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2. Umweltfreundlicher Stadtverkehr

2.1 Planungsgrundlagen und Planungsgrundsätze aus westdeutscher Sicht

Ein umweltfreundliches Verkehrskonzept, das von den Planern einer westdeutschen Großstadt entwickelt worden ist, läßt sich nicht ohne weiteres auf Städte in den neuen Bundesländern übertragen. Trotzdem: Viele Probleme gleichen sich; zur Bewältigung der Herausforderung, den Stadtverkehr menschen- und umweltfreundlich zu gestalten, können die Erfahrungen und Absichten eines "fremden" Handlungskonzepts Hilfen zur schrittweisen Verbesserung von Verkehrspolitik und Verkehrsplanung auch in den Kommunen östlich der Elbe geben.

Das Thema "Verkehr" nimmt bei den Planungs- und Baudezernenten der großen Städte in den alten Bundesländern den ersten Rang der aktuellen Probleme ein (Umfrage des Deutschen Instituts für Urbanistik, 1989). Diese Einschätzung wurde mit der Forderung nach politischen Restriktionen gegenüber dem Straßenbau verbunden. Die Auseinandersetzung mit dem Straßenverkehr findet in allen kommunalen Parlamenten fast Tag für Tag statt. Der Autoverkehr ist dabei in den Nebel emotionaler Auseinandersetzungen geraten. Das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) hat als wichtigste Quelle für die Finanzierung des kommunalen Straßenbaus die Städte verändert - nicht immer zum Guten:

  • Die Prognosen für den bundesdeutschen Pkw-Bestand wurden im Laufe der Jahre regelmäßig von der Realität übertroffen. 1960 gab es in den alten Bundesländern 3,5 Millionen Pkw, 1990 wurde die 30-Millionen-Grenze überschritten.

  • Der Grad der Motorisierung hat sich z.B. in Dortmund im Zeitraum zwischen 1960 und 1988 von 70 auf 410 Pkw pro 1000 Einwohner erhöht und setzt sich ungebrochen

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    fort. Die Zahlen spiegeln in etwa den Bundesdurchschnitt wider.

  • Die Mobilität, also die Anzahl von Fahrten pro Person und Tag, hat sich von 1973 bis 1988 von 2,0 auf 2,9 erhöht. Dabei bleibt die Anzahl der Fußwege annähernd gleich, die Fahrtenzahlen im öffentlichen Personennahverkehr sind leicht rückläufig, und der Zuwachs im Individualverkehr beträgt 46 Prozent. Darum ist der Autoverkehr in den Städten wie auf vielen Fernstraßen dem Kollaps nahe. Der Wirtschaftsverkehr erstickt im Stadt- und auch im Fernbetrieb. Die großen Städte reagieren mit unwirksamen und dennoch im Detail heiß umkämpften Straßenbauten und mit Sonderprogrammen für den ÖPNV.

  • Wenn die Betriebe des öffentlichen Nahverkehrs das Angebot einschränken, steigen die Verluste und Kunden wandern ab. Neue Marktstrategien, Verbesserungen im Angebot, Preisnachlässe werden diskutiert und auch eingeführt. Gelingt es nicht, den ÖPNV zu stabilisieren, so werden die Straßennetze kollabieren. Personenverkehr und Güterverkehr sind gleichermaßen davon betroffen.

  • Die Beeinträchtigungen durch den Indivdualverkehr in den Ballungsräumen und Städten werfen neue, vor allem auch ökologische Probleme auf; Verkehrslärm und Abgasemissionen stellen eine permanente Gefährdung dar. Die Bürger wollen das nicht länger hinnehmen - schon gar nicht den Schwerlastverkehr; für Maßnahmen gegen ihn finden sich immer Mehrheiten.

  • In den alten Bundesländern entstehen ca. 64 Prozent aller CO- und 40 Prozent aller NOx-Emissionen durch den Pkw-Verkehr. Durch die Einführung des Katalysators werden diese Emissionen verringert. Der Kohlendioxyd-

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    ausstoß wesentlicher Auslöser des Treibhauseffektes, wird jedoch nur unwesentlich reduziert.

  • Die Städte reagieren mit Verkehrsberuhigungsmaßnahmen und anderen Programmen. Nur: Jede Beruhigungsmaßnahme in der Innenstadt stärkt jene Stadtstrukturen, die in weit gefächerten Wohnsiedlungen, in Shopping-Centern, in Freizeitlandschaften vor den Toren der Stadt entstanden sind und noch entstehen und häufig nur über das Auto zu erschließen sind.

