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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 6 ]


2. Ein Blick auf die Entwicklung in den Vereinigten Staaten und in der Bundesrepublik

2.1 Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit In den beiden Ländern

Um den Vorbildcharakter zu überprüfen, der den USA in Deutschland inzwischen oft zugeschrieben wird, sollte man nicht nur auf die letzten Jahre sehen, sondern schon einen etwas längeren Zeitraum zugrunde legen. Wir wählen dafür die Periode 1960-1999, wobei auf Grund der Datenverfügbarkeit mitunter auch etwas davon abgewichen werden muss. [Fn.1:Die deutsche Vereinigung hat für den Wirtschaftswissenschaftler in einer Hinsicht einen beklagenswerten Effekt: Eine ganz Reihe von Zeitreihen für die alte Bundesrepublik sind nach der Vereinigung für die alten Bundesländer schließlich nicht mehr getrennt erhoben worden, und das bedeutet, dass über das Jahr der letztmaligen Erhebung hinaus die jeweilige Zeltreihe nicht fortgeführt werden kann. Neuberechnungen, die zur Zeit nur bis 1991 zurückgeführt vorliegen, haben überdies dazu geführt, dass man bei der Analyse erheblichen Beschränkungen unterworfen ist.]

Sehen wir uns zunächst zwei Entwicklungen an, die Entwicklung der Erwerbstätigenzahl und die Entwicklung der Arbeitslosenquoten. Wie Bild 2.1 sehr deutlich macht, ist der Befund bezüglich der Entwicklung der Erwerbstätigenzahlen ganz eindeutig: Einer sehr dynamischen Entwicklung der Erwerbstätigenzahlen in den USA steht ein sehr gemäßigter Anstieg in der Bundesrepublik gegenüber. Während sich in den USA die Zahl der Erwerbstätigen seit 1960 mehr als verdoppelt hat, lag die Erwerbstätigenzahl in den alten Bundesländern 1999 nur um rund 7 Prozent über der von 1960. Dahinter stehen natürlich auch recht unterschiedliche Entwicklungen in der jeweiligen Bevölkerungszahl, wenngleich diese den großen Unterschied in der Zunahme der Erwerbstätigen nicht voll erklären können. Sieht man von dem Einmal-Effekt der deutschen Vereinigung ab und betrachtet man nur die alten Bundesländer [Fn. 2: Es liegt allerdings auf der Hand, dass die Bevölkerungsentwicklung In Westdeutschland seit 1990 etwas mit der deutschen Vereinigung zu tun hat.] , so war im Zeitraum 1960-1999 das Bevölkerungswachstum in der (alten) Bundesrepublik deutlich geringer als in den USA. Einer Bevölkerungszunahme von etwa 22 Prozent in Westdeutschland steht eine rund 50-prozentige in den USA gegenüber.

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Während die Zunahme der Erwerbstätigkeit in den USA fraglos durchgehend wesentlich stärker ausfiel als in der Bundesrepublik, ist die gegenüber der Bundesrepublik niedrigere Arbeitslosenquote in den USA ein wesentlich jüngeres Phänomen. Wie man aus Bild 2.2 ersehen kann, lag die Arbeitslosenquote in den USA traditionell höher und hat erst in den neunziger Jahren Werte angenommen, die unter denen der Bundesrepublik liegen, und zwar auch unter den Werten für die alten Bundesländer. [Fn.3: Wir legen für den Vergleich nicht, wie sonst üblich, die sogenannten standardisierten Arbeitslosenquoten zugrunde, wie sie von der OECD ermittelt werden. Da für Westdeutschland seit einiger Zeit keine eigenen standardisierten Arbeitslosenquoten mehr ausgewiesen werden, mussten die nationalen Quoten verwendet werden. Sie weisen für Deutschland einen höheren Wert als die standardisierten aus.]

Bild 2.2 macht deutlich, dass wir es in den neunziger Jahren mit einer entgegengerichteten Entwicklung bei den Arbeitslosenquoten (und auch bei den Arbeitslosenzahlen) in den beiden Ländern zu tun haben Es ist ersichtlich, dass seit dem Höchststand im Jahre 1992 ein bemerkenswert kontinuierlich nach unten

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gerichteter Verlauf vorlag, der Ende 1999 zu der für die USA ungewöhnlich niedrigen Arbeitslosenquote von 4,1 Prozent geführt hat.



Dass es in den USA zu einem Rückgang der Arbeitslosigkeit ohne wesentliche Reduktion der Arbeitszeit gekommen ist, wird man aus deutscher Sicht deshalb als besonders bemerkenswert empfinden, weil hier die Arbeitszeitverkürzung von den Gewerkschaften ja als ein ganz zentrales Instrument für die Verbesserung der Beschäftigungssituation angesehen wurde und wird. Nach wie vor wird die Auffassung vertreten, dass ohne die Verkürzung der Arbeitszeit die Entwicklung der Erwerbstätigenzahl viel ungünstiger ausgefallen wäre, und dass sich ohne sie die Schere zwischen dem Arbeitspotential und den Erwerbstätigen noch stärker geöffnet hätte als es de facto eingetreten ist.

Auch die Teilzeitarbeit ist in den USA weder außergewöhnlich gestiegen noch außergewöhnlich hoch. Schätzungen der OECD zufolge betrug der Teilzeitanteil an allen Beschäftigten in den USA 1998 13,4 Prozent. Das ist etwas niedriger als in Deutschland (16,6 Prozent), niedriger als in der gesamten OECD (14,3 Prozent) und

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bedeutend niedriger als bei den Teilzeit-Weltmeistern, den Niederlanden (30,0 Prozent [Fn. 4: Zu den Zahlen siehe OECD, Employment Outlook, Juni 1999, Paris 1999, Table E, S. 240]).

Klar ist damit, dass der starke Anstieg der Erwerbstätigenzahlen in den USA nicht auf Arbeitszeitverkürzung oder Ausdehnung der Teilzeitarbeit zurückgeführt werden kann. Zusätzlich ist damit klar, dass in den USA nicht nur die Erwerbstätigenzahlen kräftig zugenommen haben; zugenommen hat vielmehr auch - und in ähnlichem Umfang - das sogenannte Arbeitsvolumen, d.h. die Summe der jedes Jahr effektiv geleisteten Arbeitsstunden. Das ist ganz besonders hervorzuheben, weil es in krassem Gegensatz zu der Behauptung steht, dass der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgehe, d.h. dass der auf die Arbeitswilligen aufteilbare Arbeitsvorrat immer geringer werde. Mit dieser Behauptung ist ja teilweise auch begründet worden, weshalb die Arbeitszeit laufend verkürzt werden müsse, wenn man verhindern wolle, dass die Gesellschaft immer mehr in Arbeitsplatzbesitzer und Arbeitslose zerteile.

Für die USA jedenfalls ist das keine zutreffende Beschreibung. Wie im folgenden noch deutlich werden wird, haben wir es zwar in den USA mit einigen problematischen Entwicklungen zu tun - eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgeht, ist die amerikanische Wirtschaft aber bisher ganz gewiss nicht. Theoretiker, die vom Ende der Arbeitsgesellschaft sprechen und denen dabei eine Gesellschaft vor Augen steht, in der die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden ständig schrumpft, dabei aber die in gänzlich andere Richtung weisende Entwicklung in den USA - einer nicht zu übersehenden Ökonomie - geflissentlich negieren, wird man wohl mit einiger Vorsicht begegnen müssen. Und schließlich lässt das Beispiel der USA auch Zweifel daran aufkommen, dass Beschäftigungspolitik eine Mangelverwaltung darstellen muss, der es nur noch darum gehen kann, für eine faire Verteilung des immer knapper werdenden Arbeitsvorrats der Gesellschaft zu sorgen.

