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3. Entwicklungstendenzen des Individualverkehrs

3.1 Etappen der Stadtverkehrsplanung

Der befürchtete Verkehrskollaps, Folge vor allem des weiterhin anwachsenden Pkw- und Straßengüterverkehrs, betrifft die Fernverbindungen wie die Ballungsgebiete und Städte. Hintergrund sind die räumliche Trennung von Verkehrsquellen und -zielen, die räumliche Expansion ganzer Strukturbereiche mit vielen Arbeitsplätzen und die zunehmende Freizeitmobilität. Im Güterverkehr spielt auch die zunehmende Bedeutung der just-in-time-Produktion eine Rolle.

Diese Entwicklung hat nach der politischen Wende auch die neuen Bundesländer erfaßt; sie läuft dort in gerafftem Tempo ab. Dabei werden Vorgänge beobachtet, die sich oft nicht rational erklären lassen.

Die Verkehrsplanung der letzten Jahrzehnte hat in den unterschiedlichen Entwicklungsetappen Lösungskonzepte angeboten, die - im nachhinein betrachtet - offensichtlich relativen Charakter hatten. Sie bestanden zunächst darin, dem sich entfaltenden Straßenverkehr die notwendigen Freiräume zu erschließen und seine Vorteile gegenüber dem schienengebundenen Verkehr voll zur Geltung zu bringen. Stadtstrukturell bedeutet dies, bisher gültige Bindungen zwischen linienförmiger, schienengebundener Verkehrserschließung aufzugeben und in die Fläche auszuweichen. Das brachte die bekannten, schwer zu korrigierenden gravierenden Nachteile einer Zersiedelung mit sich.

Auch Berlin steht vor einer solchen Expansion, wenn diese nicht eingeschränkt werden kann. Bisher leben im Umland der alten Metropole nur 20 Prozent der Bevölkerung, in Hamburg und München zum Beispiel sind es doppelt so viele.

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Wie sich demographische Strukturmerkmale verschieben können, läßt sich am Beispiel Hamburg deutlich machen. Dort hatte die Bevölkerung in den 60er Jahren die Nahzone bis 20 km Entfernung von der Stadtmitte der Fernzone vorgezogen. In den 70er Jahren ging der Anteil von 59 Prozent auf 44 Prozent zurück und betrug 1986 nur noch 34 Prozent. Im selben Zeitraum stieg die Besiedelung in 20 bis 30 km Entfernung von 25 auf 48 Prozent. Die Verschiebungen richten sich jedoch nicht nur nach draußen, sondern auch in die Zwischenräume der Verkehrsachsen, deren Bedeutung von ursprünglich 5 Prozent auf 19 Prozent expandierte.

Die Berliner Verkehrsachsen, deren Konzept noch aus der Vorkriegszeit stammt, müssen neu aufgebaut werden, denn der Entfernungsmaßstab hat sich in der Zwischenzeit wesentlich verschoben. Weil der Hauptteil der Investitionen in Form des Autobahn- und Straßenbaus von der öffentlichen Hand getragen wird, bedeutet dies auch eine nicht unbeträchtliche Verschiebung der Marktbedingungen zugunsten des Straßenverkehrs.

In einer zweiten Etappe wurde ein vom Straßenverkehr unabhängiges Schnellverkehrsmittel angeboten, um die ständig zunehmenden Nachteile und Behinderungen im ÖPNV - besonders im Berufsverkehr - zu beheben. Das war die Zeit des bevorzugten Metro- und S-Bahn-Baus, zum Teil verbunden mit erheblichen Ausdehnungen der Stadtregionen. Diesem Verkehrskonzept paßte sich die Entwicklung der Stadtstruktur nur bedingt an. Da der Massenwohnungsbau nur unzureichend infrastrukturell erschlossen wurde, vergrößerten sich die Verkehrsbedürfnisse der Bewohner zwangsläufig. Der Dienstleistungssektor weitete sich aus; Arbeitsplatzmassierungen lösten sich auf; die starken und streng festgelegten Verkehrsströme verkleinerten und verlagerten sich. Diese Veränderungen hätten einen wesentlich stärkeren Netzausbau und intensivere Netzverknüpfungen erfordert.

