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[Seite der Druckausg.: 19 (Fortsetzung)]



3. Verkehrspolitische Leitlinien der neuen Bundesländer – das Beispiel Brandenburg


Die brandenburgische Landesregierung stellt sich in den kommenden Jahren auf eine erhebliche Zunahme der Verkehrsnachfrage ein. Um die Mobilität von Personen und den Transport von Gütern zu gewährleisten, kann sich das staatliche Handeln nicht darauf beschränken, Verkehrsinfrastruktur vorzuhalten und sie stets an neue Bedürfnisse anzupassen. Vielmehr will das Land Brandenburg Verkehr nicht verwalten, sondern umweltfreundlich und sozial gerecht gestalten. Hierzu sollen vor allem die drei folgenden Bausteine der Verkehrspolitik beitragen:

  • Verkehr soll vermieden werden, und wo Verkehr unverzichtbar ist, wird eine spürbare Verringerung angestrebt. Dazu muß die Raum- und Stadtentwicklungsplanung ihren Beitrag leisten. Ziel ist die Konzentration von Wohnen, Arbeit, Erholung und Kultur auf kürzestem Wege. Zusammen mit dem Land Berlin ist dazu das raumordnerische Leitbild der dezentralen Konzentration entwickelt worden.

  • Verkehr soll integriert werden. Die brandenburgische Verkehrspolitik will unter Beachtung der Umweltauswirkungen nicht nur die Leistungsfähigkeit der einzelnen Verkehrsträger verbessern, sondern diese auch miteinander vernetzen. Die Mobilität sowohl von Gütern als auch von Personen ist künftig nur noch im Verbund möglich.

    Wesentliche Elemente einer solchen integrierten Verkehrspolitik sind z.B. die Förderung der Kooperation der Verkehrsträger untereinander, die effektive Gestaltung

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    der Arbeitsteilung an den Schnittstellen der Verkehrsträger, der Aufbau eines Verkehrs-Management-Systems, die Errichtung von Güterverkehrszentren sowie die Förderung des kombinierten Verkehrs durch den Ausbau der Schienen- und Wasserwege einschließlich entsprechender Terminals. Die Stellung Brandenburgs als Transitdrehscheibe zwischen Ost und West erfordert zudem eine enge Verknüpfung der Verkehrsstruktur im Land mit den sog. transeuropäischen Netzen der EG-Kommission.

  • Verkehr soll verlagert werden. Der öffentliche Nahverkehr hat Vorrang vor dem motorisierten Individualverkehr. Der Güterverkehr soll so weit wie möglich von der Straße auf die Schiene und die Wasserstraße verlagert werden. Ebenso ist vorgesehen, mittelfristig den Kurzstreckenflugverkehr (bis 600 km) auf neue, attraktive Hochgeschwindigkeitsbahnstrecken zu verlagern.


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3.1 Umsetzung der Leitlinien im Konzept der Güterverkehrszentren

Mit der Schaffung von Güterverkehrszentren (GVZ) will die brandenburgische Landesregierung die Leitlinien der Verkehrspolitik im Bereich des Güterverkehrs vorrangig umsetzen. Güterverkehrszentren werden dabei als lokale Zusammenführung von Verkehrs-, Logistik- und Dienstleistungsunternehmen an einem verkehrsgünstig gelegenen Standort definiert. Systematisch geplant und von allen im Güterverkehrszentrum ansässigen Unternehmen akzeptiert, erfüllen solche Anlagen drei Funktionen:

  • Schnittstelle möglichst vieler (mindestens zweier) Verkehrsträger
  • Schnittstelle zwischen Nah- und Fernverkehr
  • logistischer Knoten.

Zunächst sollen die GVZ im Land Brandenburg mithelfen, Verkehr spürbar zu verringern. Eine geordnete konzentrierte Verkehrsentwicklung auf wenige Standorte kann dazu beitragen, das zunehmende Güterverkehrsaufkommen sozialverträglicher zu gestalten. Ziel ist eine Entlastung vieler Regionen von zunehmend ungeordnetem Lkw-Verkehr. Darüber hinaus tragen die GVZ zur Verkehrsintegration und zur Verlagerung von Güterfernverkehr von der Straße auf die Schiene bei. Hinzu kommt ein hoher wirtschaftlicher Stellenwert, denn mit Hilfe der GVZ können die Impulse des wirtschaftlichen Aufschwungs in den Ländern Brandenburg und Berlin verstärkt werden.