Aufschlussreich ist es auch, den Erwerbstätigenanteil an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15- bis 64-jährige Bevölkerung) zu betrachten. Er lag 1998, wiederum nach Angaben der OECD, in den USA bei 73,8 Prozent, in Deutschland dagegen nur bei 64,1 Prozent. Im höheren amerikanischen Anteil kommt zwar auch die niedrigere Arbeitslosenquote zum Ausdruck, aber sie erklärt nur einen Teil der

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deutlichen Differenz. Dahinter stehen darüber hinaus zum einen die höhere Erwerbsbeteiligung amerikanischer Frauen, zum anderen ein frühzeitigeres Ausscheiden der deutschen Arbeitnehmer aus dem Erwerbsleben. So weist die OECD aus, dass 1998 in den USA 58 Prozent der 55- bis 64-Jährigen erwerbstätig waren, während in Deutschland der Anteil unter 39 Prozent lag. [Fn.5: OECD, Employment Outlook , June 1999, Table C, S. 228ff. ]

Der höhere Erwerbstätigenanteil in den USA kann unterschiedlich interpretiert werden und muss nicht unbedingt als etwas angesehen werden, das für den amerikanischen und gegen den deutschen Arbeitsmarkt spricht. So ist gelegentlich darauf hingewiesen worden, dass die äußerst unbefriedigende Realeinkommensentwicklung bei den Beziehern niedriger Einkommen die Erwerbsbeteiligung des Ehepartners (in der Regel der Ehefrau) geradezu erzwungen habe. Wir werden auf die Einkommensentwicklung an späterer Stelle eingehen und deshalb zunächst auf eine Erörterung der Frage verzichten, ob solche Zwänge die höhere Erwerbstätigkeit der Erwerbsfähigen erklären. Hier ist es zunächst wichtig festzuhalten, dass es in den USA ganz offensichtlich - insbesondere in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre - gelungen ist, einem entschieden größeren Teil der arbeitsfähigen Personen Arbeitsplätze zu verschaffen als das in Deutschland der Fall war.

Noch auf einen letzten Punkt soll hingewiesen werden. Er betrifft den Anteil der Langzeitarbeitslosen [Fn.6: Von Langzeitarbeitslosen spricht man in der Regel, wenn die Dauer der Arbeitslosigkeit ein Jahr oder länger beträgt.] an den Arbeitslosen. In den USA lag dieser Anteil 1998 bei etwa acht Prozent, in Deutschland dagegen bei rund 52 Prozent. [Fn.7: In der Literatur und in der öffentlichen Diskussion werden auch andere Zahlen genannt. Dies hängt mit unterschiedlichen Erfassungsmethoden zusammen, aber auch damit, dass Personen, die vorübergehend aus der Arbeitslosigkeit ausscheiden, ohne jedoch Arbeit aufzunehmen, teilweise nicht als Langzeitarbeitslose erfasst werden. Siehe dazu Karr, W., Die konzeptionelle Untererfassung der Langzeitarbeitslosigkeit, Mitteilungen aus drr Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 30 . Jg. (1997), S. 37-46. Die von uns verwendeten Daten sind dem Employment Outlook der OECD von 1999 entnommen.]
Da Langzeitarbeitslose besonders schwer nur wieder einen Arbeitsplatz finden, stellen sie für die Arbeitsmarktpolitik ein ganz besonderes Problem dar. Um sie wieder in den Arbeitsprozess einzugliedern, werden teilweise aufwendige Programme eingesetzt - häufig mit bescheidenem Erfolg. Ein hoher Anteil verweist insofern darauf, dass besondere Schwierigkeiten beim Abbau der Arbeitslosigkeit vorliegen. Die Erfahrung zeigt, dass selbst bei einem konjunkturellen Aufschwung es zu keiner nennenswerten

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Reduktion bei den Langzeitarbeitslosen kommt, da es die Unternehmen häufig vorziehen, ihren Arbeitskräftebedarf anderweitig zu decken.

Der deutlich höhere Anteil der Langzeitarbeitslosen in Deutschland deutet bereits darauf hin, dass die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit in den USA geringer ist - wer arbeitslos wird, bleibt dies im Durchschnitt viel kürzer als in Deutschland. Dies galt schon zu den Zeiten, als die Arbeitslosenquote in den USA höher lag als in der Bundesrepublik. Die Kehrseite der Medaille ist eine erhöhte Betroffenheit, bzw. ein größeres Risiko für den Einzelnen, arbeitslos zu werden. Das macht man sich am besten klar, indem man die beiden denkbaren Extremfälle betrachtet, die sich hinter einer (zur Vereinfachung vorausgesetzten) konstanten Zahl von Arbeitslosen verbergen kann. Das eine Extrem: Eine von Monat zu Monat wiederholte Blitzlichtaufnahme aller Arbeitslosen zeigt immer wieder die gleichen Gesichter. Arbeitslosigkeit ist in diesem Fall identisch mit Langzeitarbeitslosigkeit, kein neuer Arbeitsloser kommt dazu, keiner geht aus der Arbeitslosigkeit ab. Von Arbeitslosigkeit betroffen sind nur die im Bild Festgehaltenen. Das andere Extrem: Man sieht auf der monatlichen Aufnahme jeweils ganz neue, im letzten Monat noch nicht vertretene Gesichter. In diesem Fall ist das Risiko des Einzelnen, zumindest einmal dabei zu sein, hoch, allerdings auch seine Chance, dass das nur für kurze Dauer der Fall ist.

So extrem sind die wirklichen Verhältnisse natürlich nicht (schon deshalb, weil ja auch Arbeitslose ganz aus der Erwerbstätigkeit ausscheiden und dann nicht mehr auf dem Foto erscheinen können). Es ist aber wichtig, sich klar zu machen, dass hinter einer bestimmten Zahl von Arbeitslosen mehr oder minder große Bewegungen [Fn.8: Die statistische Erfassung und Analyse von Arbeitsmarktbewegungen hat ganz erheblich an Bedeutung gewonnen, da immer klarer geworden ist, dass man mit reinen Bestandsgrößen (z.B. Arbeitslose an einem Stichtag) nur sehr begrenzt in der Lage ist, wichtige Vorgänge am Arbeitsmarkt zu erfassen.] stehen - einem Neueintritt in die Arbeitslosigkeit der einen steht ein Ausscheiden aus der Arbeitslosigkeit anderer gegenüber. Bei konstanter Arbeitslosigkeit müssen sich Zugänge und Abgänge natürlich gerade entsprechen.

Der Vergleich zwischen Deutschland und den USA zeigt nun, dass die Zerlegung der Arbeitslosigkeit in Dauer und Betroffenheit unterschiedlich ausfällt. Arbeitslose sind in

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Deutschland im Durchschnitt deutlich länger arbeitslos. In den USA lag umgekehrt in der Regel die sogenannte Betroffenheitsquote deutlich höher, d.h. das Risiko, arbeitslos zu werden, war höher.

