FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 3]



1. Entwicklungstendenzen für den Güterverkehr und sich abzeichnende Infrastrukturengpässe in den alten und neuen Bundesländern




1.1 Zentrale Befunde aus Güterverkehrsprognosen

Im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums hat die Baseler Prognos AG die Verkehrsprognosen des Freiburger Ingenieurbüros Kessel und Partner aufbereitet und in vielen Punkten mit der Absicht ergänzt, Aussagen über die zu erwartenden Luftschadstoffemissionen zu ermöglichen, und zwar auf der Basis des jetzt diskutierten Bundesverkehrswegeplans. Bei den Prognosen wurden drei Szenarien durchgerechnet: eine Trendfortschreibung (Szenario F), ein Szenario, das deutliche Eingriffe in den Markt vorsieht – unter anderem eine Erhöhung der nachfragewirksamen Lkw-Transportpreise um 50 % – (Szenario G) und ein Szenario, das geringfügige Eingriffe beinhaltet (Szenario H). Der jetzt vorliegende Bundesverkehrswegeplan basiert auf dem letztgenannten Szenario und rechnet u.a. mit folgenden Entwicklungstrends:

  • Das Güterverkehrsaufkommen soll bis zum Jahr 2010 nach den Eckdatenprognosen von Kessel und Partner um 24,5 % von 4 auf 5 Mrd. Tonnen zunehmen.

  • Die Binnennahverkehre im Umkreis von 50 km machen zwei Drittel des gesamten Aufkommens aus.

  • Der Anteil der Transitverkehre soll in den Periode 1988 - 2010 von 1 % auf 1,5 % des gesamten Aufkommens wachsen.

Bei einer Betrachtung der Hauptverkehrsbeziehungen zeichnet sich folgendes Bild ab:

  • Die Güterverkehrsleistung auf deutschem Gebiet soll von 1988 bis 2010 um 70 % bzw. von 364 Mrd. auf 617 Mrd. Tonnenkilometer zunehmen (1991: 340 Mrd. Tonnenkilometer).

  • Beim Straßengüternahverkehr wird ein Rückgang von 15 % im Jahr 1988 auf 11 % erwartet.

  • Bei den grenzüberschreitenden Verkehren rechnet man mit eine Zunahme von 36 % auf 51 %; dabei soll der Anteil des Transitverkehrs von 7 % auf 8,5 % steigen.

[Seite der Druckausg.: 4]

  • Für den Anteil der gesamten Fernverkehre an allen Verkehrsleistungen, der 1988 bei 85 % lag, wird ein Wachstum auf 89 % prognostiziert.

Für die verschiedenen Verkehrszweige zeichnen sich folgende Entwicklungen ab:

  • Im Trendfall (Szenario F) würde der Anteil der Bahn von 40 % auf knapp 33 % fallen, der Anteil des Straßengüterfernverkehrs hingegen von 40 % auf rund 47 % steigen. Selbst im Szenario H, das dem Bundesverkehrswegeplan zugrunde liegt, sinkt der Anteil der Bahn auf 35 % und der Anteil der Straße steigt auf 43 %. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Basisannahmen bereits von ganz erheblichen Verbesserungen in Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn ausgehen. Insgesamt würden nach dem Szenario H im Jahr 2010 vom Straßengüterverkehr 238 Mrd. Tonnenkilometer oder je Werktag 950 Mio. Tonnenkilometer bzw. 100 Mio. Fahrzeugkilometer erbracht.

  • Die mittleren Transportweiten auf deutschem Gebiet nehmen zu, bei der Bahn von 206 auf 347 km, auf der Straße von 266 auf 300 km und bei der Binnenschiffahrt von 248 auf 341 km. Im Durchschnitt wird die mittlere Transportweite als Folge der Wiedervereinigung und des zunehmenden grenzüberschreitenden Verkehrs um 38 % von 235 auf 324 km steigen.

Die Prognose von Kessel und Partner geht von einem Zuwachs der Transportleistung im Binnenverkehr von 1988 bis 2010 um ein Drittel aus. Bei der Bahn wird ein Rückgang, bei der Straße ein überproportionaler Anstieg vorhergesagt. Der Warenaustausch im Binnenverkehr zwischen alten und neuen Bundesländern soll um mehr als 600 % zunehmen. Bei den gesamten grenzüberschreitenden Verkehren erwartet man eine Expansion um knapp 150 %, bei der Bahn soll der Zuwachs 185 % betragen. Der Güterverkehr auf der Straße zwischen den alten Bundesländern und den ehemaligen RGW-Ländern wird sich nach der Prognose mehr als verzehnfachen. Selbst der Transitverkehr durch die Bundesrepublik soll um 110 % wachsen.

Bei den Ermittlungen zum Güterverkehrswachstum zwischen Ost- und Westeuropa wurden zwei zentrale Annahmen rechnerisch umgesetzt: Zum einen erreicht der Handel zwischen Ost und West im Jahr 2000 ein Niveau, das dem Warenaustausch zwischen den westeuropäischen Ländern im Jahr 1980 entspricht, zum anderen werden die politischen Grenzen als Verkehrs- und Handelshemmnisse bedeutungslos. Allein die geographische

[Seite der Druckausg.: 5]

Nähe ist ausschlaggebend für die internationale Arbeitsteilung und den damit zusammenhängenden Import und Export.

Der wertmäßige, inflationsbereinigte Außenhandel zwischen ausgesuchten ost- und westeuropäischen Ländern soll um das elffache (in Ost-West-Richtung) bzw. um das vierzehnfache (in West-Ost-Richtung) zunehmen. Besonders stark wird dabei der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten, mit Metallwaren und Erzen sowie mit Verbrauchs- und Investitionsgütern wachsen.

Global wird das Güterverkehrsaufkommen von 60 Mio. auf 500 Mio. Tonnen zunehmen. Für die Entwicklung der einzelnen Verkehrsträger wurden zwei Modal-split-Prognosen aufgestellt: Nach dem Szenario l würde sich auf Basis der bisherigen Verkehrsanteile im Osten der Bahnanteil von 52 % auf 46 % verringern, während der Anteil der Straße von 24 % auf 31 % zunähme. Bei der Binnenschiffahrt wird nur mit einem geringen Bedeutungsverlust um einen Prozentpunkt auf 23 % gerechnet.