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Die brandenburgische Landesregierung erwartet, daß von den GVZ Anschubwirkungen auf das mittelständische Güterverkehrsgewerbe und die Ansiedlung von Arbeitsstätten und Betrieben ausgehen. Damit werden zugleich dringend benötigte Arbeitsplätze geschaffen. Allein im GVZ Wustermark rechnet man mit 3.000 neuen Arbeitsplätzen.

Nach einem aufwendigen Standortfindungsprozeß hat die Landesregierung Anfang 1992 beschlossen, daß zunächst drei GVZ errichtet werden. Sie sollen mit anderen inländischen und europäischen Zentren vernetzt und dezentral durch eine Reihe von Güterverteilzentren und Transportgewerbegebiete ergänzt werden. Diese ersten drei Makro-Standorte werden sein:

  1. Wustermark. Dieses GVZ wird an einer Schnittstelle der drei Verkehrsträger Schiene/Straße/Wasserstraße errichtet werden können. Auf Drängen der Brandenburger Verkehrspolitiker hat das Bundesministerium für Verkehr das Binnenwasserstraßenprojekt Deutsche Einheit Nr. 17 erweitert, um den künftigen GVZ-Hafen Wustermark anzubinden. Insgesamt wird dieses GVZ Güterströme aus dem westlichen und dem nördlichen Teil der Bundesrepublik aufnehmen.

  2. Großbeeren. Dieser Standort liegt im südlichen Umland von Berlin, das nach der Wiedervereinigung einem zunehmenden Siedlungsdruck mit erheblichem Verkehrszuwachs ausgesetzt ist. In seinem Einzugsbereich sollen Großinvestitionen z.B. der Horsham Corporation realisiert werden. Dieses GVZ soll die aus den Wachstumszentren Sachsen, Hessen und dem Süden Deutschlands induzierten Güterströme aufnehmen. Im wesentlichen ergeben sich hier Schnittstellen zwischen Straße und Schiene, wobei auch hier die Deutsche Reichsbahn schnellstmöglich ein KLV-Terminal errichten will. Daneben wird die Anbindung an den Teltow-Kanal gutachterlich geprüft.

  3. Freienbrink. Hier ist ein Teilstandort eines GVZ für die östlichen Regionen Brandenburgs vorgesehen. Entstehen soll ein Handels-Logistik-Zentrum, das sich mit seinen Konfigurationen in den noch festzulegenden Makrostandort des GVZ-Ost integrieren muß. Dieses GVZ hat insbesondere die Aufgabe, die aus den mittel- und osteuropäischen Staaten zu- bzw. ablaufenden Güterströme aufzunehmen. Deshalb will das Land darauf drängen, daß die EG dieses GVZ als Pilotprojekt mit Fördermitteln unterstützt.

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Alle drei Standorte liegen im Berliner Umland. Damit übernimmt die brandenburgische Verkehrspolitik wichtige Aufgaben für die neue Hauptstadt. Dies gilt insbesondere bei der Bewältigung der von den GVZ ausgehenden nachgelagerten Lkw-Verkehre, die die kleinräumige Verteilung der Güter gewährleisten. Hier werden der Berliner Senat und die brandenburgische Landesregierung gemeinsam Konzepte für den Wirtschaftsverkehr erarbeitet werden müssen.

Bei der Realisierung der GVZ-Konzeption hat das Land Brandenburg in zweifacher Hinsicht Neuland betreten: Einmal ist der Beschluß über die Gründung einer GVZ-Entwicklungsgesellschaft die erste im Bereich der Verkehrspolitik getroffene gemeinsame Entscheidung, die der Senat von Berlin und die Landesregierung zeitgleich verabschiedet haben. Zum anderen wird mit der GVZ-Entwicklungsgesellschaft "public private partner-ship" verwirklicht. Öffentliche und Private Institutionen arbeiten bei der Gründung der Zentren Hand in Hand. Die Träger für die vorgesehene GVZ-Entwicklungsgesellschaft sind:

  • das Land Brandenburg mit 26 %,
  • das Land Berlin mit 26 %,
  • die Deutsche Reichsbahn mit 10 % und
  • die Verbände bzw. Organisationen des Güterverkehrs zusammen mit 38 %.

