FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausgabe: 77 / Fortsetzung]


5. Der neue Bundesverkehrswegeplan

Grundlage der Diskussion über den neuen BVWP ist die Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998. In dieser Vereinbarung scheint hinsichtlich der Aufgabenstellung der notwendige Spagat zwischen den verschiedenen Interessengruppen geschafft worden zu sein, denn bezüglich der formulierten Ziele besteht Konsens. Dabei geht es um die Aktualisierung der Verkehrs- und Preisprognosen, um die Überarbeitung der Bewertungsmaßstäbe, um die Berücksichtigung verkehrsträgerübergreifender Integrationseffekte und um die Schaffung einer realistischen Finanzierungsbasis. Im folgenden wird zunächst auf Möglichkeiten der Sicherstellung der Finanzierung eingegangen. Anschließend werden inhaltliche Schwerpunkte der Überarbeitung des BVWP skizziert.

Page Top

5.1 Finanzpolitische Alternativen

5.1.1 Weiter wie bisher?

Die unbestrittene Unterfinanzierung des bestehenden Planes ist eine schwere Hypothek für die Zukunft. Bei früheren Fortschreibungen der Bundesverkehrswegepläne wurde der nicht abgearbeitete Vordringliche Bedarf ungeprüft als indisponibler Bedarf in den neuen Plan übernommen. Würde bei dem neuen BVWP ebenso vorgegangen, wäre mit eine

[Seite der Druckausgabe: 78]

Erledigung der Projekte aus den bisherigen Planungen frühestens in 20 Jahren zu rechnen, und für zusätzliche Maßnahmen wären im Prinzip auch erst danach wieder Spielräume vorhanden.

Prinzipiell könnte das BMVBW also auf eine Fortschreibung verzichten und in den nächsten 20 bis 30 Jahren den aktuellen Plan abarbeiten. Diese Option wird jedoch einhellig als unbefriedigend abgelehnt:

  • unbefriedigend aus Sicht der Bundesregierung, weil eine Planübernahme die eigene politische Gestaltungsfähigkeit auf die zeitliche Reihung von Maßnahmen beschränken würde,
  • unbefriedigend aus Sicht des Umweltschutzes, weil sämtliche umstrittenen Maßnahmen der bisherigen Planung nicht zur Disposition gestellt würden, und
  • unbefriedigend aus Sicht der Wirtschaft, weil die Realisierung der Maßnahmen zu lange dauern würde.

5.1.2 Mehr Geld?

Vor allem Bundesländer, Wirtschaft und DB Netz sprechen sich dafür aus, für die Projekte des BVWP mehr Geld als bisher zur Verfügung zu stellen. Dies sei schon allein deshalb erforderlich, weil nach der deutschen Wiedervereinigung die Mittel für den Verkehrswegebau nicht proportional aufgestockt, sondern einfach auf sechzehn statt elf Bundesländer verteilt wurden. In Nordrhein-Westfalen haben sich die Mittel für den Fernstraßenbau von 750 Mio. DM pro Jahr mittlerweile auf 420 Mio. DM reduziert, und für die nächsten Jahre zeichnen sich weitere Kürzungen ab. Aus der Sicht von Nordrhein-Westfalen wäre es deshalb schon ein Fortschritt, wenn dieser Trend abgebremst würde und die westlichen Bundesländer wieder mit steigenden Anteilen am Verkehrshaushalt des Bundes beteiligt würden.

Deutlich höhere Ausgaben für die Verkehrsinfrastruktur fordert der BDI, da der sehr große Bedarf mit den bislang vorgesehenen Mitteln - wenn überhaupt - viel zu langsam abgearbeitet werden könne. Zusätzliche Finanzmittel des Bundes für den Verkehrsbereich würden jedoch die Steuerbelastungen von Wirtschaft und Bürgern weiter erhöhen oder zu Lasten anderer Haushaltsposten gehen. Beide Problemlösungen kommen zwar theoretisch in Frage, sind aber in der ohnehin angespannten Finanzsituation des Bundes und nach der verabschiedeten Steuerreform wenig wahrscheinlich.

[Seite der Druckausgabe: 79]

5.1.3 Private Finanzierung

Eine weitere Möglichkeit der Mittelbeschaffung ist die private Vorfinanzierung von Maßnahmen, die bei einigen Straßenbauprojekten bereits angewendet wird. Dabei tritt die Wirtschaft aber nur als Finanzier und Bauherr, nicht aber als Betreiber einer bestimmten Investition in die Infrastruktur auf. Anders als z. B. in Frankreich muß für die Benutzung solcher Objekte bisher keine Gebühr bezahlt werden. Solche Maut-Systeme werden zwar immer wieder diskutiert und sind seit der Verabschiedung des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes 1994 auch zulässig, konnten sich aber bis jetzt nicht durchsetzen. Auch im politischen Raum bestehen Vorbehalte gegenüber einer generellen Anwendung von road pricing. So haben sich sowohl der amtierende Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Reinhard Klimmt als auch sein Vorgänger Franz Müntefering deutlich gegen Straßenbenutzungsgebühren für Pkw ausgesprochen.

Dagegen könnten sich nach Ansicht von BDI, VDA und EU-Kommission staatliche Infrastrukturplanung und privates Engagement bei Finanzierung, Bau und Betrieb von Verkehrswegen in Zukunft sinnvoll ergänzen. Wichtig erscheint dabei, daß die für öffentlich-private Lösungen geeigneten Verkehrsprojekte schon bei der Aufstellung des neuen BVWP identifiziert werden. Damit würden auch Projekte von hoher Dringlichkeit, mit hohen Nutzen-Kosten-Relationen und hoher Verkehrsfrequenz für die privatwirtschaftliche Realisierung freigegeben. Der BDI fordert, daß hierauf aufbauend die Funktionsfähigkeit des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes gestärkt werden sollte. Ferner sei es sinnvoll, die Qualität der Entscheidungsgrundlagen von Verkehrs- und Machbarkeitsstudien zu verbessern und nach Wegen zu suchen, wie die Baulastträger bei der Vorbereitung von Ausschreibungen, der Wertung von Angeboten und dem Abschluß von Konzessionsverträgen für öffentlich-private Infrastrukturprojekte von der Wirtschaft unterstützt werden können. Bei solchen Erweiterungen der Spielräume für die Infrastrukturfinanzierung ist auch der Beschäftigungsaspekt zu beachten. Nach Auffassung des VDA dürfte sich eine breitere Berücksichtigung privater Finanzierungsformen mittels public-private-partnership im Verkehrswegebau als ein äußerst profitables Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit herausstellen.