Selbstverständlich ist eine solche Aussage, auf alle Arbeitskräfte bezogen, noch zu allgemein. In beiden Ländern sind z.B. verschiedene Gruppen der Gesellschaft sehr unterschiedlichen Arbeitsmarktrisiken ausgesetzt. Die gemachten Aussagen bleiben aber im allgemeinen auch dann erhalten, wenn man Vergleiche für einzelne Gruppen durchführt.

Halten wir also fürs erste fest: Insbesondere was die neunziger Jahre anbelangt, sprechen verschiedene Indikatoren in der Tat dafür, dass es den USA wesentlich besser als Deutschland gelungen ist, in ausreichendem Maße neue Jobs zu schaffen und so einer stark ansteigenden Zahl von Erwerbspersonen Arbeitsplätze zu verschaffen. Dass diesem Erfolg auch Schattenseiten gegenüberstehen, wird im folgenden noch zur Sprache kommen.

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2.2 Unterschiedliche Wachstumsmuster in den beiden Ländern

Wem als Information nur die Entwicklung der Erwerbstätigenzahlen in den USA und in Deutschland vorliegt, wie sie in Bild 2.1 dargestellt sind, der wird sicher vermuten, dass sich in den USA auch ein eindeutig stärkeres Wachstum der realen Produktion ergeben hat, denn es ist ja ganz naheliegend, davon auszugehen, dass einer viel kräftigeren Ausdehnung der Erwerbstätigenzahl auch eine entsprechend schneller zunehmende Produktion entspricht.

Eine solche Vermutung erweist sich als falsch. Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts in konstanten Preisen betrug in den alten Bundesländern im Zeitraum 1960-1999 2,7%, in den USA im gleichen Zeitraum 3,2% [Fn.9: Der Durchschnittswert für die alten Bundesländer ist für das Bruttoinlandsprodukt in Preisen für 1991 berechnet. Dem Wert für die USA liegt eine etwas andere Deflationierungsmethode zugrunde, die den Wert eher über- als unterschätzen dürfte.].
Zwar liegt der Wert für die USA etwas höher, die Differenz ist aber ziemlich gering im Vergleich zu derjenigen, die bei der Zunahme der Erwerbstätigen vorliegt:

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Einer durchschnittlichen jährlichen Zunahme von 0,2% in der Bundesrepublik (alte Bundesländer) steht eine Wachstumsrate von 1,9% in den USA gegenüber. [Fn. 10: Durchschnittliche Wachstumsraten einer Größe x für mehrjährige Zeiträume sind als Steigung der Gleichung In x = a + bt berechnet, wobei t den Zeitindex angibt.]

Implizit ist damit schon gesagt, dass in der Bundesrepublik ein deutlich stärkeres Wachstum der Arbeitsproduktivität vorlag. Das wird schnell klar, wenn man sich zunächst den tautologischen Zusammenhang klar macht, der zwischen Produktionshöhe, Erwerbstätigenzahl und Erwerbstätigenproduktivität besteht. Es gilt

Reales Bruttoinlandsprodukt (BIP) = Erwerbstätige x Erwerbstätigenproduktivität oder

2.2.1

Q = E * Q / E

Dabei ist die Erwerbstätigenproduktivität als BIP/Erwerbstätige definiert.

Führt man eine Gleichung wie diese in Wachstumsraten (WR) über, so gilt annähernd [Fn. 11: Annähernd gilt das nur, weil man es bei endlichen Wachstumsraten mit einem sogenannten joint effect zu tun hat. Für größere Wachstumsraten tritt deshalb eine ins Gewicht fallende Differenz zwischen linker und rechter Seite auf.]

WR des BIP = WR der Erwerbstätigen + WR der Erwerbstätigenproduktivität oder

2.2.2


Aus der Gleichung folgt: Nahe beieinander liegende Wachstumsraten des BIP und große Unterschiede im Erwerbstätigenwachstum implizieren große Unterschiede in den Wachstumsraten der Erwerbstätigenproduktivität. Und in der Tat stellen wir fest, dass einer durchschnittlichen Wachstumsrate der Erwerbstätigenproduktivität von jährlich 1,3% [Fn. 12: In den letzten Jahren ist das Produktivitätswachstum in den USA allerdings deutlich kräftiger ausgefallen. Wir werden darauf später noch zurückkommen.] in den USA eine Zunahme dieser Größe in den alten Bundesländern von 2,4% gegenübersteht. Während das Wachstum des BIP in der Bundesrepublik also nur wenig das Produktivitätswachstum übersteigt und die Zunahme der

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Erwerbstätigenzahl damit recht gering ausfällt, liegen in den USA die Wachstumsraten von BIP und die der Erwerbstätigen sehr nahe beieinander, wie man aus den Abbildungen 2.3 und 2.4 ersieht. Die Kehrseite der Medaille ist natürlich das geringere Produktivitätswachstum und damit auch ein geringerer Anstieg der Realeinkommen - wie wir noch sehen werden vor allem der Löhne im unteren Bereich.

Die Unterschiede in der Produktivitätsentwicklung treten noch wesentlich deutlicher in Erscheinung, wenn man sich nicht auf die Erwerbstätigenproduktivität sondern auf die Stundenproduktivität bezieht. In der Bundesrepublik ist es phasenweise zu kräftigen Reduktionen in der jährlichen Arbeitszeit gekommen [Fn. 13: Bei der Interpretation der Jahresarbeitszeiten sollte man berücksichtigen, dass nicht nur Wochenarbeitszeitverkürzungen und die Verlängerung des Urlaubs darauf einwirken, sondern z.B. auch eine Ausdehnung der Teilzeitarbeit oder Veränderungen im durchschnittlichen Krankenstand. Nicht jede Arbeitszeitverkürzung ist auch eine Verkürzung der Arbeitszeit für die Vollzeit-Arbeitskraft.] , in den USA haben Arbeitszeitverkürzungen dagegen in der betrachteten Phase nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Was das bedeutet, macht man sich am besten wiederum durch eine tautologische Beziehung klar, die den Zusammenhang zwischen Erwerbstätigen- und Stundenproduktivität erhellt. Es muss gelten

Reales BIP/Erwerbstätige = Reales BIP/Arbeitsvolumen x Arbeitsvolumen/Erwerbstätige oder

2.2.3 Q/E = Q/V * V/E

Anders ausgedrückt bedeutet das:

Erwerbstätigenproduktivität = Stundenproduktivität * durchschnittl. jährliche Arbeitszeit oder

2.2.4


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In gleicher Weise wie zuvor kann das wiederum als Beziehung zwischen Wachstumsraten ausgedrückt werden. Diese Formulierung machen dann klar, dass sich bei einer unveränderten jährlichen Arbeitszeit (WR dieser Größe null) die Wachstumsraten von Erwerbstätigen- und Stundenproduktivität nicht unterscheiden. In den USA müssen diese Größen also nahe zusammenliegen, da es in nur geringem Umfang zu einer Reduktion der Arbeitszeit gekommen ist. In der Bundesrepublik ist es im Zeitraum 1960-1999 dagegen zu einem deutlichen Rückgang der jährlichen Arbeitszeit gekommen, es liegt also eine Schrumpfungsrate für diese Größe vor. Ergebnis: In der Bundesrepublik liegt die durchschnittliche Wachstumsrate der Stundenproduktivität im Ausmaß der Arbeitszeitverkürzung über derjenigen der Erwerbstätigenproduktivität. Der Abstand zwischen den USA und der Bundesrepublik in den Wachstumsraten der Stundenproduktivität ist damit noch ausgeprägter als bei denen der Erwerbstätigenproduktivität.