Aufgabe der Gesellschaft ist es, im Auftrag der beiden Bundesländer unter Bezug auf die landesplanerischen Vorgaben und zugunsten der Verkehrswirtschaft sowie unter Beachtung funktionaler und marktwirtschaftlich verträglicher Strukturen und Abläufe alle notwendigen vorbereitenden Maßnahmen zur Planung und Errichtung der GVZ herauszuarbeiten, einzuleiten und zu koordinieren.

Da diese Zentren für das Land große wirtschafts- und verkehrspolitische Bedeutung haben, wird Brandenburgs Verkehrsminister alles unternehmen, um das GVZ-Projekt beschleunigt zum Erfolg zu führen. Deshalb wurde für das GVZ Wustermark im Herbst 1992 das Raumordnungsverfahren beantragt.

Um die verkehrspolitischen Ziele zu erreichen, sind erhebliche finanzielle Mittel notwendig. Auf Initiative der Länder hat der Bund das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) verbessert. Dabei wurde die "Förderung von Güterverkehrszentren" als neuen Fördertatbestand aufgenommen. Dementsprechend können die Länder nun entscheiden, ob sie eher dem ÖPNV, dem kommunalen Straßenbau oder der Förderung von GVZ eine Priorität einräumen. In den infrastrukturell gut ausgebauten alten Bundesländern können entsprechende Schwerpunkte durchaus unterschiedlich gesetzt werden. Aber in den neuen

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Ländern besteht ein unübersehbarer Mangel auf allen Gebieten der Infrastruktur, der die Setzung von Prioritäten nahezu unmöglich macht.

Aus diesem Grund wird eine effiziente Förderpolitik bei den GVZ nur dann möglich sein, wenn für diesen Fördertatbestand auch eigene Mittel ausgewiesen werden. Neben dieser Forderung des Landes Brandenburg an die Bundesregierung wird die Verstetigung der Mittel des GVFG über das Jahr 1995 hinaus für notwendig gehalten. Bis zu diesem Zeitpunkt sind hierfür 6,3 Mrd. DM vorgesehen; ab 1996 reduziert sich dieser Betrag dann auf 3,3 Mrd. DM. Allein für die Verbesserung der ÖPNV-Infrastruktur auf das heutige Niveau der alten Bundesländer würde das Land Brandenburg bis zum Jahr 2000 Mittel in Höhe von 1,7 Mrd. DM benötigen. Dieser Mittelbedarf verdeutlicht, weshalb die Forderung nach eigenen Mitteln für die Güterverkehrspolitik wichtig ist.

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3.2 Ausbau der Binnenschiffahrt

Eine bedeutendere Rolle als bisher soll die Binnenschiffahrt im Land Brandenburg bei der Sicherstellung eines leistungsfähigen und wirtschaftlichen Güterverkehrs einnehmen. Das Netz der märkischen Wasserstraßen und seine Verknüpfung mit Rhein, Elbe und Oder bietet gute Möglichkeiten zur Übernahme von Transportleistungen des Straßengüterverkehrs. Angestrebt wird eine Verdrei- bis Vervierfachung des Verkehrsanteils der Binnenschiffahrt. Bis zum Jahr 2000 sollen etwa 10 bis 12 % aller Güter – vor allem im kombinierten Verkehr – durch Binnenschiffe transportiert werden.

Besondere Aufmerksamkeit will die Binnenschiffahrt dem Ausbau des kombinierten Verkehrs schenken. Ziel ist es, diesen Verkehr nach dem "Grundsatz der durchgehenden Beförderung von Gütern in einem Transportbehälter, aber mit verschiedenen Transportmitteln" mit neuen Leistungsangeboten auf den Gebieten

  • Containerverkehr,
  • Ro-Ro-Verkehr,
  • Gefahrguttransporte und
  • Schwerlastverkehr

zu einem kooperativen Partner des Straßen- und Bahntransportes zu entwickeln. Voraussetzung hierfür ist eine erhebliche Verbesserung der Infrastruktur für die Binnenschifffahrt. Dazu gehören vor allem der Ausbau der märkischen Bundeswasserstraßen sowie die Modernisierung der Binnenhäfen und Umschlagstellen. Die Landesregierung hofft dabei insbesondere auf die Realisierung des Projektes 17 Deutsche Einheit (Ausbau des

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Mittellandkanals/Elbe-Havel-Kanal/untere Havelwasserstraße unter Einschluß des Havel- und Teltow-Kanals). Bei der Fortführung dieses Projektes unterstützt die Landesregierung die Bestrebungen der EG-Kommission, ein europäisches Wasserstraßennetz zu schaffen, das auch eine verbesserte Anbindung der mittel- und osteuropäischen Staaten vorsieht.