Die private oder teilprivate Finanzierung von Verkehrsprojekten macht es erforderlich, das bisherige Verfahren der Bundesverkehrswegeplanung zu ergänzen oder zu ändern. Die Kosten-Nutzen-Rechnungen decken nur den öffentlichen Bereich ab, klären aber nicht die Frage, in welchem Ausmaß Private bei Investitionen beteiligt werden können. Für private

[Seite der Druckausgabe: 80]

Unternehmen ist die Rentabilität eines Projektes entscheidend. Bei den Berechnungen müßte das private gegenüber dem öffentlichen Interesse abgewogen werden. Öffentliche Baukostenzuschüsse im Straßenbereich wären dann beispielsweise der Stärke des öffentlichen Interesses entsprechend zu begrenzen.

Auf verkehrspolitischer Ebene stößt die private Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen aber nicht auf ungeteilte Zustimmung. So hat beispielsweise Franz Müntefering als Bundesverkehrsminister in der Erklärung seiner Ziele und Schwerpunkte der Verkehrspolitik der breiten Anwendung dieses Finanzierungskonzepts eine Absage erteilt: „Die rein private Vorfinanzierung von Verkehrswegen, deren Bau wir mit Zins und Zinseszins zurückzahlen müssen, halte ich nicht für sinnvoll. Damit wird der finanzielle Engpaß nur in die Zukunft verschoben, das wäre keine verantwortliche Politik. Angefangene Projekte werden wir aber durchziehen. Es gibt einzelne, sehr kostspielige Projekte, wo ich mir eine Mautlösung vorstellen kann."

5.1.4 Streichung von Maßnahmen

Statt mehr Geld für Verkehrswege zur Verfügung zu stellen, könnte auch der Maßnahmenkatalog verkleinert werden. Die Streichung einer Maßnahme aus dem Bedarfsplan ist allerdings eine politisch schwierige Aufgabe. Dies verdeutlicht der BVWP ‘92, der ursprünglich nur bis zum Jahr 2010 gelten sollte. Bei der damals avisierten jährlichen Finanzierungsrate mußte aber davon ausgegangen werden, daß in dieser Zeitspanne nicht alle 'Vordringlichen' Maßnahmen realisiert werden können. Um den Gesamtumfang des Vordringlichen Bedarfs nicht reduzieren zu müssen, wurde der Geltungszeitraum des BVWP ‘92 um zwei Jahre verlängert.

Bereits die letzte Bundesregierung hatte erkannt, daß der BVWP ‘92 weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht aufrechterhalten werden kann. Die notwendige Reform wurde aber auf die 14. Legislaturperiode verschoben. Damit bleibt auch aus verkehrswissenschaftlicher Sicht festzuhalten, daß die Überarbeitung nur in einer unzureichenden und keinesfalls der Problematik und der grundlegenden Wandlung im Verkehrswesen entsprechenden Weise erfolgte. Der Vordringliche Bedarf des BVWP ‘92 wurde in einer Fragen der möglichen Finanzierung weit hintanstellenden Weise vergrößert. Durch die Eingruppierung von Maßnahmen als „vordringlich" wurde auch in der Bevölkerung der Eindruck erweckt, es würde bald eine Umsetzung erfolgen – eine Hoffnung, die inzwischen in vielen Fällen längst aufgegeben sein dürfte. Auch um sicherzustellen, daß

[Seite der Druckausgabe: 81]

es künftig nicht weiter zu hiermit verbundenen Beeinträchtigungen der politischen Glaubwürdigkeit kommt, spricht sich die neue Bundesregierung für Ehrlichkeit und Offenheit in der Verkehrspolitik und gegen das Fortschreiben der früheren Wunschlisten aus, wenn diese nicht finanzierbar sind.

Solche 'Wunschlisten' kommen dadurch zustande, daß viele Kommunal- und Landespolitiker Verkehrsprojekte insbesondere für ihren Wahlkreis realisiert sehen wollen. So sollen kleinere Maßnahmen wie Ortsumgehungen innerörtliche Stauprobleme lösen. Sie werden von lokalen Politikern vehement eingefordert und finden auf der Landesebene oder beim jeweiligen Bundestagsabgeordneten ihre verkehrspolitische Lobby. Von größeren Maßnahmen versprechen sich ganze Regionen wirtschaftlichen Aufschwung und Prestigegewinn. Die geplante Streichung eines Projektes wird deshalb immer heftigsten Widerspruch hervorrufen.

Die Überfrachtung der Bedarfspläne mit immer mehr Maßnahmen des Vordringlichen Bedarfs führt dazu, daß die Realisierung oft nicht oder erst nach sehr langer Zeit zustande kommt. Neben finanziellen Gründen sind daran auch z. T. jahrelange Planungszeiträume schuld. Als Ursache der Verzögerungen spielt auch eine Rolle, daß verschiedene Maßnahmen – wie beispielsweise einige Trassen für Ortsumgehungen - sehr umstritten sind und oft am Widerstand der betroffenen lokalen Bevölkerung oder von Umweltinitiativen scheitern. Viele Maßnahmen werden schon seit 20 oder noch mehr Jahren immer wieder anders geplant, immer wieder verschoben, und ihre Realisierung liegt immer noch in weiter Ferne. In einer Reihe von Fällen wird dabei im Verlauf der zu langen Planungen der Sinn der Maßnahme zunehmend unklarer. Hier stellt sich dann die Frage, ob diese Maßnahmen wirklich nötig sind. Die Gründe, die zu Planungsbeginn dafür sprachen, müssen nicht zwangsläufig immer noch gelten. Auch unter dem Aspekt der Ehrlichkeit spricht nach Auffassung des BMVBW vieles für die Streichung derartiger Projekte.