Zu anderen Ergebnissen kommt man, wenn von den Modal-Split-Verhältnissen, wie sie derzeit in Westeuropa existieren, ausgegangen wird (Szenario II). Hiernach würde der Bahnanteil auf 17 % zurückgehen; umgekehrt verbessern sich die Positionen von Straße (auf 48 %) und Wasserstraße (auf 35 %) deutlich.

Page Top

1.2 Grenzen der Mobilitätsentwicklung

Folgende Enpässe zeichnen sich durch die künftige Verkehrsentwicklung ab:

  • Der Güterverkehr wird durch die Wiedervereinigung und durch die Öffnung Osteuropas nach den neuesten Prognosen stärker als erwartet zunehmen.

  • Der sich abzeichnende Wirtschaftsstrukturwandel in Ost- und Westeuropa läßt tendenziell insbesondere die Straßengüterverkehre ansteigen.

  • Die Güterverkehrsentwicklung verursacht nicht allein die sich abzeichnenden Infrastrukturengpässe. Trotz des prognostizierten starken Güterverkehrszuwachses wird der Löwenanteil aller Straßenverkehrsleistungen nach allen Prognoseszenarien auch zukünftig auf den Personenverkehr entfallen. Dementsprechend stellen monokausale bzw. monomodale Strategien keine Lösung der vom Verkehr ausgehenden Probleme in Aussicht.

[Seite der Druckausg.: 6

  • Die Infrastrukturen werden für das prognostizierte Wachstum des Personen- und Güterverkehrs vielerorts bei allen Verkehrszweigen nicht reichen. Es wird in Ost und West an Straßen, Parkplätzen, Schienenwegen, an ÖPNV-Kapazitäten, an Umschlagplätzen, an Binnenschiffswegen, an Flugplätzen, aber auch an Radwegen und Fußgängerbereichen fehlen.

  • Besondere Engpässe werden dort auftreten, wo mehr als 40 Jahre planwirtschaftliche Elemente den Ausbau der Infrastrukturen geprägt haben. Europa öffnet sich zwar politisch innerhalb weniger Jahre, Veränderungen der "politisch" gewachsenen Verkehrsnetze beanspruchen aber längere Zeiträume.

  • Die zu erwartende Verkehrsentwicklung scheint alle Grenzen zu sprengen. Dies gilt
    • sowohl für die finanziellen Ressourcen (nicht alle Wünsche können befriedigt werden)
    • als auch für die ökologischen Ressourcen (die natürliche Umwelt ist nicht beliebig belastbar)
    • sowie für die mentalen Ressourcen (der grenzenlose Drang nach Mobilität, Konsum und internationaler Arbeitsteilung zur Optimierung kurzfristiger Wachstumsziele muß auf ein sinnvolles Maß reduziert werden).

  • Die Befriedigung des permanenten Nachfrageüberhangs nach Personen- und Güterverkehrsmobilität ist nicht grenzenlos möglich. Die Probleme der Staus, der Verkehrs(un)sicherheit, der Umweltbelastungen etc. sind mit rein infrastrukturellen, organisatorischen und technischen Lösungskonzepten nicht zu beseitigen.

  • Der größte Engpaß ist der Mangel an Einsicht: Sowohl mit Blick auf die weniger mobilen Mitmenschen – insbesondere in der Dritten Welt – als auch unter dem Aspekt der Erhaltung der Lebensgrundlagen für künftige Generationen erscheint es notwendig, die eigenen Mobilitätsansprüche auf ein gesamtgesellschaftlich akzeptables Maß zu begrenzen.

  • Der Politik kommt nicht alleine und immer weniger die Aufgabe zu, vorrangig der Maximierung individueller Bedürfnisse und kurzfristiger Wachstumsziele zu dienen. Vielmehr muß sie auch und verstärkt über wirtschaftssystemkonforme Lenkungsmechanismen für einen optimalen Ausgleich rivalisierender Ziele sorgen. An die

[Seite der Druckausg.: 7]

    Stelle der derzeit praktizierten Anpassungsplanung muß eine zukunftsorientierte Gestaltungsplanung treten.

  • Ebenso wie der gesamte Planet Erde darf Europa nicht nur als Marktplatz, sondern auch als Lebensgemeinschaft verstanden und genutzt werden. Dementsprechend dürfen auch im Güterverkehr die "ökonomischen Erfordernisse" nicht der Maßstab aller Dinge sein.


Page Top

2. Zukunftsperspektiven für die Hauptverkehrsträger des Güterverkehrs



Page Top

2.1 Neue Rahmenbedingungen für den Eisenbahnverkehr in Europa

Über Jahrzehnte wiesen viele europäische Verkehrspolitiker auf die große Bedeutung der Eisenbahnen im künftigen liberalisierten EG-Transportmarkt hin, aber 15 Jahre lang hat der EG-Ministerrat sich nicht mit Eisenbahnfragen beschäftigt. Zwar hat die EG-Kommission immer wieder versucht, auf diesem Gebiet etwas zu bewegen, aber der Ministerrat sah hier keinen Handlungsbedarf. Am 20. Juni 1991 legte der Ministerialrat dann plötzlich zwei Beschlüsse vor, die die künftige Entwicklung der Eisenbahnen in Europa und damit auch in der Bundesrepublik entscheidend beeinflussen.

Der Ministerrat hat zum einen eine Richtlinie über die Entwicklung der Eisenbahnpolitik, die Richtlinie 91/440 EWG, verabschiedet und zum anderen die EG-Verordnung 1191/69 über den Abbau gemeinwirtschaftlicher Leistungen mit der EG-Verordnung 1893/91 novelliert. Beide sind die Grundlage für die Bahnstrukturreform und haben diese eigentlich erst richtig möglich und nötig gemacht.