  • Neue Formen der Rationalisierung der Produktionsprozesse haben dazu geführt, daß Produktion, Transport und Verteilung von Gütern zu einem System werden. Die Städte sind mit ihren Verkehrsstaus das schwächste Glied in diesem System und auf diese Entwicklung nicht vorbereitet. Völlig neue verkehrspolitische Denkansätze sind erforderlich, um diesen neuen Ansprüchen zu genügen.

  • In den Innenstädten wie in den Randlagen der City ist so ein täglicher Kampf um die verfügbaren Stellplätze entbrannt, unterschiedliche Interessen der Bürger prallen hier aufeinander. Mehr Aufenthaltsqualität, mehr Grün, mehr Spielbereiche wollen die einen, die anderen fordern die komplette Inanspruchnahme und Versiegelung des öffentlichen Raumes, damit sie ihre Fahrzeuge auf Straßen und Plätzen abstellen können.

Wie weit ist ein umweltfreundliches Stadtverkehrskonzept überhaupt zu realisieren? Umweltfreundlicher Stadtverkehr soll die Belastung in den Städten reduzieren. Lärm- und Abgasemissionen sind entscheidend zu verringern, nicht nur im Hinblick auf die Überlastung der Städte, sondern auch vor dem Hintergrund des globalen Schadstoffausstoßes. Wohnbereiche in Citynähe müssen erhalten und gestärkt werden. Aber der Motorisierungsgrad und das Mobilitätsbedürfnis steigen nach wie vor. Die Flucht aus den Städten in das schlecht

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erschlossene Umland ist keineswegs zum Stillstand gekommen und läßt den Autoverkehr unvermindert wachsen. Große Teile der Stadtregion sind so dünn besiedelt, daß eine Erschließung durch den ÖPNV hier auf Dauer kaum machbar ist. Zudem haben Entscheidungsfehler in der Stadtplanung während der letzten Jahrzehnte und zum Teil bis heute zu erhöhten Verkehrsbelastungen geführt, die zum Kollaps führen müssen. Die umweltbelastenden Pendelverkehre werden von der zu erwartenden Zunahme des Güterverkehrs auf der Straße noch überlagert.

Um umweltfreundliche Verkehrskonzepte durchzusetzen, sind vor allem verkehrslenkende und verkehrsordnende Maßnamen notwendig. Hinzukommen müssen umweltfreundliche Verkehrsmittel wie der ÖPNV und auch das Fahrrad - selbst das Zu-Fuß-Gehen. Dies darf nicht zu einer Beschneidung der Mobilität der Menschen führen. Die Mobilitätsbedürfnisse einer modernen Industriegesellschaft können durchaus bewältigt werden, das sollte aber so umweltfreundlich wie eben möglich geschehen .

Alle Verkehrssysteme brauchen Energie und verursachen Belastungen für Städte und Landschaften, sind manchmal für die dort lebenden Menschen sogar gefährlich. Der Grad der Umweltschädlichkeit ist unterschiedlich. Mit der gleichen Treibstoffmenge läßt sich eine Gütertonne mit verschiedenen Verkehrsmitteln unterschiedlich weit transportieren:

  • mit dem Binnenschiff rund 370 km

  • mit der Eisenbahn rund 300 km

  • mit dem Lkw rund 100 km.

Keines dieser Systeme ist durch ein anderes einfach zu ersetzen, allenfalls kann man sie kombinieren. Bis heute werden in die verschiedenen Verkehrsnetze noch gewaltige Summen investiert, ihre Verknüpfung und die Zusammenarbeit der Verkehrsmittel erfahren dagegen so gut wie keine Förderung. Auch hier gibt es zahlreiche wirtschaftliche Möglichkeiten zur Leistungssteigerung und Chancen für einen

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umweltfreundlichen Stadtverkehr. Nur setzen solche Anstrengungen eine veränderte Umwelt- und Regionalpolitik voraus. Dafür müssen zunächst die staatlichen Vorgaben für den Wettbewerb und die Zusammenarbeit der Systeme überdacht werden.

Viele Städte haben einen Gesamtverkehrsplan, in dem alle Verkehrsdaten zusammenfließen. Seine Ziele sind:

  • Verweis eines möglichst hohen Verkehrsanteils auf die Schiene

  • Konzentration des Individualverkehrs auf ein Hauptverkehrsstraßennetz

  • Beruhigung der Wohngebiete

  • vorrangige Förderung des nichtmotorisierten Verkehrs

  • Bevorzugung des Wirtschaftsverkehrs

  • verstärkte Entwicklung von Siedlungskonzepten, die Einschränkungen des Verkehrs ermöglichen.