Dies genauer durch entsprechendes Material zu belegen, ist insofern etwas schwierig, als in den USA für die Gesamtwirtschaft keine offiziellen Zahlen für die Entwicklung der Stundenproduktivität zur Verfügung gestellt werden. Wohl aber wird letztere für den Unternehmenssektor und den nicht-landwirtschaftlichen Unternehmenssektor ermittelt. In der folgenden Tabelle - sie ist dem Report des CounciI of Economic Advisers von 1999 entnommen - wird eine, dieser Informationslage entsprechende, Aufspaltung des BIP-Wachstums vorgenommen. Wie man daraus entnehmen kann, war insbesondere im Zeitraum 1973 IV-1990 III das Wachstum der Stundenproduktivität (im nicht-landwirtschaftlichen Unternehmenssektor) sehr schwach - in diesen Zeitraum fällt der viel diskutierte "productivity slowdown". [Fn. 14: Wie man sieht, ist die Bezeichnung missverständlich: Zurückgegangen Ist nicht die Arbeitsproduktivität, vielmehr ist ihre - weiterhin positive - Wachstumsrate gegenüber der Vorperiode deutlich zurückgegangen.] Außerdem wird ersichtlich, dass die Arbeitszeitverkürzung bei weitem nicht die Bedeutung hatte, die ihr in der Bundesrepublik zukam.

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Tabelle 2.1: Wachstumsraten des realen Bruttoinlandprodukts und seiner Komponenten in den USA, 1960-2007

Position

1960 II bis 1973 VI

1973 IV bis
1990 III

1990 III bis
1998 III

1998 III
bis
2007 IV

1) Zivilbevölkerung über 16

1,8

1,5

1,0

1,0

2) PLUS: Erwerbsbeteiligung des zivilen Arbeitspotentials

0,2

0.5

0,0

0,1

3) = : Ziviles Arbeitspotential

2,0

2,0

1,0

1,1

4) PLUS: Zivile Beschäftigungsquote

0,0

-0,1

0,2

-0,1

5) = : Zivile Beschäftigung

2,0

1,9

1,2

1,1

6) PLUS: Anteil der Beschäftigung Im Unternehmenssektor ohne Landwirtschaft an der zivilen Beschäftigung

0,1

0,1

0,4

0,1

7) = : Beschäftigung im Unternehmenssektor ohne Landwirtschaft

2,1

2,0

1,6

1,2

8) PLUS: Durchschnittliche Jahresstundenzahl (im nicht-landwirtschaftlichen Unternehmenssektor)

-0,5

-0,4

0,0

0,0

9) = : Arbeitsvolumen (im nicht-landwirtschaftlichen Unternehmenssektor)

1,6

1,7

1,7

1,2

10) PLUS: BIP pro Stunde (Produktivität im nicht-landwirtschaftlichen Unternehmenssektor)

2,9

1,1

1,4

1,3

11) =: Wertschöpfung im nicht-landwirtschaftlichen Unternehmenssektor

4,5

2,8

3,1

2,5

12) PLUS: Verhältnis des realen BIP zur Wertschöpfung im nicht-landwirtschaftlichen Unternehmenssektor

-0,3

-0,1

-0,4

-0,2

13) =: Reales BIP

4,2

2,7

2,6

2,3

Quelle: Modifizierte Darstellung nach CounciI of Economic Advisers, Report 1999

Sieht man von den letzten Jahren einmal ab, auf die wir noch zu sprechen kommen, kann man also feststellen, dass sich die Stundenproduktivität in Deutschland im Trend deutlich stärker als in den USA erhöht hat. [Fn. 15: Dass das Ausgangsniveau der USA deutlich höher lag, ist unbestritten. Ob das auch heute noch gilt, wird von unterschiedlichen Studien nicht einheitlich beantwortet. Dabei spielt natürlich eine Rolle, wie die mit einem Niveau-Vergleich verbundenen Probleme gelöst werden. Von Bedeutung ist insbesondere, ob Wechselkurse oder Kaufkraftparitäten zu Grunde gelegt werden.]

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Die Fähigkeit einer Ökonomie, hohe Produktivitätsfortschritte zu realisieren, wird normalerweise höchst positiv eingeschätzt und als ein Zeichen ihrer Stärke angesehen. Es ist nicht ohne Ironie, dass der deutschen Volkswirtschaft gerade von US-amerikanischen Ökonomen immer wieder Anerkennung für diese Fähigkeit gezollt wurde, während es umgekehrt in der Bundesrepublik Deutschland weit verbreitet ist, der US-amerikanischen Wirtschaft dafür Bewunderung zu bekunden, dass es ihr gelingt, ihr Produktionswachstum in ein fast ebenso starkes Wachstum neuer Jobs umzusetzen.

Auf den ersten Blick scheint es so zu sein, dass die amerikanische Wirtschaft auf Grund einer Schwäche bewundert wird. Wie wir gesehen haben, ist die Differenz zwischen Produktions- und (Erwerbspersonen-)Produktivitätswachstum das Erwerbstätigenwachstum. Das Land, das es nicht schafft, dass das Produktivitätswachstum einigermaßen mit dem Produktionswachstum Schritt hält, hat unvermeidlicherweise eine größere Wachstumsrate der Erwerbstätigenzahl. Umgekehrt muss das Land auf starke Beschäftigungsgewinne verzichten, das regelmäßig einen (Erwerbstätigen)Produktivitätsfortschritt realisiert, der nahe beim Produktionswachstum liegt. Bei einem einigermaßen vergleichbaren Anstieg im BIP wird das Land mit dem vergleichsweise geringen Anstieg in der Produktivität deshalb als erfolgreich in der Schaffung neuer Arbeitsplätze erscheinen, als relativ erfolglos jedoch bezüglich der Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsproduktivität. Das Land mit einer geringen Erhöhung der Arbeitsplätze wird genau die gegenteilige Einschätzung erfahren. Es ist erfolgreich in der Produktivitätserhöhung, wenig kompetent dagegen bezüglich seiner Fähigkeit, neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Mit der steigenden Arbeitslosigkeit in Europa ist von dorther gesehen die amerikanische Schwäche in Sachen Produktivitätssteigerung immer mehr als eine ihrer Stärken interpretiert worden. Man sprach zunehmend nicht mehr von der mageren Produktivitätssteigerung in den USA, sondern von der besonderen Fähigkeit der amerikanischen Wirtschaft, Produktionswachstum in ein ähnlich hohes Erwerbstätigenwachstum umzusetzen. Die zweite Aussage ist letztlich mit der ersten identisch, aber sie klingt natürlich wesentlich positiver und lässt die Entwicklung in den USA in einem entschieden günstigeren Licht erscheinen.

