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5. Mit integriertem Verkehrskonzept für Berlin die Teilung überwinden helfen

5.1 Ausgangslage und Zielvorstellungen

Eine geteilte Stadt muß verkehrlich wieder zusammengefügt werden. Diese ungewöhnliche Situation hat das Unternehmen Daimler-Benz bewogen, als Angebot an die Stadt Berlin und das Land Brandenburg einen Beitrag für ein "integriertes Verkehrskonzept" zur Lösung der Probleme zu leisten.

Dieser Beitrag zur Entwicklung in Berlin versteht sich nicht als Generalverkehrskonzept. Vielmehr werden die Vorstellungen eines Unternehmens präsentiert, das sich mit Verkehr in allen Branchen befaßt. Gestützt auf Analysen der jetzigen Situation in Berlin und auf Zahlen aus dem Bundesverkehrsministerium sowie aus Wirtschaft und Verkehr wurden die Entwicklungstendenzen in der Region ermittelt und Leitvorstellungen vorgegeben.

Durch die Planungen sollte der Lebensraum Berlin nicht nur erschlossen, sondern vor allem in seiner Lebens- und umweltqualität bewahrt und gestaltet werden. Diese Ziele sind nur in einem komplexen Lösungsansatz zu verwirklichen, der eine sozial und wirtschaftich integrierende Aufgabe erfüllen will. Es erfordert die Konzentration der Investitionen auf Trassen mit hoher verbindender Wirkung sowie auf Systemverknüpfungen und Schnittstellen zwischen den Verkehrsträgern. Es bedeutet aber auch Kooperation der Verkehrsträger bei gleichzeitiger Zuordnung von Verkehrsaufgaben unter Beachtung spezifischer Leistungsstärken und systemübergreifender Beförderungs- und Transporttechnologien.

Das künftige Verkehrsmanagement muß - unterstützt von moderner Betriebs- und Verkehrsleittechnik - dazu beitragen, notwendige Ortsveränderungen schnell, sicher, bequem und umweltverträglich zu ermöglichen. Außerdem soll der Einsatz

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neuer Informationstechniken helfen, Verkehr teilweise schon am Entstehungsort zu vermeiden.

Die Kriterien für die Steuerung des geplanten Verkehrssystems wurden dem marktwirtschaftlichen Instrumentarium entnommen; hierbei wird - unter Beachtung von sozialen Aspekten - von einem Recht auf Mobilität für jede Person und jede Ware ausgegangen.

Diesen Grundprinzipien entsprechend wurden alle Verkehrsarten und alle Verkehrsträger in die Überlegungen der Planer einbezogen. Eine Art Drei-Scheiben-Modell unterscheidet zwischen

  • dem weiträumigen Einzugsgebiet der Region Berlin, eingebettet in den europäischen Fernverkehr, mit 5,2 Millionen EW und einer Fläche von 21.000 km2

  • der Region Berlin mit Umland- und Regionalverkehr, die den engeren Verflechtungsraum für Wohnen, Arbeiten, Erholen und Versorgen mit 4,3 Millionen EW und 6.600 km bildet und auf die sich die Stadtentwicklungsplanungen konzentrieren sowie

  • dem eigentlichen City-Bereich mit 3,4 Millionen EW und 880 km2 Fläche.

Für die Region Berlin wird ein überdurchschnittliches Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum erwartet. Vorausgesagt wird der sprunghafte Anstieg der Einwohnerzahlen auf bis zu 5,7 Millionen Personen; die Zahl der Kraftfahrzeuge soll von 1,2 auf 2,7 bis 3,0 Millionen steigen, und zwar im angenommenen Zeitraum von 10 bis 20 Jahren.

Der Schwerpunkt der Entwicklung liegt nach den Vorstellungen der Planer auf Siedlungsbändern und -achsen, die sich in den letzten 70 Jahren als Siedlungsstruktur herausgebildet haben. Diese Struktur ist von acht ins Umland reichenden Siedlungsbändern, je etwa 20 bis 25 Kilometer lang und drei bis sechs Kilometer breit, geprägt. Die Enden der Siedlungsachsen sollen zu Mittelzentren ausgebaut werden;

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in den "Bändern" selbst stehen Flächen für Entwicklungsmaßnahmen zur Verfügung. Die Siedlungsbänder sind sternförmig auf das Umland ausgerichtet. Zwischen den Bändern befinden sich große Grünräume. Als Landschafts- und Erholungsgebiete sind sie von der urbanen Entwicklung weitgehend ausgenommen.

