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[Seite der Druckausg.: 21 (Fortsetzung)]



3. Stand der gegenwärtigen betrieblichen Qualifizierungspraxis/-politik bezogen auf ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer


Wie eingangs (Kapitel 1) bereits beschrieben, ist die betriebliche Ebene für die Herausbildung von Dequalifizierungsrisiken Älterer ebenso bedeutsam, wie für deren Vermeidung bzw. Bekämpfung im Rahmen betrieblicher Qualifizierungspolitik bzw. -praxis. Entsprechend wird im folgenden Kapitel diese Ebene im Vordergrund stehen. Dazu wird zunächst schwerpunktmäßig aus einer empirisch-quantitativen Perspektive die Weiterbildungspraxis der Betriebe und die Weiterbildungsbeteiligung der Älteren betrachtet, anschliessend aus einer eher qualitativen Perspektive die Einschätzung der Qualifikationsstrukturen Älterer dargestellt.

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Hinsichtlich einer empirisch-quantitativen Erfassung ist der Gegenstandsbereich der betrieblichen Qualifizierungssituation schwierig darzustellen, da dies mit definitorischen Unschärfen behaftet ist (einen guten Überblick über die für die empirische Erfassung von Weiterbildung einschlägigen Datenquellen findet sich bei Heidemann, 2001b). So besitzt etwa der Begriff der betrieblichen Weiterbildung unterschiedliche Reichweiten und bezieht sich auf ein heterogenes Spektrum an Maßnahmen und Aktivitäten. So lassen sich z.B. weiche, informelle Formen der Weiterbildung wie etwa selbstgesteuertes, in die Arbeitsvollzüge integriertes Lernen unter dem Gesichtspunkt der Trennschärfe, aber auch unter den Aspekten der Zeitvolumina, der Kosten und anderer Merkmale quantitativ kaum klassifizieren und erfassen (zu den methodischen Problemen vgl. auch Dobischat & Seifert, 2001). Probleme der empirischen Erfassung und Vergleichbarkeit der Daten zur Weiterbildungssituation ergeben sich insbesondere anhand:

  • der Zusammensetzung der Grundgesamtheit (Bevölkerung, Erwerbstätige)

  • der unterschiedlichen Erhebungszeitpunkte (halbjährlich, jährlich, zweijährlich)

  • der Auslegung und begrifflichen Abgrenzung von „Weiterbildung„ (formal und/oder informell)

  • der unterschiedlichen Fragestellungen, sowie

  • der methodischen Herangehensweise.

Grundsätzlich besteht im Zusammenhang mit der Betrachtung der betrieblichen Qualifzierungssituation Älterer die Notwendigkeit, je nach Fragestellung auf unterschiedliche oder z.T. mehrere Datenquellen zurückgreifen zu müssen.

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3.1 Strukturen und Defizite des betrieblichen Qualifizierungspraxis

Die Ergebnisse der Betriebsbefragung 2000 (einer schriftlichen Befragung von Personalverantwortlichen westdeutscher Betriebe aller Betriebsgrößen und Branchen im Jahr 2000 mit einer Stichprobe von ca. 10.000 Betrieben), die gemeinsam von der Universität Duisburg und dem WSI im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft, Mittelstand, Technologie und Verkehr des Landes NRW durchgeführt wurde (Dobischat & Seifert, 2001), belegen, dass

  • die überwiegende Mehrheit der westdeutschen Betriebe (72 %) in den letzten drei Jahren Weiterbildungsaktivitäten durchgeführt haben.

  • 49 % der Betriebe gaben an, dass die diesbezüglichen Aktivitäten in den letzten drei Jahren zugenommen haben.

Auf den ersten Blick scheinen damit die Herausforderungen des technisch-innovativen Wandels von den Betrieben erkannt und mit verstärkten Qualifizierungsbemühungen beantwortet zu werden. Dafür spricht auch,

  • dass zu 66 % die Initiative von der Geschäftsleitung ausging (zu 2 % vom Betriebsrat und zu 8 % von den Beschäftigten selbst, in jedem siebten Betrieb waren Geschäftsleitung und Betriebsrat gemeinsam initiativ).

