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Teildokument zu: Modell Neuseeland?
4. Die Reformen unter den Labour-Regierungen
1984-1990
Unmittelbar nach ihrem Regierungsantritt begann die Labour-Regierung
mit den ersten Reformen, deren Grundlagen schon in den Vorjahren eine parteinahe
Arbeitsgruppe ("Opposition Research Unit") unter Beteiligung
von Mitarbeitern des Finanzministeriums (Treasury) unter Leitung von Roger
Douglas erarbeitet hatte. Zwei Reformphasen lassen sich unterscheiden:
1. Die Liberalisierung während der ersten Legislaturperiode (1984-87)
konzentrierte sich auf die Deregulierung und die Rücknahme staatlichen
Einflusses mit dem Ziel, die Marktkräfte zu entfalten und geschützte
und privilegierte Marktpositionen aufzubrechen.
2. Die Reform des Staatssektors bildete den Schwerpunkt in der zweiten
Legislaturperiode (1987-90). Sie versuchte, bisherige Staatsunternehmen
zu privatisieren und betriebswirtschaftliche Prinzipien in die Verwaltung
einzuführen.
Die Regierung ergriff dabei folgende Maßnahmen in den verschiedenen
Politikbereichen:
Währungspolitik:
Die Regierung wertete den Kurs des neuseeländischen Dollar zunächst
um 20% ab und gab ihn später (1985) frei. Dabei entschied sie sich
für die radikale Variante des "clean floating" mit flexiblen
Wechselkursen ohne Zentralbankinterventionen statt gemischter Former wie
etwa "dirty floating" (mit beschränkten Interventionen)
oder "crawling peg" (stufenweise kontrollierte Abwertung in Abhängigkeit
von Inflationsdifferenzen zu wichtigen Handelspartnern). Entgegen den Erwartungen
der Regierung stieg der Kurs des neuseeländischen Dollar bis 1988
stark an. Das neue vertrauen internationaler Investoren und die hohen Zinsen
führten zu einer realen Aufwertung aufgrund der starken Devisenzuströme,
wodurch aber die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der neuseeländischen
Exporteure beeinträchtigt wurde.
Handelspolitik:
Die Regierung hob Importkontrollen schrittweise auf und senkte die Zölle.
Neuseeland hatte als einziges Industrieland noch quantitative Importbeschränkungen
und ein System der Vergabe von Importlizenzen. Die Regierung beseitigte
bis 1989 diese Handelshindernisse mit Ausnahme der Branchen mit Umstrukturierungsplänen
(ca. ein Drittel der Industrie, darunter Schuhe, Bekleidung, Textil), in
denen erst die konservative Regierung 1991/92 die Kontrollen aufhob. Sie
senkte zwar alle Zölle über 25%, aber auch 1990 zählten
die neuseeländischen Zölle zu den höchsten in der OECD.
Erst 1990 verkündete die Regierung einseitige Senkungen der Zollsätze
auf maximal 20% bis 1992 und maximal 10% bis 1996. Sie reduzierte die Exportsubventionen.
Besonders wichtig war die Freihandelszone mit Australien (Closer Economic
Relations Act), die eine Reihe von Liberalisierungsmaßnahmen bilateral
durchführte, bevor sie multilateral angewandt wurden.
Subventionen:
Die Regierung baute die Subventionen für die Landwirtschaft
und die Industrie ab. Diese Subventionen waren ursprünglich eingeführt
worden, um die Produzenten für die zollbedingt hohen Kosten der Importe
zu entschädigen. In einigen Fällen hatten sie Ausmaße erreicht,
bei denen der Wert der Endprodukte zu Weltmarktpreisen unter denen der
Vorprodukte zu Weltmarktpreisen lag, die Verarbeitung in Neuseeland also
eine negative Wertschöpfung darstellte, so z.B. bei Lammfleisch und
in der Milchverarbeitung. Bis 1988 baute die Regierung diese Subventionen
auf null ab. In der Industrie erfolgte der Abbau langsamer.
Preis- und
Wettbewerbspolitik: Die Regierung schaffte die Lohn- und Preiskontrollen
weitgehend ab. Sie erhöhte die Preise für Energie und Straßenbenutzung
auf ein kostendeckendes Niveau. Die seit den 30er Jahren bestehenden Mindestpreise
für Benzin und einige landwirtschaftliche Produkte wurden aufgehoben.