Auf diesem Hintergrund ist das Modell entstanden - die Kooperation aller Verkehrsträger: Schiene, Straße, Wasser, Luft, öffentlicher und individueller Personenverkehr. Jedes Verkehrsmittel, jede Verkehrsart besitzt systemspezifische Merkmale; ihnen entspricht die Zuweisung der Verkehrsaufgabe - so wird z.B. Fernverkehr nicht mit dem Fahrrad abgewickelt werden, aber der Kurzstreckenverkehr ist durchaus fußgänger- und fahrradträchtig. Es geht nicht darum, Personen von einer Haltestelle zu einer anderen zu transportieren, sondern darum, von Haus zu Haus eine Transportkette mit mehreren Verkehrsmitteln zur Verfügung zu stellen.

Diese Aufgabe bewerkstelligen nicht nur Verkehrssysteme und Technologien, sondern auch die Leittechnik und das Verkehrsmanagement.

Berlin war schon immer Drehkreuz für große Verkehrsströme, das gilt für Schiene, Straße, Luft und Wasser. Der Bebauungsplan von 1861 zeigt bereits ein Grundkonzept des Straßen/Schienen-Netzes im Ringsystem.

Nach 1945 haben sich zwei Zentren mit unterschiedlicher Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur und der Motorisierung gebildet. Der Westteil der Stadt hat ein leistungsfähiges, teilausgebautes Stadtautobahnnetz und den ÖPNV, der hauptsächlich durch die auf 110 Kilometer Länge ausgebaute U-Bahn und Busse abgewickelt wird. Im Ostteil bildet die S-Bahn das Rückgrat des Nahverkehrs, ergänzt durch Straßenbahn und zum Teil U-Bahn. Der Motorisierungsanteil ist in beiden Stadtteilen sehr verschieden. Entsprechend

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unterschiedlich werden Entwicklungen und Zielsetzungen angegangen, wobei Differenzen in Wirtschaft und Bevölkerung zusätzlich zu beachten sind.

Das Regionalentwicklungskonzept will eine weitere Verdichtung des zentralen städtischen Gebietes vermeiden, um einem Verkehrsinfarkt vorzubeugen, und setzt auf eine polyzentrische Entwicklungsphilosophie.

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5.2 Berlin im europäischen Verkehrsnetz

Berlin als Teil eines europäischen Verkehrsnetzes wird durch bemerkenswerte Zahlen gekennzeichnet: Der direkte Güterverkehr zwischen Berlin-West und den bisherigen Bundesländern wird sich aller Voraussicht nach ungefähr halbieren. Insgesamt wächst der Güteraustausch zwischen den Westländern und der ehemaligen DDR um etwa das Zehnfache. Dabei dominiert der Straßengüterverkehr mit einem Anteil von 75 Prozent. Der Geschäfts-, Urlaubs- und Privatverkehr wird sich verachtfachen. Selbst bei deutlichen Angebotsverbesserungen im öffentlichen Verkehr dürften weit über 80 Prozent des Gesamtaufkommens mit dem Pkw bewältigt werden.

Der Transitverkehr durch Berlin wird im Konzept der Planer großzügig abgeleitet, der Zielverkehr in die Stadt und in die Region gebrochen und auf geeignete Nahverkehrssysteme für Personen und Güter verlagert. Dementsprechend sollen der Personen- und Güterfernverkehr zunächst in je eigene Zentren abgelenkt und dann auf geeignete Nahverkehrssysteme für Personen und Güter umgeschichtet werden.

