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[Seite der Druckausgabe: 50 / Fortsetzung]


4. Herausforderungen für den neuen BVWP

4.1 Wieviel Verkehr bringt die Zukunft?

Bei unveränderten Rahmenbedingungen ist zukünftig mit einer Fortsetzung des Verkehrswachstums zu rechnen. Nach der vom ifo Institut für den VDA erstellten Langfristprognose „Vorausschätzungen der Transport- und Fahrleistungen des Straßengüterverkehrs in Deutschland bis zum Jahr 2015" werden sich die Transportleistungen im Güterverkehr von 1996 bis 2015 wie folgt entwickeln:

  • Eisenbahn + 35 %

  • Binnenschiff + 26 %

  • Lkw/Fernverkehr + 78 %

Das ifo Institut stellt fest, daß der vielbeschworene „Verkehrsinfarkt" aber nicht zu erwarten sei. Zwar werde das Straßennetz langsamer ausgebaut wie das Verkehrsaufkommen wachse. Daraus resultiere eine Zunahme der Überlastungseffekte mit der Folge weiter abnehmender Durchschnitts-geschwindigkeiten. Deshalb würden die Transportzeiten im Lkw-Verkehr nicht nur länger, sondern auch unkalkulierbarer. Entlastend können hier Kapazitätssteigerungen im Straßennetz durch technisch-organisatorische Maßnahmen (Telematik, intelligentes Straßenverkehrsmanagement) wirken. Die Nutzung derartiger Verbesserungschancen würde auch im Schienengüterverkehr helfen, die Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Dessen

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Wettbewerbsfähigkeit werde aber vor allem durch den weiteren massiven Ausbau der Umschlageanlagen - insbesondere des Kombinierten Verkehrs - gefördert. Schließlich betont das ifo Institut noch, daß die Fahrleistung, die unter infrastruktur- sowie unter umwelt- und energiepolitischen Aspekten die bedeutendste Kennziffer des Straßenverkehrs darstellt, wesentlich schwächer wachsen wird als die Transportleistung (29% gegenüber 65% für den gesamten Lkw-Verkehr). Für dieses Auseinanderdriften nennt das Gutachten vier wichtige Ursachen:

  • den Strukturwandel von der Produktion transportintensiver Massengüter hin zu hochwertigeren, aber leichteren Gütern,

  • das überproportionale Wachstum der meist besser ausgelasteten Transporte über längere Entfernungen,

  • die Erhöhung der zulässigen Gesamtgewichte sowie

  • die weitere Rationalisierung und verbesserte Ausnutzung des Laderaums durch effizientere Logistikkonzepte, optimierte Routenplanungen und minimierte Leerfahrten.

Auch der VDA betont, diese Prognoseergebnisse für die Transport- und Fahrleistungen dürften nicht erschrecken. Vielmehr seien sie die Basis für den zu erledigenden Leistungsauftrag. Der zu erwartende Verkehrszuwachs sei zu bewältigen und mit den Gesetzen von Ökonomie und Ökologie in Einklang bringbar.

Für das Wuppertal Institut sind diese Prognoseergebnisse nicht unbeeinflußbar. Eine dauerhaft angelegte Ökosteuer mit deutlichen und von der Politik durchgesetzten Preissignalen führe zu Entwicklungspfaden, die anders als bei Trendfortschreibungen verlaufen. Verkehrsmengen und Modal Split sind steuerbar, weil sie sich nicht als unabhängige Variable autonom aus Naturgesetzlichkeiten ergeben, sondern Ausdruck und Folge einer bestimmten Verkehrspolitik und der geltenden Rahmenbedingungen sind.

Bei allen Planungen in der Vergangenheit vor dem BVWP ‘92 war die weitgehende Unbeeinflußbarkeit der Nachfrageentwicklung aber eine durchgehende Prämisse - und zwar in mehrfacher Hinsicht. Nach Feststellung des Wuppertal Instituts wurde zum einen die endogene Verkehrsentwicklung, für die Verkehrsraum zu schaffen ist, nicht in Frage gestellt. Ausgeblendet blieb zum anderen auch die Rückkopplung der Infrastrukturerweiterung auf die Nachfrageentwicklung. Es wurde eine Art entpolitisierter Verkehrspolitik betrieben, bei der bis in die 80er Jahre die Notwendigkeit, dem quasi naturwüchsig zunehmenden Straßenverkehr die Wege zu schaffen, niemals für überprüfungswert gehalten wurde.

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Erst im BVWP ‘92 besann man sich auf die Gestaltungsmöglichkeit der Politik hinsichtlich der Verkehrsmittelwahl insbesondere im Güterfernverkehr. Den Abhängigkeiten der Verkehrsentwicklung von den Rahmenbedingungen wurde bei den Verkehrsprognosen mit drei unterschiedlichen Szenarien Rechnung getragen (vgl. Kapitel 2.1). Die als am realistischsten eingeschätzte Variante unterstellt, daß es moderate Eingriffe in den Verkehr durch eine Erhöhung der Nutzerkosten primär für Kfz und ein restriktives kommunales Parkraummanagement gibt. Ferner wurde angenommen, daß es zu Angebotsverbesserungen im Schienenverkehr und parallel zu einer die vorhandenen Kapazitäten übersteigenden Nachfrage im Straßenverkehr kommt. Dagegen wurden den Straßenverkehr reduzierende Instrumente wie Road-pricing nicht vorgesehen.

Faktisch kam es in den 90er Jahren bei der Straße aber gegenüber dem Schienenverkehr und der Binnenschiffahrt nicht zu einer relativen Erhöhung der Reise- und Transportkosten. Das Gegenteil ist auch bei der unterstellten Entwicklung der durchschnittlichen Geschwindigkeiten der Fahrzeuge eingetreten. Statt der erwarteten Abnahme der Geschwindigkeiten auf den Fernverkehrswegen und insbesondere in den Innerortsbereichen sind nicht zuletzt aufgrund der Investitionstätigkeiten Zunahmen zu registrieren.

Diese und weitere Abweichungen von den Prämissen hatten in Verbindung mit dem Verzicht auf die Verwirklichung notwendiger politischer Entscheidungen die Konsequenz, daß die vermuteten Verlagerungen von Verkehren von der Straße auf die Schiene nicht nur nicht eingetreten, sondern sogar in die entgegengesetzte Richtung verlaufen sind. Fest steht schon jetzt, daß die dem BVWP ‘92 zugrunde gelegte Prognose über die Entwicklung des Verkehrsaufkommens bis zum Jahr 2010 nicht zutrifft. Der Straßengüterverkehr hat sich erheblich stärker entwickelt als angenommen; der Schienengüterverkehr ist dagegen dramatisch hinter den Prognosen zurückgeblieben. Wie bisher wird sich auch in den kommenden Jahren die Entwicklung nicht nach dem Wunschszenario richten. Dies belegt für das Wuppertal Institut, daß die Zukunft nur sehr begrenzt planbar ist.

Hieraus ist aber nicht der Schluß zu ziehen, daß man auf politische Entscheidungen und die Vorgabe von Entwicklungslinien verzichten kann. Vielmehr muß man bei der Verkehrswegeplanung stärker gestaltende Rahmenbedingungen setzen und insbesondere auch auf deren Realisierung achten. Die vorgesehene Aufteilung der Mittel auf die einzelnen Verkehrsträger braucht neben einem neuen BVWP auch ein realistisches politisches Programm, das Schritt für Schritt im Takt des Verkehrsplans

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durchgesetzt wird. Der neue BVWP darf also nicht nur Absichtserklärungen enthalten, sondern er muß auch den Realitäten folgen. Investitionen in Schienenwege machen wenig Sinn, wenn keine entsprechenden Verkehrsverlagerungen eintreten, und Rahmenbedingungen, die solche Veränderungen des Modal Split behindern, gilt es zu vermeiden.

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4.2 Neue Verkehrswege oder neue Verkehrspolitik?

„Eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands von zentraler Bedeutung." Diese Aussage in der Koalitionsvereinbarung verdeutlicht, daß den Verkehrswegen eine entscheidende Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands zuerkannt wird. Der BDI weist darauf hin, daß die Infrastrukturausstattung zu den wichtigsten Bestimmungsgründen für die Standortwahl von Unternehmen zählt, und daß von ihr erhebliche Produktivitätswirkungen ausgehen. So hat das Kölner Institut für Verkehrswissenschaft ermittelt, daß rund die Hälfte des Produktivitätswachstums in Deutschland in den letzten vier Jahrzehnten auf die Leistungsfähigkeit der Verkehrssysteme zurückzuführen ist, wobei den Straßen die höchste Bedeutung zukommt. Der BDI erinnert an Feststellungen des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in einem seiner jüngeren Jahresgutachten, nach denen es die Ausweitung von Handel und Arbeitsteilung in der Welt und nicht deren Beschränkung ist, die mehr Produktivität und mehr Wohlstand ermöglicht. Voraussetzung für Verstärkungen der nationalen und globalen Verflechtungen sind moderne Kommunikations- und Transporttechniken auf der Basis einer leistungsfähigen Infrastruktur.

Fest steht, daß das Netz der Verkehrswege in Deutschland mittlerweile sehr gut ausgebaut ist. Das Problem der Wirtschaft ist nicht mehr die fehlende oder schlechte Erschließung bestimmter Regionen, sondern die Überlastung der bestehenden Infrastruktur. Zur Staubeseitigung forderte man über Jahrzehnte hinweg den Bau neuer Verkehrswege. Dabei wurde vor allem mit der Aufhebung von Beeinträchtigungen des Wirtschaftsverkehrs argumentiert. Häufig ist es nach der Fertigstellung von Straßenbaumaßnahmen dann aber überwiegend der Einkaufs- und Freizeitverkehr im Nahbereich, der die Straßen erneut verstopft. Kritiker eines ungebremsten Verkehrswegebaus schlagen deshalb vor, Teile des MIV von der Straße zu verlagern, um so Platz für den Wirtschaftsverkehr zu schaf-fen.