Durch die Streichung von Maßnahmen könnte zwar das Problem der Unterfinanzierung gelöst werden. Dies würde aber auf Kosten der Probleme erfolgen, die Anlaß für die Konzeption der Verkehrsprojekte und ihre Berücksichtigung im BVWP waren, denn in vielen Fällen sind diese Probleme nach wie vor akut. Sie würden bei einer Streichung keine Lösung finden. BDI und VDA plädieren deshalb dafür, zunächst den tatsächlichen Infrastrukturbedarf zu ermitteln und erst im Anschluß daran die Frage der Finanzierung zu stellen und zu beantworten. Ein Bedarf bleibe ein Bedarf, auch wenn er nicht finanziert werden könne. Betont wird, daß Deutschland im Zentrum des Binnenmarktes eine besondere Verantwortung ge-

[Seite der Druckausgabe: 82]

genüber den Partnern in Europa für leistungsfähige Infrastrukturen hat, um das Zusammenwachsen der europäischen Gemeinschaft und die Integration Mittel- und Osteuropas zu erleichtern. Benötigt werde ein BVWP, der diesen Anforderungen gerecht wird. Dieser muß den Bedarf an Bundesverkehrswegen unabhängig von der Finanzausstattung realitätsnah spiegeln. Nach Feststellungen des VDA kommen in der Verkehrsnachfrage die Mobilitätswünsche der Bürger zum Ausdruck, und eine bürgernahe Verkehrspolitik müsse sich daher an diesen Wünschen ausrichten. Notwendig ist aus der Sicht des BDI auch, daß ein neuer BVWP ausweise, welche gesamtwirtschaftlichen Folgen es hat, wenn der Bedarf nicht zeitgerecht abgearbeitet wird oder erforderliche Maßnahmen gestrichen werden. Daß in der gegebenen politischen Prioritätensetzung die für die Bedarfserfüllung benötigten Finanzmittel nicht verfügbar sind, sei zwar ein Faktum. Dies müsse aber nicht hingenommen werden. Deshalb ist der BVWP für den BDI auch ein gutes Instrument, die gesellschaftliche Diskussion über die Infrastrukturausstattung neu aufzunehmen und voranzubringen. Von außerordentlicher Wichtigkeit sei in diesem Prozeß die Unterstützung der Bundesländer bei ihrem Appell an die Bundesregierung, mehr Finanzmittel für den Ausbau und den Unterhalt der Bundesstraßen zur Verfügung zu stellen.

Fest steht aber auch, daß die Aufnahme von immer mehr Projekten in den BVWP die Unterfinanzierung zu einem unlösbaren Problem machen würde. Neuen Projekten werden vom BMVBW deshalb nur geringe Chancen eingeräumt. Das bedeutet zwar nicht, daß die Länder gar keine zusätzlichen Maßnahmen mehr anmelden können. Aber der schon bestehende Überhang beim Vordringlichen Bedarf mache es im Grunde erforderlich, für jedes neue Projekt auf zwei andere bereits in der Planung enthaltene Projekte zu verzichten. Ein Problem bei der Streichung ist, daß in vielen Fällen Alternativinvestitionen nötig werden. Wenn man sich bspw. darauf einigt, eine Autobahn nicht zu bauen, können ersatzweise eine Bundesstraße oder Ortsumgehungen erforderlich werden. Insofern bleibt ein Handlungs- und Finanzierungsbedarf bestehen, wenn größere Projekte gestrichen werden. Das Land Nordrhein-Westfalen fordert deshalb, Maßnahmen und Investitionen sorgfältig abzuwägen und aufeinander abzustimmen. Hierbei seien geeignete Planungs- und Bewertungsverfahren anzuwenden. Es müsse eine Konzentration auf das wirklich Wichtige erfolgen, das dann zügig zu realisieren sei. Bei den dringenden Verkehrsentscheidungen dürfe man sich keine Verzögerungen leisten. Nordrhein-Westfalen hat ehrgeizige Ziele für eine zukunftsorientierte Mobilität und wird deshalb auch nicht auf notwendige Vorhaben verzichten.

[Seite der Druckausgabe: 83]

5.1.5 Überprüfung der Projektprioritäten

Bei der Reform der Bundesverkehrswegeplanung stellt neben dem Aspekt der Streichung von Projekten auch die Möglichkeit der Neufestsetzung der Prioritäten einen zentralen Aktionsparameter dar. Man muß ganz oder schrittweise zur Änderung der Reihenfolge bereit sein, die in der Vergangenheit für die verschiedenen Maßnahmen aufgestellt wurde. Die als wesentlich erachteten Projekte müssen bevorzugt und schnellst-möglich durchgeführt werden. Dementsprechend will die DB Netz mehr Geld in den Schienenbestand investieren und weniger in neue Projekte. So sollen die Investitionen auf die wirklich ertragreichsten Maßnahmen konzentriert werden.

Mit der Überprüfung der Prioritäten soll der Prozeß des Ausuferns und der Überforderung der Verkehrswegeplanung gestoppt werden. Von der alten Bundesregierung wurden durch die breite Streuung der Investitionen zwar viele Maßnahmen begonnen, aber immer weniger abgeschlossen. Jetzt gilt es, die Projektinflation einzudämmen. Dabei soll es gemäß Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen „bis zum Abschluß der Überprüfung des BVWP bei im Bau befindlichen Maßnahmen keine Bauunterbrechung geben. Bereits vergebene Aufträge werden ausgeführt." Diese Passage des Koalitionsvertrages wird besonders von Umweltschützern hinterfragt. Der BUND kritisiert, daß der Begriff 'Maßnahme' z.T. nicht nur auf die tatsächlich begonnenen Bauabschnitte, sondern auf gesamte Maßnahmen - also z. B. auf die gesamte BAB 20 von Lübeck bis zur BAB 11 - bezogen wird.

Aus der genannten Formulierung des Koalitionsvertrages ziehen der BUND und das UBA auch den Umkehrschluß, daß vor Abschluß der Überprüfung des BVWP keine neuen Maßnahmen begonnen werden sollen. Nach ihrer Auffassung reicht es aber nicht aus, daß nur die noch nicht begonnenen Vorhaben einem neuen Bewertungsverfahren unterzogen werden. Vielmehr müßten eigentlich alle Maßnahmen - auch die bereits in Bau befindlichen - nach der neuen Methodik überprüft werden. Vor allem bei einigen Vorhaben der „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit" seien aus heutiger Sicht utopische Verkehrsmengen prognostiziert worden. Insbesondere in solchen Fällen sollte ermittelt werden, ob diese Investitionsplanungen nach ökonomischen und ökologischen Kriterien noch haltbar sind. Im übrigen müsse auch der Rückbau von Straßen zur Disposition gestellt werden, wenn sich bei der Bewertung nach ökonomischen, ökologischen und soziales Kriterien insgesamt eine negative Bilanz ergibt. Solche Stillegungen würden bei der Schiene akzeptiert und dürften auch bei der Straße nicht länger ein Tabu sein.