Der Commerce Act von 1986 ersetzte Preiskontrollen durch eine allgemeine
Preisüberwachung, die effektiv kaum genutzt wurde. Das Gesetz sah
außerdem eine strengere Kontrolle von wettbewerbsgefährdenden
Unternehmenszusammenschlüssen vor.
Deregulierung:
Staatlich regulierte Märkte wurden liberalisiert, z.B. Finanzmärkte,
Ladenöffnungszeiten, Luftverkehr, Güterferntransport (Ende des
vorher dafür gültigen Bahnmonopols), Taxis, Häfen etc..
Die Regierung gab den Kapitalverkehr mit dem Ausland frei, wodurch Neuseeländer
im Ausland anlegen und dort Kredite aufnehmen konnten. Umgekehrt erhielten
ausländische Investoren die gleichen Rechte wie Inländer. Eine
Fülle neuer Finanzmarktinstrumente wurden zugelassen. Ab 1989 konnten
alle nicht vorbestraften Personen eine Taxigenehmigung beantragen. In der
Folge sanken die Gebühren und der Service verbesserte sich erheblich.
Bahnfrachttarife fielen real um 40% zwischen 1983 und 1988, während
die Straßenfrachtkosten gleich blieben. Im einheimischen Luftverkehr
sanken nach der Zulassung weiterer Anbieter die Gebühren um 21% und
der Reiseverkehr nahm um 20% zu.
Geldpolitik:
Die Regierung verfolgte eine restriktive Geldpolitik bei gleichzeitiger
Liberalisierung der Zinsen, die vor allem 1987/88 zu sehr hohen Zinsen
von über 20% führte. Der Reserve Bank Act von 1989 gab der Zentralbank
weitgehende Unabhängigkeit und setzte die Inflationsbekämpfung
als Zielvorgabe. Die genauen Ziele regeln Abkommen zwischen dem Gouverneur
der Zentralbank und dem Finanzminister. Da das Abkommen Teil des Arbeitsvertrags
des Gouverneurs ist, droht ihm bei Nichterfüllung die Entlassung.
Das erste Abkommen gab eine Inflationsrate von 0-2% vor, die bis 1992 zu
erreichen sei, wenn nicht besondere Umstände wie Änderungen der
indirekten Besteuerung, der terms of trade oder Naturkatastrophen einträten.
Trotz großer operativer Unabhängigkeit ist die Zentralbank damit
nicht so unabhängig wie etwa die Deutsche Bundesbank, da die Regierung
prinzipiell auch eine lockere Geldpolitik vorgeben könnte.
Steuerreform:
Die Regierung vereinfachte die Einkommenssteuer und führte eine Mehrwertsteuer
ein (goods and sales tax = GST). Die Einkommenssteuer für Personen
wies 1982 noch fünf Gruppen mit Steuersätzen zwischen 20% und
66% auf. Ab 1988 gab es nur noch zwei Sätze von 24% und 33%. Der Steuersatz
für Unternehmen sank von 45%auf 28%. Im Zuge der Reform reduzierte
die Regierung Abzugsmöglichkeiten und besteuerte Zusatzleistungen
neben dem Lohn ("fringe benefits", z.B. Dienstwagen oder Billigdarlehen).
Die Steuerhinterziehung ging darauf deutlich zurück und die Steuereinnahmen
stiegen um 22%, obwohl das Finanzministerium nur einen Anstieg um 13% erwartet
hatte. Der Mehrwertsteuersatz betrug zunächst 10% für fast ausnahmslos
alle Güter und Dienstleistungen. Er wurde später auf 12,5% erhöht.
Privatisierung:
Die Regierung trennte die wirtschaftlichen Tätigkeiten
des Staates (z.B. Forstverwaltung, Kohlenbergbau, Luftverkehr etc.) von
Politik und Verwaltung und wandelte sie zunächst in Staatsunternehmen
um. Der Staat blieb also in der ersten Phase Eigentümer, aber die
Tätigkeit wurde nach privatwirtschaftlichen und unternehmerischen
Gesichtspunkten reorganisiert. Vorstände und Aufsichtsräte wurden
eingerichtet, das Management ausgewechselt, Personal reduziert und Modernisierungsinvestitionen
durchgeführt. Diese Staatsunternehmen wurden dann in einer zweiten
Phase privatisiert (z.B. New Zealand Steel, Petro Corp, Development Finance
Corporation, Post Bank, Air New Zealand, Government Printing Office, Telecom).
