TITLE/CONTENTS



SECTION of DOCUMENT:




III. ZUGANG ZUR ARBEIT UND CHANCENGLEICHHEIT



Page Top

1. Schule: Fördern statt auslesen!

Die Bildungspolitik ist für die Gewerkschaften von grosser Bedeutung. Zum einen hängt von der konkreten Ausgestaltung des Bildungssystems massgebend ab, ob alle Menschen unabhängig von sozialer Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit etc. eine reelle Chance erhalten, ihre Persönlichkeit frei zu entwickeln und die für die Lebensgestaltung und Alltagsbewältigung notwendigen Voraussetzungen in der Schule zu erwerben. Zum anderen gliedert sich jeder Mensch mit seiner Bildungslaufbahn in die Gesellschaft ein. Durch sie erhält er sozialen Status, entsprechende Werte und eine bestimmte Position im Beschäftigungssystem zugewiesen.

Trotz der in den 60er und 70er Jahren intensiv geführten Diskussion über die Förderung der Chancengleichheit ist es dem schweizerischen Bildungssystem bis heute nicht gelungen, die sozialen Chancen unter den hier lebenden Kindern und Jugendlichen in ausreichendem Masse umzuverteilen. Das Bildungssystem trägt nach wie vor zur Zementierung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse bei. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die Arbeitsbeziehungen, sondern besonders auch auf die gängige Rollenteilung zwischen Mann und Frau.

Dauernde Selektion, ein fragwürdiger Leistungsbegriff und die geringe Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Schultypen sind die Hauptursachen für das Versagen bei der Umverteilung der Bildungschancen. Ferner droht das Bildungswesen sich zunehmend von den anderen wichtigen Lebensbereichen abzukoppeln. An diesen Punkten haben die bildungspolitischen Anstrengungen der Gewerkschaften anzusetzen.

1.1
Der SGB fordert den Verzicht auf Selektion während der obligatorischen Schulzeit. Statt wie bisher auf der Sekundarstufe I getrennten Leistungszügen zugewiesen zu werden, sollen die Schülerinnen und Schüler in ihren Stammklassen verbleiben. Die Schule ohne Selektion stellt die individuelle Förderung und soziale Integration ins Zentrum; sie nimmt Rücksicht auf das Lerntempo des einzelnen Kindes.

1.2
Der SGB setzt sich für kleine Klassen ein, damit alle Kinder ausreichend gefördert werden können und den Benachteiligten und Behinderten der Besuch einer Regelschule erleichtert wird.

1.3
Der SGB verlangt, dass künftig der Förderung der Lernfähigkeit mehr Beachtung geschenkt wird. Bereits im Kindesalter sind möglichst gute Voraussetzungen für das spätere "lebenslange Lernen" zu schaffen. Die Lehrpläne müssen deshalb genügend Raum für Projektarbeiten, fächerübergreifenden Unterricht und Schülereigenaktivitäten bieten.

1.4
Der SGB fordert ein Bildungswesen, das die jungen Menschen besser auf ein verantwortungsvolles und solidarisches Verhalten in Gesellschaft, Familie, Arbeitsprozess, Freizeit, Konsum, etc. vorbereitet. Die Einsicht in gesellschaftliche Interessenkonflikte muss weitherum gefördert werden, ebenso die Befähigung der Menschen, diese Konflikte mit demokratischen Mitteln auszutragen. Das gewerkschaftliche Verständnis ist zu wecken.

1.5
Die Gewerkschaften müssen Zugang zu den Betrieben, Berufsschulen, Sekundar- und andern Schulen haben, um ihre Tätigkeit und ihre Rolle darzustellen.

1.6
Für die Schulen müssen Lehrmittel und Lehrmethoden erarbeitet werden, welche der veränderten gesellschaftlichen und beruflichen Stellung von Mann und Frau gerecht werden und welche die Jugendlichen und insbesondere die Mädchen in der Entwicklung ihres Selbstwertgefühls und ihrer beruflichen Ambitionen tatkräftig unterstützen. Der SGB fordert von den Lehrkräften aller Stufen, die Problematik des geschlechtsspezifischen Schulalltags ernstzunehmen und wirksame pädagogische Instrumente dagegen zu entwickeln. Die Schule soll dazu beitragen, rassistische Vorurteile abzubauen und das interkulturelle Zusammenleben zu fördern.