Der Ausbau der Binnenschiffahrt steht verstärkt im Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Ökologie. Auf einer Seite sind Verkehrsverlagerungen auf die umweltfreundlicheren Wasserstraßen notwendig, um dem drohenden Verkehrsinfarkt und der besorgniserregenden Luftverschmutzung vorzubeugen. Andererseits beinhaltet der Ausbau der Wasserwege Eingriffe in die Natur. Daher mißt die Landesregierung bei allen Ausbauabschnitten einer sorgfältigen Umweltverträglichkeitsprüfung große Bedeutung bei.

Die Nutzung des Verkehrsträgers Binnenschiffahrt ist darüber hinaus maßgeblich vom Ausbauzustand und dem Service der Häfen und der darin vorhandenen Umschlagstellen abhängig. Auch die Binnenhäfen werden sich in logistischer Hinsicht völlig verändern müssen, wenn sie den Anforderungen der Zukunft gerecht werden wollen. Die Landesregierung wird daher auch in den nächsten Jahren Fördermittel für den Ausbau der Infrastruktur in den Binnenhäfen bereitstellen. Darüber hinaus sollen die Binnenhäfen in einer Hafengesellschaft unter Beteiligung des Landes und der betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften zusammengeschlossen werden.

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4. Neuordnung der Wettbewerbsbedingungen im Güterverkehr Europas



4.1 Liberalisierung, Deregulierung und Harmonisierung der Verkehrsmärkte

Die Römischen Verträge sehen drei wesentliche Aufgabenfelder der EG vor: die Agrarpolitik, die Handelspolitik und die Verkehrspolitik. Während in den ersten beiden Bereichen im Lauf der Jahre viel bewegt wurde, stagnierte der Verkehrssektor mehr oder weniger bis Mitte der achtziger Jahre. Dann kam es zu einer Klage des Europäischen Parlaments gegen den Rat wegen Untätigkeit. Der Rat wurde vom Europäischen Gerichtshof 1985 verpflichtet, endlich eine gemeinsame Verkehrspolitik zu verwirklichen.

Die EG verfolgt heute eine Verkehrspolitik, deren Ziel nicht nur die schnellere Beförderung von mehr Personen und Gütern über größere Strecken ist. Neben der Verbesserung der Leistungsfähigkeit des Verkehrssystems sieht der Zielkatalog der EG vor, daß das wachsende Verkehrsaufkommen unter Wahrung der Lebensqualität der Menschen bewältigt

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wird. Es sollen die Anforderungen des Umweltschutzes und der Verkehrssicherheit beachtet und die sozialen Rechte der im Verkehrsgewerbe Beschäftigten weiter ausgebaut werden.

Als drittes Handlungsfeld sind inzwischen die Verkehrsbeziehungen zu Drittstaaten hinzugekommen. Dabei sind die verstärkten Außenbemühungen im Verkehrsbereich eine notwendige Folge der Schaffung eines gemeinsamen Verkehrssystems im Inneren der EG. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang u.a. die Transitabkommen mit Österreich und der Schweiz. In diesen und weiteren Abkommen der EG mit den mittel- und osteuropäischen Staaten finden die erwähnten Ziele der EG-Verkehrspolitik Berücksichtigung.

Mit dem Binnenmarkt entsteht Anfang 1993 ein "Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital ... gewährleistet ist" (Art. 8a EWGV). Die EFTA-Staaten schließen sich dieser Entwicklung an (EWR). Hinzu kommen noch weitere Impulse durch die Öffnung der Grenzen nach Osteuropa. Dieser neue europäische Markt verlangt ein Verkehrssystem und eine Transportwirtschaft, die ihren Beitrag dazu leisten, daß die größere Mobilität und das wachsende Verkehrsaufkommen auch bewältigt werden können. Anderenfalls bleiben Binnenmarkt und EWR im Stau stecken.