[Seite der Druckausgabe: 84]

Auch der Staatssekretär im Verkehrsministerium NRW fordert, daß angesichts der knappen Ressourcen in vielen Bereichen neu geprüft wird, ob laufende Programme und Maßnahmen noch gerechtfertigt sind, und ob mit den vorhandenen Mitteln nicht eine höhere Effizienz erzielt werden kann – entweder im selben Maßnahmenbereich durch besseres Management oder durch anders definierte Maßnahmen. Kriterien müßten hier u.a. die Wirtschaftlichkeit und Produktivität in der Verkehrswirtschaft sowie der Grenznutzen öffentlicher Maßnahmen sein. Wenn beispielsweise öffentliche Verkehrsleistungen auf Einzelstrecken vor allem im ländlichen Raum auf Dauer preiswerter mit dem Bus als mit der Bahn angeboten werden können, dann dürfe nicht aus emotionalen Gründen gegen die ökonomische Vernunft der kostspieligere Verkehrsträger gewählt werden. Zur Effizienz gehöre auch die Überprüfung von Standards auf ihre Notwendigkeit. Viele Verkehrsaufgaben könnten mit geringeren Standards gelöst werden, ohne Abstriche bei der Sicherheit machen zu müssen.

Das BMVBW betont, daß es keine Verkehrswende geben wird, und verweist auf die gesetzlichen Grundlagen der Bedarfspläne, die zu respektieren sind. Bis zur Vorlage eines neuen BVWP gilt das Investitionsprogramm 1999 bis 2002, auf das unten in Kapitel 5.3 eingegangen wird. Nur die Maßnahmen dieses Programms werden keiner neuen Bewertung unterzogen. Alle noch nicht begonnenen Vorhaben des BVWP ‘92 bzw. der Bedarfspläne sowie neue Projekte werden dagegen überprüft und nicht einfach wie bisher als indisponibler Bedarf in die weiteren Planungen übernommen. Sie sollen also auf der Basis einer modernisierten Bewertungsmethodik, überarbeiteter verkehrspolitischer Szenarien und der Ergebnisse neuer Prognosen sowie aktueller Projektdaten bewertet werden. Auf dieser Grundlage wird innerhalb der laufenden Legislaturperiode der Entwurf des neuen BVWP aufgestellt. Diese Vorgehensweise verdeutlicht die Absicht, mit Realismus statt „Spatenstichmentalität" vorzugehen. Sie deutet darauf hin, daß nicht weiter eine unkoordinierte Vielzahl von neuen Vorhaben, sondern tatsächlich nur wirklich dringende und finanzierbare Maßnahmen zusätzlich in die Planung aufgenommen werden.

5.1.6 Investitionsentscheidungen zwischen Verkehrsträgern

Bei der Festlegung von Prioritäten geht es nicht nur um die Auswahl der bei einem Verkehrsträger sinnvollsten Maßnahmen. Vielmehr sind auch Entscheidungen zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern zu fällen. In der Vergangenheit wurden die öffentlichen Haushalte durch zahllose Parallelplanungen - sowohl im Güterverkehrsbereich als auch im Personenverkehrssektor - massiv belastet. Folge hiervon ist beispielsweise die

[Seite der Druckausgabe: 85]

ruinöse Konkurrenz zwischen Schiene und Wasserweg, aber auch die permanente Verschlechterung der Wettbewerbssituation der Schiene gegenüber der Straße.

Die neuen Bundesregierung setzt sich im Koalitionsvertrag für eine „effiziente und umweltgerechte Verkehrspolitik" ein. Das bedeutet einen schonenden Verbrauch von natürlichen Ressourcen und der finanziellen Ressourcen des Staates sowie eine darauf abgestimmte Festlegung der Prioritäten zwischen den Verkehrsträgern. Im ökologischen Bereich ist es wichtig, daß die begrenzt vorhandenen Ressourcen – also auch die Naturfreiflächen - so wenig wie möglich in Anspruch genommen werden. Das gilt insbesondere für Ballungsräume, denn hier sind die verfügbaren Umweltpotentiale sehr knapp. Werden beispielsweise freie Flächen für einen Verkehrsträger zur Verfügung gestellt, dann sind sie nicht mehr für andere Zwecke nutzbar. Deshalb ist aus der Sicht des Verkehrsministeriums NRW eine sorgfältige Abwägung von Maßnahmen und Investitionen notwendig. Dies erfordert auch Entscheidungen zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern, die auch auf die Umlenkung von Verkehrsströmen zielen. Hierzu heißt es in der Koalitionsvereinbarung:

„Die Investitionen in Verkehrswege und Umschlagplätze sind (..) zur Umsetzung der ökonomischen und ökologischen Ziele in ein umfassendes Verkehrskonzept zu integrieren, das die Voraussetzungen für die Verlagerung möglichst hoher Anteile des Straßen- und Luftverkehrs auf Schiene und Wasserstraßen schafft. (..) Um die Modernisierung des Schienennetzes voranzutreiben, streben wir an, die Investitionsmittel für Straße und Schiene schrittweise anzugleichen."

Die neue Regierung will also ihre verkehrspolitischen Prioritäten neu festlegen, wobei die Straße an Bedeutung verlieren soll, während für Bahn und Binnenschiff wieder ein höherer Stellenwert angestrebt wird. Dieser Richtungswechsel wird im von der neuen Regierung vorgelegten Bundeshaushalt 1999 noch nicht deutlich. Im Vergleich zum Haushalt 1998 stieg die Investitionssumme für Bundesfernstraßen um ca. 69 Mio. DM und die für die Schienenwege des Bundes um ca. 23 Mio. DM. Im Vergleich mit dem Haushaltsentwurf der Vorgängerregierung für 1999 wurden beide um ca. 72 Mio. DM gesenkt. Wie echte Prioritäten gesetzt werden können, bleibt angesichts der auch auf den Bundesverkehrsminister zukommenden Sparrunden im Haushalt offen.

Für den BUND ist die vorgesehene Angleichung der Investitionsvolumina nicht ausreichend. Vielmehr fordert der Umweltverband eine darüber hinausgehende Bevorzugung der Schiene ein. Durch eine Verschiebung der

[Seite der Druckausgabe: 86]

Investitionsprioritäten hin zu 2/3 Schiene und 1/3 Straße könnte der nach wie vor existente Nachholbedarf der Schiene, dem in den vergangenen Jahren vor allem im Bestandsnetz nicht ausreichend Rechnung getragen worden ist, abgearbeitet werden. Notwendig sei insbesondere auch eine Änderung der Investitionsprioritäten weg von den teuren Höchstgeschwindigkeitsstrecken und hin zur Entzerrung der unterschiedlichen Geschwindigkeiten, zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des vorhandenen Netzes sowie zum Ausbau des vernachlässigten Nahverkehrs.