Die Ergebnisse der Erhebung weisen - wie zahlreiche andere Untersuchungen auch (z.B. Bellmann, L. & Leber, U., 2000) - den positiven Zusammenhang zwischen Betriebsgröße und Weiterbildungsaktivität nach:

  • Das Weiterbildungsengagement steigt proportional mit der Betriebsgröße (über 500 Beschäftigte).

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  • Die Weiterbildungsaktivitäten differieren zudem nicht nur nach Betriebsgröße, sondern auch nach Branchenzugehörigkeit: Besonders engagiert zeigt sich der Öffentliche Dienst (89%), das Investitionsgüter- (89%), das Produktionsgütergewerbe (84%) und der Bereich der sonstigen Dienstleistungen (82%). Demgegenüber erweisen sich Betriebe der Bauwirtschaft und das Verbrauchsgütergewerbe mit Werten um die 50 % als deutlich zurückhaltender. Im Verarbeitenden Gewerbe (Bergbau und Energieversorgung) sind sogar nur knapp ein Drittel der Betriebe engagiert in Sachen Weiterbildung.

Das betriebsgrößenspezifisch unterschiedlich ausgeprägte Weiterbildungsengagement der Betriebe ist insbesondere unter der Perspektive der fortschreitenden Alterung der Belegschaften bedeutsam, da insbesondere kleine und mittlere Unternehmen mit älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern produzieren oder Dienstleistungen anbieten. Gleichwohl sind sie es, die im Verhältnis zu größeren Betrieben sich durch eine stärkere Zurückhaltung im Weiterbildungsengagement ausweisen. Ihr Planungsverhalten ist wenig systematisiert. Angesichts des immer stärkeren Wettbewerbsdrucks werden jedoch auch sie in Zukunft stärker unter Anpassungs- und Qualifizierungsdruck geraten ohne entsprechende systematische Vorkehrungen treffen müssen.

Bellmann, Düll & Leber (2001) gehen in ihrer Analyse der Weiterbildungssituation auf der Grundlage des IAB-Betriebspanels der Frage nach, ob es einen Trend zur Ausweitung betrieblicher Weiterbildungsaktivitäten gibt. Im Vergleich zur Erhebung von 1997 sehen sie nur einen geringen Anstieg der Weiterbildungsaktivitäten, der insbesondere im kleinbetrieblichen Segment stattgefunden hat. Danach förderten vier von zehn Betrieben Weiterbildungsmaßnahmen. Aus den empirischen Ergebnissen leiten sie die Schlussfolgerung ab, dass auch in einer wissensbasierten Gesellschaft Weiterbildung betrieblicherseits keineswegs eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint. Ihre Erkenntnisse über die Faktoren, die die betriebliche Weiterbildungsaktivität fördern, schließen an die im Zusammenhang mit den Entwicklungstendenzen im Bereich der Qualifizierung bereits festgestellten Strukturen an: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Betrieb in der Weiterbildung engagiert ist, steigt demnach, wenn ein hoher Qualifiziertenanteil im Betrieb vorhanden ist. Zudem haben qualifizierte Mitarbeiter die besseren Zugangsmöglichkeiten zur Weiterbildung. Auch die Einführung technischer Neuerungen hat einen positiven Einfluss auf die betriebliche Weiterbildungsentscheidung, aber nicht darauf, dass einzelne Qualifikationsgruppen gleichmäßig an der Weiterbildung beteiligt werden. Auch hier sind höherqualifizierte Mitarbeiter im Vorteil. Bestehende Bildungsunterschiede werden somit durch die gegenwärtige Praxis der betrieblichen Weiterbildung eher verstetigt als abgebaut.