Derartige Gesamtverkehrskonzepte oder Konzepte für einzelne Stadtteile sind bisher selten in ihrer Ganzheit beschlossen worden. Sie wurden am grünen Tisch mit Hilfe ermittelter Daten geplant. Oft konnten die Vorhaben nicht finanziert oder nicht gegen den Willen der Bürger durchgesetzt werden. Auch demographische Verschiebungen oder fallende Treibstoffpreise beeinträchtigten die Effekte, die mit dem Ausbau des ÖPNV erzielt werden sollten.

In vielen Fällen spielt auch eine Rolle, daß die Konzentration der Bebauung auf die Hauptachsen des öffentlichen Nahverkehrs mißlang, weil die Investoren auf preiswertere Flächen abseits der Trassen ausweichen konnten. Schließlich wurden durch den Teilausbau der Straßennetze Autoströme in Bereiche gedrückt, die sie gar nicht aufnehmen können; Konsequenz sind chaotische Zustände.

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Diese und weitere Faktoren führten dazu, daß es trotz ausgewogener städtischer Konzepte nicht gelingt, beschlossene Vorhaben tatsächlich zu verwirklichen. Deshalb konnte in der Vergangenheit der Kollaps des Individualverkehrs lediglich zeitlich hinausgeschoben, nicht aber vermieden werden. Sollen die Ziele eines umweltfreundlichen Stadtverkehrs erreicht werden, müssen die Planer in längeren Zeiträumen denken und vielleicht auch ihre Grundsätze überdenken:

  1. Mobilität ist kein Naturereignis und in gewissen Grenzen zu beeinflussen. Der Stadtverkehr hat eine dienende Rolle und ist an andere Bestimmungskomponenten der Stadtentwicklung anzupassen.

  2. Der "Modal-Split" läßt sich nicht allein von Zeit-Weg-Vorteilen beeinflussen, sondern ist auch von anderen Faktoren abhängig: Fahrtkosten, Benzinpreise, Restriktionen verschiedener Art. Freie Wahl des Weges und des Verkehrsmittels sind jedoch keine Grundrechte - auch nicht für den Güterverkehr, zumindest nicht in den hochbelasteten Ballungszentren.

  3. Es darf nicht angenommen werden, daß sich aus der ungesteuerten Konkurrenz der Verkehrssysteme von heute ein städtefreundliches Gesamtsystem automatisch ergibt.

  4. Die Wettbewerbsbedingungen der Verkehrssysteme sind politisch gemacht und veränderbar - wenn auch diese Veränderungen nicht von den Kommunen geleistet werden können.

  5. Der Ausbau von Hauptstraßen reicht allein nicht aus, um in ausreichendem Umfang Verkehr aus anderen Straßen abzuziehen; hierfür sind vielmehr zusätzlich begleitende Maßnahmen im übergeordneten Netz notwendig.

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  1. Das Straßennetz kann nicht so ausgebaut werden, daß für alle Verkehrsarten ein störungsfreier Betrieb möglich ist; vielmehr müssen auch Restriktionen für den Individualverkehr dazu beitragen, daß ausreichende freie Kapazitäten für den Wirtschafts- und Güterverkehr verbleiben.

  2. Vielleicht muß auch die Vorstellung revidiert werden, Verkehrsprobleme könnten oder müßten in erster Linie durch Bauen gelöst werden; der Spielraum dafür ist gering geworden.

Es ist demnach notwendig, daß alle Möglichkeiten der Lenkung und Steuerung des Verkehrs Gegenstand der Planung werden, um die verkehrliche Infrastruktur stärker zu bewirtschaften. Dominierende Planungskriterien müssen die Umweltbelastungen und der Energieverbrauch sein. Nicht Konkurrenzdenken, sondern Zusammenwirken der Verkehrssysteme wird die Aufgaben bewältigen, zumal Stadtverkehrsprobleme in der Regel auf schwerwiegende zwiespältige Reaktionen in der Bürgerschaft stoßen. Konfliktfreie Konzepte wird es nicht geben. Alle Lösungen sind entweder mit Einschränkungen der Freiheit für persönliche Entscheidungen verbunden oder mit Eingriffen in die Stadt- oder auch Landschaftsstrukturen. Hier muß politisch entschieden werden. Dabei geht es auch längerfristig nicht um eine völlig Sperrung der Kernstadt für den Autoverkehr, sondern um eine Bewirtschaftung der knappen Verkehrsflächen durch verkehrslenkende, verkehrsordnende und verkehrsrechtliche Maßnahmen.