Für den Straßenverkehr bedeutet dies den Ausbau des vorhandenen Autobahnnetzes und der Berliner Ringe, um dem dramatisch steigenden Transitverkehr gerecht werden zu können. Verkehrslenkende Maßnahmen müßten durch integrierte Verkehrsleit- und Informationssysteme ergänzt werden. Die Güter-

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verkehrszentren und Autohöfe gehören nach Ansicht der Planer in die Nähe des Autobahnringes mit seiner großräumigen Verteilerfunktion; der 20-, 30-, 40-Tonnen-Lkw hat in der Stadt nichts zu suchen.

Der Schienenverkehr braucht Anschluß an das Intercity-Netz und an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz, für das Berlin zwischen London- Moskau und Kopenhagen- Budapest zu einem zentralen Eisenbahnknoten werden könnte. Fahrzeiten lassen sich auf Neubaustrecken drastisch reduzieren: Hannover- Berlin auf eine Stunde 45 Minuten, Berlin- Köln auf vier Stunden 30 Minuten.

Zunächst gilt es, dem Verkehr in den nächsten Jahren gerecht zu werden und den "Modal Split" für den öffentlichen Schienenverkehr zu halten. Für den Fernverkehr ist ein dezentrales "Fernverkehrs-Planungskonzept" nötig. Nur 6,5 Prozent des Fernverkehrs wird auf der Schiene abgewickelt. Dieser Anteil soll nach dem Willen aller Experten gesteigert werden: nicht etwa durch Abschaffung des Luftverkehrs, dessen Anteil sich auf nur 1,5 Prozent beläuft, sondern durch Abschöpfung aus dem Autoverkehr. Notwendig sind deshalb dezentrale, autogerechte Bahnhöfe, damit die Autofahrer nur relativ kurze Weg von der Wohnung zum Umsteigepunkt auf attraktive öffentliche Verkehrssysteme haben. Die Standorte für die dezentralen Bahnhöfe sollten nach Auffassung von Experten in der Nähe der Berliner Ringstraßen und nicht weit von den urbanen Attraktivitätsschwerpunkten liegen. Hierfür kommen primär Lagen in der Umgebung des Innenringes in Frage; hier gibt es noch Kapazitätsreserven, während am Außenring bereits sehr starke Verkehrsbelastungen bestehen.

Ein logistigsches Gesamtkonzept Schiene-Straße kann die Bedürfnisse zusammenfassend steuern. Die Fernbahn würde Berlin bis zum Innenring einschließen. Die vorhandene Schieneninfrastruktur muß kurzfristig modernisiert und ausgebaut werden. Daneben vertreten Verkehrswissenschaftler und Praktiker gleicher-

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maßen die Ansicht, daß die Entscheidung über die neu einzurichtende Nord-Süd-Tunnelstrecke schnell gefällt und mit dem Bau rasch begonnen werden muß, und zwar aus mehreren Gründen:

  • Es wird eine gravierende Lücke im Schienennetz geschlossen.

  • Dringend erforderliche Entlastungseffekte entstehen bei anderen öffentlichen Verkehrsmitteln.

  • Die Planungen für die in gleicher Richtung benötigten dezentralen P + R-Anlagen können angepaßt werden.

  • Die Flächen, unter denen die Streckenführung vorgesehen ist, sind zur Zeit noch weitgehend unbebaut - ein Zustand, der wohl nicht mehr lange bestehen wird!

Weitere Überlegungen sehen eine Verknüpfung der bestehenden Ost-West-Stadtbahnstrecke mit der neuen Nord-Süd-Verbindung in einem Zentralbahnhof vor. Da sich das Bahnsystem vorrangig für die Bedienung von stark gebündelten Verkehrsströmen eignet, ist eine Kooperation mit anderen Verkehrsmitteln erforderlich, die die Flächenbedienung übernehmen. An dezentralen Bahnhöfen sind Parkflächen für Pkw und kombinierte Ladeterminals für den Güterverkehr einzurichten.

