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[Seite der Druckausgabe: 7]


1. Zielsetzungen und Bewertungsverfahren

Für die Standortsicherung in den alten Bundesländern und den wirtschaftlichen Aufschwung in den neuen Bundesländern ist ein gut ausgebautes und leistungsfähiges Verkehrssystem eine entscheidende Voraussetzung. Zusätzliche Anforderungen an das Verkehrssystem resultieren aus der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes sowie aus der Öffnung der Grenzen nach Mittel- und Osteuropa. Hier hat das deutsche Verkehrswegenetz einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Integration Europas und zur Bewältigung des Transitverkehrs zu tragen. Das erfordert die Fortführung der Investitionstätigkeit im Verkehrsbereich, die sicherstellen soll, daß bundesweit die zur Verkehrsabwicklung notwendigen Kapazitäten verfügbar sind und die vorhandene Verkehrsinfrastruktur in ihrer Substanz erhalten bleibt.

Die wichtigste Grundlage für Investitionsentscheidungen im Verkehrsbereich ist der Bundesverkehrswegeplan (BVWP). Er ist kein Finanzierungsplan oder -programm, sondern ein Investitionsrahmenplan für den Erhalt, Aus- und Neubau der in der Zuständigkeit des Bundes liegenden Verkehrsinfrastruktur. Dazu gehören Bundesfernstraßen und Wasserstraßen. Bezüglich der Bundesschienenwege, die im Eigentum der Eisenbahnen liegen, an denen der Bund die Mehrheit hat, wird der Bund seiner Verantwortung für die Infrastruktur dadurch gerecht, daß er nach dem Bundesschienenwegeausbaugesetz Haushaltsmittel zur Verfügung stellt. Flughäfen liegen nicht in der Zuständigkeit des Bundes.

Die investitions- und ordnungspolitischen Ziele, die dem in der 12. Legislaturperiode beschlossenen BVWP ’92 im wesentlichen zugrunde liegen, werden im Sachstandsbericht zum BVWP ‘92, den das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) im März 1999 veröffentlicht hat, wie folgt aufgelistet:

  • kurzfristige qualitative und kapazitive Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern bei gleichzeitiger Sicherung des Qualitätsstandards in den alten Bundesländern und Komplettierung des dortigen Verkehrswegenetzes,

  • Verkürzung der Planungsverfahren, insbesondere bei großen Investitionsvorhaben, für einen zügigen Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern,

  • Festigung der Grundlagen eines europäischen Binnenmarktes bei schrittweiser Anpassung der nationalen Verkehrsmarktordnung an die Regelungen des EG-Binnenmarktes,

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  • Aufbau eines Hochgeschwindigkeitsnetzes der Eisenbahnen in Deutschland und Europa,

  • Abbau von Kapazitätsengpässen im Schienennetz,

  • Schaffung leistungsfähiger Schnittstellen und Kooperationen zur optimalen Nutzung arteigener Vorteile der jeweiligen Verkehrsträger,

  • Kapazitätssteigerung in der Luftfahrt und

  • Einrichtung moderner Leit- und Informationssysteme.

Ergänzend kommen zu Beginn der 13. Legislaturperiode Zielsetzungen hinzu, durch die verstärkt eine zukunftsgerechte Verkehrsinfrastruktur geschaffen, technischer Fortschritt für eine effektivere Ausnutzung der Verkehrswege eingesetzt und Aspekte des Umweltschutzes wirksamer beachtet werden sollen. Konkretisiert wurden diese Ziele u.a. durch die Bestrebungen

  • stärkere Privatfinanzierung von neuen Verkehrsinfrastrukturen,

  • verstärkte Nutzung der Verkehrstelematik,

  • Bau des Transrapid,

  • Umsetzung der Bahnstrukturreform und

  • Verminderung von Schadstoffbelastungen durch den Verkehr.