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Hinzu kommt, daß einmal gebaute Verkehrswege nicht flexibel sind, sondern i. d. R. auf Dauer bestehen und nur unter großem Aufwand wieder zurückgebaut werden können. In Zeiten ständig wachsender Verkehrsströme erscheint dieses Argument zwar für den Straßenbereich nicht zugkräftig. Doch das Beispiel Schiene zeigt, daß es zu Strukturveränderungen kommen kann, die Stillegungen von Verkehrswegen erforderlich machen können. Unsicherheiten bei der Prognose von Verkehrsströmen schließen solche Entwicklungen auch in anderen Bereichen zumindest nicht grundsätzlich aus.

Weitere Streckenstillegungen drohen als Folge einer noch immer geringen Akzeptanz der öffentlichen Verkehrsmittel. Um dies zu vermeiden, schließt beispielsweise das Land Nordrhein-Westfalen Trassensicherungsverträge mit der Bahn ab. Alle Strecken, auf denen die Verkehrsbedienung eingestellt wird, werden hierdurch zunächst nicht abgebaut. Vielmehr wird versucht, neue Betreiber für solche Strecken zu finden. Dies erweist sich aber als schwierig. Wenn sich aber nach 15 oder 20 Jahren kein Unternehmen bereit erklärt, hier Schienenverkehr durchzuführen, dann macht es keinen Sinn, diese Infrastruktur weiter zu sichern. Dann erfordert es der ökonomische Umgang mit knappen Mitteln, solche Trassen doch zurückzubauen. Dies verdeutlicht auch, daß bei der Fortschreibung des BVWP von realistischen Annahmen zum Verkehrsverhalten ausgegangen werden muß. Nach Auffassung des Staatssekretärs im Verkehrsministerium NRW bringt es überhaupt nichts, wenn man die Bahn immer mit Zahlen schön rechnet und der Verkehr dann tatsächlich auf der Straße abgewickelt wird. Man müsse deshalb auch in der Verlagerungsdiskussion realistisch bleiben. Es geht nicht darum, der Straße Verkehrsanteile abzunehmen. Vielmehr wäre schon viel erreicht, wenn man einen Großteil der Verkehrszuwächse auf die Schiene, das Binnenschiff und den ÖPNV bringen würde.

Die Stärkung des Schienenfern- und -nahverkehrs und die Erhöhung seines Anteils an den wachsenden Verkehrsmengen wird aber die Bedeutung der Straße sowohl im MIV als auch im Güterverkehr nicht grundsätzlich schmälern. Auch in Zukunft wird die Straße die Hauptlast des Verkehrs tragen. Das erfordert nach Meinung des für Verkehr zuständigen Staatssekretärs aus NRW weitere Verbesserungen des Verkehrsablaufs im Straßennetz insbesondere durch

  • die Erhöhung der Verkehrssicherheit,

  • den Bau von Ortsumgehungen zur Entlastung sensibler Ortslagen,

  • die Sicherung des Verbindungsbedarfs in schwach strukturierten Räumen,

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  • die Beseitigung von Lücken und Engpässen in den Hauptverkehrsachsen,

  • die Verbesserung der Verknüpfungspunkte zur Bildung von Transportketten und

  • technische und organisatorische Maßnahmen zur Stauvermeidung.

Auch in den kommenden Jahren kann also nicht auf Investitionen in den Ausbau und Erhalt der Straßeninfrastruktur verzichtet werden.

4.2.1 Weißbuch über faire Kostenanlastung im Verkehr

Einen wesentlichen Anstoß zur Debatte über eine neue Verkehrspolitik hat die EU-Kommission mit der Vorlage ihres Weißbuches über faire Kostenanlastung im Verkehr gegeben. Hierbei wird davon ausgegangen, daß die Entscheidungen der Individuen über die Wahl des Verkehrsmittels größtenteils auf den Preisen basieren. Ziel des Weißbuches ist ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen den Verkehrsträgern, das schrittweise über eine gerechtere Anlastung der Wege- und der externen Kosten bei allen Verkehrsträgern - also auch beim Straßenverkehr - erreicht werden soll. Es geht also nicht um eine grundsätzliche Verteuerung des Verkehrs, auch wenn dies z. T. die Konsequenz der Kostenanlastung ist. Vielmehr soll mit Mitteln der Kostenpolitik eine bessere Verteilung des Verkehrs zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern gefördert werden. Dabei geht es auch um eine direkte Verknüpfung der Kosten für die Errichtung zusätzlicher Straßenkapazitäten mit den Kosten ihrer Nutzung. Hier gilt es, ein internes Gleichgewicht herzustellen. Um das zu erreichen, fordern Verkehrswissenschaftler die Substitution der Steuerfinanzierung von Straßen durch Gebührenlösungen. So könnten sowohl das Angebot als auch die Nachfrage nach Verkehrswegen zugleich über Preise geregelt werden.

Nach Auffassung des BDI werden mit dem Weißbuch zu Infrastrukturgebühren falsche Weichen gestellt. Der Verband spricht sich gegen die von der EU propagierte Strategie zur Kosteninternalisierung aus, da hierbei die Potentialwirkungen des Verkehrs und seine gesamtwirtschaftliche Nutzenstiftung ignoriert würden. Problematisch, aber auch Ziel des Weißbuches sei es, durch die Erhöhung der Preise für die Straßennutzung viele Benutzer abzuschrecken. Dadurch ließen sich nach Einschätzung von EU und Umweltverbänden Verkehrsstaus beseitigen, und kapazitätserweiternde Investitionen würden überflüssig. Der Infrastrukturausbau wird nicht mehr als beste Lösung zur Verringerung von Staus und Schadstoffemissionen angesehen. Verbesserungen im Straßennetz durch Neubau und Ausbau werden nur noch begrenzte Entlastungseffekte zuge

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schrieben, weil derartige Maßnahmen auch zusätzlichen Verkehr induzieren. Bei solchen zusätzlichen Fahrten wäre häufig davon auszugehen, daß die ökologischen Nachteile die Vorteile des verbesserten Verkehrsflusses übersteigen.

Der BDI hält dagegen Kapazitätserweiterungen für notwendig. Nach Auffassung des Verbandes wird unsere Lebensqualität beeinträchtigt, falls die Pflege und der Ausbau der Infrastruktur vernachlässigt werden. Die Ziele des Weißbuchs

  • Beseitigung der Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Verkehrsträgern und zwischen den Mitgliedsstaaten,

  • Sicherung der Finanzierung der Infrastruktur und

  • Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft

werden zwar unterstützt. Aber in bezug auf die Instrumente, die zur Umsetzung dieser Ziele zu nutzen sind, wird eine abweichende Auffassung vertreten. Die Kommission sieht in Verbesserungen und Erweiterungen der Infrastruktur nicht den richtigen Weg, weil man davon ausgeht, daß trotz einer „krankhaften Überlastung" unserer Infrastrukturen ein größeres Angebot automatisch auch zu mehr Nachfrage führt. Deshalb soll mit einer schrittweisen Harmonisierung der Gebührensysteme für die Infrastruktur die Wettbewerbssituation zwischen den Verkehrsträgern verändert werden. Nach Einschätzung des BDI kann aber mit Verteuerungen des Lkw-Transports das Problem der Überlastung der Infrastruktur nicht gelöst und sichergestellt werden, daß eine Verlagerung auf die als besonders umweltfreundlich qualifizierten Bahn- und Binnenschiffsverkehre erfolgt. Ein teurer Straßengüterverkehr sei kein Garant für leistungsfähige und kostengünstige Eisenbahn- und Schiffahrtssysteme. Deshalb plädiert der BDI dafür, die Infrastruktur qualitativ und quantitativ so auszubauen, daß Teile des voraussehbaren Wachstums des Straßenverkehrs in marktwirtschaftlichem Wettbewerb von Bahn und Schiff übernommen werden können.

4.2.2 Nachhaltige Mobilität

Der Begriff der nachhaltigen Mobilität leitet sich vom Konzept der nachhaltigen Entwicklung ab, die auf der gleichberechtigten Berücksichtigung sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Aspekte beruht. In vielen Fällen scheinen Wirtschaft und Umwelt zwar unvereinbar gegeneinander zu stehen. Ein Beispiel hierfür ist die Hochmoselquerung, durch die den Autofahrern - insbesondere den Lkw, die zwischen verschiedenen europäischen Staaten fahren, - ein Umweg von ca. 30 Minuten erspart und damit eine ökonomisch vorteilhafte Verkehrsverbindung zur Verfügung gestellt werden soll. Hier fordern Vertreter des BUND aber aus Umweltgründen

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eine Streichung dieses Infrastrukturprojekts aus dem Maßnahmenkatalog des BVWP. Auf Ablehnung stößt dabei auch die vorgesehene private Finanzierung und spätere Refinanzierung über Straßenbenutzungsgebühren, weil erwartet wird, daß bei einer Maut auf Fahrten über die neue Brücke verzichtet wird und der Verkehr unverändert über die zuvor benutzten Straßen erfolgt. Unbestritten ist aber, daß die Verkehrsprobleme von Städten und Gemeinden im Moseltal eine Lösung erfordern. Würde der Bau der Brücke unterbleiben und statt dessen der Güterverkehr auf die Schiene umgeleitet, dann hätte das lediglich regionale Verlagerungen des ökologischen Problems auf die Rheinschiene zur Konsequenz.