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Diesem Trend folgte man nur teilweise, primär im Busverkehr. Fast gleichzeitig fiel auf, daß die Mobilität fast ausschließlich im Freizeitbereich anstieg, eine Entwicklung, die vor allem den Individualverkehr begünstigte. Folgerichtig entstand, auch unter dem Einfluß des gewachsenen ökologischen Bewußtseins, eine dritte Arbeitsetappe, die sich an Zielen wie "Verkehrsberuhigung" und "Rückbau" orientierte. Sie sollte restriktiv auf den momentanen Straßenverkehr Einfluß nehmen und zu umweltfreundlichen Ortsveränderungen zu Fuß oder mit dem Fahrrad anregen.

Verkehrsberuhigung von Teilgebieten ist eindeutig möglich und mit vielen guten Beispielen belegt. Flächendeckende Verkehrsberuhigung bei gleichbleibender oder steigender Mobilität ist schlechthin unmöglich, weil Verdrängungseffekte dann nicht mehr funktionieren. Deshalb muß für flächendeckende Verkehrsberuhigung die Mobilität verringert werden.

Im Wirtschaftsverkehr wurde die Entwicklung durch die veränderten Produktionsbedingungen und die starke Zunahme des Dienstleistungssektors geprägt. Die innere Produktionsstruktur änderte sich in Form eines Abbaus der Produktionstiefe: Eigene Produktionsvorleistungen werden durch kooperative ersetzt; damit entsteht neuer, in der Regel regionaler Transportbedarf mit zum Teil spezifischen Anforderungen hinsichtlich Verfügbarkeit und Logistik des Kommunikations- und Beförderungsprozesses (z.B. just-in-time-Lieferungen).

Der Straßenwirtschaftsverkehr stellt, abgesehen vom "Nachtsprung", die größte Konkurrenz des individuellen Verkehrs bei der Autobahn- und Straßenbenutzung dar. Die Hauptorientierung der Verkehrsplanung im Güterverkehr läuft auf eine sinnvolle Kombination Schiene/Straße hinaus, die möglicherweise eine Abnahme der Ferntransporte, nicht aber automatisch eine Entlastung der Straßennetze in den Ballungsgebieten und Städten bewirkt. Güterverteilzentren

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beispielsweise gehören zu den Verkehrs- und Wirtschaftsanlagen, die möglichst frühzeitig geplant werden müssen.

Diese Entwicklungsabläufe machen deutlich, daß die Verkehrsplanung bisher vorwiegend begrenzt wirksame Lösungen entworfen hat. Mobilität und Motorisierung wurden also in der Regel akzeptiert. Nur mit Restriktionen oder "Modal -Split"-Beeinflussungen wurde versucht, steuernd auf den Gesamtprozeß einzuwirken.

In den neuen Bundesländern wurde in der Vergangenheit politisch in den Prozeß der Motorisierung durch viel zu geringe Angebote an Neufahrzeugen, niedrige Tarife im öffentlichen Verkehr und Zwangsorientierung des Wirtschaftsverkehrs auf die Schiene eingegriffen. Das Problem wurde damit aber nicht gelöst. Vielmehr hat das gesamte Verkehrssystem einen qualitativ, zum Teil auch quantitativ völlig ungenügenden Stand. Wegen anderer Rahmenbedingungen seit 1989 werden die unechten Vorteile schnell abgebaut sein; begünstigt durch vordergründig motivierte Investitions- und Standortentscheidungen, dürften sie ins Gegenteil umschlagen.

Prinzipiell ist es in der Vergangenheit nicht gelungen, dem Problem der Mobilitätssteigerung mit einer langfristigen landesplanerischen bzw. städtebaulichen Konzeption zu begegnen, die an die sozialen Ursachen der Mobilitätsbedürfnisse herangeht, also beispielsweise die räumliche Expansion sozialer Gruppen verhindert oder die ständig zunehmenden Entfernungen und die räumliche Trennung wesentlicher Verkehrsquellen und -ziele begrenzt.

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3.2 Leitlinien für die Einbeziehung des Individualverkehrs in ein umweltschonendes Stadtentwicklungskonzept

Im Sinne einer langfristig stabilen Strukturentwicklung in und zwischen den Städten und Gemeinden muß ein Grundkonzept entwickelt werden, das heftige Kursveränderungen vermeidet und eine Beteiligung aller Betroffenen vorsieht. Ein entsprechendes Management und Marketing hat die Entwicklung eines Verkehrsmarktes zu sichern, der unterschiedliche Aufgaben - etwa aus ökologischen Gründen - umsetzen kann, ohne sich selbst in Frage zu stellen.