Page Top

5.2 Schwerpunkte der Überarbeitung

Die durch die Koalitionsvereinbarung vorgegebene Überarbeitung der BVWP, die zu einem umfassenden, ökonomische und ökologische Ziele integrierenden Verkehrskonzept führen soll, ist seit dem Regierungswechsel in Arbeit. Die Ergebnisse der Fortentwicklung der Methodik, der Erschließung und Vervollständigung der Datengrundlagen zum Personen- und Güterverkehr sowie der Aktualisierung der Prognose-Szenarien sollen im Herbst des Jahres 2000 vorgelegt werden. Dann soll auch die Veröffentlichung des „Verkehrsberichts 2000" erfolgen, in dem die Resultate der Überprüfung des Bedarfsplans Schiene sowie aktuelle Entwicklungen im Straßen- und Wasserstraßenbereich dargestellt werden.

Ein weiterer Schwerpunkt des Verkehrsberichts werden wichtige Aspekte einer integrierten Verkehrs-, Raumordnungs- und Städtebaupolitik sein. Dies entspricht dem ganzheitlichen Planungsansatz, für den die Bundesregierung bei der Überarbeitung des BVWP plädiert. Ziel ist ein integriertes Gesamtverkehrskonzept, das die Mobilität von Personen und Gütern sichern, die Umwelt- und Lebensqualität verbessern und die Verkehrssicherheit erhöhen soll. Damit geht das BMVBW auch auf eine der Hauptforderungen der Kritiker des bisherigen Planungsverfahrens ein, nach der Infrastrukturinvestitionen nicht isoliert geplant, sondern verstärkt zwischen den Verkehrsträgern und darüber hinaus mit allen verkehrsrelevanten Politikbereichen verzahnt werden sollten. Diese Aufgabenstellung wird durch die Zusammenlegung der früher getrennten Bundesministerien für Verkehr einerseits und für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau andererseits unterstützt. Dadurch können die Aspekte einer ausgewogenen Raumentwicklung und der städtebaulichen Entwicklung mit der Ver-kehrswegeplanung wesentlich besser abgestimmt werden. Das BMVBW beabsichtigt, städtebauliche Effekte, räumliche Wirkungen und Umwelt- und Sozialverträglichkeiten des Verkehrswegebaus stärker als bisher in die Bewertungsverfahren einzubeziehen und konsequent in eine komplexe, ressortübergreifende Raumordnungs- und Siedlungspolitik zu integrieren. Vorgesehen ist u.a., daß die raumordnerischen Anforderungen in

[Seite der Druckausgabe: 87]

Form einer „Raumwirksamkeitsanalyse" in das Verfahren einbezogen werden. Und die städtebaulichen Effekte, die im Rahmen des gesamtwirtschaftlichen Bewertungsverfahrens der BVWP ’92 nur bei Großprojekten der Straße - als städtebauliche Beurteilung - Berücksichtigung fanden, sollen in Zukunft umfassender abgebildet werden.

5.2.1 Verkehrsträgerübergreifende Planung und weitere Leitziele

Ein Schwerpunkt des ganzheitlichen Planungsansatzes ist für das BMVBW die stärkere Integration innerhalb des Verkehrssektors. Das Ziel ist eine Gesamtverkehrsplanung für alle Verkehrsträger einschließlich der Verknüpfung. Dabei geht es einmal um eine ausgewogenere Arbeitsteilung zwischen den Verkehrsträgern. Im Investitionsprogramm 1999 bis 2002 (vgl. Kapitel 5.3) wird hierzu gefordert, daß angesichts des dynamischen Wachstums des Straßengüterverkehrs, der heute schon das 2,3-fache der Verkehrsleistungen von Schiene und Wasserstraße erbringt, die Voraussetzungen für eine stärkere Beteiligung von Bahn und Schiff am Güterverkehr geschaffen werden müssen. Notwendig erscheinen u.a. deutliche Verbesserungen der Interoperabilität im internationalen Schienenverkehr und die Öffnung der nationalen Märkte für Dritte, aber auch eine gerechtere Anlastung der Wegekosten im Straßengüterverkehr durch die ab 2002 vorgesehene streckenbezogene Lkw-Maut auf Autobahnen. Zum anderen soll durch die Vernetzung sowohl im Güter- als auch im Personenverkehr die Effizienz des gesamten Verkehrssystems gesteigert werden. Von besonderer Bedeutung für das BMVBW sind dabei Anlagen des Kombinierten Ladungsverkehrs und von Güterverkehrszentren. Vor allem im europäischen Kontext sind aber auch Seehäfen, Binnenhäfen und Flughäfen zu berücksichtigen. Im Personenverkehr ist der Wechsel vom MIV zu öffentlichen Verkehrsmitteln durch einen attraktiven Schienenpersonenverkehr mit guten Verbindungen in und zwischen den Ballungsräumen und Zentren, aber auch durch Verbesserungen des Bahnhofsumfeldes und günstige Umsteigebeziehungen mittels integrierter Taktfahrpläne zu unterstützen.

Neben der ausgewogeneren Arbeitsteilung und besseren Vernetzung nennt das Investitionsprogramm 1999 bis 2002 u.a. noch folgende Leitziele für die Überarbeitung des BVWP:

  • Sicherung des Bestandes der Verkehrsinfrastruktur und dessen Optimierung

  • verstärkte Investitionen in das Bestandsnetz der Schiene (Rationalisierungsmaßnahmen, Leit- und Sicherungstechnik)

[Seite der Druckausgabe: 88]

  • Weiterentwicklung der Telematik als Instrument zur Erhalten der Mobilität und zur Reduzierung der Verkehrsbelastungen (vgl. Kapitel 4.4)

  • Entwicklung eines nationalen Luftverkehrs- und Flughafenkonzepts (vgl. Kapitel 4.5)

  • Intensivierung der Bemühungen um eine Erhöhung der Verkehrssicherheit auch auf den Bundesverkehrswegen sowie

  • Schaffung einer realistischen Basis für die Fortschreibung der Ausbauplanungen durch Aktualisierung der Prognosen zur Verkehrsentwicklung.