Der BVWP ist kein Gesetz. Vielmehr beruht er auf einem Beschluß der Bundesregierung zu Umfang, Struktur und Zeitrahmen beabsichtigter Verkehrsinfrastrukturinvestitionen. Konzept und Inhalte des aktuellen BVWP ’92 sind eng verknüpft mit der deutschen Wiedervereinigung und der Öffnung der Grenzen zu Osteuropa. Zusätzlich stellten die politischen Entwicklungen im zusammenwachsenden Europa die Verkehrsinfrastruktur vor veränderte Rahmenbedingungen und neue Anforderungen. Im Anschluß an den 1992 für 20 Jahre (1991 bis 2010) beschlossenen Plan wurde mit der Verabschiedung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes und des vierten Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes durch den Deutschen Bundestag der Bedarf an Neu- und Ausbaumaßnahmen rechtlich verbindlich festgestellt. Dabei wurde die Geltungsdauer um zwei Jahre bis zum Jahr 2012 verlängert und das Investitionsvolumen entsprechend ausgeweitet.

Die Bedarfspläne für die Bundesfernstraßen und für den Ausbau der Schienenwege des Bundes stellen lediglich den verkehrlichen Bedarf für den Bau der Verkehrswege fest. Linienführungen und parzellenscharfe Trassierungen der Strecken werden nicht in der Bedarfsplanung, sondern in den nachfolgenden Planungsstufen des Raumordnungsverfahrens auf Landesebene mit anschließender Linienbestimmung durch das BMVBW als rechtliche Voraussetzung für den Bau einer Maßnahme festgelegt. Dabei ist bezogen auf den konkreten Einzelfall der Verkehrsbedarf mit

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den sonstigen von den Vorhaben berührten Belangen (z.B. Umweltschutz, Eigentum) abzuwägen. Die Bedarfsplangesetze bestimmen nur die grobe Richtung des einzelnen Investitionsvorhabens und lassen evtl. mögliche Auswirkungen auf einzelne Gemeinden unberücksichtigt. Betroffene Gemeinden können in den gesetzlich vorgegebenen Rechtsverfahren ihre spezifischen Belange geltend machen.

Die Bedarfspläne enthalten alle im Geltungszeitraum des aktuellen BVWP geplanten Neu- und Ausbaumaßnahmen. Da es sich um Maßnahmen mit erheblicher finanzieller Bedeutung handelt, sind für sie Nutzen-Kosten-Untersuchungen vorgeschrieben. Dementsprechend wird eine standardisierte, einzelprojektbezogene Bewertung anhand folgender Kriterien durchgeführt:

  • Ermittlung des Nutzen-Kosten-Verhältnisses (NKV) als Orientierungsgröße für die Bauwürdigkeit und Dringlichkeit einer Maßnahme im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Bewertung. Dabei werden die monetär erfaßten Nutzenkomponenten (u.a. Verbilligung von Beförderungsvorgängen, Erhöhung der Verkehrssicherheit und Verbesserung der Erreichbarkeit) den Investitionskosten der Infrastruktur gegenübergestellt.

  • ökologische Maßnahmenbewertung in Form einer nichtmonetären, qualitativen Umweltrisikoeinschätzung (URE). Dabei kann es in Abhängigkeit von der Risikogröße zu Planungsauflagen, Dringlichkeitsabstufungen oder Projektaufgaben kommen.

  • städtebauliche Bewertung. Dabei werden Be- und Entlastungseffekte von großen Straßenbauprojekten auf die Stadtraum- und Aufenthaltsqualität, soziale Wirkungen etc. betrachtet. Starke negative Beurteilungen können in Einzelfällen Dringlichkeitsabstufungen zur Konsequenz haben.

  • zusätzliche Beurteilungskriterien. Dabei geht es um Projektmerkmale, die im Einzelfall entscheidungsrelevant sein können (z.B. Einzelprojekte mit herausragender Bedeutung [wie Tunnel, Brücken]; Anbindung von Anlagen des Kombinierten Verkehrs, von Häfen, von Flughäfen; Verkehrsprojekte Deutsche Einheit).