Die künftige Arbeit in den neuen Bundesländern sollte folgende Schwerpunkte setzen:

  1. Es sind Zielvorstellungen aus dem Blickwinkel der 90er Jahre zu erarbeiten mit dem Mut zu der Erkenntnis, daß auch ein umfangreicher Straßenbau das Verkehrsproblem nicht löst; das zeigen die Erfahrungen der alten Bundesländer aus den letzten 30 Jahren. Netzerweiterungen, Modernisierungen usw. sind nötig, sie sollten aber nur in raumverträglichem Umfang erfolgen.

  2. Die Mobilität und ihre Entwicklung müssen zum Gegenstand aktiver Verkehrsplanung werden, anstatt sie hinzunehmen oder gar zum Maß aller Dinge zu machen. Sensible Untersuchungen der Beeinflußbarkeit und Beeinflussung - etwa der Zwangsmobilität zwischen Arbeitsplatz und Wohnung, der Freizeitmobilität wochentags und am Wochenende - müssen durchgeführt und in der Stadt- und Landesplanung auch tatsächlich umgesetzt werden. Dabei sollte sehr differenziert in bezug auf Altersgruppen und Interessenlagen vorgegangen werden. Klarheit muß darüber herrschen, mit welchen Maßnahmen Mobilität zu fördern oder zu bremsen ist.
    Strukturelle Maßnahmen können die Mobilität durchaus steuern. In Magdeburg, Brandenburg und Jena wurde in unterschiedlichen Wohngebieten untersucht, wo die

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    Freizeit innerhalb der Woche und am Wochenende überwiegend verbracht wird. Am häufigsten bleiben in beiden Fällen Siedlungsbewohner von Ein- und Zweifamilienhäusern in ihrem Wohnbereich mit Hausgarten. Die meisten Bewohner der Innenstadt und ausgewählter Wohngebiete mit Mehrfamilienhäusern verbringen dagegen wochentags ihre Freizeit in der Wohnung und am Wochenende außerhalb ihrer Wohngebiete.

  1. Es kann auch fußgängerfreundlich geplant werden; hierzu gehören aber keine Einkaufsmärkte im "Weichbild" der Städte. Das Fahrrad ist wiederentdeckt worden. Unter Beachtung topographischer Verhältnisse und der Witterungsabhängigkeit muß der Radverkehr mit allen Mitteln gefördert werden. Neue Ideen im Hinblick auf die Verkehrsbeteiligung des Motorrades und anderer motorisierter Zweiräder fehlen bisher völlig. Auch der Pkw sollte in ein Konzept eingeordnet werden; in ländlichen Gebieten ist er ohnehin unverzichtbar, in größeren Städten sollte er in Kombination mit dem ÖPNV genutzt werden. Schließlich sollten auch die Flugzeuge nicht außer acht gelassen werden, weil sie im Geschäftsverkehr und, in gewissem Rahmen, als Freizeitgestaltung Bedeutung haben.

  2. Es gibt keine Alternative Pkw oder ÖPNV; weiter hilft immer nur ein Miteinander. Stadt- und gebietsstrukturell gesehen muß jedoch vor allem der schienengebundene öffentliche Verkehr den Vorrang haben: Ein öffentliches Liniensystem läßt sich durch eine Flächenerschließung mit individuellem Verkehr ergänzen -eine zersiedelte Landschaft aber läßt sich kaum nachträglich in eine "ÖV-gerechte" Struktur verwandeln.
    Das genau ist die jetzige Situation: Deshalb müßte allen Investitionen, die diese Strukturen festschreiben, Vorrang eingeräumt werden; gerade das passiert zur Zeit aber nicht! Darum muß in das Schienenverkehrssystem (Eisenbahn, die regionale Schnellbahn, auch Metro

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    oder Straßenbahn) nicht irgendwann, sondern zuerst investiert werden.

  1. Bei gebietsplanerischen und stadtstrukturellen Maßnahmen sowie bei Standorten von verkehrlicher Bedeutung sind - besonders unter Beachtung ihrer laufenden volkswirtschaftlichen Kosten - auch die verkehrlichen Auswirkungen zu berücksichtigen. Eine Verbesserung der Verkehrsverhältnisse ist nur möglich, wenn Verkehr auch vermieden oder, zumindest entfernungsmäßig, eingeschränkt wird. Hier bildet die Abstimmung von Stadtentwicklungs- und Verkehrsplanung einen wichtigen Ansatz. So hat zum Beispiel das Wohnungsbauprogramm in den Städten der ehemaligen DDR gegen den Widerstand der Verkehrsplanung die Verkehrsmenge um 40 Prozent erhöht. Zu der Hauptaufgabe, solche Fehlentwicklungen wieder abzubauen, kann z.B. eine wesentliche Erweiterung des Dienstleistungssektors beitragen.