Diese Anforderungen kann das europäische Verkehrswesen nur erfüllen, wenn es seine Leistungsfähigkeit steigert. Die EG hat die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, daß der Verkehr seinen wichtigen Funktionen für die wirtschaftlichen Entwicklung gerecht werden kann. Die beschlossenen Maßnahmen kulminieren im Abbau der Grenzkontrollen zum 1. Januar 1993. Bürokratische Grenzformalitäten werden abgeschafft, mehr Effizienz durch weniger Bürokratie ist das Ziel. Kontrollen – z.B. im Steuerbereich – werden ins Inland verlegt, andere Kontrollen sind gänzlich abgeschafft worden. Nach Erwartungen der Deutschen Bundesbank vom Herbst 1992 wird die Wirtschaft durch den Wegfall der Formalitäten und der Zeitverluste an den Binnengrenzen Verwaltungs- und Transportkosten in einem beträchtlichen Maße einsparen. Die EG-Kommission hat dazu 1988 eine Studie in Auftrag gegeben, nach deren Ergebnis durch den Grenzabbau etwa 8 Mrd. ECU oder rund 2 % des Warenwertes eingespart werden können.

Die Förderung des Transportgewerbes und die Erhaltung seiner Leistungsfähigkeit will die EG über die Liberalisierung, Deregulierung und Harmonisierung der einzelnen Verkehrsmärkte erreichen. Dabei wurden bisher unterschiedliche Erfolge erzielt, da in den ver-

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schiedenen Bereichen auch immer das Prinzip des fairen Wettbewerbs sowie die sozialen Belange beachtet werden müssen.

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4.2 Regelungen für einzelne Verkehrssektoren

Speziell für die einzelnen Verkehrsträger wurden auf EG-Ebene bisher folgende Ergebnisse erzielt:

  • Für die Binnenschiffahrt wurde eine Reihe von Regelungen getroffen. Diese beziehen sich einmal auf die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit und zum anderen auf verschiedene technische Aspekte insbesondere in Bezug auf den Berufszugang und die gegenseitige Anerkennung von Diplomen. Die Kabotage ist mit Ausnahmeregelungen erreicht. So sind die neuen Bundesländer bis 1995 noch ausgeklammert, und für die Bundesrepublik und Frankreich wurden besondere Übergangsregelungen geschaffen, mit deren Hilfe Verwerfungen auf den Güterverkehrsmärkten verhindert werden sollen. Über ein eigenes EG-Programm zur Konsolidierung der Binnenschiffahrt wurden Überkapazitäten abgebaut; demzufolge hat die Binnenschiffahrt heute eine solidere Basis als noch vor einigen Jahren.

  • Der Seeverkehr im EG-Bereich wird meist unterschätzt, obwohl über ihn ca. 30 % des Güterverkehrs abgewickelt werden. Hier wurden Lösungen für die Kabotageliberalisierung gefunden. Dabei wurden Regeln für einzelne Bereiche (Festlandskabotage, Inselkabotage, Kreuzfahrt und Linienfährdienst), aber auch regionale und Übergangsvorschriften geschaffen, die es erlauben, daß die Unternehmer sich sukzessiv den neuen Verhältnissen anpassen können.

  • Für den Luftverkehr wurde inzwischen ein drittes Liberalisierungspaket vereinbart. Wichtige Probleme – wie die Erteilung von Betriebsgenehmigungen, die Liberalisierung der Flugpreise und der Zugang zu den einzelnen Flugstrecken/Flughäfen – wurden gelöst.

  • Für das europäische Eisenbahnwesen hat die EG eine grundlegende Reform beschlossen. Diese soll die Bahnen in die Lage versetzen, in Zukunft ihre Aufgaben als Alternative zur Straße besser wahrnehmen zu können. Es wurde eine EG-Richtlinie verabschiedet, die im wesentlichen die folgenden Elemente umfaßt:

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    1. Die Mitgliedsstaaten haben bei der Eisenbahn zumindest für die rechnerische Trennung von Netz und Betrieb zu sorgen.
    2. Die Eisenbahnunternehmen müssen vom Staat in Bezug auf Leitung, Geschäftsführung und Verwaltung unabhängig sein - für die Leitung gelten die Grundsätze von Handelsgesellschaften.
    3. Die Verschuldung der Bahnunternehmen ist soweit abzubauen, daß ein Betrieb auf gesunder finanzieller Basis möglich wird.