Der Berliner Luftverkehr darf bei den Planungen nicht ausgeklammert werden. Das Aufkommen wird sich in den nächsten 20 Jahren dramatisch von bisher 9 Millionen Passagieren auf 30 Millionen ausweiten; hinzu kommt der Zuwachs an Luftfracht. Ein neuer Großflughafen "Berlin International" müßte langfristig die Funktion der bestehende Flughäfen übernehmen und als Kristallisationspunkt für die Ansiedlung von Industrie und Dienstleistungen dienen. Der öffentliche Luftverkehr dürfte in Tegel und Schönefeld nicht länger durch die allgemeine Luftfahrt (Privat- und Geschäftsverkehr) gestört werden; diese sollte auf umliegende Start- und Landeplätze ausweichen. Tempelhof ist wegen seiner zentralen Lage ungeeignet als Flughafen. Tegel

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und Schönefeld brauchen bessere Systemverbindungen mit dem ÖPNV und dem motorisierten Individualverkehr sowie interne infrastrukturelle Verbesserungen im Flughafenbereich.

Augenmerk verdient auch die Binnenschiffahrt als Verkehrsmittel für Fernverbindungen. Berlin verfügt über ein Wasserstraßennetz von rund 180 Kilometern, das aus finanziellen Gründen und mit Rücksicht auf den geringen Energieverbrauch intensiver genutzt werden sollte. Bautechnische Maßnahmen (wie Schleusen, Brückenhöhen, Abladungstiefen), Schaffung von Lagern und Umschlagstellen, multimodale Transportketten und der verkehrsgerechte Ausbau der Wasserstraßen tragen dazu bei, daß die erheblich zunehmenden schiffsaffinen Massenguttransporte auch von dem aus energie- und umweltpolitischer Sicht günstigen Verkehrsträger bewältigt werden können.

Der stark wachsende Fernreiseverkehr ist in Berlin künftig auf leistungsfähige Verknüfungszentren angewiesen, wo Reisende von Bahn oder vom Pkw auf den ÖPNV umsteigen können. Diese Übergänge sollen zweckmäßigerweise an den Schnittpunkten der Autobahnen mit dem Berliner Ring liegen. Die Standorte können "Treffpunkte" (z.B. Hamburger- oder Leipziger-Treffpunkt) genannt werden und wären im Idealfall eine Kombination aus Park and Ride-Anlagen für Fernreisende, leistungsfähigen Nahverkehrs- und autogerechten Fernverkehrsbahnhöfen, denen Busbahnhöfe, Autoverleih und Taxistände angegliedert sind. Sie sollten als Attraktivitäts- bzw. Aktivitätszentren mit Hotel, Einkaufszentren und Dienstleistungsstätten konzipiert werden. Das ließe sich möglicherweise privat finanzieren.

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5.3 Verkehrskonzept für die Region Berlin

Ein Gesamtverkehrskonzept für Berlin und sein Umland muß die Verkehrsinfrastruktur nicht nur auf das Hauptzentrum Berlin ausrichten. Vielmehr müssen auch - und zwar vorran-

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gig - die Verbindungen zu und zwischen den um Berlin liegenden Oberzentren verbessert werden, bevor die wachsende Anziehungskraft des Hauptzentrums die Entwicklung solcher Beziehungen verhindert. Hiermit werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß sich die in der Region Berlin liegenden Mittelzentren auch auf benachbarte Oberzentren ausrichten und so Berlin-City verkehrlich entlasten. Als flankierende Maßnahmen kommen die Erhaltung und Errichtung von Wohnungen, Arbeitsstätten und Dienstleistungsbetrieben in diesen Mittel- und Oberzentren hinzu. Wichtig ist die Ausgewogenheit der Siedlungsstruktur. Auch hierdurch wird Verkehr vermieden.

Das Berliner Straßennetz stellt eine Kombination aus radialen Verkehrswegen und Ringstraßen bzw. Tangenten dar. Nach den Vorstellungen des Verkehrskonzeptes sollen sich die Straßenkapazitäten von den Außenbereichen in Richtung auf die Innenstadt hin verringern. Es macht also keinen Sinn, in der Kernstadt eine achtspurige Straße zu bauen. Vielmehr soll ein komplexes Radialringsystem mit abgestufter Leistungsfähigkeit verwirklicht werden, das die Verkehrsströme kontrolliert und so lenkt, daß gebietsfremder Verkehr von der City abgehalten wird, indem der verlagerbare Individualverkehr auf Parkplätzen abgefangen und auf Verkehrsmittel umgeleitet wird, die sich dem städtischen Umfeld besser anpassen.