Zusammenfassend lässt sich zunächst daraus schließen, dass die Chancen in die betriebliche Weiterbildung einbezogen zu werden generell für alle Beschäftigten je nach Engagement der Geschäftsleitung oder des Betriebsrates, nach Branchenzugehörigkeit und Betriebsgröße ungleich verteilt sind. Dabei fällt auf, dass gerade die Branchen, die vom qualifikatorischen Strukturwandel und den Veränderungen der Tätigkeiten, sowie von der Qualifikations- und Altersstruktur der in ihnen Beschäftigten unter einen besonders hohen Anpassungsdruck geraten (z.B. Baugewerbe, das verarbeitende Gewerbe wie Bergbau und Energieversorgung), sich gerade nicht durch ein besonders hohes Weiterbildungsengagement auszeichnen.

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3.2 Weiterbildungsbeteiligung Älterer

Für die Erfassung der individuellen Weiterbildungsbeteiligung gilt als einschlägige Datenquelle das Berichtssystem Weiterbildung [Seit 1994 wird für Ost- und Westdeutschland ein identisches Frageprogramm verwendet. Bei dem Berichtssystem Weiterbildung handelt es sich um eine Befragung von Individuen durch Interviewer, die alle drei Jahre von Infratest/Burke Sozialforschung im Auftrag der Bundesregierung durchgeführt wird. Die letzten veröffentlichten Daten stammen von 1997. Die Stichprobe der in Privathaushalten lebenden Personen (beschäftigt oder nicht) zwischen 19 und 64 Jahren umfasst ca. 7.000 Befragte (auch nichtdeutsche).].

Nach Ergebnissen des Berichtssystem Weiterbildung für 1997 haben sich die individuellen Teilnahmequoten an Weiterbildungsmaßnahmen generell seit 1979 erhöht (Kuwan et al, 2000). In dieser Erhebung wird jedoch nicht zwischen beruflicher und betrieblicher Weiterbildung differenziert. Für die Interpretation der Teilnahmequoten ist es außerdem relevant, dass Zielpersonen des Berichtssystems Personen im Alter von 19 bis 64 Jahren sind, also unabhängig von ihrer Erwerbsbeteiligung, d.h. die Teilnahmequoten an beruflicher Weiterbildung beziehen sich dementsprechend nicht auf Erwerbspersonen, sondern auf die jeweiligen Bevölkerungsanteile. Danach nahmen 1997 insgesamt 48 % der Bevölkerung (!) im erwerbsfähigen Alter an verschiedenen Arten der Weiterbildung teil – an allgemeiner, beruflicher und politischer Weiterbildung. 30 % der Befragten haben an beruflicher Weiterbildung teilgenommen, worin die betriebliche wie auch die individuell gewählte Weiterbildung enthalten ist. Diese Entwicklung wird auch durch das Sozioökonomische Panel des DIW bestätigt (Behringer, 1999), wenn auch mit geringen Abweichungen.

Das Berichtssystem Weiterbildung belegt in seinen Ergebnissen für die berufliche Weiterbildung insgesamt (es wird im Rahmen des Berichtssystems Weiterbildung nicht nach betrieblicher Weiterbildung innerhalb eines Beschäftigungsverhältnisses und von Arbeitslosen differenziert) für 1997, dass Ältere in den alten und neuen Bundesländern weiterhin seltener an Weiterbildung (das Berichtssystem Weiterbildung weist die Teilnahme nur für berufliche Weiterbildung insgesamt aus) teilnehmen als jüngere. Da sich die ausgewiesenen Quoten auf alle Personen der Altersgruppe und nicht nur auf die Erwerbspersonen beziehen, können diese gegenüber Jüngeren niedrigere Teilnahmequoten der 50- bis 64-Jährigen aber auch zumindest teilweise auf ihre niedrigere Erwerbsbeteiligung zurückgeführt werden (Koller & Plath, 2000).