    Diese Regelungen sollen nach den Vorstellungen der EG auch dazu beitragen, daß den Eisenbahnen neue Entwicklungschancen im Sinne von mehr Flexibilität im internationalen Verkehr eingeräumt werden. Internationale Kooperationen von Eisenbahngesellschaften erhalten künftig Zugangs- und Transitrechte in den Staaten, in denen die beteiligten Unternehmen ihren Sitz haben, sowie Transitrechte für den internationalen Verkehr in den anderen Mitgliedsstaaten. Beim kombinierten Verkehr ist der Zugang zu den Strukturen der anderen Mitgliedsländer zu gewährleisten.

  • Der grenzüberschreitende Straßengüterverkehr ist seit dem 1. Januar 1993 völlig liberalisiert. Quoten, Kontingente und behördlich festgesetzte Tarife gehören der Vergangenheit an. Die Marktzugangsregeln folgen nicht mehr quantitativen, sondern qualitativen Voraussetzungen (z.B. hinsichtlich bestimmter Anforderungen an die Berufsausbildung). Die Harmonisierung einzelstaatlicher technischer Vorschriften – u.a. in Bezug auf Gewichte und Abmessungen und eine Reihe sicherheitstechnischer Vorschriften – ist vorangekommen. Entsprechendes gilt auch für den sozialen Bereich, z.B. für die Lenkzeitregelung. Ein Einstieg in die freie Kabotage hat bereits stattgefunden; hier muß nach dem EG-Recht bald eine endgültige Regelung getroffen werden.

    Vor allem die Bundesrepublik hat die Kabotageliberalisierung an die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen in Bezug auf die drei Bereiche Mineralölsteuer, Kraftfahrzeugsteuer und Wegebenutzungsgebühr gekoppelt. Hier gelten in den einzelnen Staaten noch unterschiedliche Sätze bzw. andere Tarife, die Differenzen in den Kosten der Unternehmen verursachen und so die entsprechende Wettbewerbssituation beeinflussen. Die EG bzw. die EG-Kommission hat sich hier um eine Lösung bemüht. Ein erster Schritt wurde in diesem Zusammenhang bereits vor einiger Zeit durch die Festsetzung eines Mindestsatzes für die Mineralölsteuer in Höhe von 245 ECU für 1000 Liter Diesel vollzogen.

    Eine weitere Maßnahme soll die Erhebung von Wegekosten für Lkw mit einem Gewicht über 12 Tonnen erlauben. Diese Gebühren gelten für In- und Ausländer. Sie werden für unterschiedliche Zeiträume (Tag, Woche, Monat bzw. Jahr) festgelegt und administrativ über Vignetten gehandhabt, die überall in Europa erworben werden können. Der Rat hat hierzu zwar noch keine Entscheidung getroffen. Die EG ist jedoch überzeugt, daß es 1993 eine Lösung geben kann. Widerstand gibt es u.a. noch von Seiten der Niederlande, die andere Interessen vertreten.

    Auch die Einbeziehung der externen Kosten steht auf der Agenda der EG. Dies ist ein sehr schwieriges Problem. Deshalb geht die EG in diesem Komplex auch vorsichtig vor. Angestrebt wird ein gemeinsames Besteuerungs- und Abgabensystem für schwere Lastwagen auf Grundlage des Territorialprinzips.

    Debattiert wird in diesem Zusammenhang auch das Problem der Leerfahrten. In der EG gab es die Meinung, daß die Leerfahrten auch durch die Marktordnung erzwungen seien, und daß das Problem deshalb durch die Liberalisierung gelöst werden könne. Diese Auffassung erfaßt das Problem aber nicht in seiner vollen Bandbreite, denn wichtig ist in diesem Zusammenhang nicht zuletzt die Kostenfrage. Bei den gegenwärtigen Wettbewerbsbedingungen können sich ausländische Unternehmer im Gegensatz zu deutschen Betrieben aus Kostengründen Leerfahrten "leisten". Deshalb ist auch eine Steuerharmonisierung für die EG unverzichtbar.

Zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit kann weiter die Verkehrsorganisation beitragen. Hierbei zielen die Bemühungen der EG darauf ab, die Verkehrspolitik der einzelnen Länder besser zu koordinieren. Der Vertrag von Maastricht hat die Entwicklung transeuropäischer Netze bei Energie, Telekommunikation und Verkehr noch einmal ausdrücklich festgeschrieben. Dabei sollen die existierende Infrastruktur enger verknüpft, periphere Länder besser eingebunden und neue Wege im Ost-West-Verkehr geöffnet werden. Grundlagen hierfür wurden bereits durch das Infrastrukturprogramm 1990-1992 geschaffen.