Mit der Verordnung 1893/91, die seit dem 1. Juli 1992 geltendes Recht ist, werden die unternehmerischen und gemeinwirtschaftlichen Aufgaben strikt getrennt. Hierdurch verschwindet eine Grauzone zwischen Politik und Unternehmen, die beiden Bereichen lange Zeit geschadet hat. Für die Lösung der Probleme, die daraus resultieren, daß Bundesbahn und Reichsbahn derzeit sowohl Behörden als auch Unternehmen sein sollen, wurde hier der erste Schritt getan, um eine saubere Teilung herbeizuführen.

Die Richtlinie 91/440 umfaßt vier Schwerpunkte. Sie fordert zum einen die kaufmännische Unabhängigkeit der Geschäftsführung der Eisenbahn vom Staat. Es handelt sich damit um die konsequente Weiterführung der Trennung von unternehmerischen und politischen Aufgaben nach den Verordnungsbestimmungen. Zweitens fordert sie die Entschuldung

[Seite der Druckausg.: 8]

der Eisenbahnen. Weiter bedingt die Richtlinie die Trennung von Fahrweg und Betrieb. Dies ist eine ganz wichtige Entscheidung, da die Bahn nunmehr nicht mehr der einzige Verkehrsträger sein muß, der für seinen Fahrweg voll verantwortlich ist und insbesondere das Risiko seiner Auslastung trägt. Und konsequent fordert sie schließlich viertens die Öffnung des Fahrwegs für Dritte. Bei der Diskussion über die beiden EG-Beschlüsse steht die Öffnung des Fahrwegs für Dritte im Vordergrund, dagegen treten die anderen wichtigen Forderungen, die gleichberechtigt sind, in den Hintergrund.

Die beiden Entscheidungen des Ministerrates allein reichen aber nicht aus, um die notwendigen Reformen im Eisenbahnsektor zu vollziehen. Mit ihnen ist vielmehr nur ein Rahmen gesetzt worden, der ausgefüllt werden muß. Dies darf jedoch nicht unter nationalen Aspekten erfolgen, denn sonst würden lediglich neue Probleme entstehen. Würden zum Beispiel unterschiedliche Fahrwegabgabe-Systeme zwischen den einzelnen Bahnnetzen geschaffen, so kämen zu den unterschiedlichen Spurweiten, den unterschiedlichen Traktionssystemen und Sicherungseinrichtungen auch noch unterschiedliche Wegeabgaben hinzu. Hier besteht ein weiteres Aufgabenfeld der Kommission, das inzwischen auch erkannt und aufgegriffen wurde.

Für die Bahnen gibt es eine weitere wichtige Aufgabe, die sie im Zusammenhang mit ihren Eigentümern lösen müssen, nämlich einen einheitlichen Auftrag für alle Bahnen in Europa zu schaffen. Wenn die eine Bahn Einsparungen erzielen muß, die andere Bahn möglichst viel Verkehr auf sich ziehen und eine dritte nur im Personenverkehr expandieren will, kann keine einheitliche Politik der Eisenbahnen erwartet werden.

Im internationalen Eisenbahnverkehr befaßten sich die Bahnen oft zu lange mit der Aushandlung bestimmter Konditionen; in der Zwischenzeit war der Transport häufig schon längst auf der Straße abgewickelt worden. Die EG-Verordnung und die EG-Richtlinie bieten hier neue Chancen. Die Bahnen müssen sich nicht mehr länger als Verwalter ihrer Netze sehen, sondern haben die Möglichkeit, auf der Basis der Öffnung der Fahrwege ihre Netze gegenseitig zu nutzen. Es entstehen neue Entwicklungsspielräume, die die Bahnen erkennen und ausschöpfen müssen.

Page Top

2.2 Die nationalen Schienenverkehre vor einer Neuordnung

Zusätzlich zur Schaffung neuer Kooperationen im europäischen Eisenbahnverkehr müssen sich die deutschen Bahnen nach der Wiedervereinigung auch im nationalen Bereich um eine Neugestaltung der Verkehrsverbindungen bemühen. Der Verband Deutscher

[Seite der Druckausg.: 9]

Verkehrsunternehmen (VDV) vertritt die Auffassung, daß Deutsche Bundesbahn und Deutsche Reichsbahn sich auf die Lösung dieser wichtigen Aufgaben konzentrieren und nicht noch zusätzlich im Regionalverkehr tätig sein sollten. Dementsprechend erscheint eine Aufgabenteilung zwischen den Eisenbahnen sinnvoll, bei der die Organisation und Durchführung der Verkehre im Nahbereich den regionalen Bahnen übertragen wird. Letztere können selbstverständlich Töchter der Bundeseisenbahnen sein; eine zusätzliche Einbeziehung großer Verlader ist zu erwägen. Kooperationen bieten sich mit weiteren Unternehmen an, mit den Speditionen, mit dem Güterkraftverkehr und mit den Organisationen des kombinierten Verkehrs. Damit rückt das Angebot der Schiene näher an den Markt. Es werden Bahnbetriebsleistungen "aus einem Guß" offeriert, die sich eng an der regionalen Nachfrage orientieren. Durch die neue Arbeitsteilung und Regionalisierung kann die Betriebs- und Kostenstruktur der Eisenbahnverkehre den jeweiligen Gegebenheiten besser angepaßt werden. Hierdurch sind nach einer Schätzung des VDV auf der Kostenseite der Bundeseisenbahnen Einsparungen von rund 1 Mrd. DM möglich; das sind gut 10 % vom Umsatz im Güterverkehr.

Ein wesentlicher Punkt der Bahnstrukturreform ist – wie erwähnt – die Trennung von Fahrweg und Betrieb. Der Fahrweg wird dabei in eigener Verwaltung geführt, und die Transport betreibende Gesellschaft entrichtet für die Benutzung eine Abgabe. Dabei stellt sich die Frage nach der Höhe dieser Abgabe. Daß dabei die Forderung nach Deckung der Kosten für den Fahrweg nicht erfüllt werden kann, zeigt folgende Überlegung: Auf etwa der Hälfte des Bahnnetzes werden gut 90 % der Leistungen erbracht. Hier könnte unter Ausnutzung von Rationalisierungspotentialen eine Kostendeckung erreicht werden. In der anderen Netzhälfte, in der nur etwa 10 % der Einnahmenmasse zur Wegekostendeckung übrig bleiben, erscheint eine Kostendeckung dagegen nicht möglich. Auf diesem Teil des DB-Netzes stehen Aufwendungen in Höhe von 3,5 Mrd. DM möglichen Einnahmen von 0,5 Mrd. DM gegenüber. Eine Kostendeckung zu verlangen hieße hier, die Transporte werden über die Wegeabgabe so teuer, daß die Schiene nicht mehr konkurrenzfähig ist. Damit wäre das größte Streckenstillegungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik vorprogrammiert.