Die Herausforderungen an die Gestaltung einer neuen, umweltverträglichen Stadtverkehrspolitik sind groß, die kommunalen Handlungsspielräume dagegen außerordentlich beschränkt. Einfache Rezepte helfen - wie immer im Städtebau - nicht weiter, sie sind im Gegenteil gefährlich. In den komplexen und komplizierten Stadtsystemen führt lineares Denken nicht zum erhofften Ergebnis.

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2.2 Ansätze für eine Verringerung der Verkehrsprobleme in Dortmund

Auch das Dortmunder Konzept ist nicht fehlerfrei. Nur welche Alternativen wären zu folgenden verkehrspolitischen Strategien der Stadt vorhanden? Dortmund plant z.B. eine flächenhafte Verkehrsberuhigung für Tempo 30. Aus der schrittweisen Einführung dieser Zonen ergeben sich unvermeidbar Verkehrsverdrängungen in benachbarte Stadtteile. Für das beschlossene Parkraumkonzept in der Innenstadt mit ihren 175.000 Einwohnern wird einmal eine Bevorrechtigung der Anwohner in den citynahen Wohn- und Mischgebieten eingeführt; dabei wird eine Entfernungszone von etwa 15 Minuten für angemessen gehalten. Zum anderen ist eine Verringerung des Parkraumangebotes in der Innenstadt vorgesehen. Beide Maßnahmen sind tendenziell mit einer stärkeren Annahme des ÖPNV verbunden. In diesem Zusammenhang können negative Effekte durch unkontrollierte Ansiedlung in solchen Bereichen eintreten, die durch den öffentlichen Nahverkehr überhaupt nicht erschlossen sind.

Ein zusätzlicher Baustein des Dortmunder Parkraumkonzeptes ist das bereits eingeführte Parkleitsystem, das noch weiter verbessert werden soll.

Dortmund bemüht sich außerdem um Verkehrsvermeidung im Drei-Kilometer-Umkreis der City und fördert den Fahrrad- und Fußgängerverkehr in diesem Bereich mit zahlreichen Einzelmaßnahmen. Mehr als bisher soll der ÖPNV in der Stadtplanung berücksichtigt werden und breit gefördert werden, vor allem durch

  • ein Beschleunigungsprogramm für Busse und Bahnen

  • eine Verbesserung der Fahrplangestaltung

  • die Ausweitung des Angebotes

  • ein umfassendes Programm zum Ausbau der "Park + Ride"- Plätze und der "Bike + Ride"- Anlagen

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  • Verbesserungen des Tarif Systems u.a. durch Einführung einer Umweltkarte

  • Modernisierung des Fahrzeugparks

  • Intensivierung der Zusammenarbeit aller städtischen Verkehrssysteme.

Die Stadt entwickelt ein Verkehrsmanagementsystem. Es wurde damit begonnen, das Stadtzentrum von unnötigem Autoverkehr zu entlasten (bis zu 80 Prozent der Verkehre sind Parkplatz-Suchverkehre!); dabei muß jedoch ein Mindestmaß an Autoerschließung erhalten bleiben. Zur umweltfreundlichen Abwicklung des Stadtverkehrs gehört, daß der fließende Verkehr verstetigt und verlangsamt, möglicherweise auch eingeschränkt wird. Dies gelingt durch die für die Hauptverkehrsstraßen aber auch für das übrige Straßennetz geplanten Maßnahmen zur Querschnittsreduzierung. Hinzu kommen signaltechnische und verkehrsrechtliche Maßnahmen.

Ebenso wird ein Güterverkehrskonzept entwickelt, weil sich die Belieferung des hoch verdichteten Stadtkerns zunehmend schwieriger gestaltet: Mit immer größeren Gefäßen wird bei immer mehr Fahrten immer weniger pro Fahrt geliefert. Abhilfe für die wachsenden Probleme mit dem Anlieferverkehr sollen City-Logistik-Konzepte schaffen, bei denen die Belieferungen durch möglichst wenige Fahrzeuge von Verteilerzentren aus gesteuert werden. Nach den Vorstellungen der Planer wird dann eine Einkaufsstraße künftig nur ein- bis zweimal pro Tag mit allem Nötigen beliefert. Eine geeignete Organisation, verbunden mit Restriktionen, ist vorgesehen. In Absprache mit der verladenden Wirtschaft und den Spediteuren soll ein Lkw-Vorrangnetz geschaffen werden, das auch zur Verkehrsreduzierung in der Innenstadt beiträgt, indem Gütertransporte gebündelt und Nebenstraßen, auf die die Lkw heute aufgrund der Verkehrsfülle oft ausweichen (müssen), von Güterverkehr freigehalten werden.