  2. Als mobilitätssenkende Maßnahmen gelten solche, die den Mobilitätswunsch reduzierend beeinflussen - nicht dagegen irgendwelche Verbote. Begonnen werden könnte mit Maßnahmen in den Wohnbereichen (die akute und gewünschte Beschäftigungen ermöglichen) , mit dem Abbau von Zwangsmobilität und der Orientierung des Dienstleistungsbereiches auf die Wohngebiete. Innerhalb des Verkehrssystems werden Verknüpfungen und Umsteigestellen städtebaulich aufgewertet werden müssen, so daß Kombinationen es gestatten, den reinen Zeitfaktor für die Ortsveränderung in den Hintergrund zu drängen. Oft können mit einfachen, praktischen Maßnahmen, die ohne großen Aufwand an Zeit und Geld realisierbar sind, spürbare Erfolge erzielt werden: Die Stadtverkehrsprobleme würden z.B. deutlich entschärft, wenn viele Autofahrer die Umweltkarte zum Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel nutzen würden.

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Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß der individuelle Verkehr den Verkehrsbedürfnissen der Menschen vielfach sehr nahe kommt. Er sollte in möglichst komplexe Konzepte, die einen stadtverträglichen, ökologisch vernünftigen Verkehrsablauf ermöglichen und dem Einzelnen viel Spielraum lassen, integriert werden. Alle Beteiligten -Bürger, Kommunalpolitiker, Planer und die Vertreter der Industrie, allen voran die Automobilindustrie - müssen gemeinsame Grundprinzipien akzeptieren, die auf die Erhaltung der Umwelt und eine lobenswerte Gestaltung der Städte und Dörfer abzielen. Der öffentliche Verkehr muß in diesem Verkehrsmarkt um die Verbesserung seiner Position ringen. Wichtig ist dabei die Chancengleichheit aller Verkehrsträger, vor allem bei den Verkehrsinvestitionen. Die zur Verfügung stehenden Verkehrsflächen sind begrenzt und bedürfen einer gründlichen Bewertung und Bewirtschaftung.

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3.3 Kooperatives Verkehrsmanagement für die Region München

Mit den Methoden des zweistufigen Konzeptes "kooperatives Verkehrsmanagement für die Region München" könnte die bayerische Landeshauptstadt den täglichen Verkehrsstrom von Pendlern und Besuchern so kanalisieren, daß die Lebensqualität von Stadtbewohnern nicht übermäßig beeinträchtigt wird und die Verkehrsteilnahme selbst weniger streßhaft wäre. Diese Vorstellungen sind in einer Pilotstudie enthalten, die auf Initiative des Automobilunternehmens BMW in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität München und einem Planungsbüro erarbeitet wurde. Ihr Ziel ist es, in einer ersten Stufe vorhandene konventionelle Verkehrsleitsysteme zu integrieren und einen umfassenden Verbund für Verkehrs- und Umweltdaten aufzubauen. In einer zweiten Stufe sind neue Technologien der Verkehrsleittechnik einzuführen und in ein kooperatives Verkehrssystem einzubeziehen. Das Modell bedient sich dabei auch solcher technischen, elektronisch gesteuerten Ein-

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richtungen, die auf viele Verkehrsteilnehmer noch wie Zukunftsvisionen wirken.

Für die Erprobung unter realen Straßen- und Verkehrsbedingungen wurde der Münchener Norden als Demonstrationsfeld ausgewählt. Hier hat, trotz Neu- und Ausbau des öffentlichen Verkehrs und trotz einer bewußt umweltfreundlichen Einstellung der Bevölkerung, der Individualverkehr in den letzten Jahren erheblich zugenommen - wie auch in der gesamten Region. Schon weit vor der Münchener Stadtgrenze bilden sich in den Hauptverkehrszeiten die Staus auf den Zufahrtstraßen. Ziel-, Quell- und - besonders in der Urlaubszeit dramatisch anschwellender - Durchgangsverkehr überlagern sich.