In diesem Zusammenhang spielt auch noch eine Rolle, ob der Bund sich für das Nebenstreckennetz zuständig fühlt, oder ob er diese Aufgabe den Ländern überträgt. Die SPD-Bundestagsfraktion und die Bundesländer haben dieses Problem erkannt und in ihre Bedingungen für eine Zustimmung zur Bahnreform aufgenommen. Auch unter Wettbewerbsaspekten ist die Klärung dieser Frage wichtig. Wenn die Eisenbahn auch auf dem Nebennetz bestehen will, kann sie nicht mehr an Wegeabgaben zahlen als ihre Konkurrenz.

[Seite der Druckausg.: 10]

Dies ist im wesentlichen die Mineralölsteuer, die ja auch die Bahn auf den dieselbetriebenen Strecken zahlt. Wer mehr fordert, muß der Bahn den nötigen Flankenschutz auch im europäischen Rahmen geben. Dieses Ziel hat sich die Bundesregierung bei der Bahnstrukturreform auch gesteckt. Die Einstellung des Nebenstreckennetzes ist jedenfalls keine akzeptable Lösungsalternative. Sie würde lediglich zu weiteren Verkehrsverlagerungen auf die heute schon überlasteten Straßen führen. Die Frage der Wegeabgaben wird aber auch bei den Bahnen ein Umdenken herbeiführen müssen. Neu zu prüfen ist, welche Güter man auf welchen Trassen befördert. Zur Zeit gibt es eine ganze Reihe von Verkehren, die auf den teuren Trassen durchgeführt werden, auf die sie aber von der Rentabilität her gar nicht hingehören und damit andere, höherwertige Transporte blockieren.

Die deutsche Wirtschaft hat sich hinter die Überlegungen der Bahnstrukturreform gestellt, weil sie erkannt hat, daß nur ein leistungsfähiges Bahnsystem in der Lage ist, den Wirtschaftsstandort Bundesrepublik zu erhalten. Das Straßennetz wird sich aus den unterschiedlichsten Gründen füllen – vom internationalen Lkw-Verkehr bis zum zunehmenden Pkw-Freizeitverkehr. Damit verliert der Straßengüterverkehr an vielen Stellen seine Vorteile. Die Bahn muß in einem vernetzten Verkehrssystem neue und mehr Aufgaben übernehmen.

Die Wirtschaft hat aber auch erkannt, daß die heutige Bahn nicht in der Lage ist, die an sie gestellten Erwartungen zu erfüllen. Die Bahnen haben im zusammenwachsenden deutschen und europäischen Verkehrsmarkt gute Entwicklungschancen. Diese können aber nur dann genutzt werden, wenn mit der Bahnstrukturreform die Rahmenbedingungen auf dem Verkehrsmarkt neu geordnet werden.

Der liberalisierte Verkehrsmarkt hat bereits vor dem 1. Januar 1993 begonnen. Es wird nicht mehr die traditionellen Wettbewerbsmuster Bahn–Lkw–Binnenschiffahrt geben. Innerhalb der Verkehrsträger wird sich der Wettbewerb europäisch verschärfen. Die Liberalisierung schreitet voran, bei der Harmonisierung gibt es noch großen Handlungsbedarf. Wenn hier – wie von der Bundesregierung in Brüssel gefordert – keine weiteren Fortschritte erzielt werden, dann sind nicht nur die Anstrengungen der deutschen nichtbundeseigenen und Bundes-Eisenbahnen, sondern die Bemühungen aller deutscher Verkehrsunternehmen, zu einer neuen Arbeitsteilung zu kommen, umsonst.

[Seite der Druckausg.: 11]

Page Top

2.3 Bedingungen für eine intensivere Arbeitsteilung aus der Sicht des Straßengüterverkehrs

Nach Entwicklungstrends aus der Sicht des Straßengüterverkehrs gefragt, könnte eine Trivialantwort lauten: Es besteht in absehbarer Zeit die Gefahr, mit den Zuwachsraten im Stau stecken zu bleiben. Wie in Kapitel 1 dargestellt, ist bis zum Jahr 2010 mit einem starken Verkehrswachstum zu rechnen. Der Modal-split wird sich – bei status-quo-Rahmenbedingungen – tendenziell zu Gunsten der Straße entwickeln, der Anteil des Lkw wird also gegenüber der Schiene und der Wasserstraße überproportional steigen. Auch die Entwicklung der Leerfahrten trägt zur Verschärfung des Problems bei. So hat im Zuge der stufenweisen Liberalisierung des grenzüberschreitenden Güterverkehrs die Zahl der Leerfahrten innerhalb von vier Jahren um 40 % zugenommen. Für die Beförderung von Gütern werden also 40 % Straßenraum zusätzlich in Anspruch genommen. Damit reicht die Bezugsgröße in "Gütermenge" für die Kennzeichnung der Verkehrsbelastungen allein nicht mehr aus.

Entlastungs- und Steuerungspotentiale bestehen in den Bereichen "Vernetzung der Verkehrssysteme" und "Verkehrspolitische Rahmenbedingungen". Dabei sind die Kooperationen kein Neuland. Bereits seit 25 Jahren betreibt eine eigene Gesellschaft des Güterkraftverkehrs den kombinierten Verkehr Straße/Schiene. In den Jahren 1989 und 1990 waren hier zweistellige Zuwachsraten verzeichnen. 1991 wurden knapp 800.000 Lastzugeinheiten im kombinierten Verkehr auf der Schiene befördert; dies sind pro Arbeitstag etwa 3.300 Lastzüge, die nicht das Straßennetz belasteten. Trotz hoher Zuwachsraten hat der kombinierte Verkehr aber nach wie vor nur einen relativ geringen Anteil. Dies zeigt sich z.B. deutlich in Relation zu den Leerfahrten, die als Folge der Deregulierung des EG-Verkehrs in einer Zeitspanne von vier Jahren um 1,76 Mio. zunahmen.