Von 1988 bis 1992 verkaufte die Regierung 22 Unternehmen für 12 Mrd.
neuseeländische Dollar.
Verwaltungsreform:
Angesichts der Schwierigkeiten, die Leistung öffentlicher Verwaltung
zu messen, kontrollierte auch die neusseländische Regierung ihre Bürokratie
traditionell über den Verbrauch von Inputs. Ab 1987 (vor allem State
Sector Act 1988).versuchte sie mit einer Reihe von Reformen, den Output
der Staatstätigkeit zu optimieren. Alle höheren Beamten (ab Abteilungsleiter)
erhalten nur noch Fünfjahresverträge. Eine Staatsdienst-Kommission
(SSC) überprüft jährlich ihre Leistung. Die Arbeitsverträge
sehen Strafen und Belohnungen in Abhängigkeit von der erbrachten Leistung
vor. Leitungsstellen werden öffentlich ausgeschrieben. Ernennt die
Regierung einen anderen Kandidaten als die SSC vorschlägt, muß
sie das öffentlich begründen. Andererseits haben die Leiter nicht
nur die Verantwortung, sondern auch eine relativ hohe Autonomie in der
Führung ihrer Abteilungen und bei der Auswahl der Maßnahmen
zur Erreichung der vereinbarten Ziele.
Reform der
Kommunalverwaltung: Mit dem Local Government Amendment Act von
1988 reduzierte die Regierung die Anzahl der Gebietskörperschaften
von 219 auf 74 (14 Städte und 60 Kreise). Sie führte außerdem
14 Regionalräte ein, die die Aufgaben von vorher mehreren hundert
Einzelbehörden übernahmen. Sie entscheiden vor allem über
Fragen der Landnutzung, die einerseits liberalisiert und marktmäßigen
Verfahren, andererseits aber auch strengeren ökologischen Auflagen
unterworfen wurde.
Haushaltsrecht:
Der Staatshaushalt rechnet nicht mehr mit Ausgaben und Einnahmen, sondern
mit Aufwand und Ertrag, wodurch die Effizienz klarer gemessen werden kann
(Public Finance Act von 1989). Wo möglich werden Abteilungen wie profit
centers behandelt. Profitabilität gilt als Effizienzkriterium, das
die Nutzung des (staatlichen) Kapitals berücksichtigt. Die Abteilungen
müssen sogar Steuern auf die erzielten Gewinne abführen. Alle
Abteilungen müssen eine Vermögensrechnung aufstellen, aus der
die Abschreibung des Kapitals während eines Jahres hervorgeht. Eine
Kostenrechnung dient letztlich auch dazu, den wahren Kostpreis staatlicher
Leistungen festzustellen und ihn dann privaten Abnehmern in Rechnung zu
stellen.
Wohlfahrtsstaat und Arbeitsmarkt blieben vor Reformen weitgehend ausgenommen.
Der Anteil der Sozialausgaben am Staatshaushalt stieg von 1984 bis 1988
von 54,3% auf 60,1% (und bis 1992 auf 65,5%), während die Ausgaben
für Industrieförderung von 13,6% auf 5,7% (und weiter auf 3,3%)
sanken. Der Anstieg der Sozialleistungen hing auch mit dem Anstieg der
Arbeitslosigkeit zusammen. Das neue Gesetz über Arbeitsbeziehungen
(Labour Relations Act) von 1987 brachte nur geringfügige Änderungen
gegenüber der vorherigen Version von 1973. Sie betreffen vor allem
die Regeln für Streitschlichtung zwischen den Sozialpartnern. Während
das vorherige Gesetz eine starke Rolle des Staates und der Schiedsgerichtbarkeit
vorsah, unterstrich das neue Gesetz die Autonomie der Tarifpartner. Es
setzte auch in dieser Hinsicht die Strategie eines Rückzugs des Staates
aus der Wirtschaft fort.
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fes-library | März 1998
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