1.7
Der SGB unterstützt diejenigen Schulversuche, welche die oben genannten Ziele verfolgen und welche z.B. durch einen Tagesschulbetrieb auch auf eine Entlastung der Eltern, insbesondere der erwerbstätigen Frauen, hinwirken wollen. Aus dem gleichen Grund steht der SGB dem Ausbau der Vorschulangebote positiv gegenüber.


Page Top

2. Berufliche Grundausbildung breiter gestalten

Die Berufsbildung steht in den nächsten Jahren vor grossen Herausforderungen. Der berufliche Nachwuchs wird knapper, der Bedarf an qualifiziertem Personal in allen Branchen grösser, und der rasante technologisch-ökonomische Wandel lässt das Wissen der Berufstätigen immer schneller veralten.

Das Berufsbildungssystem der Schweiz reagiert nur äusserst träge auf die neuen Gegebenheiten, insbesondere wegen der ungleichen Kontrollen, die sowohl die Qualität der Lehrstellen als auch die Lehrlings-Anstellungspolitik der Arbeitgeber betreffen. Es besteht das Risiko, dass die Berufslehre gegenüber schulischen Ausbildungen an Attraktivität verliert und sich die Kluft zwischen Branchen und Unternehmen mit fortschrittlichen Ausbildungskonzepten (vor allem Grossbetriebe) und "ausbildungsschwächeren" Wirtschaftszweigen (besonders im Gewerbe) verschärfen wird. Ohne baldige Gegenwehr läuft ein Teil der künftigen Lehrlingsjahrgänge Gefahr, nicht mehr zeitgemäss ausgebildet zu werden und später möglicherweise mit Mobilitäts- und Beschäftigungsproblemen kämpfen zu müssen.

Wenn die Berufsbildung die Grundlage für produktive und sinnerfüllte Arbeit und für eine gesicherte Existenz schaffen soll, müssen Inhalt und Form der beruflichen Grundausbildung gründlich überdacht werden. Der Anspruch, in der Grundausbildung das für einen bestimmten Beruf notwendige Fachwissen "für immer" anzueignen, muss zugunsten der Erlangung vielseitig verwendbarer Schlüsselqualifikationen und der Allgemeinbildung fallengelassen werden.

Abstrakte Fähigkeiten wie das Denken in Abläufen und Modellen, schöpferische, planerische und kommunikative Fähigkeiten sowie eigenverantwortliches Handeln sind in der Grundausbildung gegenüber berufsspezifischem Erfahrungswissen und daraus resultierenden Fertigkeiten stärker zu fördern. Dies muss nicht nur mit der Entschlackung der Ausbildungsvorschriften von altem Ballast einhergehen, sondern ebenso mit der Entwicklung neuer Modelle zur zeitlichen Staffelung des Unterrichts sowie der Einführung neuer Ausbildungsmethoden in Schulen und Betrieben.

Der Vollzug des Berufsbildungsgesetzes (BBG) von 1979 ist zum Teil mangelhaft. Sowohl das Stützkurs- als auch Freifächerangebot ist vielerorts ungenügend oder zeitlich unbefriedigend angesetzt. Die Einführungskurse verkommen nicht selten zu Lückenbüssern der betrieblichen Ausbildung. Beim Besuch der Berufsmittelschulen sorgt die Obergrenze von zwei Berufsschultagen pro Woche für allzu grosse Unterschiede bei der jeweils erhaltenen Lektionenzahl. Um den Vollzug des BBG zu verbessern, bedarf es in vielen Bereichen zuerst einer genaueren Erforschung der höchst unterschiedlichen Praktiken der Kantone und vor allem auch einer besseren Bekanntmachung der diversen, bereits angelaufenen Reformprojekte auf allen Ebenen der Berufsbildung.

Lehrlinge werden noch allzu oft als billige Arbeitskräfte betrachtet. Die Lehrlingslöhne differieren in einem nicht zu rechtfertigenden Ausmass. In einigen Branchen bzw. Betrieben sind sie skandalös tief. Wenn die Berufslehre und inbesondere Berufe mit angeschlagenem Renommee ihre Attraktivität beibehalten bzw. wiedererlangen wollen, muss neben der Ausbildungsqualität auch die soziale Stellung der Lehrlinge und die Kontrolle über die Lehrverhältnisse seitens der Aufsichtsbehörden verbessert werden.