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Insgesamt erscheint es sinnvoll und notwendig, die traditionellen Verkehrskonzepte durch neue Ansätze zu ergänzen, die den umweltpolitischen Anforderungen Rechnung tragen, und die weitgehend nicht in die bisherigen Vorstellungen der Verkehrsplanung und der Verkehrspolitik einbezogen waren. Die aufgezeigten Problemlösungen basieren zwar auf dem Erfahrungshorizont der alten Bundesländer. Es darf aber angenommen werden, daß sich in den fünf neuen Ländern in absehbarer Zeit vergleichbare Entwicklungen einstellen werden. Die negativen Ergebnisse der kommunalen Verkehrspolitik in der alten Bundesrepublik sollten dort nicht wiederholt werden. Deshalb müssen Stadtentwicklung und -erneuerung vor allem unter umweltpolitischen Gesichtspunkten verstärkt Einfluß auf die Entwicklung des Stadtverkehrs nehmen.

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2.3 Verkehrspolitischer Handlungsbedarf in ostdeutschen Städten und Lösungskonzeptionen

In den neuen Bundesländern nehmen die Hoffnungen auf eine Verbesserung der Umwelt einen hohen Rang ein. Hierzu soll auch der ÖPNV einen Beitrag leisten. Zur Jahresmitte 1990 erklärten bei einer Meinungsumfrage 87 Prozent der Befragten, sie seien zum Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel bereit. Tatsächlich schoß jedoch im Zusammenhang mit der Wiedervereingiung die Zahl der privaten Autos explosionsartig in die Höhe - von 1989 bis Mitte 1991 wird mit einer Zunahme von vier auf fünf Millionen Fahrzeuge, Ende 1992 mit einem Bestand von sechs Millionen gerechnet. Hierdurch verschärfen sich die ohnehin vorhandenen Verkehrsprobleme erheblich. Kurzfristige Maßnahmen - wie Parkrestriktionen - sind zwar notwendig und sinnvoll, sie führen aber nicht zu der gewünschten umweltverträglichen Gestaltung des Stadtverkehrs. Hierfür sind vielmehr längerfristige Konzeptionen und prinzipielle Lösungen der vorhandenen und neu aufgetauchten Probleme erforderlich.

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Die Grundlagen moderner Verkehrsplanung waren auch den Fachleuten in der früheren DDR bekannt. Die Realisierung ihrer Vorstellungen scheiterte an den zentralistischen, fach- und sachfremden Entscheidungen, an der Kampagnenwirtschaft - eine Kampagne jagte die nächste - und schließlich auch an den seit mehr als 20 Jahre ständig schrumpfenden Finanzierungsspielräumen. Diese und weitere Faktoren führten zu der prekären Ausgangslage, in der sich die ostdeutschen Städte und deren Verkehrssystem zur Zeit befinden, und die erheblich von der Situation in den alten Bundesländern abweicht. Deshalb ist auch umstritten, inwieweit sich die westdeutschen Entwicklungsverläufe in den Beitrittsländern wiederholen werden.

Auf Widerspruch stieß auch die Auffassung, daß die Fachplaner keine Schuld an dem desolaten Zustand trifft, in dem sich die Städte allgemein und speziell der Stadtverkehr der neuen Länder befinden; hingewiesen wurde auf die Fehler, die die Experten in der Vergangenheit aus Unkenntnis gemacht und die inzwischen einen Prozeß des Umdenkens in Gang gesetzt haben.

Es wurde betont, daß in den neuen Bundesländern im Grunde ein Zustand herrscht, den die Stadtplaner in den Westländern mit einem umfangreichen Instrumentarium herbeiführen wollen, nämlich die Verdrängung des Autoverkehrs aus der City: Auf der einen Seite nähert sich der Motorisierungsgrad in Riesenschritten dem westdeutschen Wert. Dem stehen auf der anderen Seite Verkehrsflächen gegenüber, die den fließenden und ruhenden Verkehr nicht bewältigen können. Auch in den Innenstädten müssen viele Hauptverkehrsstraßen ausgebaut und instandgesetzt werden, und das Parkplatzangebot ist in den meisten Fällen mit etwa 20 Prozent des westdeutschen Niveaus völlig unzureichend.