Aus der Sicht des VDA verdeutlicht die Hochmoselquerung dagegen, daß wirtschaftliche und ökologische Vorteile zugleich erzielt werden können, also nachhaltige Problemlösungen möglich sind. Durch die Schaffung einer kürzeren Verkehrsverbindung käme es zu Reduzierungen des Spritverbrauchs. Das sei aber sowohl ökonomisch als auch aus der Umweltperspektive günstig zu bewerten.

Neben den vielfältigen technischen Möglichkeiten, die sowohl der Umwelt als auch der Wirtschaftlichkeit zugute kommen - wie z.B. verbrauchsärmere Fahrzeuge - gibt es auch Lösungen für mehr Nachhaltigkeit, die auf Verhaltensänderungen der Menschen basieren. Hier geht es um einen Richtungswechsel von quantitativen Verkehrsmengen und Verkehrsleistungen hin zur Mobilität, die sich zunächst mit qualitativen Zielvorgaben auseinandersetzt und erst in einem zweiten Schritt nach konkreten Lösungen für Verkehrsprobleme sucht. Dabei spielen Aspekte der Substitution physischen Verkehrs durch elektronische Datenübermittlung ebenso eine Rolle wie eine stärkere Regionalisierung der wirtschaftlichen Aktivitäten, denn Güter- und Informationsaustausch erfordern nicht zwangsläufig große Distanzen und hohe Geschwindigkeiten. Außerdem muß bei nachhaltigen Entwicklungen auch nicht zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Kriterien abgewogen werden. Vielmehr geht es um Lösungen, bei denen die natürlichen und finanziellen Ressourcen so zum Einsatz kommen, daß alle drei Aspekte ein Optimum erreichen. Das bedeutet beispielsweise, daß in einem Bundesland mit einem dichten Autobahnnetz die knappen Haushaltsmittel der öffentlichen Hand nicht für den Bau zusätzlicher Autobahnen, sondern intelligenter eingesetzt werden sollten - z.B. für die Förderung nichtverkehrlicher Produktionsfaktoren wie Ausbildung oder Informations- und Kommunikationstechnologien.

Aus der Sicht des Wuppertal Instituts können nachhaltige Entwicklungen nicht eindeutig geplant und gesteuert werden, sondern müssen als ein fortgesetzter Prozeß des Handelns und Korrigierens mit vielen Rückkop-

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pelungen begriffen werden. Dementsprechend muß neben den drei oben genannten Parametern ein vierter Bereich zur Kennzeichnung nachhaltiger Prozesse eingeführt werden. Dieser wird durch die Stichworte Flexibilität, Fehlerfreundlichkeit und Kleinteiligkeit nur unvollkommen umrissen. Für das Wuppertal Institut ist der Grundgedanke hierbei, daß Maßnahmen und Strategien präferiert werden, die Optionen für die weitere Entwicklung nicht verengen, sondern erweitern. Bei einer entsprechenden Strategie für den Verkehrsbereich wäre beispielsweise der Ausbau großtechnischer Infrastrukturen mit entsprechend langen Realisierungszeiten und Nutzungsfestlegungen weniger prioritär. Vorrang erhielten vielmehr kleinteilige technische und soziale Innovationen. Fehlerfreundlich bedeutet dabei, daß mehr in Software als in Hardware, mehr in Chips als in Beton investiert wird.

Die Verkehrslösungen für die Zukunft sollten weiter vielfältig sein. Vielfalt ist ein Systemmerkmal für die Stabilität von Ökosystemen. Wirtschaftliche Monostrukturen sind anfällig für Krisen. Übertragen auf den Verkehrssek-tor bedeutet dies: Wenn sich zunehmend der Kraftfahrzeugverkehr als eine Monostruktur herausbildet, dann werden Volkswirtschaft und Gesellschaft außerordentlich anfällig für jede Störung der Energieversorgung. Eine vielfältige Verkehrsinfrastruktur mit Platz für Schienenverkehr, der andere Energiequellen hat als der Straßenverkehr, und mit Platz für nichtmotorisierten Verkehr erfüllt dagegen eine notwendige Bedingung für ein nachhaltiges und stabiles Verkehrssystem. Dabei geht es auch um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den einzelnen Verkehrsträgern. Hier gibt es in den letzten Jahrzehnten deutliche Versäumnisse, denn das Wachstum ist beim Güterverkehr ganz überwiegend auf die Straße gegangen - auf europäischer Ebene entfiel ein Teil der Zunahme auch auf die Seeschiffahrt -, und im Personenverkehr übernahmen Auto und Flugzeug weitgehend den Nachfragezuwachs.

Notwendig ist, von einer rein straßenverkehrlichen Betrachtung weg und hin zu einer integrativen Verkehrspolitik mit einem systemhaften Ansatz zu kommen. Nach Auffassung des Wuppertal Instituts muß versucht werden, einen hohen Systemnutzen zu möglichst geringen Kosten zu erzielen. Festzustellen ist, was kostengünstiger für die Gesellschaft insgesamt ist: weiterer Infrastrukturausbau oder die Entscheidung zugunsten nicht-verkehrlicher oder auch verkehrlicher Alternativen. Der Ansatz des 'Least-Cost-Transportation-Planning' knüpft an ähnliche Konzepte aus dem Energiesektor an. Dabei wird die mit dem Verkehr zu erbringende Dienstleistung in den Mittelpunkt gestellt, und es werden Lösungen innerhalb und außerhalb des Verkehrssystems gesucht, mit denen das der Verkehrsleistung zugrunde liegende Ziel erreicht werden kann. Entschei

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dend sollte also nicht der Transport an sich sein, weil Verkehr kein Selbstzweck, sondern eine abgeleitete Aktivität ist. Es geht also um die Verkehr auslösenden Aktivitäten, denn allein diese sind letztlich positiv zu bewerten, weil sie die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erträge erzeugen. Aufgabe der Politik ist es zu ermitteln, wie die Funktionen, die zu Verkehrsnachfrage führen, am günstigsten umgesetzt werden können.

Die Verkehrsplanung differenziert nach Feststellungen des Wuppertal Instituts aber meist nicht nach Verkehrszwecken, für die Fahrzeuge auf einer bestimmten Verkehrsrelation unterwegs sind. Vielmehr würden die Autos auf der Straße und insbesondere diagnostizierte Überlastungen als Beweis des Bedarfs akzeptiert. Den Ursachen, die den Verkehrsströmen zugrunde liegen, wird nicht nachgegangen, und es ist auch unüblich, sich Gedanken über Verkehrsalternativen - abgesehen von alternativen Straßenrouten - zu machen oder gar nach Alternativen in den dem Verkehr vorgelagerten und nachgelagerten Bereichen zu fragen.

Wenn die Politik wieder echte Handlungsfähigkeit erlangen will, muß sie also aus der Sackgasse der isolierten Nachfragebefriedigung heraus und den Weg zu einer integrativen Betrachtung der Elemente der Nachhaltigkeit einschlagen. Dabei reicht eine verkehrsträgerübergreifende Betrachtung nicht aus. Notwendig ist für das Wuppertal Institut die Integration

  • von vorgelagerten Aspekten, zu denen z.B. wirtschafts- und finanzpolitische Entscheidungen, Raumplanung und Wohnungsbauförderung, Standortförderung, aber auch informations- und fahrzeugtechnische Entwicklungen gehören, und ebenso

  • von nachgelagerten Faktoren, wobei es u.a. um die Reduzierung ökologischer und sozialer Konsequenzen des Verkehrs mit Hilfe von Qualitätskriterien (wie Umweltgrenzwerte, Flächenbilanzen) geht.

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4.3 Fahrradverkehr

Bei der Reform der Verkehrspolitik hat der Radverkehr für die Bundesregierung einen hohen Stellenwert. Mit neuen Ideen und Akzenten soll das Mobilitätspotential des Fahrrads stärker ausgeschöpft werden. Im März 1999 wurde mit dem Bericht der Bundesregierung über die Situation des Fahrradverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland erstmals eine umfassende Bestandsaufnahme für diesen Verkehrssektor vorgelegt. Hier sind auch wichtige Ansätze zur Verbesserung des Radverkehrs aufgezeigt, wobei der „Radverkehr als System" das Leitmotiv des Konzepts bildet.

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Über Maßnahmen und inzwischen eingeleitete Aktivitäten zur Förderung des Radverkehrs legte die Bundesregierung im Mai 2000 einen weiteren Bericht vor. Dort wird festgestellt, daß der Bund den Radverkehr u.a. durch den Bau von Radwegen an Bundesstraßen in der Baulast des Bundes unterstützt. Diese Baumaßnahmen werden durch die Straßenbauverwaltungen der Länder umgesetzt. Zwischen 1981 und 1999 wurden mit Mitteln von rd. 2 Mrd. DM aus dem Bundesfernstraßenhaushalt etwa 6.200 km Radwege realisiert. Diese Politik wird das BMVBW mit einem anspruchsvollen Radwegeprogramm fortsetzen. Im Jahr 2000 werden an Bundesstraßen voraussichtlich 15.000 km Radwege vorhanden sein. Hierdurch soll sichergestellt werden, daß Fahrradfahrer sich dort nicht weiter den Risiken aussetzen müssen, die mit einer Benutzung der z. T. stark von Autoverkehr frequentierten Straßen verbunden sind. Außerdem wird hierdurch erreicht, daß Radfahrer nicht mehr zu weiten Umwegen oder doch zu einem Umstieg auf das Auto gezwungen werden.

