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[Seite der Druckausg.: 15 (Fortsetzung)]



2. Politische Vorgaben und generelle Entwicklungs-tendenzen im Bereich der Qualifizierung


Nachdem die besondere Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und in diesem Zusammenhang die Bedeutung von Qualifizierungsfragen beschrieben wurden, werden im folgenden die generellen politischen Vorgaben und Entwicklungstendenzen im Bereich der Qualifizierung betrachtet, die im Hinblick auf ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer relevant sind.

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2.1. Politische Vorgaben auf nationaler und europäischer Ebene

Dass in den nächsten Dekaden mit einem forcierten Anstieg der Arbeits- und Qualifikationsanforderungen zu rechnen ist, ist übereinstimmendes Ergebnis nahezu aller Zukunftsprojektionen zur Arbeitslandschaft von morgen (Deutscher Bundestag, 1998). Z.B. werden nach IAB-Prognosen im Jahre 2010 ca. 72 - 73% der Arbeitskräfte eine berufliche Erstausbildung oder eine Fortbildung benötigen, wohingegen der Anteil der Arbeitsplätze, die keine abgeschlossene formale Ausbildung erfordern, auf ca. 10% zurückgegangen sein wird (Tessaring, 1994). Unbestrittener politischer Konsens ist mittlerweile, dass die Entwicklung einer wissensbasierten Ökonomie und die sich im technisch-innovativen Wandel erhöhende sogenannte „Verfallsgeschwindigkeit des Wissens„ (Wolff, 1995) und der Qualifikationen die breite Partizipation der gesamten Bevölkerung an der sich rasch entwickelnden „Informations- und Wissensgesellschaft„ und die kontinuierliche Aktualisierung der Wissensbestände erfordert.

Dieses Thema findet auch in Deutschland wachsende politische Beachtung, wie es sich etwa auch im Rahmen des Berufsbildungsbericht 2001 zeigt. Aus Sicht der Bundesregierung soll dazu das Bildungssystem in Richtung „lernende Gesellschaft„ weiterentwickelt werden, wobei angestrebt wird, die Übergänge von beruflicher Erstausbildung in Weiterbildung fließender und damit die Bildungsbereiche und Bildungswege insgesamt durchlässiger zu gestalten, sowie Fortbildungsmöglichkeiten kontinuierlich weiterzuentwickeln und neue Qualifikationserfordernisse frühzeitig zu erkennen. Im Zusammenhang mit dem Bedeutungszuwachs des selbstgesteuerten Lernens wird darüber hinaus die Verantwortung der Wirtschaft betont, entsprechende Möglichkeiten der beruflichen Weiterbildung zu bieten. In Reaktion auf die sich rasch wandelnden Qualifizierungsanforderungen wurde zudem vor nunmehr zwei Jahren von den Partnern des Bündnisses für Arbeit ein Beschluss zur „Früherkennung neuer Qualifikationsbedarfe„ gefasst. Jährlich soll ein „Qualifikationsstrukturbericht„ (von BIBB, IAB, DIW und WZB;) erstellt werden, dessen erstes Exemplar mittlerweile vorliegt (BMBF, 2001 vgl. auch Reinberg, Hummel, 2001).

Mit dem jüngst aufgelegten Aktionsprogramm „Lebensbegleitendes Lernen für alle„ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sollen darüber hinaus Forschungs-, Entwicklungs- und Erprobungsmaßnahmen des Bundes im Bereich lebensbegleitendes Lernen gebündelt, Innovationen und Konzepte zur Realisierung einer „lernenden Gesellschaft„ breiter und nachhaltiger umgesetzt werden. In diesem Rahmen wird insbesondere auch die Absicht betont, Chancenungleichheiten beim Zugang zu Weiterbildungsangeboten abbauen zu wollen.

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Als Förderkriterien für Innovationen werden genannt:

  • Bildungsbereichs- und trägerübergreifende Vernetzung auf regionaler und überregionaler Ebene;

  • Qualitätssicherung in transparenten und vergleichbaren Verfahren;

  • Zertifizierung bzw. Anerkennung von beruflich verwertbaren Qualifikationen und Kompetenzen, auch solchen, die in informellen Lernprozessen erworben werden;

  • Erhöhung der Transparenz der Angebote, Verbesserung der Information und Beratung, Motivation;

  • Förderung neuer Lehr- und Lernkulturen (z.B. informellen, selbstgesteuertes Lernen; Nutzung neuer Medien, Lernberatung und -begleitung);

  • Schaffung eines lernförderlichen Umfeldes für Menschen in speziellen Lebenslagen (z.B. Förderung der Bildungsbereitschaft, auch am Arbeitsplatz; Strategien zum Kompetenzerhalt bei Arbeitslosen);

  • Intensivierung des Austausches und der internationalen Zusammenarbeit, Förderung internationaler Kompetenzen.