2.1
Der SGB setzt sich für eine breitere berufliche Grundausbildung ein. Diese hat vermehrt jene berufsübergreifenden Schlüsselqualifikationen zu fördern, die es jeder Berufsfrau und jedem Berufsmann später ermöglichen sollen, sich den wandelnden Arbeits- und Lebensanforderungen mit Erfolg zu stellen.

2.2
Der SGB verlangt eine Reduzierung der Lehrberufe. Verwandte Berufe sind zumindest in den ersten zwei Lehrjahren in einem gemeinsamen Ausbildungsprogramm zusammenzulegen. Ebenso muss mit der Unterstellung aller Berufe unter das Berufsbildungsgesetz vorwärts gemacht werden.

2.3
Der SGB fordert Reformen in Bezug auf die zeitliche Staffelung des Unterrichts. Das strikte Prinzip des ein- bis zweitägigen Berufsschulunterrichts pro Woche ist durch längerdauernden Blockunterricht, bzw. längere Lernphasen im Betrieb, aufzulockern. Die vorwiegend von Mädchen ergriffenen Kurzausbildungen sollen aufgewertet werden. Der SGB setzt sich für die Verlängerung der Lehrzeit auf mindestens 3 Jahre ein.

Der SGB fördert ferner die Schaffung öffentlicher Lehrwerkstätten, insbesondere für zukunftsorientierte Berufe im Bereich der neuen Technologien.

2.4
Der SGB ist der Ansicht, dass die Lehrkräfte der Berufsschulen zur permanenten Weiterbildung verpflichtet werden müssen. Gruppen - und Projektarbeiten sowie interdisziplinäre Unterrichtsformen sollten an jeder Berufsschule künftig einen festen Platz einnehmen.

2.5
Der SGB fordert eine Behebung der Mängel beim Vollzug des Berufsbildungsgesetzes. Insbesondere das Stützkurs- und Freifächerangebot während der Arbeitszeit ist konsequent auszubauen und für die Lehrlinge attraktiver zu gestalten. Der SGB verlangt zudem eine bessere Förderung der Berufsbildungsforschung durch Bund und Kantone.

2.6
Der SGB setzt sich für einen gesetzlich fixierten Mindestlohn für Lehrlinge und für eine Unterstellung aller Lehrlinge unter die Gesamtarbeitsverträge ein. Zur "Qualitätssicherung" der Berufslehre gehört auch eine wirksamere Kontrolle der Lehrverhältnisse, eine bessere Ausbildung- und eine geregelte Weiterbildung der Lehrmeisterinnen und Lehrmeister und ein intensiveres Zusammenwirken der Ausbildungsbetriebe mit den Berufsschulen und umgekehrt.

2.7
Der SGB und seine Verbände informieren Lehrlinge über ihre Rechte und Pflichten, damit sie sich im Bedarfsfall für eine gute Ausbildung wehren können. Sie bemühen sich aktiv um eine jugendgerechte Informationstätigkeit und den Einbezug von Jugendlichen auf allen Ebenen der gewerkschaftlichen Tätigkeit. Der SGB übernimmt auch die Information der weiblichen Lehrlinge in Bezug auf die Tätigkeiten und die Rolle der Gewerkschaften.


Page Top

3. Berufliche Weiterbildung: Voraussetzungen verbessern

Die Notwendigkeit, die berufliche Weiterbildung massiv auszubauen, wird heute von keiner Seite mehr bestritten. Der Einsatz moderner Technologien, der rasche Produktewandel und schnellebige Märkte, der Zwang zu anderen Führungsstilen, neue Auflagen im Bereich Sicherheit und Umweltschutz, etc. machen die permanente Weiterbildung auch aus unternehmerischer Sicht zum Muss. Eine Streitfrage bleibt jedoch nicht selten das "Wie und für wen?"