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Umgekehrt wurde von einer bestimmten Richtung innerhalb der Wirtschaftswissenschaft die Produktivitätssteigerung in der Bundesrepublik, wie sie üblicherweise erfasst wird, als recht problematisch bezeichnet, da sie ein übertrieben optimistisches Bild von der gestiegenen Leistungsfähigkeit der deutschen Ökonomie angebe. Das Argument stützt sich vor allem auf die sogenannte "Entlassungs-Produktivität". Dabei wird - gestützt auf die neoklassische Produktionstheorie - davon ausgegangen, dass bei sinkender Beschäftigung die Kapitalintensität steigt (d.h. der Kapitalstock nimmt nicht oder nicht im gleichen Maß ab) und schon dadurch ein gewisser Produktivitätsanstieg erfolgt, der aber keineswegs bei Lohnrunden berücksichtigt werden dürfe. Die stärkeren Produktivitätsgewinne der deutschen gegenüber der amerikanischen Ökonomie werden damit teilweise auf die unterschiedlichen Beschäftigungsentwicklungen zurückgeführt und somit in Frage gestellt. Die amerikanische Entwicklung erscheint damit noch einmal in günstigerem Licht: Während die dortige Beschäftigungsentwicklung der einheimischen eindeutig überlegen ist, handelt es sich, dieser Argumentationslinie zufolge, bei der stärkeren Produktivitätsentwicklung in Deutschland teilweise um eine statistische Fiktion.

Wie an anderer Stelle von uns gezeigt wurde [Fn.16: Siehe dazu Kalmbach, P., Zur Ermittlung der Veränderungsrate der Grenzproduktivität der Arbeit durch den Sachverständigenrat, im Erscheinen.] , lässt sich die auf Beschäftigungsreduktion zurückgehende Produktivitätssteigerung nur unter sehr speziellen produktionstheoretischen Annahmen erfassen. Wie die diesbezüglichen Berechnungsversuche des Sachverständigenrats zeigen, ist die Korrektur des Produktivitätsanstiegs zudem sehr gering, wenn man weitverbreiteten Konventionen (z.B. Unterstellung einer Cobb-Douglas-Produktionsfunktion) folgt. So wich z.B. nach den Berechnungen des Sachverständigenrats die beschäftigungsbereinigte Wachstumsrate der durchschnittlichen Arbeitsproduktivität im Zeitraum 1980-92 überhaupt nicht von der unbereinigten ab (beide betrugen 2,7 Prozent), von 1982-93 lag die unbereinigte nur um 0,1 über der bereinigten. Viel Lärm um (so gut wie) nichts, ist man hier geneigt zu sagen.

[Seite der Druckausg.: 20 ]

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2.3 Zur Beschäftigungsintensität des Wachstums in den USA und in der BRD

Die im vorangegangenen Abschnitt gemachten Ausführungen scheinen zu belegen, dass das Produktionswachstum in den USA beschäftigungsintensiver ausfällt. Obwohl wir einige Belege dafür angeführt haben, dass sich in den USA bei nicht so unterschiedlichem Produktionswachstum ein entschieden stärkeres Wachstum der Erwerbstätigenzahl ergeben hat, haben wir diesen Ausdruck bisher vermieden - wie sich im folgenden zeigen wird, nicht ohne Grund.

Sehen wir uns zunächst einmal an, welche Zusammenhänge im Rahmen der Wirtschaftstheorie zwischen Wachstum und Beschäftigung thematisiert werden.

Einen ersten erhalten wir aus dem sogenannten "Verdoornschen Gesetz". Was heute allgemein als "Verdoorn-Gesetz" bezeichnet wird, ist eine von Kaldor [Fn.17: Kaldor, N., Causes of the Slow Rate of Economic Growth of the United Kingdom, Cambridge 1966] populär gemachte (angebliche) empirische Gesetzmäßigkeit, die einen linearen Zusammenhang zwischen dem Wachstum der Arbeitsproduktivität als der abhängigen Variablen und dem Wachstum der Produktion (unabhängige Variable) postuliert. Kaldor sah diesen Zusammenhang als typisch für das Verarbeitende Gewerbe an und auf dieses beschränkt. Die Begründung für die Existenz dieses Zusammenhangs lieferten vor allem die (nach Kaldors Vorstellung gerade im Verarbeitenden Gewerbe wichtigen) steigenden Skaleneffekte.

Von anderen ist der genannte Zusammenhang für die gesamte Wirtschaft unterstellt worden. Mit dem von uns behandelten Thema scheint das aber auf den ersten Blick dennoch wenig zu tun zu haben. Erinnert man sich aber an den oben dargestellten tautologischen Zusammenhang zwischen Produktions-, Produktivitäts- und Erwerbstätigenwachstum, so wird schnell klar, dass der Zusammenhang zwischen Produktivitäts- und Produktionswachstum implizit auch einen zwischen Erwerbstätigen- und Produktionswachstum enthält. Gerade dieser ist es, der uns hier interessiert.

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Der Verdoorn-Zusammenhang, wie er von Kaldor formuliert wurde, lässt sich wie folgt ausdrücken

2.3.1


Die durch diverse empirische Untersuchungen (mehr oder weniger) bestätigte Vermutung ist, dass a1 > 0 und 0 < b1 < 1. Mit anderen Worten:

  1. Auch bei einem Produktionswachstum von Null ergibt sich in der Regel ein gewisses positives Wachstum der Arbeitsproduktivität.

  2. Steigt die Produktion, so befördert das auch das Produktivitätswachstum, wobei allerdings einem Produktionswachstum von einem Prozent ein Produktivitätswachstum von weniger als einem Prozent entspricht.

Das zuletzt genannte Ergebnis bringt nun gerade den Zusammenhang mit dem Wachstum der Erwerbstätigen ins Spiel. Wie wir wissen, muss rein tautologisch gelten

2.3.2


Die Beziehung 2.3.1 lässt sich damit auch zu einer Beziehung zwischen Wachstum der Erwerbstätigenzahl und Produktionswachstum umformen. Wie man unter Verwendung von 2.3.1 und 2.3.2 leicht sieht, erhält man

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2.3.3


wobei a2 = -a1 und b2 = (1 – b1).

Im Grundsatz kann statt 2.3.1 also auch 2.3.3 als "Verdoorn-Gesetz" bezeichnet und geschätzt werden.

Welche Erkenntnisse ergeben sich daraus?

Eine erste wichtige Einsicht erhält man, wenn man in der geschätzten Gleichung Ê = 0 setzt. Der Wert, den man unter dieser Voraussetzung für erhält gibt diejenige Wachstumsrate des BIP an, bei der die Erwerbstätigenzahl gerade konstant ist, also weder steigt noch fällt. Man spricht bezüglich dieser Wachstumsrate auch von der Beschäftigungsschwelle, da bei niedrigeren Wachstumsraten die Zahl der Erwerbstätigen zurückgeht, bei höheren Wachstumsraten dagegen zunimmt. Wie sich gleich zeigen wird, liegt diese Beschäftigungsschwelle in den USA deutlich niedriger als in der Bundesrepublik.

Eine zweite Information, aber eine andere Art, liefert der Koeffizient b2. Er gibt an, wie stark das Erwerbstätigenwachstum auf eine Variation der Wachstumsrate reagiert. Man kann dies als marginale Beschäftigungsintensität bezeichnen. Während die Beschäftigungsschwelle diejenige Wachstumsrate des BIP bezeichnet, die überschritten werden muss, um eine Zunahme der Erwerbstätigenzahl zu erreichen, beantwortet die marginale Beschäftigungsintensität die Frage, wie die Erwerbstätigenzahl auf eine Variation der Wachstumsrate reagiert. Implizit ist damit natürlich auch die Reaktion der Produktivitätsentwicklung auf Veränderungen und Produktionswachstum beschrieben.