Ungeachtet dessen setzt der Güterkraftverkehr weiterhin auf den kombinierten Verkehr. Erfolge können hierbei aber nur erzielt werden, wenn auch Eisenbahnen und Binnenschiffahrt zusammenarbeiten können und dies auch wollen. Gefragt ist dabei nicht eine "neue" Arbeitsteilung zwischen den Verkehrsträgern, sondern es geht um marktfähige Leistungsangebote der Schiene und der Wasserstraße als entscheidende Voraussetzung für eine verstärkte Arbeitsteilung. Erforderlich ist vor allem die Erweiterung der Strecken- und Terminalkapazität. Hierfür gab es nach Auffassung des Bundesverbandes des deutschen Güterfernverkehrs (BDF) in den letzten Jahrzehnten bei den Eisenbahnen aber kein schlüssiges Konzept. So liegen der Bahn z.B. unerledigte Anträge auf neue Kombizugverbindungen vor. Diese betreffen natürlich das überlastete Fernstreckennetz

[Seite der Druckausg.: 12]

und nicht die Nebenstrecken in der Region, in denen die verladende Wirtschaft mangels Nachfrage nichts zu transportieren hat.

Zwei Beispiele hierzu: Pro Jahr rollen im reinen Transitverkehr aus Skandinavien in Richtung Süd- bzw. Südosteuropa rund 590.000 Lastzüge über deutsche Straßen; lediglich 5 % davon fahren im kombinierten Verkehr Straße/Schiene. Aus den Benelux-Staaten sind es im Transitverkehr jährlich etwa 800.000 Lastzüge; davon fahren ganze 3 % im kombinierten Verkehr. Hier besteht also ein enormes Marktpotential, das die Bundesbahn nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen auch nutze sollte.

Zur derzeitigen Situation trägt auch der Nulltarif für die Nutzung der Straßen durch Gebietsfremde bei. Aber dieser Grund ist nicht allein ausschlaggebend. Käme es zu Verlagerungen von Transitverkehren auf den kombinierten Verkehr, dann wäre – wenn die Bahn ihr vielfältiges Angebot nicht im Sinne marktgängiger und mit hohen Kostendeckungen ausgestatteter Verkehre durchforstet – in der Streckenkapazität die Vollauslastung rasch erreicht.

Auch die von der Bundesbahn geplanten EDV-technischen Verbesserungen zur Kapazitätssteigerung stellen weder kurz- noch mittelfristig eine Lösung der bestehenden Probleme in Aussicht. Umgekehrt führt die Einführung der Hochgeschwindigkeitszüge im Personenverkehr wegen der gestiegenen Geschwindigkeitsdifferenzen im Netz der Eisenbahn zu einer spürbaren Senkung der Nettokapazität. Ohne ein gründliches Revirement der Angebotsvielfalt im Güterverkehr und ohne Verzicht auf die Rolle als universeller Anbieter von Leistungen wird die Bahn nicht in der Lage sein, relevante Zuwachsraten aus dem Straßengüterverkehr zu übernehmen. Unter den bestehenden Bedingungen wird es nicht möglich sein, z.B. vom Transitverkehr aus Skandinavien täglich 100 zusätzliche Kombizüge auf der Hauptstrecke Nord–Süd und weitere 100 Kombizüge aus Benelux-Staaten über die Rheinstrecke in Richtung Süden im Netz aufzunehmen. Diese Beispiele machen nach Auffassung des BDF deutlich, daß die Verkehrsverlagerungen auf die Schiene nicht an der notwendigen Bereitschaft des Straßengüterverkehrs scheitern.

Mit Veränderungen im Modal-split zugunsten von Schiene und Wasserstraße ist nur zu rechnen, wenn es diesen beiden Verkehrsträgern gelingt, marktfähige und damit entlastungswirksame Leistungsangebote zu entwickeln. Diese betreffen sowohl die nutzbare Strecken- und Umschlagskapazität als auch die von Eisenbahn und Binnenschiffahrt einzubringende Leistungs- bzw. Versorgungsqualität. Wichtig ist dabei auch die Beibehaltung stabiler Preise gegenüber Wirtschaft und Verbrauchern. Auch die Angleichung der

[Seite der Druckausg.: 13]

Wegekosten und die Frage der Anlastung externer Kosten werden häufig als Mittel zur Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene bzw. auf die Wasserstraße angesehen. Hier gibt es von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen Vorschläge für prohibitive Belastungen des Straßengüterverkehrs, die nach Einschätzung des BDF aber nicht EG-fähig sind. Sie hätten u.a. zur Konsequenz, daß die nach der politischen Öffnung Osteuropas in den nächsten Jahren immens wachsenden Güterströme durch eine fiskalische und damit ökonomisch wirkende Sperre reduziert würden.

Zu beachten ist auch, daß nicht die Transporteure – gleich ob Straße, Schiene oder Wasserstraße –, sondern die Verbraucher und die Wirtschaft die Veranlasser für die Mobilität von Gütern und zugleich die Bestimmungsfaktoren für die Leistungs- und Versorgungsqualität sind. Diese Zielgruppen und nicht ausgewählte Verkehrsträger sind deshalb auch der richtige Adressat, wenn es um den Ausgleich externer Kosten und um die Verhängung von Verkehrsverboten geht.

Beim Thema Wegekosten plädierte der BDF auch dafür, nicht zu übersehen, daß von 1960 bis 1990 knapp 700 Mrd. DM an Kfz- und Mineralölsteuer vom Personen- und Güterverkehr aufgebracht wurden. Im gleichen Zeitraum flössen aber nur 450 Mrd. DM in den Bau und Unterhalt von Straßen. Die restlichen 245 Mrd. DM wurden für andere, nicht straßenrelevante Zwecke eingesetzt. Bei dieser Argumentation bleiben allerdings die enormen externen Kosten, die der Straßenverkehr verursacht, unbeachtet.