Trotz des heute grossen Angebots an beruflicher Weiterbildung weist dieses in seiner Gesamtheit zahlreiche Schwachstellen auf:

Der SGB hat 1989 mit seinem Berufs- und Weiterbildungskonzept seine Ideen zur zukünftigen Ausgestaltung der beruflichen Weiterbildung formuliert. Dabei will der SGB hauptsächlich die obengenannten Schwachstellen beseitigen.

3.1
Der SGB setzt sich für ein lebenslanges Recht auf Bildung ein und kämpft für die Einführung eines bezahlten Bildungsurlaubs per Gesetz von mindestens einer Woche pro Jahr für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

3.2
Der SGB und seine Verbände fördern die berufliche Weiterbildung durch die Aufnahme entsprechender Regelungen in den Gesamtarbeitsverträgen. Das Recht auf eine jährliche Woche Bildungsurlaub muss allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zugestanden und in den Gesamtarbeitsverträgen festgelegt werden. Die zum Teil mit den Arbeitgebern paritätisch verantworteten Weiterbildungsangebote der Gewerkschaften sind auszubauen.

3.3
Der SGB verlangt von den Berufsschulen ein breiteres Weiterbildungsangebot. Die notwendige Oeffnung der Schulen für Erwachsene macht es unumgänglich, dass sich die Lehrkräfte der Berufsschulen durch eigene Weiterbildung vermehrt erwachsenbildnerische Kompetenzen aneignen.

3.4
Es müssen kantonale Fonds für die Bildung und die berufliche Weiterbildung geschaffen werden. Ihre Finanzierung ist durch Beiträge der Arbeitgeber proportional zur Gesamtlohnsumme zu finanzieren. Sie dienen in erster Linie zur Abgeltung von Verdienstausfällen bei Weiterbildung während der Arbeitszeit.

3.5
Der SGB verlangt vom Staat, dass er die Weiterbildung von An- und Ungelernten, den Wiedereinstieg von Frauen ins Erwerbsleben sowie das Nachholen des Lehrabschlusses gemäss Art. 41 BBG durch entsprechende Motivationsprogramme, Kursangebote und flankierende Massnahmen gezielt fördert.

3.6
Der SGB fordert auch im Falle von Weiterbildung, Umschulung und Wiedereinstieg eine grosszügigere Praxis bei der Vergabe von Stipendien, sofern die finanziellen Verhältnisse der betroffenen Person dies erfordern und nicht Dritte (Arbeitgeber, Sozialversicherungen etc.) zur Unterstützung verpflichtet sind. Der SGB verlangt von den Kantonen zudem eine Harmonisierung der Stipendiengesetze und die Abschaffung der Alterslimiten.

3.7
Der SGB setzt sich dafür ein, dass die Gelder der „Sondermassnahmen zugunsten der beruflichen Weiterbildung" des Bundes in zukunftsweisende Projekte fliessen werden. Zudem unterstützt er die Idee der "ökologischen Bildungsoffensive" der Umweltverbände. Es muss sichergestellt werden, dass die Finanzierung initiierter Erwachsenenbildungsprogramme nach Auslaufen der Weiterbildungsoffensive garantiert bleibt.


Page Top

4. Erwachsenenbildung: Staatliche Anerkennung tut not

Die Geltungsdauer des in Volksschule, Berufsbildung oder Studium einmal erworbenen Allgemeinwissens wird heute immer kürzer. Die Umwälzungen in Technik und Gesellschaft haben eine stete Aktualisierung und breite Fächerung der Fähigkeiten nötig gemacht.

Die allgemeine Erwachsenenbildung wird in Wert und Bedeutung von den staatlichen Organen auch heute noch stark unterschätzt, insbesondere im Vergleich zur beruflichen oder universitären Erwachsenenbildung. Obschon Lernen auch für Erwachsene immer wichtiger wird, engagiert sich die öffentliche Hand für den quartären Sektor nur halbherzig und zögerlich.