Weitere Förderungen von Radwegen sind mit Investitionsmitteln möglich, die der Bund nach dem GVFG zur Verfügung stellt. Zuwendungen für Radverkehrsanlagen sowie für Maßnahmen zur Beseitigung von Unfallschwerpunkten mit Radfahrerbeteiligung kann der Bund auch nach dem Bundesfernstraßengesetz gewähren; hierbei geht es um Ortsdurchfahrten im Zuge von Bundesstraßen und um kommunale Zubringerstraßen zu Bundesfernstraßen in der Baulast des Bundes.

Der Bund beteiligt sich also an der Finanzierung der Radwege. Die Hauptfinanzierungslast liegt aber bei den Bundesländern und vor allem bei den Kommunen. Zur Abstimmung der unterschiedlichen Aktivitäten und Kompetenzen sowie zur dauerhaften Förderung des Radverkehrs hat die Bundesregierung den Bund-Länder-Arbeitskreis Fahrradverkehr gegründet, der sich Ende 1999 konstituierte. Ziel sind abgestimmte, durchgehende Fahrradinfrastrukturen, für die nach dem Fahrradbericht 1998 aber keine Bundeskompetenz akzeptiert werden kann.

Das Bundeswirtschaftsministerium hat die Bedeutung des Fahrrads für den Tourismus erkannt und unterstützt ein Projekt, das die Anlage und länderübergreifende Verknüpfung von touristischen Fernradwegen zum Ziel hat. Nach Angaben des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs machen schon heute pro Jahr ungefähr drei Millionen Menschen in Deutschland Radtouren mit mindestens fünf Übernachtungen und geben dabei 4,2 Mrd. DM aus. Auch über eine Reihe anderer Branchen (u.a. Fahrradhersteller, Fahrradhandel u. -werkstätten, Kurierdienste, Tiefbau- und Baustoffunternehmen) wirkt das Fahrrad als Wirtschaftsfaktor. Hierzu

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liegen nach Feststellungen des ersten Fahrradberichts aber keine zusammenfassenden Angaben über Beschäftigungszahlen und volkswirtschaftliche Wertschöpfung vor.

Vor allem auf den Bundesfernstraßen der Ballungsräume kann der Fahrradverkehr eine wichtige Entlastungsfunktion hinsichtlich des motorisierten Nahverkehrs übernehmen. 30% aller in Deutschland zurückgelegten Wege sind bis zu drei Kilometer lang, 50% bis zu fünf Kilometer - das sind klassische Fahrraddistanzen. Wer etwas mehr Training hat, erledigt problemlos auch Wege bis zu zehn Kilometer Länge mit dem Fahrrad. Zusätzlich entlastend wirkt der Radverkehr in Kombination mit dem ÖPNV. Das BMVBW stellt in seinem Bericht über Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs fest, daß sich im Personennahverkehr die Fahrradmitnahme von 1991 bis 1998 fast verdoppelt hat (von 818.000 auf 1.602.000), und in den Fernverkehrszügen ist seit den frühen 90er Jahren eine Verdreifachung zu registrieren (von 200.000 auf etwa 600.000 im Jahr 1999).

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4.4 Telematikeinsatz und -effekte

Im Telematik-Bericht der Bundesregierung wird festgestellt, daß seit Anfang der 90er Jahre Politik und Wirtschaft im Einsatz und in der Nutzung moderner Informations-, Kommunikations- und Leittechnologien im Verkehr (Verkehrstelematik) große Potentiale sehen, um Mobilität für die Unternehmen und die Bürger dauerhaft effizient und ökologisch zu gestalten. Es werden technische Lösungen zur stärkeren Vernetzung und Verknüpfung der Verkehrsträger bereit gestellt, durch die auch die Vorteile der umweltfreundlicheren Verkehrsmittel in umweltschonenden Transport- und Reiseketten besser genutzt werden können. Telematik schafft Möglichkeiten, Verkehre zeitlich oder auf andere Verkehrsträger zu verlagern oder sogar entbehrlich zu machen (Telearbeit) sowie Verkehrsabläufe zu verbessern (z.B. auf hochbelasteten Autobahnen). Such- und Leerfahrten können vermieden werden. Darüber hinaus stellen die mit der Telematik verknüpften Innovationen mehr Beschäftigung und neue, hochwertige Arbeitsplätze in Deutschland und Europa in Aussicht.

Zur Einführung der Verkehrstelematik besteht eine klare Abstimmung der Rollen- und Aufgabenverteilung zwischen Politik, Industrie und Dienstleistern. Im Wirtschaftsforum Verkehrstelematik wurde von Vertretern aus Wirtschaft und Politik unter Leitung des BMVBW verabredet, daß die Entwicklung der Endgeräte sowie die Planung, die Organisation und der Betrieb von Telematiksystemen und -diensten vorrangig der Privatwirtschaft überlassen bleiben. Aufgabe des Staates ist dagegen die Schaf-

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fung der erforderlichen Rahmenbedingungen für die Entfaltung des Marktes. Ein Beispiel hierfür ist die Ausarbeitung eines Vertrages zur Mitbenutzung von Bundesfernstraßen und Brücken in der Unterhaltslast des Bundes zum Bau und Betrieb von Informationssystemen.

Inzwischen ist die Verkehrstelematik bei allen Verkehrsträgern bereits vielfältige Praxis. Beispielsweise werden Wegführungssysteme in Autos eingebaut. Sie schlagen den Fahrern Routen zu einem vorgegebenen Ziel vor und können bei Staus Alternativvorschläge anbieten. Für die DB werden im Telematik-Bericht des BMVBW u.a. folgende Beispiele für im Einsatz bzw. in der Erprobung befindliche Telematiksysteme erwähnt:

  • Frachtinformationssysteme als Teil eines Transportsteuersystems,

  • Informationssystem DB Cargo mit einer Vielzahl von Kunden,

  • Linienzugbeeinflussung

  • rechnergestützte Zugüberwachung sowie

  • Fahrzeuginformations- und Vormeldesysteme.

Im Bereich der Autobahnen wird auf die über 60 rechnergesteuerten Verkehrsbeeinflussungsanlagen hingewiesen, die den Verkehr flüssiger halten und zur Reduzierung von Staus und Unfällen beitragen. Bis zum Jahr 2001 werden rd. 3.200 km Autobahnen mit derartigen Anlagen ausgerüstet sein.

Im Sachstandsbericht des BMVBW zum Bundesverkehrswegeplan 1992 von März 1999 wird zwar festgestellt, daß wegen des noch andauernden Entwicklungsprozesses nicht abschließend beurteilt werden kann, inwieweit sich verstärkter Einsatz und breite Nutzung von Verkehrstelematik als gegenüber dem BVWP ‘92 veränderte Rahmenbedingung auf den Bedarf an Investitionen in die Verkehrswege und insbesondere auf die dem Investitionsbedarf zugrunde liegenden Ausgangsgrößen wie Verkehrsnachfrage, Modal Split oder Verkehrsverhalten auswirken bzw. ausgewirkt haben. Da solche Techniken den Verkehr in Zukunft aber in ökonomischer, ökologischer und sozialer Hinsicht verbessern können, müßten sie auch in der Bundesverkehrswegeplanung berücksichtigt werden. Dies ist bisher nur unzureichend der Fall, soll aber nach Angaben des BMVBW im Zuge der laufenden Methodenmodernisierung zur BVWP erfolgen.

Noch nicht abzusehen ist, ob diese Techniken zu einer Zunahme oder zu einer Abnahme des Verkehrs führen werden. Einerseits zeigen diese Systeme den kürzesten Weg und bei Staus die schnellste und kürzeste Ausweichroute an, was beides zu einer Verringerung der Fahrtzeiten

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führt. Andererseits trägt die schnellere Auflösung bzw. Verhinderung von Staus tendenziell zu einer effektiveren Ausnutzung des Straßensystems bei, wodurch wieder Kapazitäten frei werden, die letztlich neuen Verkehr anziehen.

Der BDI befürwortet den schnellen Einsatz der Telematik. Der Verband sieht hierin aber keinen Ersatz für Ausbau und Pflege der Infrastruktur, sondern eine notwendige Ergänzung. Weitergehende Möglichkeiten bestehen in verkehrsträgerübergreifenden Telematikkonzepten, die besonders an den Schnittstellen des Kombi-Verkehrs - wie Güterverkehrszentren - große Potentiale besitzen. Auf Ablehnung stößt beim BDI aber die Nutzung der Telematik als Teil einer Politik der Verkehrsvermeidung. Telematik dürfe nicht nur dann zur Mobilisierung von Kapazitätsreserven der Infrastruktur zugelassen werden, wenn gleichzeitig der Ausbau von Straßen und weitere Flächenverbräuche verhindert werden.

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4.5 Flugverkehr

Unabhängig von den Kompetenzen der Länder sind auch die Flughäfen in die Bemühungen um ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen den Verkehrsträgern einzubeziehen. Bei der Überarbeitung des BVWP wird das BMVBW gemeinsam mit den Ländern ein Konzept für die Kapazitätsentwicklung im dezentralen Flughafensystem Deutschlands ausarbeiten. Hierbei sollen z.B. mögliche Kooperations- und Entlastungspotentiale aufgezeigt werden.

Sinnvoll ist nach Meinung des Landesverkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen beispielsweise das Zusammenwirken von Flughäfen und Schienenverkehr. Alle größeren Flughäfen in Deutschland sollten an das Netz der Bundesschienenwege angebunden werden. Mit Beginn des Sommerfahrplans 1999 ist der Flughafen in Frankfurt am Main als erster mit dem ICE-Netz verknüpft worden. Auf Kurzstrecken ist zu prüfen, was die Schiene an Luftverkehr ersetzen kann.