Die Umsetzung der Innovationen soll mit Hilfe von Teilprogrammen und Projekten erfolgen, z.B. mit dem Programm „Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken„ und dem Forschungs- und Entwicklungsprogramm „Lernkultur Kompetenzentwicklung„.

Ein weiterer in den letzten Jahren gestarteter Versuch, zentrale Fragen der Bildungsentwicklung und Bildungsreform in Deutschland zu thematisieren, wird unter der Beteiligung von Vertretern des Bundes, der Länder, der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der Bildungsträger im Rahmen des „Forum Bildung„ unternommen. Ende diesen Jahres sollen die Aufgaben abgearbeitet sein und der Arbeitsstab, der bei der Geschäftsstelle der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung angesiedelt ist, sowie Arbeitsgruppen und Plenarrunden werden ihre Arbeit beendet haben. Bis dahin sollen nach den bereits vorliegenden Vorschlägen noch Empfehlungen zu den Bereichen Qualitätssicherung, Lernen – ein Leben lang und Lehr- und Lernkultur ausgearbeitet werden. In einem Abschlusskongress am 9. und 10.01.2002 werden dann Umsetzungsaspekte im Mittelpunkt stehen und es werden – laut Ankündigung – 60 innovative Bildungsprojekte präsentiert.

Eine grundlegende Reform der Bildungslandschaft, um lebenslanges Lernen zu institutionalisieren, hält auch der Sachverständigenrat bei der Hans-Böckler-Stiftung für erforderlich und empfiehlt ein neues Leitbild (Diskussionspapier 2, www.box2.boeckler.boxen.de/positionen/
posi.instit/art11/print.html) für das Bildungssystem. In diesen Empfehlungen wird ein neues (differenziertes) Verhältnis von Erstausbildung, Studium und Weiterbildung, sowie von individueller (stärker) und öffentlicher (Rahmenbedingungen) Verantwortung anvisiert. Im einzelnen wird empfohlen:

  • die Bildungszeiten den individuellen Wünschen und den konkreten Arbeitsmarkterfordernissen entsprechend über das gesamte aktive Berufs- und Arbeitsleben zu verteilen,

  • durch die Modularisierung des Bildungsangebots den einzelnen den schrittweisen Erwerb von individuell profilierten Qualifikationen zu ermöglichen und zugleich die Flexibilität des Berufsbildungssystems zu erhöhen,

  • eine Vielfalt von Lernorten (Bildungseinrichtungen, betriebliche Praxis, Medien) zu entwickeln und zu Lernnetzwerken zu verknüpfen, die die traditionellen Teilbereiche des Bildungssystems miteinander verbinden und übergreifen; die einzelnen sollen auf diese Weise mehr Freiheit erhalten, ihre Bildungswege zu gestalten,

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  • Dualität als Prinzip des Lernens im Sinne einer unterschiedlichen Akzentsetzung hinsichtlich Theorie und Praxis, Wissen und Können, an unterschiedlichen Lernorten in allen Teilbereichen zu ermöglichen,

  • auch Kompetenzen, die informell – im Prozeß der Arbeit, in Ehrenamt, in der Freizeit – erworben werden, zu zertifizieren und anzuerkennen.

Für die Umsetzung des neuen Leitbildes werden zudem Vorschläge für ein verändertes System der Bildungsfinanzierung entwickelt. Die große Bedeutung anzupassender Finanzierungsstrukturen (neues bargaining-Feld: timesharing, Finanzsplitting zwischen Unternehmen und Beschäftigten) an die Erfordernisse des lebenslangen Lernens wird von den Experten im Rahmen des Forum Bildung hervorgehoben.

Im Kontext lebenslangen Lernens erfahren aber speziell auch ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als Zielgruppe einen neuen beschäftigungspolitischen Stellenwert, der auf die Qualifizierungspolitik und -strukturen einen nachhaltigen Effekt ausüben könnte. Dafür spricht beispielsweise, dass im Rahmen des nationalen beschäftigungspolitischen Aktionsplans (BT-Ds 14/5513 v.08.03.01) die Entwicklung einer Politik zur Förderung des aktiven Alterns umgesetzt werden soll. Damit greift die Bundesregierung eine Vorgabe der EU auf, wie sie in den beschäftigungspolitischen Leitlinien für das Jahr 2001 gemacht wurde.