Es sind heute vorwiegend private Organisationen wie Volkshochschulen oder Gewerkschaften, welche Erwachsenenbildung betreiben. Diese Träger sind vor Jahrzehnten aus Selbsthilfe heraus gegründet worden, und sie haben ihre Infrastruktur und Bildungsangebote in der Regel aus eigenen Mitteln finanziert. Staatlichen und betrieblichen Schulen gegenüber sind sie seit jeher benachteiligt. Mit ein Grund für die Vernachlässigung der Erwachsenenbildung durch die öffentliche Hand ist einerseits die fehlende Kompetenz des Bundes (Ablehnung des Bildungsartikels 1973). Andererseits sind bis heute nur wenige der Kantone, die ständig auf ihre Bildungshoheit pochen, aktiv geworden, um gesetzliche Grundlagen zur Förderung der allgemeinen Erwachsenenbildung zu schaffen.

Die sich anbahnende "Lerngesellschaft" ruft aber nach einer wirkungsvollen, gesetzlich verankerten und von der öffentlichen Hand mitgeförderten Erwachsenenbildung. Die Gleichbehandlung von beruflicher und nicht-beruflicher Erwachsenenbildung drängt sich umsomehr auf, als sich in der Praxis die Grenzen zwischen beiden Bereichen langsam auflösen.

Die allgemeine Erwachsenenbildung muss zum Ziel haben, das ganzheitliche Denken, Fühlen und Handeln der Menschen zu fördern. Sie will Hilfe zur Selbsthilfe leisten, Bildungsdefizite abbauen und Chancengleichheit schaffen. Gewerkschaftliche Erwachsenenbildung folgt zusätzlich der Leitidee, Kolleginnen und Kollegen ein praxisnahes und handlungsorientiertes Wissen und Können zu ermitteln, damit diese in der Lage sind, ihre Rechte und Interessen im Kollektiv durchzusetzen.

4.1
Der SGB setzt sich auf allen Ebenen dafür ein, dass die allgemeine Erwachsenenbildung anerkannt und als integrierter Bestandteil der Bildungspolitik angesehen wird.

4.2
Der SGB bringt die Diskussion um einen Bildungsartikel auf Verfassungsstufe wieder in Gang. Die kantonalen Bünde ergreifen zusammen mit anderen Organisationen die Initiative, um in den Kantonen fortschrittliche gesetzliche Grundlagen für die Förderung der allgemeinen Erwachsenenbildung zu schaffen.

4.3
Der SGB verlangt von der öffentlichen Hand eine bessere Unterstützung gemeinnütziger Organisationen und Institutionen, welche in der Erwachsenenbildung tätig sind. Sie müssen als subventionsberechtigte Bildungsträger anerkannt werden.

4.4
Der SGB fordert ein differenziertes Aus- und Weiterbildungssystem für Erwachsenenbildnerinnen und -bildner und insgesamt bessere Rahmenbedingungen für die professionelle Bildungsarbeit.

4.5
Der SGB tritt dafür ein, dass der Staat in Zusammenarbeit mit den privaten Trägern besondere Massnahmen ergreift, damit sozial benachteiligte Personen und Gruppen leichteren Zugang zu Angeboten der allgemeinen Erwachsenenbildung haben und zur Wahrnehmung dieser Angebote motiviert werden.

4.6
Der SGB fordert von Bund und Kantonen zusätzliche Anstrengungen, um Berufsleuten den zweiten Bildungsweg sowie den Zugang zu den Hochschulen zu erleichtern.


Page Top

5. Gegen eine eng verstandene "Frauenförderung"

Die Erwerbstätigkeit wird für immer mehr Frauen zu einem festen Lebensbestandteil. Was auf der einen Seite mehr wirtschaftliche Unabhängigkeit, vielfältige Erfahrungen und soziale Kontakte ermöglicht, heisst für die Betroffenen oft auch Doppelbelastung durch Beruf und Haushalt, sowie vergleichsweise schlechtere Arbeitsbedingungen und geringere Aufstiegschancen. Weder die höhere Erwerbsbeteiligung an sich noch gesetzliche Gleichstellungsbemühungen haben den Frauen bislang erhebliche Verbesserungen ihrer Berufsaussichten und echte Gleichstellung im Erwerbsleben gebracht.

Die Ursachen für die geschlechtsspezifische Diskriminierung in der Berufswelt sind vielfältig. Sie lassen sich nicht nur auf Bildungsdefizite, bzw. auf Benachteiligungen der Frauen in der Berufsbildung, reduzieren. Gesellschaftlich- kulturelle Faktoren spielen ebenso eine Rolle wie wirtschaftliche "Zwänge". Die berufliche Besserstellung der Frau ist deshalb nicht nur eine prioritäre Aufgabe der Bildungspolitik, sondern muss ebenso ein unternehmerisches, arbeitsmarktpolitisches und gesellschaftspolitisches Ziel sein.