Auch zum Plädoyer des BDI, im neuen BVWP die bisherige Projektoptimierung auf eine verkehrsträgerübergreifende Systemoptimierung auszudehnen, gehört die Einbeziehung des Luftverkehrs und mit den 17 deutschen Verkehrsflughäfen auch seiner infrastrukturellen Basis in den integrierten Planungsansatz. Die Ausstrahlungseffekte und Einzugsgebiete sind bei den Flughäfen größer als bei den meisten anderen Verkehrsträgern. Das Zusammenwirken der Systeme für Passagier- und Gütertransporte auf engstem Raum muß gerade bei der Flughafeninfrastruktur in

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tensiv abgestimmt und zukunftsfähig prognostiziert werden. Eine Bedarfs-planung für das deutsche Flughafensystem sollte also ein integraler Bestandteil des künftigen BVWP sein. Nur so kann nach Auffassung des BDI bundesweit eine bedarfsgerechte Fortschreibung der Flughafeninfrastruktur gewährleistet werden. Hier ist aus BDI-Sicht Bundesverantwortung unverzichtbar. Dringender Handlungsbedarf sei gegeben, denn bei den Flughäfen steuert die Entwicklung auf einen dramatischen Engpaß zu. Jetzt gelte es, die Chance der Integration der Flughäfen in den BVWP zu nutzen und konsequent in ein Flughafenausbaugesetz einmünden zu lassen.

Inzwischen liegt der Entwurf der Bundesregierung für ein Flughafenkonzept vor. Nach der Fassung von Juni 2000 sollten Bedarfsfeststellung und Planungen der Flughafeninfrastruktur in die Bundesverkehrswegeplanung einbezogen werden. Schon 1998 habe die Verkehrsministerkonferenz vor dem Hintergrund des gegenwärtig punktuell kapazitativ erschöpften Flughafensystems und des weiterhin wachsenden Luftverkehrs die Integration des Ausbaus des vorhandenen Flughafennetzes in die Reform der BVWP als notwendig angesehen. Nach dem dazu erarbeiteten „Konzept für die Flughafen-Kapazitätsentwicklung" übernimmt der Bund die Koordinierung der Flughafenplanungen der Länder aus überregionaler Sicht und sorgt für die erforderlichen Fernverkehrsanbindungen. Gemeinsam mit den Ländern wirkt der Bund insbesondere auf die Engpassbeseitigung bei Mobilitätsketten hin.

Da sich die BVWP ausschließlich auf die in der Planungshoheit des Bundes liegenden Maßnahmen bezieht, werden nur flughafenbezogene Infrastrukturprojekte an Bundesautobahnen, Bundesstraßen und Schienenwegen des Bundes in die Dringlichkeitsreihung von Maßnahmen einbezogen. Dabei geht es vor allem um die Dimensionierung der Zufahrtswege für Aus- und Neubauten an Flughäfen, die im Planungshorizont der BVWP zu erwarten sind.

Ziel der Berücksichtigung der Flughäfen in der BVWP ist nicht nur die komplette Erfassung aller relevanten Infrastrukturmaßnahmen in Deutschland. Wichtig ist vielmehr auch die Einbeziehung der Flughäfen in die Prognosen des Güter- und Personenverkehrs bis zum Jahr 2015 für die BVWP, weil das jeweilige Luftverkehrsaufkommen auch die Verkehrsnachfrage auf den die Flughäfen anbindenden Straßen und Schienen beeinflußt. Außerdem soll in die Überarbeitung des BVWP auch der Aspekt einbezogen werden, in welchem Umfang Aus- und Neubaumaßnahmen von Bundesverkehrswegen im Umfeld von Flughäfen oder auf intermodal

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wettbewerbsrelevanten Verkehrsrelationen zwischen Flughäfen und deren Regionen die Leistungsfähigkeit des jeweiligen Flughafens aus gesamtwirtschaftlicher Sicht fördern.

Die großen Wirtschaftsverbände haben inzwischen Kritik an diesem Flughafenkonzept angemeldet. Für den DIHT ist der Entwurf widersprüchlich. Auf der einen Seite werde die wirtschaftliche Bedeutung des Luftverkehrs anerkannt. Auf der anderen Seite werde aber ein umfangreiches Instrumentarium zur Verringerung und Verteuerung des Flugverkehrs aufgebaut. Zudem zeichne sich ab, daß die Flughäfen auch künftig nicht Teil der BVWP sein werden. Es fehle ein Ansatz, wie die Kapazitätsengpässe beseitigt werden können. Die Kooperation der Flughäfen und die Beschleunigung der Planungsverfahren reiche hierfür nicht aus. Der Regierungsentwurf laufe auf eine Limitierung des Flugverkehrs hinaus und konzentriere sich auf drastische Schritte zur Verringerung von Fluglärm sowie Schadstoffemissionen, obwohl die Umweltbelastungen durch Flugzeuge relativ gering seien. Auch der BDI bemängelt, daß das Konzept den im Zuge der Globalisierung und der zu erwartenden starken Zunahme der Luftfrachttransporte notwendigen Ausbau der Flughafenkapazitäten verkenne. Ziel sei vielmehr, den Luftverkehr einzuschränken und auf die Schiene zu verlagern. Gegen die vorgesehene Besteuerung von Flugbenzin spreche, daß der Luftverkehr seine Wegekosten über Start- und Landegebühren sowie durch die Übernahme der Flugsicherungskosten bereits decke. Durch derartige Maßnahmen würden Standorte von Unternehmen und viele Arbeitsplätze - auch außerhalb des Luftverkehrs - gefährdet.

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4.6 Strategien und Forderungen der DB Netz

Die DB verfügt über ein ca. 38.000 Kilometer umfassendes, vorwiegend historisch gewachsenes Streckennetz. Die Strecken sind sehr unterschiedlich ausgelastet: 60% der Leistungen werden auf einem Viertel des Netzes erbracht. Zumeist verkehren im Mischbetrieb schnelle und langsame Personen- und Güterzüge. Damit werden zusätzliche Halte und Überholungen erforderlich, die die Vorhaltung zusätzlicher Überholungsgleise erzwingen und Reise- und Transportzeiten im SPNV und im Schienengüterverkehr verlängern.

Das Netz der DB hat also in weiten Bereichen große Überkapazitäten und gleichzeitig viele Engpässe. Die Vorhaltung dieser Infrastruktur ist teuer. Gut zwei Drittel der Gesamtkosten des Netzes (ohne Bahnstrom) sind Streckenkosten. Von den 6,8 Mrd. DM pro Jahr entfallen zu rund 50% auf

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die Instandhaltung, 30% auf Abschreibungen, Verwaltung, Vertrieb und 20% auf die Betriebsführung. Für die DB Netz besteht deshalb ein akuter Handlungsbedarf, die Kostenstruktur des Netzes deutlich zu senken und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene spürbar zu verbessern.

Die DB hat hierzu die Strategie Netz 21 erarbeitet. Netz 21 steht für eine leistungs- und kostenorientierte Weiterentwicklung des bestehenden Netzes. Netz 21 soll als unternehmerisches Ziel durch optimale Netzstrukturen mehr Verkehr auf die Schiene holen, indem ausreichende Kapazitäten bedarfsgerecht bereitgestellt, den Transporteuren wettbewerbsfähige Fahrzeiten ermöglicht und eine hohe Verfügbarkeit der Anlagen langfristig sichergestellt werden. Netz 21 zielt darauf, die Betriebskosten des Netzes massiv zu senken, um ansteigende Abschreibungen und Zinsen sowie auslaufende Altlastenzuschüsse zu kompensieren. Netz 21 soll stabile Trassenpreise ermöglichen und der DB Netz AG zumindest ein ausgeglichenes Betriebsergebnis gewährleisten. Es wird bis zum Jahr 2010 realisierbar und finanzierbar sein.

Die Umsetzung von Netz 21 stützt sich auf sechs Komponenten:

  • eine kundenorientierte Neustrukturierung des Netzes in Vorrang-, Leistungs- und Regionalstrecken,

  • die Standardisierung der Anlagen entsprechend den technisch betrieblichen Leistungserfordernissen innerhalb dieser neuen Netzstruktur,

  • die Entmischung von unterschiedlich schnellen Verkehren bei alternativen Fahrwegen,

  • die gezielte Beseitigung kapazitiver und qualitativer Engpässe,

  • eine technologische Runderneuerung des Netzes und

  • die gezielte Ausschöpfung von Potentialen in schwächer belasteten Netzteilen.

Diese Ziele erfordern teilweise betrieblich/organisatorische Veränderungen, teilweise bedarf es jedoch auch eines erheblichen Mitteleinsatzes. So ist die veraltete personal- und wartungsintensive Leit- und Sicherungstechnik durch moderne Technologien der Steuerung und Disposition der Netznutzung abzulösen. Die Einführung einer intelligenten Fahrstraßensteuerung auf der Basis funkgestützter Systeme führt zu einem deutlich steigenden Investitionsbedarf im bestehenden Netz in den nächsten zehn Jahren. Solche Maßnahmen schaffen ohne langwierige und belastende Ausbaumaßnahmen Kapazitätsausweitungen im Vorrang- und im Leistungsnetz von 15 bis 20%. Sie ermöglichen eine zusätzliche Angebotsausweitung und senken gleichzeitig die Kosten für Betrieb und Instandhaltung. Mehr Flexibilität und Einsatzmöglichkeiten moderner Tele-

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matik sind dabei besonders für die Transportunternehmen von Interesse. Diese technologische Erneuerung vollzieht sich wesentlich im bestehenden Netz.