Die eigentliche Ursache für den Konflikt zwischen Verkehrsentwicklung und Umwelt liegt in der räumlichen Tren-

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nung der Einrichtungen für die sozialen Funktionen Wohnen, Arbeiten, Erholen, Bilden und Einkaufen. Durch Funktionsmischung und Überlagerung im Stadtorganismus können Ortsveränderungen und Fahrten vermieden werden. Verkehrsvermeidung bedeutet nicht Einschränkung der Mobilität, die ein wesentlicher Faktor der Lebensqualität ist. Dementsprechend sollen verstärkt Ortsveränderungen zu Fuß oder mit dem Fahrrad innerhalb neuer Grundstückskomplexe ermöglicht werden; hierdurch wird kaum öffentlicher Verkehrsraum beansprucht.

Ein öffentliches Verkehrsmittel verlangt bereits größeren Aufwand. Die Benutzung eines Kraftfahrzeuges sollte eigentlich innerhalb der Stadt der Ausnahmefall sein. So sieht jedenfalls die planerische Wunschvorstellung aus - ein Leitbild, nach dem sich der einzelne Verkehrsteilnehmer nicht richtet. Er will am schnellsten, am sichersten, am bequemsten ans Ziel gelangen. Darum müssen entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden für Stadt- und Verkehrsstrukturen, die es den Menschen leichter machen, den Wunschvorstellungen der Planer zu folgen.

Gefordert wird weiter der Verzicht auf getrennte Einzelverkehrsplanungen für den Individualverkehr, öffentlichen Verkehr, Radverkehr und Fußgängerverkehr! Jedes Fortbewegungsmittel ist in einem integrierten Verkehrssystem dort einzusetzen, wo es am besten seinen Beitrag zur Gesamtlösung leisten kann. Allerdings wurde von ostdeutschen Städteplanern darauf hingewiesen, daß ein Instrumentarium, mit dessen Hilfe man die zu lösenden Probleme in den Griff bekommen kann, bislang noch fehlt. Es wurde befürchtet, daß zuviel Zeit mit der Ausarbeitung von Methoden zur Beherrschung der unerwünschten Entwicklungen vertan wird, und daß ein entsprechendes Konzept erst dann vorliegen wird, wenn es bereits zu spät ist. Deshalb wurde der Verzicht auf große Gesamtentwicklungspläne für den Verkehr gefordert, zumal sich die Planer zur Zeit nicht vorstellen können, wie die Städte in fünf Jahren wirklich aussehen sol

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len. Statt dessen wurde für rasche Aktivitäten und für die Verwirklichung von Soforthilfemaßnahmen plädiert, mit deren Hilfe die größten Schäden der Vergangenheit korrigiert und weitere Verschärfungen der Situation vermieden werden können.

Lärmbelästigungen und Abgase müssen auf einen möglichst niedrigen Stand gebracht werden. Eine langsame, gleichmäßige Fahrt belastet weniger als ständiges Beschleunigen und Bremsen - auch das kann gesteuert werden.

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2.4 Elemente einer umweltorientierten Verkehrsplanung für Dresden

Die problematische Ausgangslage, die skizzierten Planungsgrundsätze und die darauf basierenden Lösungskonzepte lassen sich am Beispiel Dresden weiter verdeutlichen. In Dresden, einer Stadt von 500.000 Einwohnern, ist kein einziges verkehrsberuhigtes Gebiet vorhanden, das den üblichen Planungsvorstellungen entspricht. Es besteht also ein gravierender Unterschied zu Städten in den alten Bundesländern. Verkehrsberuhigung bedeutet demnach für Dresden Änderung und Nachholbedarf. In der äußeren Neustadt Dresdens ist lediglich durch Anbringen von Verkehrsschildern eine Tempo-30-Zone geschaffen worden. Mit der außerdem notwendigen baulichen Veränderung im Straßenraum wird man erst in etwa drei Jahren beginnen können, weil vorher die Sanierung der alten Straßensubstanz erfolgen muß. Für ein zweites Verkehrsberuhigungsprojekt liegt ein fertiger Plan bereit.