Danach nehmen

  • 33 % der 19- bis 34-Jährigen und 36 % der 35- bis 49-Jährigen an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung teil, während nur 20 % der 50- bis 64-Jährigen sich in diesem Bereich engagieren (Kuwan et al., 2000).

  • Im Zeitverlauf – seit 1994 – nimmt die Weiterbildungsbeteiligung in allen Altersgruppen zu, am stärksten in der mittleren Altersgruppe, den 35- bis 49-Jährigen. Die Weiterbildungsbeteiligung der mittleren Altersgruppe übersteigt damit erstmals die der 19- bis 34-Jährigen. Dies wird auf den hohen Anteil der Maßnahmen beruflicher Weiterbildung unter den Weiterbildungsmaßnahmen zurückgeführt (Koller & Plath, 2000).

  • Im Vergleich zu 1994 haben sich damit in allen drei Altersgruppen deutliche Zuwächse ergeben, die aber die Differenzen zwischen den Altersgruppen fortschreiben. So lagen die Teilnahmequoten 1994 zwischen 6% und 7% (35- bis 49-Jährige) niedriger.

  • Korrespondierend mit dieser bei den jüngeren stärker ausgeprägten Weiterbildungsbeteiligung, wenden diese auch im Vergleich zu Älteren höhere Zeitkontingente für Weiterbildung auf.

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Da die Daten über das Alter hinaus einen Zusammenhang zwischen Weiterbildungsbeteiligung und Qualifikationsgrad belegen, nachdem mit der Höhe die Qualifikation auch die Weiterbildungsbeteiligung steigt, könnte ein Korrelation zwischen dem intergenerationellen Qualifikationsunterschied (tendenziell höhere Qualifikation der nachrückenden Altersgruppen) und der Weiterbildungsbeteiligung vermutet werden. Die vorliegenden Daten des Berichtssystems erlauben aber diesbezüglich keine abschließende Aussage.

Angesichts dieser vergleichsweise geringeren Beteiligung Älterer an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung kann jedoch nicht von einer „Weiterbildungsabstinenz„ gesprochen werden (vgl. auch Koller & Plath, 2000) bzw. gar der Schluss gezogen werden, die Förderung der Weiterbildung von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sei nicht erforderlich.

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3.3 Strukturen der Weiterbildungsbeteiligung

Erklärungen für die geringe Weiterbildungsbeteiligung Älterer trotz steigender Weiterbildungsnotwendigkeiten und -aktivitäten erfordern einen Rückgriff auf einer qualitative Analysen der einschlägigen Forschungsliteratur. Eine Erklärung für die geringe Weiterbildungsbeteiligung Älterer findet sich in den Ergebnissen des mittlerweile abgeschlossenen Forschungsprojekts „Berufliche Entwicklung, Qualifizierung und Pespektiven in der zweiten Hälfte des Berufslebens – betriebliche und berufsbiographische Sichtweisen Älterer„ (1998 bis 2000), das unter anderem (Sonderauswertung des SOEP, Betriebsfallstudien) auf der Grundlage der dritten Wiederholungsuntersuchung der repräsentativen BIBB/IAB-Erhebung zu Qualifikation und Erwerbssituation in Deutschland von 1998/99 (Puhlmann, 1999) u.a. nach der Zufriedenheit Älterer mit den Möglichkeiten zur Weiterbildungen.

Die Ergebnisse dieser Untersuchung belegen eine hohe Unzufriedenheit Älterer mit den Möglichkeiten zur Weiterbildung. Danach sind in Westdeutschland etwa ein Viertel der 40- bis 54-Jährigen, etwa ein Fünftel der 55- bis 59-Jährigen, in Ostdeutschland: ein Drittel der 40- bis 44-Jährigen, ein Viertel der 45- bis 49-Jährigen und etwa ein Fünftel der 55- bis 59-Jährigen unzufrieden bis unzufrieden mit der Weiterbildungssituation. Differenziert nach Geschlecht und regionaler Zugehörigkeit zeigt sich die höchste Unzufriedenheit bei den 40- bis 44-jährigen ostdeutschen Männern und Frauen. Während die Unzufriedenheit in den nächst höheren Altersgruppen dann allgmeinen nachlässt, sind es die westdeutschen Frauen, die auch bei den 50- bis 54-Jährigen auffallend unzufrieden mit ihren Möglichkeiten zur Weiterbildung sind.