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Untersucht man die Beziehung 2.3.3 nun - unter Verwendung der entsprechenden jährlichen Wachstumsraten von 1961-1998 - für Westdeutschland und die USA, so erhält man das folgende Ergebnis. [Fn. 18: Vergleichbare Untersuchungen sind durchgeführt worden von Walwei, U. und Werner, H., " Das amerikanische Beschäftigungswunder„: Lehren für Deutschland, aber das Dilemma bleibt, Bonn 1998, http://library.fes.de/fulltext/stabsabteilung/00412toc.htm und Schalk, H.J. und Untiedt, G. Wachstum und Arbeitslosigkeit, Empirische Befunde und wirtschaftspolitische Optionen für die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2000, http//www.gefra-muenster.de]

Bundesrepublik Deutschland (alte Bundesländer):

2.3.4

2.3.5

*

    *[Fn. 19: In Klammern sind die jeweiligen t-Werte angegeben.]

Die Ergebnisse erlauben die folgenden Feststellungen. Ermittelt man zunächst für beide Länder auf die bereits genannte Weise die Beschäftigungsschwelle, so zeigt sich, dass diese in der Tat für die Bundesrepublik bei einem deutlich höheren Wert als in den USA liegt: In der Bundesrepublik muss auf Grund der ermittelten Gleichung ein reales Wachstum von 2,3% übertroffen werden, damit sich die Zahl der Erwerbstätigen erhöht, in den USA liegt die entsprechende Schwelle bei knapp 0,7% [Fn. 20: Die genannten Prozentzahlen erhält man aus den obigen Gleichungen, indem die Veränderung der Erwerbstätigenzahl Null gesetzt und das Ergebnis mit 100 multipliziert wird.].
Es zeigt sich also, dass in den USA schon bei einer wesentlich niedrigeren Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts als in Deutschland die Zahl der Erwerbstätigen zunimmt.

Sieht man dagegen auf die marginale Beschäftigungsintensität, also auf das Steigungsmaß der linearen Beziehung zwischen den beiden Wachstumsraten, so sind hier die Unterschiede sehr viel weniger deutlich. Zwar ist die Reaktion des Erwerbstätigenwachstums auf Veränderungen der Wachstumsrate in den USA etwas stärker, aber der Unterschied zwischen den beiden Ländern ist bezüglich dieser

[Seite der Druckausg.: 24 ]

Größe nicht allzu ausgeprägt. Keineswegs ertaubt er die Behauptung, dass in den USA sich verstärktes Produktionswachstum in erhöhtem Erwerbstätigenwachstum niederschlage, in Deutschland dagegen nicht. Vielmehr reagiert in Deutschland das Erwerbstätigenwachstum fast so stark wie in den USA auf eine Erhöhung des Produktionswachstums [Fn.21: Zu ähnlichen Ergebnissen gelangen Schalk und Untiedt , a.a.O.].
"Jobless Growth" in bezug auf die Bundesrepublik kann also nicht in dem Sinne interpretiert werden, dass eine Zunahme des Produktionswachstums ohne Einfluss auf die Erwerbstätigenzahl bleibt. Zutreffend ist jedoch, dass auch bei einer positiven Wachstumsrate der Produktion - nach unseren Ergebnissen unter 2,4% - die Erwerbstätigenzahl rückläufig sein kann, während mit der gleichen Wachstumsrate der Produktion in den USA eine Zunahme der Erwerbstätigenzahl verbunden wäre. Nach den für die beiden Länder ermittelten Beschäftigungsschwellen gilt das für Wachstumsraten zwischen 0,6 und 2,4 Prozent.

Man sollte diese Ausführungen allerdings nicht ohne ein Wort der Warnung abschließen. Schätzungen des "Verdoorn-Zusammenhangs" für unterschiedliche Zeiträume haben gezeigt, dass es sich dabei nicht um eine besonders stabile Beziehung handelt. Beispielsweise ist die Beschäftigungsschwelle in der Bundesrepublik im Laufe der Zeit nach unten gewandert, d.h. die Wachstumsrate der Produktion, ab der man mit einer Zunahme der Erwerbstätigenzahl rechnen kann, ist kleiner geworden. Man kann heute demnach bei schwächerem Produktionswachstum bereits eine Ausdehnung der Erwerbstätigenzahl erwarten als ehedem. Das scheint die Aufgabe einer auf Beschäftigungserhöhung gerichteten Wachstumspolitik zu erleichtern. Die Instabilität des Zusammenhangs kann aber im Prinzip auch dazu führen, dass die Beschäftigungsschwelle wieder nach oben wandert. Das würde dann bedeuten, dass die notwendigerweise auf ex post-Betrachtung beruhende Schätzung der Beschäftigungsschwelle die Produktionswachstumsrate unterschätzen würde, ab der man mit einer Zunahme der Erwerbstätigenzahl rechnen kann.

[Seite der Druckausg.: 25 ]

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2.4 Wachstum der Produktion und Veränderung der Arbeitslosigkeit

In der Literatur kann man eine gewisse Sorglosigkeit feststellen, was die Benennung empirischer Gesetzmäßigkeiten anbetrifft. Was wir zuletzt als "Verdoorn-Gesetz" behandelt haben, wird man mitunter durchaus auch als "Okunsches Gesetz„ finden. Bevor wir auf die Unterschiede dieser beiden Gesetzmäßigkeiten eingehen, wollen wir zunächst einmal zu klären versuchen, worum es bei der zuletzt genannten Gesetzmäßigkeit, dem "Okunschen Gesetz" geht. [Fn. 22: Was der Namensgeber, der amerikanische Ökonom A.M. Okun, selbst im Sinne hatte, soll hier nicht näher dargestellt werden. Siehe dazu Okun, A.M. Potential GNP: Its Measurement and Significance, Proceedings of the Business and Economic Statistics Secffon, Amencan Statistic AssociaSon, Washington 1962, S. 98 -103 ]

Die Ökonomen scheinen damit ihre Schwierigkeiten zu haben. In dem Lehrbuch von Case u.a. [Fn. 23: Case, K.E., Fair, R.C, Gärtner, M. und Heather, K., Economics, Upper Saddle River 1999, S. 721] heißt es zunächst: "Okun's Law states that unemployment falls below its normal level if income rises above potential income". Auf der gleichen Seite wird dann die nachfolgend angegebene Gleichung wiedergegeben und in der Weise kommentiert, wie von uns im Anschluss zitiert.

2.4.1 Y – Y * = a ( U * - U )

„This equation is called Okun's Law. The parameter a says that if the unemployment rate drops by one percentage point below U* (say from U* = 7% to 6%), then income rises by a unit beyond Y*."

Offenbar ist es den Autoren nicht aufgefallen, dass sie mit den beiden, auf der gleichen Seite gemachten Aussagen einander gerade entgegengesetzte Kausalverhältnisse zwischen den Größen postulieren. In der ersten Aussage ist die (Real)Einkommenshöhe die unabhängige Variable, die Arbeitslosenquote dagegen die abhängige. In der zweiten Aussage drehen sich die Verhältnisse dagegen gerade um: die Arbeitslosenquote wird zur unabhängigen, die Einkommenshöhe zur abhängigen Variablen.

[Seite der Druckausg.: 26 ]

Diese Unentschiedenheit, wie denn nun eigentlich die Kausalbeziehung beim "Okunschen Gesetz" zu sehen ist, finden wir nicht nur hier. Allerdings stimmen die meisten Autoren, die sich damit befassen, zunächst einmal darin überein, dass es - anders als in 2.4.1 - um die Beziehung zwischen der Veränderung der Arbeitslosenquote (gegenüber der Vorperiode) einerseits und der Abweichung der Wachstumsrate von der "normalen Wachstumsrate" geht. In 2.4.1 werden dagegen die Abweichungen des Realeinkommensniveaus und der Arbeitslosenquote von ihren Normalwerten gegenübergestellt.