Aus Sicht des BUND ist allerdings fraglich, ob ein integriertes Verkehrssystem die Zukunftsprobleme tatsächlich bewältigen kann. Statt nur vordergründig neue Konzepte zu propagieren, sollte vielmehr zunächst intensiv eine weitergehende Zieldiskussion geführt werden. Hintergrund der Kritik ist, daß auch schon im letzten BVWP integriert geplant werden sollte. Diese Planungsüberlegungen wurden allerdings bestenfalls in Ansätzen umgesetzt. Eine wirkliche Systembetrachtung blieb aber allein schon wegen der Einzelbewertungen und projektspezifischen Nutzen/Kosten-Berechnung bei den verschiedenen Verkehrsinvestitionen kaum erkennbar. In Sonderfällen wurde zwar eine Systemkonkurrenz als Entscheidungsgrundlage mit herangezogen (z.B. bei einzelnen parallel zu Eisenbahnstrecken verlaufenden Straßenbauprojekten). Eine konsequente Analyse von Gesamtsystemen, die Betrachtung von multimodalen Wegeketten Schiene/Straße/Wasser und die Einbeziehung von Schnittstellen erfolgten jedoch nicht – insbesondere nicht hinsichtlich ihrer Nachfragewirkung. Hier will das BMVBW mit verkehrsträgerübergreifenden Vergleichen und netzbezogenen Planungen neue Wege beschreiten.

5.2.2 Trennung von System- und Projektebene

Bisher wurden die von den Ländern, dem Ministerium oder von anderen Stellen beantragten Maßnahmen einzeln bewertet. Beim BVWP ‘92 wurden so insgesamt rund 1.500 einzelne Projekte mit ganz unterschiedlichen Größenordnungen nach einem standardisierten Verfahren überprüft. Solche Einzelprojektprüfungen sind aber ein technokratischer Ablauf, bei dem die übergeordneten politischen Zielsetzungen wenig Beachtung finden. Deshalb hatte der Wissenschaftliche Beirat empfohlen, zunächst eine projektübergreifende Analyse vorzuschalten, durch die die Berücksichtigung der politische Zielorientierung sichergestellt wird. So könnte geklärt werden, in welchem Maße bestimmte Zielvorstellungen durch Netzkonstellationen unterstützt oder behindert werden. Netzinterdependenzen, die Prüfung von Parallelinvestitionen zwischen Schiene, Straße und Wasser

[Seite der Druckausgabe: 89]

straße, induzierter Verkehr, raumwirtschaftliche Effekte (Veränderungen regionaler Standortbedingungen) und die verkehrlichen Anforderungen der fortschreitenden europäischen Integration sind Faktoren, die problem-
adäquat viel besser auf der Netzebene als auf der Projektebene behandelt werden können. Im derzeitigen Verfahren werden diese Aspekte aber erst nach der eigentlichen NKA der Einzelprojekte in die Untersuchungen einbezogen.

Nach Erkenntnissen verkehrswissenschaftlicher Gutachter verursacht das bisherige Vorgehen einen hohen Aufwand, den man durch ein anderes Verfahren verringern könnte. Vorgeschlagen wird die klare Trennung von strategischer Systemebene und taktischer Projektebene. Faktoren, die mit der politischen Strategielinie zu tun haben, könnten so bereits zu Beginn des Bewertungsverfahrens, also bei der Aufstellung der Netzentwürfe und nicht mehr – wie bislang – erst im nachhinein berücksichtigt werden. Die Machbarkeit solcher Ansätze ist am Beispiel elementarer Umweltziele in Abstimmung mit Wirtschaftlichkeitszielen der Verkehrsplanung aufgezeigt worden. Das Vorziehen der Systemanalyse vor die Projektbewertungen würde zu einer starken Verringerung der zu prüfenden Einzelprojekte führen. Nach verkehrswissenschaftlicher Einschätzung wäre es auf diese Weise auch möglich, Parallelarbeiten von Bund und Ländern auf der Projektebene zu verhindern. Reduzierungen erscheinen bei der Anzahl der Bewertungsschritte möglich. Überflüssig würden nach Auffassung des Karlsruher Wirtschaftswissenschaftlers Rothengatter so z.B. die Quantifizierung von Verlagerungsnutzen, die Programmbewertung am Ende des Verfahrens oder Teile der URE. Nicht notwendig ist auch, daß Bund und Länder eigene Bewertungsrechnungen durchführen.

Im zweistufigen Bewertungsverfahren wird der Bund auf der Systemebene gefordert. Die Länder müßten erst auf der nachgelagerten Projektebene, bei der es um die konkrete Auswahl einzelner Maßnahmen und um die Festlegung der Verkehrslinien im Raum geht, aktiv werden und Verantwortung übernehmen. Auf dieser Ebene macht die Anwendung eines standardisierten Verfahrens der NKA weiter Sinn. Hier stehen Veränderungen der Verkehrskosten, des Unfallgeschehens und der lokalen Umweltbelastung im Mittelpunkt. Prof. Rothengatter plädiert dafür, daß trotz aller Kritik zu ökonomischen Einzelbewertungen an diesem Verfahren festgehalten werden sollte, da es eine objektivierte Vergleichsbasis (im Sinne der Unabhängigkeit von Einzelpräferenzen) liefert. Außerdem wäre die Eliminierung dieses Verfahrens als konstituierendes Element der

[Seite der Druckausgabe: 90]

BVWP deshalb nicht zielführend, weil international eine Tendenz zu vergleichbaren Bewertungen für den Kernbereich der NKA im Verkehrssektor festzustellen ist (vgl. APAS-Projekt der EU).

Eine derartige konzeptionelle Neustrukturierung des Bewertungsverfahrens hätte auch Konsequenzen auf der politischen Ebene. Betroffen sind die Institutionen, die Projektanträge in das Verfahren einbringen, also an erster Stelle die Länder. Diese erwarten i.d.R. eine Detailprüfung ihrer Vorschläge. Es ist nicht zu erwarten, daß die Vorschaltung von Beurteilungsschritten auf die Systemebene mit ihrer Kürzung der Projektlisten durchgehend Zustimmung auslösen wird, zumal hierbei der Proporz bei der Mittelzuteilung beeinflußt werden kann. Deshalb müssen nach Einschätzung des Karlsruher Wirtschaftswissenschaftlers im Zuge der Neukonzeption des BVWP-Verfahrens auch die eingefahrenen Spielregeln des Bund-Länder-Verhältnisses bei der Verkehrsplanung auf den Prüfstand gestellt werden.