Zusätzlich wird das Bestandsnetz durch die Umsetzung der genannten neuen Netzstrukturen und Netzstandards, durch Entmischung und Harmonisierung, punktuelle Einzelmaßnahmen und eine größere Durchlässigkeit in den Knoten weiter optimiert. Die DB Netz erwartet hiervon eine Anhebung der Netzgeschwindigkeit um 5%, die Sicherung einer hohen Betriebsqualität, eine Senkung der Kosten generell und speziell auch der Kosten für Ersatzinvestitionen bis hin zu deutlich geringeren Energiekosten für die Transporte. Aber auch diese vielen Einzelmaßnahmen erfordern einen hohen Mitteleinsatz. Mit den bisher hierfür vorgesehenen Mittel wird es bei weitem nicht möglich sein, diese Ziele in den nächsten zehn Jahren zu erreichen. Deshalb fordert die DB Netz die Aufstockung der Mittel für Maßnahmen, die direkt im Bestandsnetz kapazitätssteigernd und kostensenkend wirken.

Neben den Maßnahmen im Bestandsnetz sind gezielte Investitionen zur Beseitigung zahlreicher Engpässe im Netz notwendig. Die beschränkten Ressourcen und Realisierungskapazitäten erfordern eine konsequente Priorisierung von Neu- und Ausbaumaßnahmen mit hoher Netzwirkung. Schwerpunkte bilden hierbei die Knoten. Während in den letzten Jahren viel Geld in die Fahrzeitverbesserung auf den Strecken gesteckt wurde, verlieren die Züge nach wie vor etliche Zeit in den Bahnhofsein- und -ausfahrten. Dabei ist wesentlich, daß Knoten und Strecken in ihrem Zusammenwirken beurteilt und wegen der hohen Kosten für die Instandhaltung auch Überkapazitäten auf weitere Vorhaltung hin überprüft werden. Die Beurteilung eines Projekts muß also auf einer Gesamtbewertung für ein Teilnetz aufbauen. Die Projektförderung sollte sich deshalb bei Knotenprojekten auf mehrere, nicht unbedingt räumlich direkt zusammenhängende und unter Umständen durchaus auch kleinere Teilmaßnahmen erstrecken, die aber zusammen unter einem Titel finanziert und realisiert werden.

Da bei einem neuen BVWP nicht mit einer Vermehrung der Mittel zu rechnen ist, müssen aus Sicht der DB Netz die Maßnahmen im aktuellen Bedarfsplan Schiene zugunsten der Bestandsnetzmaßnahmen und der Ausbaumaßnahmen mit besonderer Netzwirkung neu bewertet und umverteilt werden. Dies kann dann zwangsläufig die Streckung oder gar Streichung von bisher im Bedarfsplan fixierten Maßnahmen bedingen, die diesen Ansprüchen nicht oder nicht ausreichend genügen. Sollte sogar eine Senkung des Gesamtbudgets des BVWP in Zuge einer Neugestal

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tung der politischen Rahmenbedingungen für erforderlich gehalten werden, sind mit einem reinen Umverteilen innerhalb des Teils Schiene die Investitionssummen, die für die Erreichung der genannten Ziele benötigt werden, nicht mehr bereitzustellen.

Die DB Netz fordert deshalb, daß die Dotierung der Schienenmittel zur Sicherung der angestrebten Ziele in einem definierten Mindestumfang gewährleistet wird. Dies setzt unter Umständen voraus, daß der Bedarfs-plan im Teil Schiene eine Aufstockung erfahren muß, die in diesem Fall zwangsläufig zu Lasten der anderen Verkehrsträger geht. Eine quasi natürliche Beschränkung für Investitionen in das bestehende Netz ist die Tatsache, daß solche Baumaßnahmen 'unter dem rollenden Rad' durchgeführt werden. Es kommt zu betrieblichen Behinderungen, die zu Fahrzeitverlängerungen und Verspätungen führen. Weitere Restriktionen können aus den begrenzten Ressourcen der planenden Ingenieurbüros, der bauausführenden Industrie, der Genehmigungsbehörden usw. resultieren. Deshalb plädiert die DB Netz zwar für eine Aufstockung der Mittel - aber mit Augenmaß und Konstanz.

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4.7 Methodische Kritik der Bundesverkehrswegeplanung

4.7.1 Bewertungsproblematik

Der Wissenschaftliche Beirat beim BMV hat 1996 den früheren Bundesverkehrsminister in einer Stellungnahme aufgefordert, die Bundesverkehrswegeplanung gründlich zu überdenken. Angemahnt wurde, das Verfahren stärker zielorientiert zu gestalten und Schwachstellen - insbesondere die mangelhafte netzübergreifende Sicht sowie die unzureichende Verbindung zur Raumordnung und zum Umweltschutz - zu beseitigen. Diese Aspekte sind zwar alle in Einzelkriterien in der Bundesverkehrswegeplanung enthalten. Trotzdem bleiben die Planungsmethode und ihre Ergebnisse aus Sicht des Beirats aber unbefriedigend.

Zu bemängeln ist u.a., daß bei der gesamtwirtschaftlichen Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen, die für Projekte des BVWP ‘92 eingesetzt wird, der weit überwiegende Teil der Nutzen aus Zeitvorteilen und Veränderungen der Betriebskosten besteht. Da diese Nutzen auf der auf Grundlage prognostizierter Verkehrsmengen berechnet werden, fallen sie um so größer aus, je höher die Verkehrsmengen sind, die auf den Strecken liegen. Dagegen schätzt das Bewertungsverfahren die ökologischen Kosten relativ niedrig ein, und Faktoren, die unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit diskutiert werden – wie Knappheit der Ressourcen oder Zer

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schneidung von für die Biodiversität wichtigen Naturflächen –, bleiben ebenso vernachlässigt wie dynamische Rückkopplungseffekte (u.a. induzierter Verkehr). Das bedeutet, daß gleichsam kontraproduktive Elemente in der Bewertung wirksam werden. Maßnahmen, die es beispielsweise aus Umweltsicht zu vermeiden gilt, erhalten wegen der Dominanz der anderen Kriterien – wie z.B. Zeitnutzen – eine hohe Priorität. So können sich unerwünschte Ergebnisse aus dem derzeitigen Verfahren der Planung ergeben. Um dies künftig zu vermeiden, hat der wissenschaftliche Beirat eine Neuorientierung des Planungsverfahrens angeregt, bei der vor allem Umweltschutz- und Raumordnungskriterien einen höheren Stellenwert erhalten.

Als weitere Schwachstellen des bisherigen Bewertungsverfahren, die bei einer Revision der BVWP zu beheben sind, nennt der Karlsruher Wirtschaftswissenschaftler Rothengatter

  • die Komplexität und schwierige Nachvollziehbarkeit der Bewertungsschritte,

  • das technokratische Dickicht anstelle von transparenten Schnittstellen zu politischen Strategieleitlinien,

  • die Mischung von Effizienz und Verteilungszielen unter dem Dach der gesamtwirtschaftlichen Vorteilsanalyse mit der Konsequenz erheblicher Doppelzählungen und Aufblähung der Nutzenkomponenten,

  • das Fehlen von Schnittstellen zur europäischen und zur regionalen Verkehrsplanung (Intermodalität, Interoperabilität, Strategische UVP; Planung des regionalen SPNV),

  • die Nichtberücksichtigung von Flug- und Seehäfen,

  • die Ausblendung von Ersatzinvestitionen sowie

  • den Verzicht auf Schnittstellen zu privatwirtschaftlichen Investitionsrechnungen (Vorhaben der DB, Güterverkehrszentren, privat finanzierte Verkehrsprojekte).

4.7.2 Induzierter Verkehr

Eine umstrittene Frage ist, ob neue Straßen Staus beseitigen können. Die Argumente für eine Bejahung scheinen eindeutig: Wenn man einen Engpaß bspw. durch die Erweiterung einer Autobahn von vier auf sechs Spuren beseitigt, stehen für den Verkehr mehr Fahrspuren zur Verfügung, und er kann freier fließen. Die Konsequenz ist aber auch, daß die Nutzerkosten durch die Zeitersparnis infolge der staufreien schnelleren Fahrt gesenkt werden. Unter der Annahme ansonsten konstanter rechtlicher und politischer Rahmenbedingungen - also z. B. gleich hoher Benzinprei-

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se, einer konstanten Kfz-Steuer, der Beibehaltung der Kilometerpauschale und in etwa konstanter Bahnpreise - wird es deshalb für den einzelnen Benutzer attraktiver, die besser ausgebaute oder neue Straße zu befahren. Solche Verkürzungen der Reise- und Transportzeiten haben bei der Bundesverkehrswegeplanung eine große Bedeutung. Senkungen der Transportkosten und Verbesserungen der Erreichbarkeit machen in der Regel weit mehr als die Hälfte der gesamten Nutzen einer Maßnahme aus. Die „eingesparten" Zeiten werden dabei derart positiv verrechnet, als ob sie tatsächlich eingespart blieben. Sie werden als volkswirtschaftliche Gewinne verbucht.

Fest steht, daß es durch Verbesserungen im Straßennetz zu Rückkopplungen bei der Verkehrsnachfrage kommt. Durch Straßenbau werden die Raumstrukturen und die Erreichbarkeit verändert, und es entstehen Transportzeitverkürzungen. Es kommt zur Erzeugung von zusätzlichem Verkehr. Hierbei unterscheidet man zwischen primär und sekundär induziertem Verkehr. Primär induziert sind zusätzliche Fahrten oder Verkehre, die auf einer veränderten Zielwahl beruhen. Statt wie früher z. B. mit dem Rad oder zu Fuß ein nahegelegenes Ziel - ein Geschäft, ein Erholungsgebiet etc. - aufzusuchen, wird die neue oder bessere Verbindung genutzt, um ein ähnliches, aber weiter entferntes Ziel mit dem Auto anzufahren. Sekundärer induzierter Verkehr entwickelt sich langfristig. Eine neue Verkehrsverbindung führt i.d.R. dazu, daß die Menschen in deren Einzugsgebiet schneller zur Arbeit oder zum Einkaufen in die Innenstadt gelangen. Wegen der besseren Erreichbarkeit werden in der Folgezeit aber auch Familien aus der Stadt heraus ziehen. Damit wird das Umland weiter zersiedelt, und es entstehen zusätzliche Verkehre, die die Vorteile der neuen Straße letztlich wieder aufzehren. Beispielsweise haben einige Autobahnen am Rande des Ruhrgebiets ganze Regionen erst als Siedlungsbereiche für Erwerbstätige erschlossen. Vorher waren die Fahrtzeiten zu lang. Diese Autobahnen haben die Reisezeiten verkürzt und Verkehr erzeugt. Solche Entwicklungen gibt es bereits seit längerer Zeit. Sie weisen darauf hin, daß das Zeitbudget, das Menschen für ihre Fortbewegung aufwenden, sich in den letzten hundert Jahren kaum verändert hat. Was wächst, sind die Entfernungen.