Das schweizerische Bildungsystem hat in Bezug auf die Ueberwindung der traditionellen Arbeits- und Rollenteilung und die Verwirklichung der Chancengleichheit bislang grösstenteils versagt. Im Vorschul- und Schulunterricht spielt die unterschiedliche Behandlung von Mädchen und Knaben ("heimlicher Lehrplan") immer noch eine grosse Rolle. Obschon objektiv leistungsstärker, verlassen die Mädchen die obligatorische Schule auch heute mit wesentlich geringerem Selbstvertrauen als die Knaben und mit klar bescheideneren Ansprüchen an die nachfolgende Ausbildung. Während der letzten Jahre hat sich denn auch an der Berufsfindung und Berufswahl von Mädchen nichts wesentliches geändert.

Die Benachteiligungen, welche junge Frauen beim Uebertritt von der obligatorischen in die nachobligatorische Ausbildung erfahren, äussern sich unter anderem darin, dass im Vergleich zu Männern

Diese und andere geschlechtsspezifischen Benachteiligungen schränken die beruflichen Entwicklungsfähigkeiten der Frauen enorm ein und verschärfen sich oft noch während der Berufslaufbahn. Wenn Frauen dann versuchen, diese Defizite durch Weiterbildung, Umschulung oder auf dem zweiten Bildungsweg wettzumachen, stossen sie häufig auf weitere Hindernisse: ein Bildungsangebot, welche das Lernumfeld und die Lebensbedingungen von Frauen nur ungenügend berücksichtigt, kein Rechtsanspruch auf Weiterbildung, ungesicherte Finanzierung, etc.

Berufstätige Frauen sind der Wirtschaft mittlerweile sehr willkommen. Die Arbeitsmarktpolitik sieht in ihnen inzwischen das grösste, noch "unternutzte" Arbeitskräftepotential. Trotzdem werden ihre spezifischen Bedürfnisse weitgehend ignoriert. Völlig unzureichend sind allem voran familienergänzende Infrastrukturen, wie Kinderkrippen, Horte, Tagesschulen, Schülermittagstische etc. Dieser Mangel schränkt die Bewegungsfreiheit vieler Frauen zwischen Familien- und Erwerbsarbeit sehr stark ein, verhindert systematisch ihren beruflichen Aufstieg und führt - insbesondere für Frauen mit geringem Einkommen -zur klassischen Doppelbelastung sowie zur Verfestigung der traditionellen Rollenteilung. Nur eine gerechtere Verteilung von Bildung, Erwerbs- und Nichterwerbsarbeit, Einkommen und Macht zwischen den Geschlechtern kann diesen Teufelskreis durchbrechen.

5.1
Der SGB und seine Verbände erklären die Gleichstellung von Frau und Mann zu einem prioritären Ziel ihrer Tätigkeit in den 90er Jahren. Im Zentrum stehen die Realisierung echter Gleichstellung auf gesetzlicher und vertraglicher Ebene, die Verbesserung der Bildungs- und Aufstiegschancen für Frauen, und nicht zuletzt: eine stärkere Stellung der Frauen in der Gewerkschaft selbst. Hierzu ist es notwendig, dass die Frauen bewusst gefördert werden. Bei Stellenbesetzungen, Wahlen, Ernennungen usw. sind, wenn gleichwertige Kandidatinnen und Kandidaten zur Verfügung stehen, solange die Frauen vorzuziehen, bis sie hälftig vertreten sind. Dies gilt sowohl in der Erwerbsarbeitswelt, im öffentlichen Leben als auch in den Gewerkschaften selbst.

5.2
Unter dem Etikett von "Gleichstellung" oder "Frauenförderung" sollen Frauen nicht einfach zur Erwerbsarbeit herangezogen werden, ohne sie von anderen Arbeiten zu entlasten. Der SGB fordert vielmehr ein dichtes Netz tragfähiger Strukturen, die es allen Frauen und Männern ohne zeitliche und finanzielle Mehrbelastung ermöglichen, Familien- und Erwerbsarbeit nach den eigenen Bedürfnissen und Interessen zu teilen sowie die dafür notwendige Aus- und Weiterbildung zu betreiben.