Zur verbesserten Aufgabenteilung im Verkehr muß auch die Binnenschiffahrt beitragen, indem sie insbesondere die Chancen aus der Containerfahrt von und nach den ARA-Häfen verstärkt wahrnimmt. In diesem Zusammenhang müssen aber bestimmte qualitative Anforderungen relativiert werden. So ist z.B. nicht einzusehen, warum ein Container, der eine sechs- bis zwölftägige Überseefahrt hinter sich hat, im Landverkehr innerhalb von zehn Stunden sein Ziel erreichen muß.

Zu einem Gesamtkonzept für den Güterverkehr gehört nach Auffassung des BDF schließlich auch der politische Mut, die vor bald zehn Jahren eingeleitete sogenannte "Liberalisierung" des Straßengüterverkehrs im EG-Binnenmarkt daraufhin zu prüfen, ob sie noch in die Gegenwart des Jahres 1992 bzw. in das nächste Jahrzehnt mit seinen noch größeren Infrastruktur- und Umweltproblemen paßt. Der deutsche Güterverkehr hat hierzu seine Meinung in dem Positionspapier "Flexible Kapazitätssteuerung im Straßengüterverkehr" dargelegt. Bei unveränderten verkehrspolitischen Rahmenbedingungen rechnet man damit, daß die Liberalisierung auf weiten Strecken wohl der Wahrung

[Seite der Druckausg.: 14]

einseitiger, exklusiver wirtschaftlicher Interessen dienen wird. Da die hiermit verbundenen Beeinträchtigungen von Infrastruktur und Umwelt aber nicht auf Dauer hingenommen werden können, erscheint eine Neuorientierung der Verkehrspolitik, die auch eine Trendwende im Güterverkehr ermöglicht, dringend geboten.

Page Top

2.4 Zur Marktsituation der Binnenschiffahrt – Kapazitätsreserven und Leistungsengpässe

Für die Binnenschiffahrt stehen Wasserstraßen mit einer Länge von rund 7.300 km zur Verfügung. Drei Viertel aller deutschen Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern liegen an einer Wasserstraße. In den alten Bundesländern bewältigt dieser Verkehrsträger knapp ein Viertel des im Fernverkehr bewegten Güteraufkommens. Das waren 1991 rund 230 Mio. Tonnen. Bei einer durchschnittlichen Transportweite von etwas weniger als 240 km ergibt sich hieraus eine Verkehrsleistung von rund 54 Mrd. Tonnenkilometern; damit erreicht die Binnenschiffahrt rund 85 % der Leistungen der Eisenbahnen. In den neuen Bundesländern muß die Binnenschiffahrt in einem nicht mehr staatlicher Planung unterliegenden Verkehrsmarkt ihre Position erst noch finden. Es müßte den neuen Ländern jedoch rasch gelingen, den Marktanteil der Binnenschiffahrt von derzeit unter 5 % – entsprechend einer Menge von rund 6,5 Mio. Tonnen – deutlich zu steigern. Der Verkehr auf den Bundeswasserstraßen zwischen den neuen und alten Bundesländern, der hohe Wachstumsaussichten aufweist, beträgt derzeit rund 4,5 Mio. Tonnen, wobei noch kein Ansteigen zu verzeichnen ist.

Der Binnenschiffahrt werden gute Entwicklungsaussichten bescheinigt, u.a. weil erhebliche freie Kapazitäten vorhanden sind. Selbst auf dem Rhein, der an der deutsch-niederländischen Grenze mit 200.000 Schiffsdurchgängen pro Jahr die höchste Verkehrsdichte aufweist, sind Steigerungen des Transportaufkommens um mehr als 100 % kein Problem. Insgesamt ist die Binnenschiffahrt gegenwärtig in der Lage, ohne größere Investitionen ihre Leistungen um 50 Mio. Tonnen jährlich oder 20 % zu steigern. Damit unterscheidet sich dieser Verkehrsträger deutlich vom Straßengüterverkehr und vom Eisenbahnverkehr, die in weiten Bereichen durch Leistungsengpässe gekennzeichnet sind.

Darüber hinaus spricht für die Binnenschiffahrt, daß sie ihre Verkehrsleistungen im Vergleich zu Schiene und Straße deutlich umweltverträglicher, sicherer und mit dem geringsten Energieeinsatz je Leistungseinheit erbringt. Die Umweltverträglichkeit wurde belegt durch das Gutachten der Planco-Consulting/Essen "Externe Kosten des Verkehrs für

[Seite der Druckausg.: 15]

Schiene, Straße, Binnenschiffahrt". Danach erreicht die Binnenschiffahrt nur 7 % der vom Straßenverkehr und 30 % der vom Schienenverkehr verursachten externen Kosten. Diese Zahlen sollten von wesentlicher Bedeutung für die verkehrspolitische Bewertung der Binnenschiffahrt sein.

Allerdings wird diese ökologische Position der Binnenschiffahrt nicht durchgehend anerkannt: Während die globale Umweltverträglichkeit nicht in Zweifel gezogen wird, sind in der örtlichen Betrachtung, nämlich bei der Planung und Realisierung von Maßnahmen zur Verbesserung der Fahrwasserverhältnisse, zunehmend Konflikte mit in der Regel vor Ort ansässigen Umweltschutzorganisationen zu beobachten. Auch im internationalen Vergleich zeigen sich Bewertungsdifferenzen. So wurde z.B. bei der Eröffnung des Main-Donau-Kanals Ende September 1992 gegen den Wasserstraßenausbau und für eine Stärkung der Position der Bundesbahn demonstriert. Gleichzeitig wurde in den Niederlanden gegen den Ausbau der Eisenbahn und für die Binnenschiffahrt protestiert. Dieser Gegensatz kennzeichnet die Problematik, mit der die Binnenschiffahrt zu tun hat, wenn sie für die zur optimalen Nutzung des Wasserstraßennetzes notwendigen Ausbaumaßnahmen eintritt.