Die engen Straßenräume sind, vom marktwirtschaftlichen Standpunkt aus, rare Güter; sie sind teuer, und ihre Verwendung braucht Prioritäten - vor allem für den öffentlichen und den Wirtschaftsverkehr, die von großer Bedeutung für die Versorgung einer Stadt sind. Die Errichtung von Busspuren, Sonderfahrerlaubnisse, Gebühren und Lieferzonen könnten Beeinträchtigungen dieser Versorgung vermeiden. Um den Verkehrsablauf störungsfrei zu gestalten, müßten Steuerungsmaßnahmen des Straßenverkehrs mit denen des Nahverkehrssystems gekoppelt, Schnittstellen besonders berücksichtigt werden. Das schließt die Anwendung des Verkehrsfunks und von Verkehrsleittechnik ein, die eine zeit-

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liche und räumliche Dosierung von Verkehrs strömen erlauben.

In Berlin liegt das Verhältnis zwischen dem Individualverkehr und dem öffentlichen Verkehr bei 60:40; es muß zugunsten des ÖPNV umgeschichtet werden. Dies erfordert eine Erweiterung der Kapazitäten. Allein eine Verlagerung auf 50:50 Prozent bedeutet für den ÖPNV eine Steigerung von 25 Prozent. Viele der Hauptmagistralen sind heute schon voll ausgelastet. Auch im Schnellbahnnetz werden kurz- bis mittelfristig einige Strecken an ihre Kapazitätsgrenze stoßen; hier ist aber mit raschen Entlastungen durch Leistungssteigerungen und Streckenneubau nicht zu rechnen, denn es bestehen erhebliche zeitliche und finanzielle Restriktionen. Eine Ausweitung des Omnibusverkehrs könnte dagegen schneller und finanziell günstiger verwirklicht werden. Zubringerbusse, der bedarfsabhängige Rufbus und Expressbusse sind Beispiele für die flexiblen Einsatzmöglichkeiten dieses Verkehrsmittels.

Im Gesamtverkehrskonzept spielt die Wiederherstellung der verkehrlichen Einheit zwischen den beiden Teilen Berlins und dem Umland eine zentrale Rolle. Dabei ist dem Schnellbahnnetz, das das Rückgrat des ÖPNV bildet, große Beachtung zu schenken. Von den Politikern werden schnelle Investitionsentscheidungen und von den Technikern die Konstruktion neuer Fahrzeuge und die Verbesserung der Gleisanlagen verlangt. Modernisierungen des S-Bahnsystems sind auch hinsichtlich Bahnhöfe, Sicherungstechnik und Fahrgastinformation notwendig. Bei der U-Bahn kann die Situation durch den Neubau weniger kurzer Streckenabschnitte verbessert werden. Bei der Straßenbahn steht man vor der Alternative "Ausbau auf Stadtbahnqualität oder Ersatz durch U-Bahn bzw. Busverkehr". Korrekturen sind auch im Busbereich in bezug auf die Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit, Attraktivität und Umweltverträglichkeit durchzuführen. Voraussetzung für die Erzielung rascher und systemkonformer Erfolge bei der

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Reform des ÖPNV ist nicht zuletzt auch die Schaffung eines Verkehrs- und Tarifverbundes für den Berliner Verkehrsraum.

Der Wirtschaftsverkehr, der in Berlin-West etwa 35 Prozent des Gesamtverkehrs ausmacht, ist in ein modernes ökonomisch-ökologisches Verkehrskonzept einzupassen. Anders als beim Individualverkehr ist hier kaum mit Verlagerungen auf andere Verkehrsträger (wie die Schiene) zu rechnen. Das Hauptanliegen der Güterverkehrsplanungen bildet die Integration aller Verkehrsträger im Fern- und Nahverkehr. Wichtig ist dabei vor allem die Zusammenarbeit zwischen den vorhandenen und geplanten Terminals im kombinierten Verkehr Schiene-Straße und dem Speditionsgewerbe. Aufgrund seiner großen Bedeutung für die Funktionsfähigkeit der Stadt ist dem Wirtschaftsverkehr eine hohe Priorität bei der Zuteilung der knappen Verkehrsflächen einzuräumen;

dies gilt sowohl für den fließenden Verkehr (z.B. Vorrangspuren) als auch für den ruhenden Verkehr (z.B. Ladebuchten) .