5.3
Besondere Aufmerksamkeit ist der Berufsfindung und Berufswahl der Mädchen zu schenken. Der SGB fordert einen wesentlich intensiveren Berufswahlunterricht als heute üblich, in welchem die Mädchen mit der ganzen Breite des Berufsspektrums vertraut gemacht werden, tradierte Berufsbilder hinterfragt und berufsspezifische Arbeitsbedingungen, Weiterbildungsangebote und Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen erörtert werden.

5.4
In der Erstausbildung sollten junge Frauen sehr früh durch besondere Beratungs- und Lernangebote auf die weitere Berufslaufbahn vorbereitet und für eine höhere Berufs- oder qualifizierende Weiterbildung motiviert werden. Auch mit den Fragen eines allfälligen Berufsaustiegs und späteren Wiedereinstiegs sind Frauen bereits während der Erstausbildung vertraut zu machen.

5.5
Der SGB und seine Verbände setzen sich dafür ein, dass die Ausbildungen und Arbeitsbedingungen in den Berufen, in welchen Frauen besonders stark vertreten sind, attraktiver werden. Mögliche Instrumente sind etwa die Verlängerung der Lehrzeit auf drei Jahre, eine intensivere und breitere Grundausbildung und Allgemeinbildung, bessere Weiterbildungsangebote, höhere Entlöhnung etc.

5.6
"Frauenförderung" bleibt ein Alibi, wenn die strukturellen Hindernisse, auf welche Frauen in Weiterbildung, Umschulung, Wiedereinstieg oder Nachholen eines Berufsabschlusses (Art. 41 BBG) stossen, nicht beseitigt werden. Der SGB kämpft deshalb für den bezahlten Bildungsurlaub, für die Abschaffung der diskriminierenden Alterslimiten in den Stipendiengesetzen, frauengerechte Bildungsangebote an öffentlichen Schulen, etc. Die Vorbereitungskurse zur Lehrabschlussprüfung nach Art. 41 BBG müssen während der Arbeitszeit besucht werden können.

5.7
Der SGB fördert die Schaffung von öffentlichen Lehrwerkstätten für Frauen. Diese Lehrwerkstätten sollen die berufliche Wiedereingliederung der Frauen erleichtern und ihnen den Zugang zu technischen Berufen öffnen. Diese Lehrwerkstätten sollten vor allem in Gebieten mit geringen beruflichen Bildungs- und Weiterbildungsangeboten für Frauen gefördert werden.

5.8
Der SGB fordert schliesslich im Interesse des "Lastenausgleichs zwischen Mann und Frau von der öffentlichen Hand und den Arbeitgebern einen zügigen Ausbau der diversen Formen von Kinderbetreuungseinrichtungen (Kinderhorte, Vorschule, Tagesschulen etc.). Für Familienverantwortliche sind zudem vermehrt sozial abgesicherte Teilzeitstellen anzubieten.


Page Top

6. Ausländerbildung: doppelte Hürden überwinden

Die ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Kinder haben in Erziehung und Bildung ein doppeltes Handicap zu überwinden. Sie sind von all jenen Diskriminierungen betroffen, welche unser Bildungssystem für die Arbeiterschaft aufweist, und sie leiden unter den Schwierigkeiten, mit denen sie als Ausländerinnen und Ausländer infolge mangelnder Sprachkenntnisse oder eines unterschiedlichen kulturellen Hintergrundes konfrontiert sind.

Diese doppelte Diskriminierung ist vor allem für die erste Generation der Einwandererinnen und Einwanderer schwer zu überwinden. Viele von ihnen verfügen nur über eine unvollständige Schulbildung. Soweit sie sich in ihrer Heimat berufliche Kenntnisse erworben haben, verfügen sie nicht über ein dem schweizerischen Lehrabschluss entsprechendes Zeugnis. Ihre mangelhafte Kenntnis der lokalen Sprache verwehrt ihnen ferner den Zugang zu schweizerischen Weiterbildungsangeboten. Für diese Einwanderungsgeneration steht darum das Nachholen der fehlenden Bildung und der Erwerb der lokalen Sprache im Vordergrund. Sie sind die Voraussetzung zu weiterer beruflicher und sozialer Entfaltung. Mit der starken neuen Einwanderung in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre sind es heute vor allem portugiesische, jugoslawische und türkische Arbeitskräfte, die mit diesen Problemen konfrontiert sind. Die Erfahrungen früherer Einwanderergenerationen sollten für sie nutzbar gemacht werden.