Da eine solche Neukonzeption des Bewertungsverfahrens einen erheblichen Arbeitsaufwand erfordert und ihre politischen Auswirkungen nicht zuverlässig abgeschätzt werden können, wird eine zweiphasige Umsetzung vorgeschlagen. Dabei sollten kurzfristig zunächst graduelle Verbesserungen - z.B. durch Revision von Einzelbewertungen oder vereinfachte Berücksichtigung des Systemansatzes - erfolgen. Mittelfristig ist dann mit einer konsequenten Trennung von System- und Projektebene die Planungsmethodik, nach der die im Angriff zunehmenden Projekte der Verkehrsinfrastruktur künftig ermittelt werden, grundlegend zu reformieren.

5.2.3 Integrierte Bewertung

Die Bundesregierung plant im künftigen Ablauf der Projektbewertung einen zusätzlichen Integrationsschritt. Nach Angaben des Straßenbauberichts 1999 ist nach einer ersten Bewertung der erwogenen Maßnahmen eine Rückkopplung des sich so ergebenden Bündels von Infrastrukturprojekten mit der für die konkurrierenden Verkehrsträger prognostizierten Nachfrage vorgesehen. Die endgültige Bewertung würde somit auf der Basis integrierter Ergebnisse erfolgen. Das BMVBW stellt weiter fest, daß auch in Zukunft grundsätzlich das bisherige Prinzip der Einzelprojektbewertung zur Anwendung kommen wird. Ergänzend sollen die regional im Wettbewerb stehenden Verkehrsträger aber auch gemeinsam in Form eines Infrastrukturmaßnahmenprogramms - unter Berücksichtigung bestehender Interdependenzen - beurteilt werden.

[Seite der Druckausgabe: 91]

5.2.4 Offenheit des Verfahrens

Wegen der Vielzahl der Probleme will das BMVBW den neuen BVWP prozeßhaft anlegen. Die in dieser Legislaturperiode erfolgende Überarbeitung sei nur als ein erster Schritt auf dem Weg zu weiteren, realistischeren Bundesverkehrswegeplänen anzusehen. Hiermit könnten noch nicht alle zu erfüllenden Forderungen umgesetzt werden. Das Ministerium möchte mit diesem Hinweis auch zu große Erwartungen dämpfen. Es sei nicht möglich, bereits mit dem nächsten BVWP und damit in Kürze die vielschichtigen Verkehrs- und gesellschaftlichen Probleme zu lösen, die in den letzten 50 Jahren entstanden sind. Das Planungsverfahren selbst soll transparent und ohne Ausgrenzungen ablaufen, wobei Vorschläge der unterschiedlichen Interessengruppen zu berücksichtigen sind. Das Ministerium will den Entscheidungsprozeß aktiv steuern. Dabei sollen Ehrlichkeit und Offenheit bei der Erstellung des BVWP gewährleistet werden.

Eine aktive Rolle des Bundes fordert auch der BUND, denn eine reine Moderation der Prozesse würde die Planungen den Interessengruppen überlassen. Die Bundesregierung, aber auch Länder und Kommunen werden aufgefordert, deutlich ihre Investitionsprioritäten zu setzen. Parallel dazu müssen die Szenarien der Bundesverkehrswegeplanung von der Verkehrspolitik in Abstimmung mit den anderen Ressorts vorgegeben werden, damit die Mängel des BVWP ‘92 nicht weiter fortbestehen. Bei einer wirklichen Modernisierung der Planungssystematik gilt es, ein eingespieltes System von einschlägigen Fachverwaltungen, von Wirtschaftszweigen und auch Prognostikern von der Richtigkeit der neuen Ansätze zu überzeugen. Gerade deshalb wird eine Öffnung des Prozesses für alle Interessengruppen notwendig.

Parallel zur Überarbeitung des BVWP ist nach Auffassung des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) eine breite gesellschaftliche Diskussion über dessen Zielsystem erforderlich. Diese gab es in der Vergangenheit nur in Ansätzen. Bislang besitze die Verkehrspolitik noch kein konsensfähiges Leitbild dafür, wie sich Mobilität entwickeln soll. Das IZT plädiert dafür, daß die Politik dieses Leitbild nicht in einem großen Wurf vorgibt, sondern zu einer breiten öffentlichen Diskussion einlädt und die Rahmenbedingungen dafür schafft, daß auch bisher ausgegrenzte Anspruchsgruppen ihre Interessen in den Diskussionsprozeß einbringen können. Ein Vorbild dafür könnte z. B. der verkehrspolitische Ansatz aus Großbritannien sein. Die Labour-Regierung hat alle gesellschaftlichen Gruppen zu einer Konsensdebatte über den Verkehr und über die Anforderungen eingeladen, die das Verkehrssystem

[Seite der Druckausgabe: 92]

  • aus ökonomischer Sicht (z.B. wirtschaftliche Leistungsfähigkeit)

  • aus ökologischer Perspektive (z.B. weniger Schadstoffemissionen und Flächenverbrauch) sowie

  • aus sozialem Blickwinkel (z.B. weniger Verkehrstote und –verletzte)

zu erfüllen hat. Herausgekommen ist mit „A New Deal for Transport - Better for Everyone" ein „White Paper on the Future of Transport" - ähnlich den Weißbüchern der EU-Kommission. Dessen Ergebnisse sind zwar teilweise heftig umstritten. Entscheidend ist aber, daß die Probleme offengelegt und in breiten, oft kontroversen Diskussionen auch mögliche Lösungswege aufgezeigt werden.

Anregungen könnte auch die nordrhein-westfälische Enquete-Kommis-sion „Zukunft der Mobilität" geben. Aufgabe dieser Kommission ist es, eine integrierte Verkehrsplanung vorzuschlagen. Zu integrieren ist dabei bezüglich der Verkehrsträger, bezüglich der Bundes-, Landes- und kommunalen Planung, aber auch in dem Sinne, daß es nicht nur isoliert um Verkehrspolitik geht, sondern auch Aspekte wie Städtebaupolitik, wirtschaftliche Entwicklung und Umweltbelastungen beachtet werden müssen. Dieser Planungsansatz ist sehr komplex. Es wird horizontal und vertikal geplant, wobei auf jeder Stufe auch Bürgerbeteiligung vorgesehen ist.

Der neuen Bundesregierung ist es in ihrer Koalitionsvereinbarung gelungen, auch im Verkehrsbereich unterschiedlichen Interessen weitgehend gerecht zu werden. Jetzt steht die Konkretisierung der Ziele an. Dabei geht es vor allem

  • um die Förderung von Mobilität,

  • um die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Raum durch Herstellung vergleichbarer Mobilitätschancen,

  • um Reduzierungen der Ressourcenverbräuche zur Förderung eines nachhaltigen Verkehrs,

  • um Verbesserungen des Wirtschaftsstandorts Deutschlands zur Schaffung bzw. Sicherung von Arbeitsplätzen,

  • um die Schaffung fairer und vergleichbarer Wettbewerbsbedingungen für alle Verkehrsträger,

  • um Verbesserungen der Verkehrssicherheit für die Verkehrsteilnehmer und die Allgemeinheit sowie

  • um die Förderung der europäischen Integration.