Weitere Ergebnisse dieser Untersuchung widersprechen zudem der Vermutung, die geringe Weiterbildungsbeteiligung begründet sich in der mangelnden Bereitschaft und Fähigkeit Älterer, sich auf neue technische Entwicklungen einzustellen oder einstellen zu können, z.B. im Bereich der Informations- und Kommunikationstechniken. So gehört der PC tatsächlich überdurchschnittlich häufig zu den alltäglichen Arbeitsmitteln der über 40jährigen. Auch bei den 55- bis 64-Jährigen arbeitet rund ein Drittel mit dem PC. Dabei zeigen sich zwischen Männern und Frauen keine auffallenden Unterschiede.

Eine Erklärung für die geringe Weiterbildungsbeteiligung Älterer scheint vielmehr in der skeptischen Einschätzung der Leistungsfähigkeit Älterer seitens der Arbeitgeber zu liegen, die sich gleichwohl nicht in einer Verstärkung von Qualifizierungsbemühungen zugunsten dieser Beschäftigungsgruppe niederschlägt.

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Dafür sprechen etwa die Untersuchungsergebnisse im Rahmen des IAB-Betriebspanels (Leber, 2001) [Hierbei handelt es sich um eine jährlich wiederholte Befragung mit in der Regel mündlichen Interviews, die seit 1993 in den alten und seit 1996 in den neuen Bundesländern durchgeführt wird. Die Grundgesamtheit bilden alle Betriebe mit mindestens einem sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (ausführlich vgl. Bellmann, Kölling, Kistler u.a., 1999). Hochgerechnet waren das 1999 1,7 Mio. westdeutsche und etwa 400 Tsd. ostdeutsche Betriebe.].
Danach

  • lehnten knapp 10 Prozent die Aussage ältere Arbeitnehmer seien im Prinzip genauso leistungsfähig wie jüngere ab, ca. 15 % standen ihr indifferent gegenüber.

  • Dass es günstiger ist, sich von älteren zu trennen und sie durch jüngere zu ersetzen, hielten 6 % der westdeutschen und 8 % der ostdeutschen Betriebe für zutreffend. 70 % lehnten diese Aussage ab.

  • Die Hälfte der Betriebe vertrat die Ansicht, dass man nur durch einen altersgerechten Einsatz älterer und jüngerer Mitarbeiter die Stärken der Älteren nutzen und Probleme vermeiden könne. Dies lehnten immerhin ein Viertel der westdeutschen und ein Drittel der ostdeutschen Betriebe ab.

Diese Vorbehalte gegenüber der Leistungs- und Qualifizierungsfähigkeit Älterer seitens der Arbeitgeber befördern die beschriebene altersselektiven Weiterbildungspraxis (vgl. Ausführungen unter Kapitel 1.2), wenn etwa bezogen auf Ältere kaum besondere Anstrengungen unternommen werden, um Motivationsbarrieren durch Vorfeldarbeit zur Erhöhung der Teilnahmebereitschaft zu senken oder Ältere gar nicht erst für Weiterbildungsmaßnahmen in Betracht gezogen werden und direkt durch Jüngere mit aktuelleren Qualifikationen ersetzt werden (Barkholdt et al., 2001a). Praktisch werden Ältere gegenwärtig aber nur dann in die Weiterbildung einbezogen, wenn sich

  • die Qualifizierungsmaßnahmen auf die gesamte Belegschaft beziehen,

  • wenn der Qualifizierungsanspruch vergleichsweise gering ist und

  • wenn es sich um noch relativ „junge„ ältere Mitarbeiter handelt (BMA, 1983).