Für die einzelnen Verkehrsträger wurden Netzleitpläne entwickelt, so z.B. für den kombinierten Verkehr, für Autobahnen und für die Binnenschiffahrt. Der erste Netzleitplan war ein Hochgeschwindigkeitsnetz der Bahnen. Andere Netze befinden sich noch in der Erarbeitung.

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Um die Netzpläne zu realisieren, kann die EG nicht in eigener Verantwortung Straßen, Schienen und Wasserwege bauen. Nach dem Prinzip der Subsidiarität bleibt die Planungs- und Finanzierungshoheit den einzelnen Staaten überlassen. Die EG will nur koordinieren und Anstöße aus europäischer Sicht geben. Außerdem reichen die Finanzmittel der EG auch nicht aus, um Großprojekte abzuwickeln. Die EG beschränkt sich darauf, Machbarkeitsstudien für Projekte zu finanzieren, die sie für wichtig hält. Sie gewährt Zinshilfen oder übernimmt Kreditbürgschaften. Für entsprechende Maßnahmen sind im Haushaltsentwurf der Kommission für 1993 insgesamt 180 Mio. ECU vorgesehen.

Die Einzelnetze der verschiedenen Verkehrsträger sollen miteinander in einem intermodalen Gesamtnetz verknüpft werden. Dabei ist jedes Verkehrsmittel nach dem Prinzip der individuellen Leistungsstärke einzusetzen. Dem kombinierten Verkehr ordnet die Gemeinschaft eine große Bedeutung zu. Das Motto lautet: von der Straße auf die Schiene, hin zum kombinierten Verkehr. Dieses traditionelle Konzept soll mit Binnen- und Seeschiffahrt erweitert werden.

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4.3 EG-Konzept zur Lösung des Konfliktes Verkehr : Umwelt

Die Steigerung der Leistungsfähigkeit des Verkehrssystems muß nach den Vorstellungen der EG einhergehen mit den Bemühungen um eine Bewahrung der Lebensqualität der Menschen und um eine Verbesserung des Umweltschutzes. Die EG hat hierzu ein eigenes "Grünbuch" [Fn_1: Inzwischen liegt ein "Weißbuch" der Kommission zur künftigen Entwicklung der gemeinsamen Verkehrspolitik vor.] herausgegeben, das umweltpolitische Konzeptionen in bezug auf den Verkehr enthält und den latenten Konflikt "Verkehr – Umwelt" behandelt. Die EG strebt Verkehrsverlagerungen auf und Verkehrssubstitutionen durch möglichst umweltverträgliche Verkehrsmittel an. Sie bemüht sich um Optimierung der Verkehrsträger, der Organisation des Verkehrsablaufs und der verkehrsübergreifenden Kooperation auch im Sinne des Umweltschutzes. Zu einem zukunftsorientierten Verkehrssystem, das sich auch um Verkehrsvermeidung bemüht, gehören ebenso moderne Leitsysteme für die Straße wie ein intelligentes Rail-Management. Die auf Gemeinschaftsebene durchgeführte Forschung im Verkehrsbereich soll dazu beitragen, mit den Möglichkeiten neuer Technologien ein Gleichgewicht zwischen den direkten wirtschaftlichen Vorteilen des Verkehrssektors und seinen nachteiligen Folgen für die Umwelt und für die Gesundheit der Bevölkerung zu erreichen.

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In diesem Zusammenhang sind die mit Österreich und der Schweiz abgeschlossenen Transitabkommen erwähnenswert, weil sie wesentliche ökologische Aspekte beinhalten. Im Vertrag mit Österreich wurde ein sog. "Ökopunktsystem" eingeführt, das die Entwicklung des Verkehrsvolumens von der Entwicklung von Umwelttechnologien abhängig macht. Dabei muß der NOx-Wert der Lkw permanent gesenkt werden, wenn das Verkehrsvolumen des Jahres 1991 gehalten werden soll. Dieses System tritt am 1. Januar 1993 in Kraft. Und bei den Verhandlungen mit der Schweiz wurde akzeptiert, daß die 28 Tonnen-Beschränkung für Lkw beibehalten wird. Die Schweiz hat dafür zugesichert, den Kombiverkehr wesentlich auszubauen; dabei spielen die beiden zusätzlich vorgesehenen Eisenbahnstrecken mit aufwendigen Tunnelbauten die zentrale Rolle.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2002

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