Leistungsengpässe gibt es nach Angaben des Bundesverbandes der deutschen Binnenschiffahrt (BdB) mit einer Ausnahme nur insoweit, als die vorhandenen Wasserstraßen aufgrund unzureichender Fahrrinnentiefen nicht optimal genutzt werden können. Nur an der Mosel stellt die Kapazität der Schleusen einen Engpaßfaktor da. Hier tritt die Binnenschiffahrt für den Bau zweiter Schleusen ein; diese sind bereits im Bundesverkehrswegeplan vorgesehen.

Das derzeit wichtigste Ausbauvorhaben des Bundeswasserstraßennetzes ist die Verbindung der Nordseehäfen und der Wirtschaftszentren im Westen der Bundesrepublik mit den Räumen Magdeburg und Berlin. Planungen des Bundesverkehrsministeriums beziehen sich u.a. auf den Ausbau der Wasserstraßenverbindung zwischen Hannover und Berlin. Eine andere dringliche Sanierungsaufgabe betrifft den Ausbau des Mittellandkanals und des Elbe-Havel-Kanals. Ein schwieriger Punkt auf dieser Verbindung ist die Kreuzung des Mittellandkanals mit der Elbe bei Magdeburg. Ziel ist es hier, die die Elbe querende Schiffahrt unabhängig von den wechselnden Wasserständen der Elbe zu machen und die Wasserstandsverhältnisse in den Magdeburger Häfen zu verbessern. Dies schließt auch den Ausbau der Saale sowie den Anschluß Leipzigs an das Wasserstraßennetz ein.

[Seite der Druckausg.: 16]

Die Erschließung neuer Fahrgebiete – z.B. durch die Fertigstellung des Main-Donau-Kanals – allein reicht nicht aus, um der Binnenschiffahrt gute Marktchancen einzuräumen. Der wirtschaftliche Einsatz von Schiffen wird maßgeblich von der Fahrrinnentiefe beeinflußt. Entscheidend für die auf einer Strecke beförderbare Gütermenge ist dabei deren niedrigste Fahrrinnentiefe. Betrachtet man beispielsweise den Main-Donau-Kanal, dann bleibt festzustellen, daß die Fahrrinnentiefe sowohl auf dem Main als auch auf dem deutschen Teil der Donau streckenweise weit hinter den Möglichkeiten des Kanals zurückbleibt. Dies ist zwar bei der Planung des Kanals nicht übersehen worden, der Ausbau dieser Streckenteile konnte jedoch nicht im Gleichschritt mit der Fertigstellung des Kanals vollzogen werden. Die Binnenschiffahrt tritt daher für den schnellstmöglichen Ausbau von Main und Donau ein, denn nur so kann der neue Kanal optimal genutzt werden.

Für die Binnenschiffahrt in den neuen Bundesländern ist auch die Entwicklung der Zahl der Unternehmen von Interesse. Vor dem Hintergrund der früheren Verhältnisse ist es kein Wunder, daß mit der Deutschen Binnenreederei die zur Zeit tonnagemäßig größte deutsche Reederei ihren Sitz in den neuen Bundesländern hat. Ohne Unterstützung durch die Treuhandanstalt wäre dieses Unternehmen jedoch nicht lebensfähig. Zur Zeit wird u.a. geprüft, ob einzelne Betriebsteile ausgegliedert werden können. Bemerkenswert für die Situation in Ostdeutschland ist weiter, daß verschiedene Fördermaßnahmen für den Mittelstand inzwischen dazu beigetragen haben, die Zahl der Partikuliere (selbständige Eigner von Binnenschiffen) mehr als zu verdoppeln. Dabei haben sich in vielen Fällen ehemalige Mitarbeiter der Binnenreederei nach dem Ankauf gebrauchter Schiffe selbständig gemacht.

Page Top

2.5 Die Wettbewerbssituation der Binnenschiffahrt gegenüber den Eisenbahnen und europäischen Konkurrenten

Beim Vergleich zwischen Binnenschiffahrt und Eisenbahnen zeigt sich, daß beide Verkehrsträger ihre Leistungsfähigkeit am besten beim Transport von massenhaft anfallenden Gütern über möglichst weite Strecken entfalten können. Dabei verfügt die Bahn allerdings über ein vergleichsweise breiteres Leistungsspektrum. Die Binnenschiffahrt ist relativ beschränkt auf den Transport typischer Massengüter wie Baustoffe, Kohlen, Erze und Mineralöle, Eisen und Stahl sowie Getreide und Futtermittel. Der expandierende Containerverkehr hat inzwischen auf dem Rhein ein Aufkommen von rund 450.000 TEU erreicht; er macht aber auch heute erst wenige Prozent des gesamten Transportaufkommens aus. Für die andere Form des kombinierten Verkehrs unter Beteiligung der Binnenschiffahrt, die

[Seite der Druckausg.: 17]

sog. "schwimmende Landstraße" sind die Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen Betrieb noch nicht gegeben.

Dagegen verfügt die Bahn über ein Betätigungsfeld und Streckennetz, bei dem sie nicht überall dem Wettbewerb durch das Binnenschiff ausgesetzt ist. Als Ansatz für Verkehrsverlagerungen bietet sich auf den ersten Blick die Übertragung von Massenguttransporten von der Bahn auf das Schiff an. Die freiwerdenden Bahnkapazitäten könnten dann für die Übernahme von Lkw-Leistungen genutzt werden. Doch wird die Bahn angesichts ihrer Finanzlage nicht bereit sein, kampflos auf Transportmengen zu verzichten. Der Wettbewerb darf nach Auffassung des BdB jedoch nicht so weit gehen, daß die Wasserstraße mit Dumpingpreisen aus dem Markt gehebelt wird und anschließend auch noch die bei diesen Eisenbahnverkehren eintretenden Verluste durch Steuergelder abgedeckt werden. Dementsprechend knüpft die Binnenschiffahrt an die Privatisierung der Eisenbahn die Erwartung, daß die Beförderungsentgelte der Bahn stärker an den Kosten orientiert werden, als dies in Teilbereichen derzeit der Fall ist. Vor allem darf in der Entlastung von den Kosten der Infrastruktur nicht das Mittel gesehen werden, das die Bahn in die Lage versetzt, einen noch aggressiveren Preiskampf zu führen.