Wie eine Reihe betrieblicher Beispiele zeigen (Bullinger et al., 1993; Frerichs (Hrsg.), 1996) können Ältere sehr wohl verstärkt für Weiterbildungsmaßnahmen gewonnen werden, wenn entsprechende Angebote betrieblicherseits gemacht werden.

Die Ergebnisse des im Jahr 2000 abgeschlossenen Verbundvorhabens (vgl. Behrens et al., 1999, Wolff, Spieß & Mohr, 2001), an dem zum Thema „Begrenzte Tätigkeitsdauer und neue Arbeitszeitmodelle für ältere Arbeitnehmer„ das ISO, ISIS, ZeS und die FFG von Februar 1996 bis Herbst 1998 beteiligt waren, zeigten demgegenüber, dass Modelle alternsgerechter Arbeits- und Laufbahngestaltung, die auf den dauerhaften Erhalt von Gesundheit- Qualifikation und Motivation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zielen, durchaus vorhanden sind und ein Paradigmenwechsel von der gegenwärtig allenfalls reaktiven, d.h. auf die älteren Arbeitnehmer und Arbeitsnehmerinnen gerichteten (Personal-) Politik hin zu präventivem, auf Lebensverläufe und Erwerbsbiografien gerichtetes Handeln zu erfolgen habe.

In diesem Zusammenhang wurden folgende drei Hauptprobleme (Pack et al., 1999, Wolff, Spieß & Mohr, 2001) bezüglich der Qualifizierung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer benannt:

  1. Vorzeitiger Verschleiß, verursacht durch einseitige physische und psychische Arbeitsbelastungen bzw. zu niedrige Qualifikationsanforderungen. Trotz des Wissens um die begrenzte Tätigkeitsdauer mancher Tätigkeiten lägen in den meisten Betrieben weder von Seiten der

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    Personalverantwortlichen Konzepte zur Gestaltung des Erwerbsverlaufs vor, die Vorsorge treffen und Ausweichmöglichkeiten eröffnen, noch wären sich die Arbeitnehmer selbst, solange sie jung sind, der begrenzten Tätigkeitsdauer ihrer Beschäftigungen bewusst.

  2. Spezialisierungsfallen, altersbezogene Belegschaftssegmentierung. Häufig käme es bei Produkt- oder Prozessinnovationen zu einer altersbezogenen Zuordnung: Die älteren Mitarbeiter würden für auslaufende Produkte und Produktionslinien eingesetzt, während für die neuen Produkte nur die jüngeren Mitarbeiter eingearbeitet würden. Argumentiert würde mit relativen Leistungsvorteilen: Die Älteren könnten ihre Erfahrungen einsetzen und gleichzeitig sich und dem Betrieb Qualifizierungsmaßnahmen ersparen und die jüngeren Mitarbeiter könnten von ihrer aktuelleren Ausbildung Gebrauch machen. Zum Problem würde diese Strategie jedoch, wenn z.B. eine traditionelle Produktionslinie eingestellt würde, aber noch Mitarbeiter vorhanden wären, die auf den neuen Anlagen nicht geschult wurden.

  3. Kompakte Altersstrukturen, die eine generationenübergreifende Personalpolitik erschwerten. In vielen Betrieben sie auf Grund von Frühverrentungen ein großer Teil der Belegschaft im Altersbereich von 30 bsi 50 Jahren, was zu einer kompakten Alterung der gesamten Belegschaft führe. Es entstünden Probleme des Wissens- und Erfahrungstransfers zwischen den Generationen: Es gäbe keinen Spielraum für die Einstellung von Nachwuchskräften, die neues Wissen in den Betrieb bringen würden, und bei der Verrentung en bloc könne das Erfahrungswissen der Älteren nicht entsprechend an Jüngere weitergegeben werden.