Diese Ziele sind zu integrieren. Das könnte unter dem Bezugsrahmen der Nachhaltigkeit gelingen. Dabei müßten alle Vorhaben in dem Zieldreieck der nachhaltigen Entwicklung von Ökonomie, Ökologie und sozialen

[Seite der Druckausgabe: 93]

Aspekten bewertet werden. Diese Zielsystematik ist nicht konfliktfrei. Die Erarbeitung von konfliktarmen, aber effizienten Lösungen ist eine große Herausforderung.

Page Top

5.3 Investitionsprogramm 1999 bis 2002

Bis zur Vorlage eines überarbeiteten BVWP und der parlamentarisch verabschiedeten Bedarfspläne von Bundesschienenwegeausbaugesetz, Fernstraßenausbaugesetz und des geplanten Bundeswasserstraßenausbaugesetzes ist die Kontinuität der Planungs- und Bauaktivitäten im Verkehrsbereich sicherzustellen. Um dies zu gewährleisten, hat das BMVBW Anfang November 1999 das Investitionsprogramm für den Ausbau der Bundesschienenwege, Bundesfernstraßen und Bundeswasserstraßen in den Jahren 1999 bis 2002 vorgelegt. In diesem Programm, das die Funktion der früheren Fünfjahrespläne übernimmt, sind alle laufenden und einige wenige neue Investitionsvorhaben des Bundes zusammengefaßt. Mit der Festlegung klarer Prioritäten bei den Investitionen erfolgte eine Konzentration auf das Machbare. Damit wurde zugleich für die Zukunft Handlungsfähigkeit im investitionspolitischen Bereich zurückgewonnen. Als Programmziele werden genannt:

  • Sicherstellung von Wachstum und Beschäftigung

  • Beibehaltung der Priorität für den Aufbau Ost und Weiterarbeit an den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit

  • Vermeidung von Bauunterbrechungen bei in Bau befindlichen Maßnahmen und Ausführung von bereits vergebenen Aufträgen sowie

  • Schaffung von Planungssicherheit für die Länder und betroffenen Regionen.

Das BMVBW stellt fest, daß im Rahmen dieses Investitionsprogramms nur geringe Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume bestehen. Der überwiegende Teil der berücksichtigten Projekte ist bereits in Bau. Ein weiterer Teil des verfügbaren Investitionsvolumens entfällt auf die Refinanzierung privat vorfinanzierter Maßnahmen und die Restfinanzierung abgeschlossener Projekte. Wichtig ist aber auch, daß die im Programm aufgeführten Maßnahmen, für die z.T. auch noch nach 2002 Mittel benötigt werden, im Rahmen der Überarbeitung des BVWP ’92 grundsätzlich nicht mehr neu zu bewerten sind.

Insgesamt hat das Programm ein Investitionsvolumen von 67,4 Mrd. DM. Davon entfallen auf hoch prioritäre Maßnahmen sowie auf Ersatz und Erhaltung 64,5 Mrd. DM. Die restlichen knapp 3 Mrd. DM sind für prioritäre Maßnahmen vorgesehen. Einen maßgeblichen Teil des Investitionspro-

[Seite der Druckausgabe: 94]

gramms machen die Ersatz- und Erhaltungsinvestitionen aus (48 %). Der Substanzerhaltung der umfangreichen Verkehrsinfrastruktur des Bundes (Anlagevermögen von ca. 570 Mrd. DM) wird damit eine große Bedeutung zuerkannt, auch wenn dies zu Lasten von sonst möglichen Aus- und Neubauprojekten gehen sollte. Hier besteht erheblicher Nachholbedarf, denn der Modernisierungsgrad der Infrastruktur - also der Zustand mit durchgeführter Erhaltung - hat sich aus den in Kapitel 4.8.2 genannten Gründen in den letzten Jahren verschlechtert. Auf die Verkehrsträger verteilen sich die für Erhaltung und Ersatz vorgesehenen Mittel wie folgt:

  • Schiene 14,7 Mrd. DM

  • Straße 13,8 Mrd. DM

  • Wasserstraße 2,6 Mrd. DM

Wichtiges Ziel des Programms ist auch eine Angleichung der Investitionen bei Schiene und Straße. Dementsprechend wurde für die Investitionsmittel in den alten Bundesländern bereits jetzt eine Relation von 55% Schienenwege zu 45% Bundesfernstraßen festgelegt. In den neuen Ländern lautet wegen des Weiterbaus der „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit" und des großen Nachholbedarfs beim Straßennetz das entsprechende Verhältnis dagegen 40 % : 60 %. Im einzelnen nennt das BMVBW folgende Maßnahme zur Annäherung der Straßen- und Schieneninvestitionen:

  • Lärmsanierung an Schienenwegen 400 Mio. DM

  • Eisenbahnkreuzungsmaßnahmen 800 Mio. DM

  • S-Bahninvestitionen gem. GVFG-Bundesprogramm 1,2 Mrd. DM

  • privat vorfinanziertes Schienenprojekt
    München-Ingolstadt-Nürnberg 3 Mrd. DM

Damit werden insgesamt 5,4 Mrd. DM für die Schiene mobilisiert. Hinzu kommen Eigenmittel der Bahn von voraussichtlich 3 Mrd. DM. In den Beratungen über das Programm bestand zusätzlich Konsens darüber, daß nicht verausgabte Mittel möglichst für das Ziel eines höheren Anteils des Schienenverkehrs am Verkehrsaufkommen eingesetzt werden sollten, das aus verkehrs- und klimaschutzpolitischen Gründen angestrebt wird.

Die im Investitionsprogramm aufgelisteten Maßnahmen entsprechen dem Ausgangsplanungsstand. Änderungen sind entsprechend dem Planungsfortschritt möglich. Bei Planungsverzögerungen können also andere Projekte, die zunächst trotz Erfüllung der Aufnahmekriterien aus finanziellen Gründen nicht berücksichtigt werden konnten, im Austausch in das Investitionsprogramm 1999 bis 2002 einbezogen werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001

Previous Page TOC Next Page