Trotz einer halben Million Bewohner besitzt Dresden kein einziges mehrgeschossiges Parkhaus, sondern nur vier Abstellflächen und eine Tiefgarage, die alle für Hotels sowie Anwohner reserviert sind. Den Planern sind zwar Park-Restriktionen willkommen, doch bleibt auch dann ein Fehlbedarf, wenn die Innenstadt vom Verkehr freigehalten werden soll. Die gegenwärtig noch vorhandenen Flächen werden

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vermutlich innerhalb kurzer Zeit verbraucht sein. Deshalb würden die Planer es begrüßen, wenn die Ablösesummen, die Investoren in der Innenstadt für die Befreiung von der Verpflichtung zur Schaffung von Parkraum entrichten, für ein Zubringersystem zwischen Randgebietsparkplätzen und dem Zentrum verwendet würden.

Die extremen Monostrukturen der Neubaugebiete mit Konzentrationen von 15.000 bis zu geplanten 100.000 Einwohnern führen zu erheblichen Verkehrsbedürfnissen und -problemen. Die Ausstattung dieser Gebiete ist äußerst mangelhaft; es gibt nur wenige Kaufhallen und Supermärkte für den täglichen Bedarf, so daß zwangsläufig Verkehrsströme in die Innenstadt produziert wurden. Ein neuer Flächennutzungsplan (September 1990) enthält erste Ansätze, um unnötigen Verkehr zu vermeiden.

Als Folge des extensiven Wohnungsbaus in Stadtrandlage ist auch die Zahl der Fußwege sehr stark zurückgegangen. Mit 26 Prozent liegt der Fußgängeranteil in Dresden besonders niedrig (in Chemnitz und Zwickau z.B. stellt sich die Situation besser dar). Auch die Bewohner der verfallenden Altstadtgebiete zieht es in die Neubaugebiete in den Randbezirken der Stadt, mit der Konsequenz, daß neue Verkehrsbedürfnisse entstehen; hierfür sind nach dem aktuellen Stadtentwicklungskonzept vor allem öffentliche Verkehrserschließungen vorgesehen.

Die Motorisierungswelle verändert jetzt die früheren Prognosen und zwingt zu neuen Planungen. Fußgängerbereiche in der Innenstadt und Fußgängerachsen zu benachbarten Nebenzentren sollen den Bedürfnissen gerecht werden. Für die Radfahrer, die am Stadtverkehr mit sechs Prozent beteiligt sind, stehen etwa 40 Kilometer Radweg zur Verfügung, die sich zum Teil in einem unbrauchbaren Zustand befinden, aber bald instandgesetzt werden sollen. Seit 1980 sind 50 Kilometer relativ breite Bürgersteige durch Markierungen in kombinierte Rad- und Gehwege aufgeteilt worden. Die

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vorhandene Radwegkonzeption wird von der "Interessengemeinschaft Radverkehr" überarbeitet.

In Bezug auf öffentliche Verkehrsmittel ist Dresden insofern benachteiligt, als nur ein relativ geringer Teil des Straßenbahnstreckennetzes einen eigenen Gleiskörper besitzt. Das Gleisnetz von 144 Kilometer Länge ist auf rund 100 Kilometern in die Straße eingepflastert, teils in besonders ungünstiger Konstellation zum Umfeld. Hier setzt die Schaffung von eigenen Fahrspuren für den ÖPNV den kompletten Umbau des Straßenraumes voraus.

65 Prozent der Straßenbahnzüge sind überaltert und damit sehr störanfällig; das führt pro Tag zu etwa 25 Ausfällen. Bei den Bussen sind etwa 85 Prozent ersatzbedürftig - auch hier mit den Folgen Unpünktlichkeit, Unbequemlichkeit durch Überfüllung und Ausdünnen des Fahrplanes. Nach wie vor benötigt der individuelle Kraftfahrzeugverkehr nur die Hälfte der Reisezeit der öffentlichen Verkehrsmittel. Deshalb muß die Attraktivität des ÖPNV durch ein pünktliches, regelmäßiges, häufiges, bequemes und reisezeitgünstiges Angebot gesteigert werden. Dementsprechend sehen die Planungen keine wesentlichen Netzerweiterungen, sondern eher qualitative Verbesserungen vor.

Die S-Bahn in Dresden fährt ausschließlich auf Reichsbahngleisen mit allen Problemen, die aus der Gleisbenutzung durch den Personenfernverkehr und den Güterverkehr resultieren. Ein eigener Gleiskörper ist in der Planung; hier wird es Schwierigkeiten in den Bereichen geben, in denen die Bebauung eine abgetrennte Schienenspur nicht zuläßt.