In den Verbund (III)-Projekten des BMBF-Förderschwerpunktes „Demographischer Wandel und Zukunft der Erwerbsarbeit am Standort Deutschland„:„begrenzte Tätigkeitsdauer und betriebliche Laufbahngestaltung„ (ISIS),„Gesundheitsförderung und altersintegrative Arbeitspolitik (ISO) (Morschhäuser, 1999; Behrens, 1999; Pack et al., 2000) standen die gegenwärtig unzulänglichen Qualifizierungsmöglichkeiten für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Mittelpunkt.

Ersteres konzentrierte sich auf die Frage, wie dem frühzeitigen Altern von Arbeitskräfte präventiv begegnet werden kann. Dabei zeigte sich in dem Veralten von Qualifikationen eine Komponente vorzeitigen Alterns. Vor allen Dingen wurde danach gefragt, inwieweit ein innovativer betrieblicher und biographischer Umgang mit dem Phänomen „begrenzte Tätigkeitsdauer„ möglich ist (Behrens et al., 1999) und nach entsprechenden betrieblichen Politikansätzen und Handlungsmustern gesucht. Es wurde besonders darauf hingewiesen, dass alle altersspezifischen Maßnahmen mittelbar stigmatisierend wirken und zu einer Verstärkung des Alternsrisiko „Reputationsverlust„ führen.

Das andere Teilprojekt ging in 14 Fallstudien Fragen nach Qualifikation und Qualfizierungschancen im Kontext der Laufbahngestaltung nach. Es zeigte sich, dass veraltete Ausgangsqualifikationen und die fehlende Bereitschaft zur Weiterbildung etwa den Umstieg von körperlich anstrengenden Arbeitsbereichen in Tätigkeitsfelder mit eher kognitiven Arbeitsanforderungen erschweren. Gleichwohl konnte in einzelnen Beispielen die z.T. kompensierende Wirkung von Erfahrungswissen nachgewiesen werden. Morschhäuser zog ebenfalls die Schlussfolgerung, dass das Dequalifizierungsrisiko Älterer auf einer Weiterbildungspraxis, bzw. der gängigen Praxis der Ersetzung Älterer durch jüngere mit aktuelleren Qualifikationen basiert und nicht durch die unzureichende Weiterbildungsbereitschaft der Älteren erklärt werden kann.

Schließlich gilt ganz allgemein, dass auch ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erfolgreich weiterqualifiziert werden können, wenn

  • eine angemessene Vorfeldarbeit zur Erhöhung der Weiterbildungsbereitschaft erfolgt ist;

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  • an die bisherigen Berufserfahrungen in reflexiver Weise angeknüpft wird;

  • konkrete Anwendungsmöglichkeiten für die neuen Lerninhalte vorhanden sind („aufgabenorientierte Qualifizierung„, „Alltagsorientierung„);

  • die Betroffenen über kommunikative Lernstrukturen aktiv beteiligt werden;

  • die Organisation der Weiterbildungsangebote entsprechend altersangemessen erfolgt (z.B. geeignete Curricula, richtige Lerngruppenzusammensetzung, Beachtung des reduzierten Lerntempos Älterer, Verwendung anschaulicher Medien oder anwendungs- und erfahrungsorientiertes („erfahrungsorientiertes Lernen„) anstelle von abstraktem Vorgehen (Naegele, 1994; Frerichs, 1998; zu Beispielen vgl. Bullinger et al., 1993);

wenn die veränderte Leistungsfähigkeit zugleich Ausgangspunkt für die Ausgestaltung von Qualifizierungsmaßnahmen ist, wobei sich dies aber nur für die kognitiven und psychischen Leistungsveränderungen realisieren lässt. Hier gilt es, durch gezielte Förderung speziell der gefährdeten Leistungskomponenten tendenziell einen Verlangsamungsprozess des Leistungsabbaus zu bewirken (Köchling, 1992).


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2002

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