Alle diese Maßnahmen können nicht durch eine einzige Institution bestimmt werden, sondern erfordern eine Abstimmung zwischen allen Beteiligten. Dazu muß eine Kommunikationsplattform geschaffen werden, auf der die verladende Wirtschaft, die beteiligten Verkehrsträger, die Verkehrs-, Stadt- und Regionalplaner, die Verkehrspolizei u.a.m. gemeinsam beraten und planen.

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5.4 Verkehrliches Leitbild für die Berliner Innenstadt

Im City-Bereich Berlins wohnen etwa 80.000 Menschen und arbeiten 200.000 Personen. In den nächsten fünf Jahren werden dort zusätzlich 25.000 Arbeitsplätze geschaffen. Für die Funktionsfähigkeit der Citygebiete spielt ein städtebaulich-verkehrliches Gesamtkonzept eine entscheidende Rolle.

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Leitlinie für den Berlin-City-Verkehr ist die Verbesserung der Lebensqualität durch Verkehrsreduzierung. Die Propagierung einer autofreien Stadt bildet dagegen keinen sinnvollen Ansatz, schon allein wegen des unverzichtbaren Wirtschaftsverkehrs. Dabei kann es aber keine Forderung sein, daß der Straßenverkehr im hochverdichteten Citygebiet überall und jederzeit völlig ungehindert erfolgen kann. Vielmehr muß der Individualverkehr reduziert werden und trotzdem in begrenztem Maße weiterhin möglich sein.

Die Einführung zusätzlicher Verkehrsberuhigungsmaßnahmen auch in Nebenstraßen (Tempo 30) und eine drastische Parkraumbewirtschaftung sind unbedingt notwendig, vor allem der Wegfall kostenloser Parkplätze am Fahrbahnrand. Die vorhandenen Straßen sollten primär besonderen Verkehren (öffentlicher Busverkehr, Wirtschaftsverkehr, Taxiverkehr, Fahrgemeinschaftsfahrzeuge sowie Elektro-City-Cars) zur Verfügung gestellt werden. Ein Modellversuch könnte zeitlich/örtlich begrenzte Straßenbenutzungsgebühren untersuchen.

Fußgänger und Radfahrer sollten ein Angebot von separaten, umwegfreien Routen mit komfortablen Umsteigemögiichkeiten auf den öffentlichen Nahverkehr erhalten.

Der ÖPNV hat in der City natürlich die bedeutendste Verkehrslast. Die Planungen zielen darauf ab, 80 Prozent des Gesamtverkehrs in der Innenstadt mit öffentlichen Verkehrsmitteln abzuwickeln. Daher müssen vor allem die Attraktivitätsschwerpunkte sehr gut erreichbar sein. Über eine neue überirdische Verkehrsverbindung mit hohem Erlebniswert könnten zwischen Alexanderplatz und Bahnhof Zoo die Transportbedürfnisse dieses Gebietes befriedigt und zusätzliche Attraktivität geschaffen werden. Ihre Einbindung in das ÖPNV-Netz würde eine zusätzliche Erschließung für Zielverkehre ermöglichen, für Pkw-Fahrer eine Alternative darstellen und Touristen anziehen. Damit wäre dieses

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Konzept bei dichter Wagenfolge sicher ein wichtiges Element für ein citygerechtes Nahverkehrssystem.

Zunehmend problematischer wird der Wirtschaftsverkehr in der Innenstadt. Um eine reibungslose Ver- und Entsorgung zu gewährleisten, ist ein spezielles City-Logistiksystem zu erstellen, das eine hohe Servicebereitschaft des Einzelhandels bei steigenden Zahlen von Sendungen mit reduzierten Fahrzeugumläufen verbindet. Es müßte den Anforderungen von Einzelhandel, Anwohnern, Touristen, Speditionen und Käufern genügen und in Abstimmung mit allen Betroffenen als Modellversuch eingeführt werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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