Schwer tun sich die Interpreten aber nach wie vor mit den Kausalverhältnissen. So liest man etwa im makroökonomischen Lehrbuch von Mankiw: "Since employed workers help to produce goods and Services and unemployed workers not, increases in the unemployment rate should be associated with decreases in real GDP." [Fn. 24: Mankiw, N.G., Macroeconomics , 3 rd ed., New York 1997, S. 38] Die bereits in dieser Formulierung zum Ausdruck kommende Kausalbeziehung wird dann noch einmal durch die folgende Beziehung bestätigt:

"Percentage Change in Real GDP = 3% - 2 x Change in the Unemployment Rate." [Fn. 25: a.a.O., S. 39]

In seinem Buch Principles of Economics liest man dann aber beim gleichen Autor: "When the real GDP of the economy fluctuates, how much does unemployment typically change? Economists answer this question with Okun's law." [Fn. 26: Mankiw, N.G. Principles of Economics, Fort Worth u.a. 1998, S. 685] Die dazu angebotene Beziehung lautet hier:

Change in unemployment rate = ½x (Percent Change in real GDP minus 3 percent).

Die Kausalbeziehung, die in der zuletzt verwendeten Formulierung zum Ausdruck kommt, ist auch diejenige, die von uns zu Grunde gelegt wird. Dabei sollen natürlich nicht die von Mankiw genannten Werte verwendet werden, vielmehr wollen wir diese für die USA und für die Bundesrepublik empirisch ermitteln. Geschätzt wird jeweils die folgende Gleichung:

[Seite der Druckausg.: 27 ]

2.4.2.

2.4.3.


Bei der Betrachtung des Verdoorn-Zusammenhangs interessierten wir uns für die Beschäftigungsschwelle und für die marginale Beschäftigungsintensität. Hier geht es zum einen um die Frage, bei welcher Wachstumsrate der realen Produktion die Arbeitslosenquote gerade konstant bleibt. Wir schlagen vor, hier von einer Okun-Schwelle zu sprechen. Diese interessiert natürlich vor allem, wenn es das wirtschaftspolitische Ziel ist, die Arbeitslosenquote zu reduzieren. Die Okun-Schwelle gibt an, welche Wachstumsrate dafür übertroffen werden muss. Der Koeffizient gibt dagegen an, wie stark sich die Arbeitslosenquote in Abhängigkeit von der Wachstumsrate verändert. Ein hohes erweist sich als günstig, wenn man durch Steigerung des Wachstums die Arbeitslosenquote senken möchte. Geht die Wachstumsrate der Produktion zurück, bedeutet das allerdings umgekehrt, dass man einen stärkeren Anstieg der Arbeitslosenquote erlebt. In bezug auf soll von einem Okun-Koeffizienten gesprochen werden.

Unter Verwendung der (nationalen) Daten für 1961-1998 ergeben sich für das wie in 2.4.2 und 2.4.3 formulierte "Okunsche Gesetz" die folgenden Ergebnisse.

Bundesrepublik Deutschland (alte Bundesländer):

2.4.4.

2.4.5.


[Seite der Druckausg.: 28 ]

Um die Ergebnisse interpretieren zu können, soll zunächst , also diejenige Wachstumsrate ermittelt werden, bei der die Arbeitslosenquote konstant bleibt (die Okun-Schwelle). Da sie als definiert ist (siehe Gleichung 2.4.3), ist sie mit der Schätzung der oben wiedergegebenen Beziehungen festgelegt. Für die Bundesrepublik ergibt sich ein Wert von 3,9%, für die USA einer von 3,4%. Wir können also zunächst einmal festhalten, dass in beiden Ländern die Wachstumsrate höher liegt, die durchschnittlich erforderlich ist, um die Arbeitslosenquote konstant zu halten gegenüber der Wachstumsrate, die man braucht, um eine konstante Erwerbstätigenzahl zu gewährleisten. Das wird vermutlich weniger verwundern als die Höhe der Okun-Schwelle, insbesondere für die Bundesrepublik. Jährliche reale Wachstumsraten von fast 4% sind in den letzten 25 Jahren nicht gerade reichlich. Wenn sich das Okunsche Gesetz als einigermaßen robust erweisen sollte, müsste man den Schluss ziehen, dass beachtliche Wachstumsraten realisiert werden müssen, um die Arbeitslosenquote entscheidend zu reduzieren.

Interessant ist, dass die für die Bundesrepublik und für die USA ermittelten Okun-Schwellen erheblich näher beieinander liegen als die jeweiligen Beschäftigungsschwellen. Zwar liegt auch die Okun-Schwelle für die USA etwas niedriger als für die Bundesrepublik; der Abstand ist aber wesentlich geringer als bei den jeweiligen Beschäftigungsschwellen. Die auf der Basis der jeweiligen Verdoorn-Beziehungen ermittelten Beschäftigungsschwellen lassen den Unterschied zwischen den USA und der Bundesrepublik als recht dramatisch erscheinen - man hat es gleichsam mit zwei Welten zu tun. Die Okun-Schwellen revidieren diesen Eindruck. Man befindet sich in recht vergleichbaren Welten.

Der Okun-Koeffizient revidiert diese Einschätzung wieder ein wenig. Hatten wir bei der Beschäftigungsintensität festgestellt, dass die Unterschiede nicht besonders groß sind, so gilt das für die jeweiligen Okun-Koeffizienten nicht. Der deutlich höhere Wert für die USA bedeutet, dass dort die Arbeitslosenquote wesentlich stärker auf Veränderungen der Wachstumsrate reagiert als in der Bundesrepublik. [Fn.27: In diesem Punkt kommen wir zu einem anderen Ergebnis als Schalk und Untiedt, a.a.O.] Beim Versuch, die Arbeitslosigkeit durch Stimulierung des Wachstums zu reduzieren, sind insofern in der Bundesrepublik etwas ungünstigere Bedingungen als in den USA gegeben. Dem steht freilich positiv die höhere Beschäftigungsstabilität in

[Seite der Druckausg.: 29 ]

Deutschland bei nachlassendem Wachstum gegenüber. Ein Rückgang der Wachstumsrate führt zu einer weniger starken Erhöhung der Arbeitslosenquote.

Eine interessante und aufschlussreiche zusätzliche Untersuchung ist von Blanchard [Fn.28: Siehe Blanchard, O., Macroeconomics, 2nd edition, Upper Saddle River 2000, S. 168-170 ] vorgenommen worden. Er bezieht neben Deutschland und den USA auch Großbritannien und Japan in die Untersuchung mit ein und untersucht überdies, ob sich der Okun-Koeffizient im Zeitraum 1981-1998 gegenüber dem Zeitraum 1960-1980 verändert hat. Die von ihm gefundenen Ergebnisse sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt.

Tabelle 2.2: Okun-Koeffizienten für verschiedene Länder und Zeiträume

Land

1960-1980

1981 - 1998


USA

0,39

0,42

Großbritannien

0,15

0,51

Deutschland*

0,20

0,32

Japan

0,10

0,20

*Deutschland meint Westdeutschland und ist in der zweiten Periode nur bis 1989 erfasst.