Mittlerweile ist die verkehrsinduzierende Wirkung des Straßenbaus wissenschaftlich anerkannt. Fest steht also, daß Verbesserungen der Infrastruktur nicht nur zur Lösung von Verkehrsproblemen beitragen. Vielmehr werden nach Einschätzung des Wuppertal Instituts hierdurch manche Probleme erst erzeugt. Das führe dazu, daß der Straßenbau sich weitgehend damit befasse, die Probleme zu lösen, die durch ihn selbst entstanden sind. Das Institut fordert deshalb – ebenso wie das UBA und der

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BUND -, den Induktionseffekt stärker in das Bewertungsverfahren der Bundesverkehrswegeplanung einzubeziehen. Es könne nicht Aufgabe dieser Planung sein, zu Lasten von Mensch und Umwelt die Nutzung des Verkehrssystems durch den Einsatz von Steuermitteln weiter zu verbilligen.

4.7.3 Einbeziehung der Umwelt

Insbesondere aus der Sicht des UBA ist eine stärkere Berücksichtigung von Umweltbelangen im Bewertungsverfahren notwendig. Dies müßte nicht nur wie vom BMVBW angekündigt angemessen, sondern voll geschehen. Vor allem bei den sog. externen Kosten des Verkehrs sei eine konsequente Einbeziehung in die Berechnungen erforderlich. Um Wege einer problemadäquaten Berücksichtigung von Umwelteffekten aufzuzeigen, hat das UBA das Forschungsvorhaben „Entwicklung eines Verfahrens zur Aufstellung umweltorientierter Fernverkehrskonzepte als Beitrag zur Bundesverkehrswegeplanung" in Auftrag gegeben, das im März 1998 veröffentlicht wurde.

In diesem unter Leitung von Prof. Rothengatter erstellten Gutachten werden einmal konkrete Vorschläge zur differenzierten Einbeziehung von Abgasbelastungen in das bisherige System der gesamtwirtschaftlichen Bewertung von Verkehrsprojekten der BVWP vorgelegt. Dabei geht es vor allem um die Ableitung von Bewertungssätzen für Krebserkrankungen, für Belastungen durch Sommersmog und Klimaschäden. Zum anderen wird eine flächenhafte Definition von Lärm-Raumtypen zur umfassenden Bewertung von Verkehrslärm und die Festlegung von Ausschlußräumen zum Schutz ökologisch besonders wertvoller Bereiche vorgeschlagen, die aus der Sicht des UBA wichtige Impulse für die Weiterentwicklung der Bundesverkehrswegeplanung geben können. In dem Gutachten werden zur Bewertung verkehrsbedingter Auswirkungen auf Natur und Landschaft drei monetär-quantitative Ansätze entwickelt, die zur Umsetzung der sich ergänzenden Umweltziele

  • Vermeidung von Beeinträchtigungen besonders wertvoller Bereiche,

  • Kompensation für naturräumliche Gegebenheiten und Funktionen, die durch die Anlage und den Betrieb von Verkehrswegen verloren gehen, sowie

  • Verzicht auf die Versiegelung zusätzlicher Flächen durch den Bau von Verkehrswegen

beitragen können. Die Berücksichtigung der Ergebnisse dieser Studie bei der anstehenden Überarbeitung der Bundesverkehrswegeplanung wird vom UBA, aber auch vom BUND und Wissenschaftlern angemahnt.

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Dem will das BMVBW entsprechen. Im Straßenbaubericht 1999 wird hierzu festgestellt, daß - ergänzend zur bisher nur projektbezogenen URE von Vorhaben - angestrebt wird, außerhalb der NKA die ökologische Beurteilung zusätzlich durch ein Verfahren für eine netzbezogene URE zu berücksichtigen. Auf diese Weise würde die derzeit auf Korridore und einzelne Verkehrsträger beschränkte ökologische Beurteilung auf die Ermittlung der gebündelten Wirkung aller BVWP-Maßnahmen in einem Netzbereich erweitert. Außerdem sollen durch die Monetarisierung weiterer Umweltwirkungen - wie des Verbrauchs von Natur und Landschaft - Umweltbelange in die NKA eingeführt werden und zwar zusätzlich zu der nichtmonetären ökologischen Beurteilung (URE).

4.7.4 Prognosen

Wie in Kapitel 2.1 dargestellt, ist das Zahlenmaterial des BVWP ’92 hoffnungslos überholt. Das betrifft nicht nur die Strukturdaten- und Verkehrs-prognosen, sondern auch die Kostenstrukturen. Diese Situation macht es notwendig, die Maßnahmen neu zu bewerten. Die entsprechenden Aufträge zur Vorbereitung eines neuen BVWP wurden zum großen Teil bereits vom früheren CDU-Bundesverkehrsminister in Auftrag gegeben. Aus Sicht der Länder sind realistischere Annahmen zum Verkehrsverhalten und vor allem zum Modal Split sowie zur Entwicklung der Verkehrs-träger besonders wichtig.

Nicht zuletzt sollte die Aktualisierung der Prognose- und Bewertungsverfahren zu einem Austausch der Daten zwischen Bundes- und Landesebene sowie zur Reduzierung der Bewertungsschritte genutzt werden. Bisher haben Bund und Länder ihre eigenen Prognosen und Bewertungsrechnungen vorgenommen, was letztlich zu unnötiger Doppelarbeit führte. Wie in Kapitel 5.2.2 noch genauer erläutert wird, bietet sich hier eine Trennung von System- und Projektebene an. Im Projektbereich gilt es, die bisherigen Parallelarbeiten von Bund und Ländern abzubauen. Bei der Auswahl der konkreten Projekte könnte der Bund die Länder gezielter in die Verantwortung nehmen, da die Festlegung der Verkehrslinien im Raum ohnehin mit den Ländern abgestimmt werden muß.

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4.8 Finanzierung der Bundesverkehrswege

4.8.1 Finanzsituation und Reformansätze

Der BVWP '92 war mit einem Gesamtvolumen von fast 540 Mrd. DM an Investitionen bis zum Jahr 2012 angelegt. Wie das BMVBW in seinem Sachstandsbericht zu diesem Plan feststellt, kamen mit der Wiedervereinigung große finanzielle Belastungen auf die öffentlichen Haushalte zu, vor allem durch die Leistungen für den Aufbau Ost. Daneben stand der Bundeshaushalt seit 1993 im Zeichen einer starken und anhaltenden Konjunkturschwäche im alten Bundesgebiet. Um eine mittelfristige Konsolidierung zu erreichen, wurden finanzpolitische Entscheidungen getroffen, die u.a. zur Folge hatten, daß Haushaltsmittel nicht mehr in der Höhe zur Verfügung gestellt werden konnten, wie sie der Investitionslinie des BVWP ‘92 zugrunde gelegt wurden. Im Betrachtungszeitraum 1991 bis 1998 konnten – bezogen auf den gegenwärtigen Kostenstand der Investitionen – insgesamt über 22 Mrd. DM weniger als geplant investiert werden. Das BMVBW betont, daß vor diesem Hintergrund abzusehen ist, daß die Investitionsziele des BVWP ’92 nicht in dem ursprünglich vorgesehenen Zeitrahmen erfüllt werden können.

Den Defiziten in der Vergangenheit schließt sich eine ungünstige Zukunftsperspektive an. Nach Abschätzung des BMVBW lassen sich - ausgehend von aktuellen Kosten- und Preisständen - aber selbst bei konstantem Mittelzufluß die Maßnahmen des Vordringlichen Bedarfs erst bis zum Jahr 2024 fertigstellen. Anders ausgedrückt: Bei der derzeitigen Investitionssumme von jährlich ca. 20 Mrd. DM gäbe es 2012 - dem Endpunkt des BVWP ’92 - nach Angaben des BMVBW noch 86 Mrd. DM offenes Finanzvolumen für Vordringliche Projekte. Andere sprechen von einer Unterfinanzierung von über 100 Mrd. DM, wobei unterstellt wird, daß Projekte teurer als ursprünglich geplant werden, auch weil sie überhaupt zu niedrig angesetzt worden sind. Dementsprechend wird von Seiten der Verkehrswissenschaft damit gerechnet, daß der Abschluß aller Maßnahmen des Vordringlichen Bedarfs nach gegenwärtigen Finanzierungsraten insbesondere in einigen westlichen Bundesländern sogar bis zum Jahr 2030 dauern würde. Zusätzliche Beeinträchtigungen ergeben sich daraus, daß ein Teil der für Investitionen vorgesehenen Finanzmittel bereits durch Refinanzierungen privat vorfinanzierter Projekte in Anspruch genommen wird.