Für die Kinder der neuen Einwanderer steht eine rasche Eingliederung in das schweizerische Schulsystem im Vordergrund. Fremdsprachige Einschulungsklassen sollten dabei nur eine kurzfristige Uebergangslösung bilden; wesentlich sind die rasche Vermittlung der lokalen Sprache sowie Förderkurse und Aufgabenhilfe als Angebote zur Eingliederung in die Normalklassen. Mit der Zuwanderung aus kulturell entfernteren Regionen und einer zunehmenden Zahl von "Spätnachzüglern", die erst in fortgeschrittenem Alter im Rahmen des Familiennachzuges einreisen, haben sich in den letzten Jahren die Probleme verschärft. Zusätzliche Hilfsangebote in Kleinklassen sind daher notwendig, wenn Ausländerkinder nicht einfach in Spezial- und Sonderklassen abgeschoben werden sollen.

Ein Drittel aller Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz gehören zur zweiten und dritten Generation. Sie sind hier geboren oder haben doch den grössten Teil ihrer Jugend in den schweizerischen Schulen verbracht. Es sind nicht mehr fehlende Sprachkenntnisse, sondern soziale Faktoren, die ihnen die Wahrnehmung gleicher Chancen erschweren. Hier setzt eine weitere Aufgabe der Gewerkschaften und Ausländerorganisationen ein: die Aufklärung von Eltern und Jugendlichen über die Möglichkeiten einer guten Berufsbildung.

6.1
Der SGB fordert für alle ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Anspruch auf eine ausreichende Schulung in der lokalen Sprache, die während der Arbeitszeit und auf Kosten des Arbeitgebers erfolgen soll.

6.2
Die Erfahrungen früherer Einwanderergenerationen, insbesondere der Bildungsinstitutionen der italienischen Emigration, sollten zur Lösung der Probleme der heutigen Einwanderung aus anderen Ländern nutzbar gemacht werden. Dazu braucht es eine vermehrte öffentliche Unterstützung durch Bund und Kantone.

6.3
Die öffentlichen und paritätischen Bildungsangebote zum Nachholen fehlender beruflicher Kenntnisse und zur Vorbereitung auf die Lehrabschlussprüfung gemäss Art. 41 des Berufsbildungsgesetzes sind auszubauen.

6.4
Für die Kinder der ersten Einwanderergeneration ist eine rasche Eingliederung in die Normalklassen der öffentlichen Schule anzustreben. Die Angebote an Sprachkursen, Förderkursen und Aufgabenhilfe sind auszubauen. Für Spätnachzügler, für die in der Volksschule keine ausreichende Vorbereitung auf eine Berufslehre möglich ist, sind vermehrt Integrationskurse zu schaffen.

6.5
Für die Jugendlichen der zweiten Generation ist der Vorbereitung der Berufswahl Aufmerksamkeit zu schenken, damit sie ihre Chancen auch wahrnehmen können. Dabei kommt den Gewerkschaften und den Ausländerorganisationen eine wichtige Vermittlerrolle zu.

6.6
Der SGB tritt mit Nachdruck dafür ein, allen in der Schweiz lebenden Jugendlichen den Zugang zu einer Berufslehre zu öffnen. Die Ausbildung ausländischer Lehrlinge in der Schweiz wird vom SGB im Rahmen der Freizügigkeit mit den EWR-Ländern und des Rechtes auf Gegenseitigkeit befürwortet. Für minderjährige Jugendliche muss aber durch klare Rahmenbedingungen (soziale Verankerung in der Schweiz durch eine Vertrauensperson des Lehrlings) gewährleistet sein, dass diese Lehrlinge nicht entwurzelt und ausgenutzt werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1999

Previous Page TOC Next Page