Der Erfolg der Verkehrskonzeption soll sich vor allem durch eine wirkungsvolle Verknüpfung des individuellen Verkehrs mit öffentlichen Verkehrsmitteln einstellen . Schon in der Entwicklungsstufe 1 soll deshalb ein "Park + Ride"-System in das Leitsystem der Autobahnen einbezogen werden und die Verkehrsströme, je nach Belastung der Zufahrtstraßen zur Innenstadt und nach dem Angebot der öffentlichen Verkehrsmittel, verteilen. Ein großer Teil des Individualverkehrs könnte so aus der Stadt herausgehalten werden. Schadstoffbelastung und Parkraumauslastung der "P + R"-Anlagen - sogenannter "Terminals" -würden ständig elektronisch erfaßt und berücksichtigt. Diese Terminals sollen bis zu 5.000 Stellplätze anbieten und vor allem an ausgewählten U- und S-Bahn-Stationen entstehen.

Parallel zur Wechselwegweisung und Linienbeeinflussung des fließenden Verkehrs soll auch der Verkehrsfunk verbesserte Informationen erhalten. Auf speziellen Frequenzen sollen Mietwagen, Taxen, Lkw und andere Fahrzeugflotten Informationen empfangen, um möglichst störungsfrei ihr Ziel zu erreichen. Im Versuchsstadium befindet sich bei den Verkehrsbetrieben München ein rechnergestütztes Betriebsleit-

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system das ebenso wie die verkehrsabhängige Lichtzeichensteuerung verstärkt ausgebaut werden soll.

Damit diese und weitere Maßnahmen funktionieren, müssen kommunale und überörtliche Grenzen überwunden werden. Ein Arbeitskreis, eine Wirtschaftsgesellschaft, ein Zweckverband oder eine Interessengemeinschaft könnte als Träger eines kooperativen Verkehrsmanagements auftreten.

In der zweiten Entwicklungsstufe sollen Systeme eingeführt werden, die in den Fahrzeugen installiert sind und individuelle Verhaltensempfehlungen für den Fahrweg und auch für die Gesamtreiseplanung übermitteln.

Die Planer sehen im gemeinsamen Handeln von Automobil-, Zuliefer- und Elektronikindustrie sowie Wissenschaft und Verwaltung Möglichkeiten, eine so gewaltige Herausforderung wie die Beherrschung der Verkehrsprobleme zu bewältigen. Dabei muß bereits im Außerortsbereich regelnd in den Verkehr eingegriffen werden, wenn der Innerortsverkehr entlastet werden soll.

Die Verknüpfung der verschiedenen Maßnahmen des öffentlichen und des individuellen Verkehrs schließt die Bevorrechtigung von Fahrzeugen des ÖPNV und des Rettungswesens ein. Informationseinrichtungen für die individuelle Nutzung können helfen, Verkehr zu vermeiden. Schon vor Antritt der Fahrt kann der Autofahrer Daten über die Verkehrslage auf den Straßen, freie Parkplätze oder die Auslastung der öffentlichen Verkehrsmittel abrufen und seinen Reiseweg darauf einstellen. Eine andere individuelle Zielführung basiert auf einer digitalen Karte, bei der vor Reisebeginn die Fahrzeugposition und das gewünschte Ziel eingegeben werden und mit Hilfe der Elektronik dann der günstigste Weg gefunden wird.

Nicht mehr, sondern gezieltere individuelle Informationen sollen nach dem Willen der Planer an die Nutzer gegeben

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werden und dazu beitragen, die negativen Auswirkungen im kooperativen Verkehrsmanagement des heutigen Verkehrs zu reduzieren. Verkehrsträger und Verkehrsnutzer müssen verstärkt zusammenarbeiten, damit der Übergang vom kollektiven zum individuellen Informationsaustausch gelingt.