Quelle: Blanchard, O., Macroeconomics, 2nd ed., S. 170

Versuchen wir, aus der Tabelle einige Schlüsse zu ziehen. Zunächst fällt auf, dass wir es beim Okun-Koeffizienten mit recht beträchtlichen Unterschieden in beiden Perioden zu tun haben. Dazu bemerkt Blanchard: "The ranking in the first column (gemeint sind die Werte für 1960-1980, P.K.) fits well with what we know about the behavior of firms and the structure of firing/hiring regulations across countries". [Fn.29: a.a.O., S. 170]
Der niedrige Wert für Japan wird mit der (in der betrachteten Phase) besonders hohen Beschäftigungssicherheit der japanischen Arbeitskräfte erklärt, der hohe Wert für die USA mit den geringen sozialen und gesetzlichen Beschränkungen, denen die Firmen bei der Anpassung ihrer Belegschaften unterworfen sind. Die beiden europäischen Länder liegen zwischen diesen Extremen.

[Seite der Druckausg.: 30 ]

Daneben fällt auf, dass für alle vier Länder der Okun-Koeffizient In der zweiten Periode höher ist. Besonders auffallend ist die starke Zunahme in Großbritannien, dessen Okun-Koeffizient in der zweiten Periode sogar den der USA übertrifft, die ihrerseits nur einen vergleichsweise milden Anstieg erlebt haben Der Kommentar Blanchards zu dem Anstieg in allen betrachteten Ländern ist folgender: "This again fits with what we know about firms and regulations. Increased competition in goods markets since the early 1980s has led firms in most countries to reconsider and reduce their commitment to job security. And, at the urging of firms, legal restrictions on hiring and firing have been considerably weakened in many countries. Both factors have led to a larger response of employment to fluctuations in output, thus to a larger value of [ ]". [Fn.30: a.a.O., S. 170]

Die eingetretenen Veränderungen im Okun-Koeffizienten werden - schon ein wenig überraschend in einem Lehrbuch der Makroökonomik - hier also rein mikroökonomisch erklärt. Ob diese Erklärungen überzeugen, wird im folgenden noch zu untersuchen sein. Festhalten sollte man allerdings, dass nach Blanchards Auffassung unter dem Druck verstärkter Konkurrenz eine stärkere Reaktion der Beschäftigung (bzw. Arbeitslosenquoten) auf Outputveränderungen bereits eingetreten ist. Das steht im Gegensatz zu den immer wieder zu hörenden Auffassungen, dass es der (fortexistierende) Mangel an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit ist, der die europäische Arbeitslosigkeit hervorgebracht hat und perpetuiert.

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2.5 Zwischenfazit

Wir haben in diesem Kapitel zunächst auf einige ins Auge fallende Unterschiede der wirtschaftlichen Entwicklung in den USA und in Deutschland verwiesen. Auffallend ist insbesondere die vollkommen verschiedene Entwicklung der Erwerbstätigenzahlen. Dies gilt, wenn man, wie es im Vorangegangenen geschah, einen längeren Zeitraum betrachtet; es gilt aber auch, wenn wir uns auf die letzten Jahre konzentrieren. "Between January 1993 and November 1999, employers added 20 million people to their payrolls", stellt der CounciI of Economic Advisers lapidar in einem kürzlich

[Seite der Druckausg.: 31 ]

vorgelegten Bericht fest. [Fn.31: Council of Economic Advisers, 20 Million Jobs: January 1993 - November 1999, http://www.whitehouse.gov/WH/EOP/CEA/html/publications.html]
In Deutschland ist im gleichen Zeitraum dagegen die Zahl der Erwerbstätigen (leicht) zurückgegangen. Noch deutlicher in verschiedene Richtung haben sich die Arbeitsvolumina entwickelt, wie die folgende, vom DIW übernommene Graphik zeigt, in der auch die Entwicklung in Frankreich seit 1993 dargestellt wird. Letztere zeigt, dass es offenkundig nicht ein unvermeidliches Schicksal europäischer Ökonomien sein muss, ein sinkendes Arbeitsvolumen aufzuweisen.

Abbildung 2.5: Arbeitsvolumina im Vergleich



[Seite der Druckausg.: 32 ]

Die Entwicklung der Erwerbstätigen und des Arbeitsvolumens ist aber nur ein Aspekt - und vielleicht sogar ein überbetonter - bei dem Vergleich zwischen den USA und der Bundesrepublik. Man kann nämlich argumentieren, dass die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter in den USA weit stärker als in der Bundesrepublik zugenommen hat und damit in der Bundesrepublik überhaupt nicht die Möglichkeit bestand, eine mit den USA vergleichbare Ausweitung der Erwerbstätigenzahl vorzunehmen.

Obwohl das sicher richtig ist, gibt es aber andererseits auch die Vorstellung, dass es bei einer starken Erhöhung der Bevölkerung, bzw. der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, schwieriger ist, den Anstieg der Arbeitslosenquote zu verhindern. So ist z.B. in der Bundesrepublik gelegentlich argumentiert worden, dass ohne die Erhöhung der Erwerbspersonenzahl sich kein nennenswertes Arbeitslosenproblem ergeben hätte, da sich die Erwerbstätigenzahl ja nicht drastisch vermindert habe, sondern sogar leicht erhöht habe.

Wir wollen hier die theoretisch sicher interessante Frage nicht weiter verfolgen, ob sich ein stärkeres Bevölkerungswachstum auf die Arbeitslosenquote eher günstig oder ungünstig auswirkt. Ob nun also "wegen" oder "trotz" des Bevölkerungswachstums: Sicher ist jedenfalls, dass es die USA, insbesondere in den 90er Jahren, verstanden haben, bei stark wachsender Bevölkerung die Arbeitslosenquote zu reduzieren und auf einen außerordentlich niedrigen Stand zu bringen.

Die unterschiedliche Entwicklung der Arbeitslosenquote seit 1992 - und nicht so sehr die Entwicklung der Erwerbstätigkeit - ist es vor allem, die Aufmerksamkeit verdient. Hier liegt der entscheidende Unterschied: In Deutschland ein fast ununterbrochener Anstieg, in den USA ein deutlicher Rückgang. Vergleicht man für die USA diesen Rückgang der Arbeitslosigkeit im Zuge der Expansion der neunziger Jahre mit dem der vorangegangenen Expansion, macht man eine erstaunliche Entdeckung. Wie die beiden folgenden Bilder zeigen, kam es zu Beginn der jüngsten Expansion zunächst zu einem Anstieg der Arbeitslosenquote - ganz im Gegensatz zur Expansion der achtziger Jahre, die mit einer kräftigen Abnahme der Arbeitslosenquote begann. Im weiteren Verlauf änderten sich die Verhältnisse: Die Arbeitslosenquoten der

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Expansion der neunziger Jahre lagen für die entsprechenden Monate nun immer mehr oder weniger deutlich unter denen des vorangegangenen Konjunkturaufschwungs.

Der Vergleich der beiden Konjunkturaufschwünge zeigt, dass die USA auch "verglichen mit sich selbst", d.h. mit früheren Entwicklungen, außerordentlich gut abschneidet. Auch das legt es nahe, den besonderen Bedingungen nachzuspüren, die zu dieser - im Zeit- wie im Ländervergleich - ungewöhnlich günstigen Konstellation geführt haben.



[Seite der Druckausg.: 34 ]




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