Abgelehnt wird vom BdB die geplante neue Schienenverbindung Rotterdam - Ruhrgebiet, die parallel zum Rhein verlaufen und allein dem Güterverkehr dienen soll. Diese Strecke gehört zu den Bereichen, in denen die Binnenschiffahrt in der gesamten Verkehrsabwicklung auch terminlich gut mit Straße und Schiene konkurrieren kann. Dementsprechend hält man es für sinnvoller, die entsprechenden finanziellen Mittel zur Beseitigung von Engpässen im bestehenden Eisenbahnnetz einzusetzen.

Für eine echte Kooperation beider Verkehrsträger gibt es nur eine kleine Zahl von Beispielen. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, daß sowohl Bahn als auch Schiff ihre Vorteile in der langen Strecke haben und für die Feinverteilung der Güter der Lkw meist unverzichtbar ist. Daher kann davon ausgegangen werden, daß sich Bahn und Schiff bei Massengütern auch in Zukunft eher als Konkurrenten denn als Partner gegenüber stehen werden.

Neben dem externen Wettbewerb ist die Konkurrenz der Binnenschiffahrtsunternehmen untereinander von größter Bedeutung. Mit dem ersatzlosen Wegfall des innerdeutschen Frachtensystems und der bereits beschlossenen Aufhebung des Kabotageverbots zum 01.01.1993 bzw. 01.01.1995 wird es zu einem verstärkten Eindringen von Schiffen aus EG-Staaten, insbesondere aus den Niederlanden, in den innerdeutschen Markt und zu

[Seite der Druckausg.: 18]

einem deutlichen Frachtenverfall kommen. Hiervon betroffen ist etwa die Hälfte aller von deutschen Binnenschiffen durchgeführten Transporte mit einem Volumen von rund 50 Mio. Tonnen. Zu diesen Bedingungen wird ein kostendeckender Betrieb in vielen Fällen für die deutsche Binnenschiffahrt nicht mehr möglich sein. Immer mehr Reedereien gehen deshalb dazu über, den größten Teil ihrer Schiffe an sog. Hauspartikuliere zu verkaufen oder zu verpachten. Als Ergebnis dieser Entwicklung erwartet der BdB, daß der Marktanteil der deutschen Unternehmen, der bereits in der Zeitspanne 1960 bis 1990 von 60 % auf 44 % zurückging, noch weiter abnehmen wird.

Diese Befürchtung gilt um so mehr, als bei den Erwartungen an einen liberalisierten Verkehrsmarkt die positiven Wirkungen oft überschätzt, die negativen Wirkungen dagegen häufig unterschätzt werden. Die viel beschworene Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen ist in den relevanten Fragen zur Zeit noch nicht in Sicht. Es gibt eine Reihe von Wettbewerbsverzerrungen, die die deutschen Binnenschiffer gegenüber der ausländischen Konkurrenz – primär aus den Niederlanden – benachteiligen. Wesentlich schwerer wiegt aber, daß bestimmte staatliche Förderungsmaßnahmen des niederländischen Staates, die zwar inzwischen nicht mehr bestehen, in ihren Auswirkungen noch lange spürbar bleiben werden. So werden z.B. die mit staatlicher Hilfe gebauten modernen leistungsstarken Schiffe der deutschen Schiffahrt, die ihre Flotte mangels Erträgen nicht in gleichem Maße modernisieren konnte, noch über viele Jahre zu schaffen zu machen.

Insgesamt zeichnet sich aus der Sicht des BdB folgende Situation ab: Auf der einen Seite gibt es eine Reihe von Absichtserklärungen, die von der Binnenschiffahrt beim Gütertransport gebotenen Vorteile zu nutzen. Auf der anderen Seite deuten sich die verschiedensten Schwierigkeiten an, und bestehende Probleme können wegen bestimmter Widerstände nicht optimal gelöst werden. Vor allem geben die aktuellen Zahlen über die Verkehrsentwicklung keine Hinweise auf eine Änderung der Position der Binnenschiffahrt, während das Aufkommen beim Straßengüterverkehr ungebrochen wächst.

Zu einem verbesserten Güterverkehrssystem kann die Binnenschiffahrt einmal ein optimal an Verladeranforderungen angepaßtes Leistungsangebot beisteuern. Zum anderen muß das Image vom vergessenen Verkehrsträger überwunden werden. Nach einer von Data-Concept im Zusammenarbeit mit Emnid durchgeführten Umfrage unter Versandleitern hat die Binnenschiffahrt noch viel zu tun, um die Verlader von Zuverlässigkeit und Preiswürdigkeit ihres Transportangebotes zu überzeugen. In diesen beiden Leistungskriterien weicht nach Auffassung der Befragten das Leistungsangebot der Binnenschiffahrt am stärksten von den Verladeranforderungen ab. Gerade hier hat die Binnenschiffahrt aber

[Seite der Druckausg.: 19]

bisher ihre Stärken gesehen, denn just-in-time heißt ja nicht "so schnell wie möglich", sondern vor allem: pünktlich und sicher. Und auf der Kostenseite des Güterverkehrs stehen den 3,3 Pfennig je Tonnen-km bei der Binnenschiffahrt bei den beiden anderen Verkehrsträgern mit 12,3 Pfennig bei der Eisenbahn und 23,3 Pfennig beim Straßengüterverkehr wesentlich höhere Werte gegenüber. Diese Konstellation macht nach Auffassung des BdB deutlich, daß die unzureichende Einbindung der Binnenschiffahrt in das Güterverkehrssystem weitgehend auf Informationsdefizite zurückgeführt werden muß. Dementsprechend besteht hier noch ein großer Bedarf an Aufklärungsarbeit, die auch zu einer intensiveren Arbeitsteilung im Güterverkehr beitragen kann.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2002

Previous Page TOC Next Page