Angesichts dieses Ausmaßes der Unterfinanzierung erscheint eine Überarbeitung des BVWP ‘92 unumgänglich. Notwendig ist eine neue Ehrlichkeit in der Verkehrspolitik. Die Handlungsmaxime muß dabei nach Ansicht

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des BMVBW sein, daß ein neuer BVWP nicht wie der aktuelle auf unrealistischen Annahmen zur Finanzierbarkeit und Umsetzbarkeit beruhen darf. Bei aller Kritik am BVWP ‘92 muß aber auch berücksichtigt werden, daß dieser Plan in der euphorischen Stimmung kurz nach der deutschen Wiedervereinigung erarbeitet worden ist. Damals wurde zurecht von einem enormen Investitionsbedarf in den neuen Bundesländern ausgegangen, insbesondere um deren große Infrastrukturdefizite abzubauen, aber auch um den Anschluß Osteuropas an das Straßennetz herzustellen. Dementsprechend wurden in den östlichen Bundesländern – bedarfsgerecht – überproportional (über 40 % der Gesamtsumme) Investitionsmittel eingesetzt. Diese Verteilung ging wegen der knappen Haushaltsmittel zu Lasten der alten Bundesländer.

Rechnet man die 540 Mrd. DM Investitionssumme des BVWP '92 auf seine 22-jährige Laufzeit um, dann zeigt sich, daß statt der derzeitigen 20 Mrd. im Schnitt etwa 24,5 Mrd. DM pro Jahr notwendig sind. Dem entspricht ein Investitionsvolumen von etwa 300 DM pro Jahr und Bundesbürger, das von seiten des Bundes in die Verkehrswege zu investieren ist. Mit diesen Summen verfügt das BMVBW über den bei weitem größten Investitionshaushalt des Bundes. Schon allein aufgrund dieser Position versuchen die verschiedensten Interessengruppen ebenso wie die politischen Parteien, Einfluß auf die Bundesverkehrswegeplanung und ihre Umsetzung zunehmen. Die neue Regierungskoalition sollte frühzeitig über die Verwendung dieser Mittel diskutieren und dabei die Weichen in Richtung auf ein zukunftsfähiges Verkehrskonzept stellen, das den technischen Fortschritt stärker für eine effektivere Ausnutzung der Verkehrswege nutzt und ökologische Aspekte wirksamer beachtet.

Tab. 2: Investitionsstruktur des BVWP ‘92 von 1991 bis 2012


Gesamtinvestitionen 1991 - 2012

davon Investitionen

für Neu- und Ausbau


Mrd. DM

%

Mrd.
DM

relative Struktur
%

% von
insgesamt

Schienennetz

213,6

39,7

118,3

48,8

22,0

Bundesfernstraßen

209,6

38,9

108,6

44,7

20,2

Bundeswasserstraßen

30,3

5,6

15,7

6,5

2,9

Zwischensumme

453,5

84,2

242,6

100,0

45,1

GVFG – und sonstige Investitionen

85,3

15,8

insgesamt

538,8

100,0

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Im aktuellen BVWP ‘92 haben die Neu- und Ausbauprojekte bei Schiene und Bundeswasserstraße die Bundesfernstraßen überflügelt. 55,3% der Neu- und Ausbauinvestitionen bzw. 53,8% der Gesamtinvestitionen sind für Schiene und Wasserstraße geplant. Mit diesem Geld sollten bei den Schienenwegen 2.200 km für Geschwindigkeiten über 200 km/h und insgesamt 4.300 km neu- und ausgebaut werden. Bei den Bundesfernstraßen waren 2.200 km neue Autobahnkilometer, 2.600 ausgebaute Autobahnkilometer und 7.100 km neu- und ausgebaute Bundesstraßen geplant. Damit kann das Schienennetz trotz höherer Investitionen nach wie vor nur langsamer wachsen als das Netz der Bundesfernstraßen, weil der Bau von Schienenwegen kapitalintensiver ist. Deshalb hat die Bahn nach Auffassung der DB Netz auch immer noch einen deutlichen Aufholbedarf an Investitionen und damit an Wettbewerbskraft, denn kumuliert wurden vom Bund in die Schieneninfrastruktur seit 1950 nur rund 250 Mrd. DM, in die Straßeninfrastruktur aber rund 600 Mrd. DM investiert. Der BDI steht dagegen der Akzentverschiebung bei den Investitionen zu Lasten der Straße kritisch gegenüber und verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß auf den Bundesfernstraßen in Deutschland die fünffache Verkehrsleistung der Eisenbahnen abgewickelt wird.

4.8.2 Erhaltungsinvestitionen und Modernitätsgrad der Infrastruktur

Der Teil der Investitionen, der nicht in den Neu- und Ausbau fließt, dient der Erhaltung der bestehenden Verkehrswege. Deutschland verfügt zwar über eine relativ gute Verkehrsinfrastruktur. Deren Erhaltung muß aber auch sichergestellt werden. Etwa 12 bis 15 Jahre nach Fertigstellung einer Maßnahme werden erste größere Erhaltungsinvestitionen nötig. Diese Investitionen wurden nach Feststellungen des BMVBW in den letzten Jahren vernachlässigt. Konsequenz ist eine Verschlechterung der Substanz der Verkehrsinfrastruktur. Als Gründe hierfür nennt das Investitionsprogramm 1999 bis 2002

  • das zunehmende Alter der Anlagen,

  • die hohe und noch weiter wachsende Beanspruchung von Bundesfernstraßen durch die erhöhten Achslasten,

  • die permanenten Zunahmen des Straßengüterverkehrs und

  • die Verwendung von originären Erhaltungsmitteln für Aus- und Neubauten.

In Zukunft soll der Ersatzinvestitionsbedarf nach Angaben des BMVBW (Straßenbaubericht 1999) mit Unterstützung eines makroökonomischen Modellansatzes präzisiert werden. Vorgesehen ist die Ermittlung einer

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oberen und einer unteren Leitlinie für den künftigen Ersatzbedarf mit Hilfe von Abgangs- und Abschreibungsrechnungen.

Der VDA weist darauf hin, daß die Verkehrsminister der Bundesländer im April 1998 festgestellt haben, daß allein für die Substanzwertsicherung an den Bundesfernstraßen jährlich 1 Mrd. DM Investitionsmittel fehlen und das, obwohl Experten seit Jahren warnen, daß heute unterlassene Erhaltungsmaßnahmen umfassendere Erneuerungsmaßnahmen frühzeitiger anfallen lassen. Mit anderen Worten: Heute eingesparte Erhaltungsaufwendungen engen die künftigen Finanzierungsspielräume ein. Das ist für den VDA keine nachhaltige Finanzpolitik. Fest stehe auch, daß Erhaltungsmaßnahmen allein nicht ausreichen, um das Verkehrsnetz auf die Anforderungen des 21. Jahrhunderts auszurichten. Vielmehr müssen für die weitere Integration Europas und ebenso für die Einbeziehung der Beitrittsstaaten aus Osteuropa auch Erweiterungsmaßnahmen getroffen werden.

Auf diesen Aspekt weist auch der BUND hin: Da sich der Bestand an Verkehrswegen nur noch mit abnehmenden Zuwachsraten erhöht, veraltet die Verkehrsinfrastruktur. Dies bedingt jährlich größer werdende Erhaltungsinvestitionen, die den Spielraum für Neu- und Ausbaumaßnahmen weiter einschränken.

Einen Beleg für die Überalterung der Infrastruktur sieht der BDI in der Entwicklung des Bruttoanlagevermögens, das in den 90er Jahren nur noch mit einer Jahresrate von 1,5% expandierte. In den 70er Jahren vergrößerte sich der physisch vorhandene Kapitalstock des Verkehrssektors noch mit einer durchschnittlichen Jahresrate von 4%, in den 60er Jahren waren es sogar noch 5,5%, und in den 80er Jahren lag die Rate bei 1,8%. Es ist also eine gravierende Dynamikeinbuße zu registrieren.

Beim Nettoanlagevermögen, das den zeitbedingten Wertverlust des Anlagevermögens berücksichtigt und insofern das jeweils noch verfügbare Leistungspotential mißt, hat sich das Wachstum noch deutlicher abgeschwächt. Das Expansionstempo der 90er Jahre beträgt nach Angaben des BDI mit jahresdurchschnittlich 1,4% nur noch gut ein Drittel der Zuwachsraten der 70er Jahre und lediglich ein Viertel der 60er Jahre.

Die Relation von Nettoanlagevermögen zu Bruttoanlagevermögen ist ein Indikator für die Altersstruktur der Infrastruktur. Je höher dieser Quotient ist, desto jünger, moderner und leistungsfähiger ist das Anlagevermögen. Im Verkehrswesen hat sich dieser Modernitätsgrad seit 1970 erheblich verschlechtert. Stark zurückgegangen ist er im Bereich des Straßenver

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kehrs - in den letzten 20 Jahren von 83% auf 70% - und bei der Binnenschiffahrt - von 60% auf 43%. In dieser Zeitspanne ist die Quote bei der Schiene leicht gestiegen (von 63% auf 64%).

Der BDI betont, daß sich aus einem bestimmten Modernitätsgrad nicht generell die Notwendigkeit von Infrastrukturinvestitionen ableiten läßt. Verkehrsmittel mit abnehmender volkswirtschaftlicher Bedeutung können auch mit einem weniger modernen Kapitalstock zurechtkommen. In Deutschland hat sich die Beanspruchung der Infrastruktur aber deutlich erhöht. Dem ständig steigenden Verkehrsaufkommen steht ein rückläufiger Kapazitätsausbau gegenüber. Dies gilt insbesondere für die Straße. In Westdeutschland ist das reale Straßenbauvolumen in den letzten drei Jahrzehnten um 40% zurückgegangen. In der gleichen Zeit haben sich die Fahrleistungen mehr als verdoppelt.


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