzlicher Steuern auf Löhne, Treibstoff, Alkohol und Tabak umstrukturiert
Erziehungsreform: Das Bildungswesen wurde ähnlich umstrukturiert. Entscheidungszentern wurden von den Eltern gewählte Schulgremien (school boards), die über die Höhe und Struktur der Ausgaben (Lehrerentlohnung oder Investitionen) bestimmen. Schulleiter erhalten Zeitverträge. Die Schulen erhalten ein Budget, das von der Anzahl der eingeschriebenen Schüler abhängt. Im Universitätsbereich führte die Regierung Studiengebühren ein. Studenten können Stipendien erhalten, aber nur als Kredit.
Reform der Wohnungspolitik: Ab 1993 werden die Mieten für Mieter der Housing Corporation auf Marktniveau angehoben.
Arbeitsmarktreform: Das Gesetz über Arbeitsverträge (Employment Contracts Bill) von 1991 gab die Verhandlung von Arbeits- und Tarifverträgen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf kollektiver und/oder individueller Basis frei. Es untersagte jede Form von Zwangsmitgliedschaft und unterstrich die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft in Gewerkschaften. Damit beendete sie die Monopolstellung der Gewerkschaften im Vergleich zu einzelnen Arbeitnehmern und Vereinigungen und eröffnete eine Konkurrenz unter den Gewerkschaften. Das Streikrecht wurde restriktiver geregelt. Streiks waren nur noch auf Unternehmensebene nach Ablauf des jeweils gültigen Arbeitsvertrages und einer Abstimmung im zu bestreikenden Unternehmen zulässig. Beibehalten wurde der Mindestlohn, Teile des Kündigungsschutzes und die besondere Arbeitsgerichtsbarkeit. Die Anzahl der durch Streiks verlorenen Arbeitstage ging ab 1992 deutlich zurück. Der von den Gewerkschaften befürchtete Reallohneinbruch blieb aus. Befragte Arbeitgeber unterstrichen als Haupteffekt der neuen Gesetzgebung die höhere Flexibilität.
Die Regierung setzte das Privatisierungsprogramm energisch fort und verkaufte u.a. die Eisenbahn (New Zealand Rail), Export Guarantee Ltd., Bank of New Zealand sowie Holzfällrechte. Sie reformierte das Haushaltsrecht des Staates und ergänzte den bisher üblichen Haushalt durch eine
Vermögensbilanz, der auch Verbindlichkeiten wie Renten- und Pensionszahlungsverpflichtungen erfaßte.
1994 verabschiedete das Parlament das Gesetz zur Finanzverantwortung (Fiscal Responsibility Act), das die Regierung u.a. zur Einhaltung der folgenden Prinzipien verpflichtet:

Der Haushalt soll so lange Überschüsse aufweisen, bis die Staatsverschuldung auf ein akzeptables Niveau gefallen ist.
Dieses Niveau ist dadurch zu halten, daß der Haushalt langfristig ausgeglichen ist.
Das Nettostaatsvermögen sollte einen Umfang erreichen und beibehalten, der einen gewissen Puffer gegen negative Schocks bietet.
Die Regierung sollte ihre Politik so gestalten, daß sie mit den zu erwartenden Steuereinkünften im Einklang ist.

Motor der Reformen innerhalb der Regierung war wiederum das Finanzministerium, zunächst unter Ruth Richardson. Sie teilte Roger Douglas' Schicksal. Da die Wirtschaft in der ersten Legislaturperiode 1990-93 weitgehend in der Rezession verblieb, löste Premierminister Bolger sie nach der Wahlschlappe 1993 ab.
In die Zeit der konservativen Regierung fällt eine weitere Reform, die allerdings das Volk gegen der Willen der Regierungspartei durchsetzte: die Wahlrechtsreform. Bei den Wahlen 1993 sprach sich eine Mehrheit in einem Referendum für den Übergang zum Verhältniswahlrecht aus, das bei den Wahlen am 12. Oktober 1996 zum ersten Mal angewandt wurde. Bei diesen Wahlen wurde die National Party zwar mit 44 von 120 Sitzen wieder stärkste Partei, konnte aber ohne Koalitionspartner nicht regieren. Sie hat sich nach langen Verhandlungen zu einer Koalition mit der populistischen Partei "New Zealand First" von Winston Peters entschlossen, mit der zusammen sie gerade mal über 61 der 120 Parlamentssitze verfügt. Sie kann aber auf gelegentliche Unterstützung durch kleinere Parteien wie die von den alten Reformpolitikern Douglas und Prebble geführte Assoziation der Konsumenten und Steuerzahler (ACT) zählen.. National mußte allerdings an Peters Zugeständnisse bei der Stabilitäts- und Sozialpolitik machen


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998

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