Nach den Ergebnissen entsprechender Berechnungen und Bewertungen werden Maßnahmen dann als Vordringlicher, als Weiterer oder als Kein anerkannter Bedarf eingestuft. Maßnahmen mit einem Verhältnis der Nutzen zu den Kosten (NKV) größer als 3 werden in den Vordringlichen Be

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darf, Maßnahmen, deren NKV mindestens 1 erreicht, als Weiterer Bedarf eingestuft. De facto hat das die Konsequenz, daß die Projekte des Weiteren Bedarfs nicht im Geltungszeitraum des aktuellen BVWP realisiert werden können. Selbst der Vordringliche Bedarf kann nicht komplett bis zum Jahr 2012, in dem der BVWP ‘92 ausläuft, abgearbeitet werden. Gründe dafür liegen überwiegend in den zur Haushaltskonsolidierung notwendigen Sparzwängen und in den gestiegenen Kosten. Konsequenz ist eine erhebliche Unterfinanzierung des aktuellen BVWP. Diese macht eine zügige Überarbeitung des BVWP ’92 erforderlich, die auch in der Koalitionsvereinbarung vom 20.10.1998 ausdrücklich vorgesehen ist.

Festzuhalten ist also, daß mehr Maßnahmen im Vordringlichen Bedarf enthalten sind, als finanziert werden können - dies war unter halbwegs realistischen Annahmen bereits bei Aufstellung des BVWP ‘92 abzusehen. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß im BVWP hinsichtlich der Finanzierung und des Zeitpunktes der Verwirklichung einer Maßnahme keine Festlegungen getroffen werden. Vielmehr steht die Realisierung jeder Maßnahme nach den Vorschriften der Bedarfsplangesetze unter dem sog. Finanzierungsvorbehalt. Die Realisierung kann nach Vorliegen der „Baureife" (Baurecht, i.d.R. durch unanfechtbar gewordenen Planfeststellungsbeschluß, Ausführungsentwurf) nur nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Mittel erfolgen.

Als 'Monopolanbieter' von Bundesfernstraßen, Bundeswasserstraßen und als Mitfinanzierer der Schienenwege seiner Eisenbahnen stellt der Bund zum Wohl der Allgemeinheit Infrastruktur zur Verfügung. Die Frage ist, wie dieses Ziel am besten erreicht wird:

  • Welcher Verkehrsträger - Schiene, Straße oder Wasser - löst die Aufgaben am besten?

  • Welche einzelnen Maßnahmen versprechen den größten volkswirtschaftlichen Nutzen?

Vor allem die Antwort auf die erste Frage ist letztlich eine politische Entscheidung, die der Bund fällen muß. Zwar werden die Maßnahmen aller Verkehrsträger nach einer Nutzen-Kosten-Analyse (NKA) und weiteren Kriterien bewertet, doch lassen sich die Ergebnisse nur bedingt verkehrs-trägerübergreifend vergleichen. Deshalb und wegen des Überhangs bei den vordringlichen Projekten ist eine Prioritätensetzung zwischen den Verkehrsträgern, aber auch zwischen einzelnen Maßnahmen unumgänglich.

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Die überwiegende Mehrzahl der Projektanmeldungen kommt nicht vom Bund bzw. vom BMVBW, in dessen Zuständigkeit die Bundesverkehrswegeplanung liegt, sondern aus den Ländern. Letztere sind naturgemäß daran interessiert, möglichst viele „ihrer" Maßnahmen durchzusetzen - nicht zuletzt, weil der Bund Kostenträger ist. Dabei werden häufig die Verbesserungen der wirtschaftlichen Situation in den durch ein Projekt neu oder besser erschlossenen Regionen als gewichtiger eingeschätzt als die mit dem Bau verbundenen Umweltprobleme.

Um das komplizierte Verfahren der Planaufstellung etwas zu vereinfachen, handeln Bund und Länder zunächst Länderquoten aus, die festlegen, welcher Anteil am „BVWP-Kuchen" dem einzelnen Land zusteht. Erst danach wird bestimmt, auf welche Maßnahmen diese Gelder verteilt werden. Dabei kann es vorkommen, daß dieselbe Maßnahme - so z.B. die BAB 4 zwischen der BAB 45 und der BAB 7 - in einem Bundesland (NRW) im Vordringlichen Bedarf und in einem anderen Bundesland (Hessen) nur im Weiteren Bedarf eingestuft wird. Dieses Vorgehen führt dazu, daß die Einstufung in den Bedarfsplan letztlich eine parlamentarische Entscheidung ist und somit nur z.T. auf der NKA beruht.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001

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