Verhaltensänderungen der Verkehrsteilnehmer sind Voraussetzung für einen möglichst störungsfreien Straßenverkehr. Verhaltensempfehlungen für die Angebots- und die Nachfrageseite des Verkehrsmarktes haben jedoch nur dann Erfolg, wenn die notwendigen Restriktionen mit akzeptierbaren Alternativen gekoppelt sind. Hier liegt nach Auffassung von Vertretern der Automobilindustrie zur Zeit noch ein wichtiger Hinderungsfaktor für die Nutzung derartiger arbeitsteiliger Verkehrssysteme: Die Qualität des öffentlichen Verkehrsangebotes läßt auch in Regionen mit einem gut ausgebauten Verkehrssystem wie München noch zu wünschen übrig und reicht nicht aus, um spürbare Abschöpfungen von Individualverkehr zumutbar erscheinen zu lassen. Deshalb sind weitere Verbesserungen dringend erforderlich. Da entsprechende Maßnahmen oft lange Zeiträume beanspruchen, sind rasche Entscheidungen der Politiker zugunsten der öffentlichen Verkehrsbetriebe gefragt.

Es genügt nicht, daß alle Verantwortlichen an einem Strang ziehen: sie müssen - im Rahmen ihrer Kompetenzen - auch in dieselbe Richtung ziehen und über Stadt-, Regions- und Ländergrenzen hinaus die Interessen der Betreiber und Benutzer der Verkehrssysteme koordinieren.

Um schlechte Kompromisse zu vermeiden, sollten nicht Einzelmaßnahmen, sondern spezielle Maßnahmenbündel im Konsens aller Beteiligten eingesetzt werden. Dazu kann das kooperative Verkehrsmanagement Voraussetzungen schaffen, indem es die Rahmenbedingungen für die Verknüpfung von öffentlichem und Individualverkehr - über attraktive Park- and Ride-Systeme, über Qualitätssteigerungen im ÖPNV - verbes-

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sert. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß sich die Bemühungen weniger auf effektive Pläne als auf eine effektive Umsetzung richten.

Kritische Stimmen befürchten, daß die Konzeption "Kooperatives Verkehrsmanagement" an den heute vorhandenen Möglichkeiten der Infrastruktur vorbeiplant und zu sehr auf Hochtechnologie setzt. Die Planer dagegen erklären, es gehe in diesem Projekt nicht darum, das Stadtverkehrsproblem weltweit zu lösen, sondern es soll nur einen Beitrag zur Verminderung der bestehenden Schwierigkeiten geleistet und Hilfe zur Selbsthilfe angeregt werden. Dabei sind neue Technologien nicht kategorisch abzulehnen; vielmehr sind auch neue Alternativen wie Verkehrsleitsysteme zu erproben.

In die Überlegungen passen Appelle, die Automobilindustrie und ihr know-how für den ÖPNV einzusetzen und zum Beispiel durch Entwicklung gebrauchsfähiger Elektrofahrzeuge mehr für die Umweltverträglichkeit zu tun. Die Hochtechnologie hat bereits auch auf den ÖPNV erfaßt. Hier begegnet sie jedoch noch Vorbehalten, weil eine Überfütterung des Fahrpersonals mit Daten zum Sicherheitsrisiko führen kann. Die Industrie hat jedoch akustische Systeme entwickelt, welche die Aufmerksamkeit des Fahrers nicht vom Verkehrsgeschehen auf der Straße ablenken.

Die Frage der Finanzierbarkeit beschäftigt vor allem die Verkehrsfachleute der neuen Bundesländer. Diese werden von Verkehrspolitikern vor dem Warten auf den "großen Wurf" gewarnt - auf die Verwirklichung eines attraktiven ÖPNV, auf ein flächendeckendes Verkehrsleitsystem mit umfassender Arbeitsteilung zwischen öffentlichem und privatem Verkehr oder auf technische Veränderungen der Autos entsprechend den Mobilitätsanforderungen von morgen. Statt dessen muß die Problemlösung schrittweise angestrebt und nicht mit "Totschlagsargumenten hochgerechneter Investitionssummen" für zehn bis 15 Jahre auf Eis gelegt werden. Dabei kann auch die Übertragung bestimmter Verkehrspro-

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jekte auf Privatinvestoren und die Refinanzierung durch Benutzungsgebühren dazu beitragen, daß benötigte Infrastrukturteile rascher nutzbar werden. Wichtig ist vor allem, daß mit der Abarbeitung der Verkehrsprobleme jetzt begonnen wird - die hierfür erforderlichen Handlungskonzepte sind bekannt!

Geplant sind Erweiterungen des kooperativen Verkehrsmanagements, bei denen Anregungen aus Verwaltung, Forschung und Industrie berücksichtigt sind. Hierdurch soll die Übertragung des vorliegenden Konzeptes auf andere Städte - auch aus den neuen Bundesländern - ermöglicht werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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