Außer elf Kilometern Straßenbau in den 60er und 70er Jahren ist am Hauptstraßennetz Dresdens nichts mehr geschehen - alle anderen Hauptstraßen müssen ausgebaut oder instandgesetzt werden. Auch hier wird der enorme Nachholbedarf im Vergleich zu den Städten in den alten Bundesländern deut-

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lich. Allerdings wollen die Stadtplaner beim Ausbau der Hauptstraßenflächen vorsichtig vorgehen, weil anderenfalls die Gefahr besteht, daß die Verlagerungen auf den ÖPNV nicht im gewünschten Ausmaß erfolgen.

Die Hierarchie des Straßennetzes kann entscheidend bei der Verminderung der Umweltbelastung eingesetzt werden durch die Konzentration des Verkehrs auf das Hauptnetz. In der Vergangenheit hatte sich der Verkehr auf das Nebennetz verlagert, weil die Hauptstraßen nicht ausgebaut wurden. Als Folge davon erhöhte sich der Lärmpegel in den Nebenstraßen erheblich. Diese Geräuschbelästigungen müssen wieder rückgängig gemacht werden.

Zur Entlastung der Wohn- und Mischgebiete der ostdeutschen Städte ist der Bau und Ausbau der Hauptstraßen vordringlich - im Gegensatz zur alten Bundesrepublik, wo schon mit Rückbau begonnen wird. Gegenwärtig entstehen Staus oft bereits im Nebennetz; Kopf Steinpflaster und Schlaglöcher verursachen zusätzlichen Lärm. Schließlich stellt ein gut ausgebautes Straßennetz auch eine notwendige Voraussetzung für die Verkehrsberuhigung dar.

Notwendig sind also Stadt- und verkehrsstrukturelle Maßnahmen in einer abgestimmten Stadtentwicklungspolitik, die Verkehrsquellen und -ziele im Nahbereich zuordnet und alle Möglichkeiten der flächenhaften Verkehrsberuhigung ausnutzt. Besonderes Gewicht kommt der Entscheidung für ökologisch verträgliche Verkehrsmittel, dem Bau und Ausbau von Parkplätzen, Fuß- und Radwegenetzen und einem Angebot attraktiver öffentlicher Nahverkehrsverbindungen zu.

Zusätzlichen Restriktionen bei Parkplätzen steht ein Teil der ostdeutschen Stadtplaner skeptisch gegenüber, weil aufgrund der derzeitigen Situation (schlechter Straßenzustand, Parkplatzdefizite) unklar ist, wo angesetzt werden soll; es wird die Auffassung vertreten, daß der "richtige" Grad der Beschränkung in jedem Fall aber tiefer angesetzt

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werden muß als in den in Westdeutschland diskutierten Konzepten. Die Gesamtheit der erwähnten Ansätze kann, wenn sie vernünftig und mit den Erfahrungen aus den alten Bundesländern realisiert wird, zur Lösung der großen Verkehrs- und Umweltprobleme Ostdeutschlands beitragen.

Allerdings ist zu beachten, daß nicht alle Maßnahmen, die sich in den westlichen Bundesländern bewährt haben, auch in den Beitrittsländern greifen. Ein Beispiel: Eine thüringische Großstadt machte an den verkaufsoffenen Samstagen vor Weihnachten ein attraktives P+R-Angebot. Es wurden 1.500 Stellplätze angeboten; der ÖPNV wurde beachtlich verstärkt; es galt ein tarifliches Sonderangebot (1,- DM für eine ganze Autobesatzung); in der Innenstadt wurden Straßenbahnen für die Gepäckaufbewahrung bereitgestellt. In den Medien wurde auf die problematische Verkehrssituation und auf das reizvolle ÖPNV-Angebot hingewiesen. Insgesamt nutzten aber nur knapp 70 Autofahrer die P+R-Möglichkeit - an vier Samstagen! -, obwohl in der Innenstadt der Verkehr zusammenbrach.

Die anderen Städte in den neuen Bundesländern stehen einer ähnlich schwierigen Situation wie Dresden gegenüber, die sie in möglichst kurzer Zeit bewältigen müssen. Auch dort müssen verkehrspolitische Konzepte zunächst die größten Schäden der Vergangenheit korrigieren. Vordringlich ist die Privatisierung des ÖPNV. Die Planer müssen aber auch politisch relevante, mehrheitsfähige Leitbilder entwickeln, die Verwaltung effektiv aufbauen und nebenbei lernen, nach den Regeln der neuen Gesellschafts-, Markt- und Rechtsordnung zu arbeiten - eine gewaltige Aufgabe.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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