Bereits seit Anfang der 70er Jahre wurde die Forderung nach lebenslangem Lernen auch von der UNESCO (lifelong education); dem Europarat (education permanent) und der OECD (Recurrent Education) gestellt und 1997 ein europäisches Jahr des lebenslangen Lernens ausgerufen. Im Herbst 2000 brachte die Europäische Kommission ein „Memorandum über lebenslanges Lernen„ in Umlauf (Dokument SEK (2000) 1832; zum politischen Prozess bezüglich lebenslangen Lernens vgl. auch European Foundation, 2001), mit dem nationale Konsultationsprozesse zur Umsetzung dieses Vorhabens angestoßen werden sollten. In den beschäftigungspolitischen Leitlinien der EU für die Jahre 1999 und 2000 wurde die Zielgruppe der älteren Erwerbspersonen besonders hervorgehoben. Darin wurden die Mitgliedstaaten aufgefordert, eine Politik des „aktiven Alterns„ zu betreiben und Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit, zur Förderung lebensbegleitenden Lernens sowie andere flexible Arbeitsregelungen zu entwickeln. In dem schließlich auch angenommenen „Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über die Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Jahr 2001„ wurde die Forderung formuliert, dass positive Maßnahmen beschlossen werden sollen, um Arbeitsfähigkeit und Qualifikation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu erhalten, flexible Arbeitsmodelle einzuführen und Arbeitgeber für das Potential älterer Arbeitskräfte zu mobilisieren:

„Die Mitgliedsstaaten werden insbesondere positive Maßnahmen beschließen, die darauf abstellen, Arbeitsfähigkeit und Qualifikationen älterer Arbeitskräfte zu erhalten, nicht zuletzt auf einem wissensbasierten Arbeitsmarkt, insbesondere durch ausreichenden Zugang zur Bildung und Weiterbildung, sowie flexible Arbeitsmodelle, darunter beispielsweise Teilzeitarbeit, falls Arbeitnehmer sich dafür entscheiden, einzuführen (...). (Leitlinie 3).

Im beschäftigungspolitischen Aktionsplan der Bundesregierung werden als Umsetzung einer solchen Politik des aktiven Alterns folgende Maßnahmen benannt:

  • die Verbesserung des Altersteilzeitgesetzes seit Beginn des Jahres 2000, sowie

  • das Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (befristete Einstellung älterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen für die Altersgruppen ab dem 58. Lebensjahr, die einen besonders hohen Zugang in die Arbeitslosigkeit aufweisen),

  • die Anschubfinanzierung der beruflichen Weiterbildung Älterer in KMU,

  • die gesetzliche Verlängerung der Gewährung von Eingliederungszuschüsse für Ältere,

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  • die Einführung von job-rotation,

  • das von der Bundesregierung und den Vertretern der Unternehmen der IuK-Technologien beschlossene Sofortprogramm zur Deckung des IT-Fachkräftebedarfs in Deutschland, in dessen Rahmen von Wirtschaftsvertretern zugesichert wurde, ein Konzept für die innerbetriebliche Weiterbildung im Hinblick auf Internet-relevante Technologien zu entwickeln, das auch ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einbezieht.

Das erwähnte Spitzengespräch des Bündnisses für Arbeit vom März d. J. steht in diesem Kontext und für den Versuch, die Politik des aktiven Alterns mit einer gezielten Qualifizierungsoffensive für diese Problemgruppe zu verbinden.

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2.2 Entwicklung der Qualifikationsbedarfe

Neben der Einsicht in die Notwendigkeit lebenslangen Lernens und in die besonderen Anforderungen, die sich daraus für strukturelle Veränderungen im Bildungssystem und im Umgang mit älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ergeben, erfordert seine Umsetzung aber insbesondere auch eine differenzierte Kenntnis der Qualifizierungsbedarfe und ihrer -entwicklung.

Im Rahmen des vom Bündnis für Arbeit eingeforderten Qualifikationsstrukturberichtes werden – gestützt auf die Pilotstudie zur voraussichtlichen Entwicklung des Qualifkationsbedarfs in Westdeutschland (Schüssler u.a., 1999) und kohortenspezifische Bildungsverläufe und Qualifikationsstruktur mittels der Bildungsgesamtrechnung (Reinberg & Hummel, 2001) –diesbezüglich folgende Tendenzen herausgestellt:

  1. ein qualifikatorischer Strukturwandel,

  2. generelle Veränderungen der Tätigkeiten,

  3. ein Bildungsrückstand der nachfolgenden Geburtsjahrgänge.

(1) Insgesamt wird ein qualifikatorischer Strukturwandel konstatiert, d.h. ein genereller Anstieg qualifikatorischer Anforderungen, der dazu führt, dass in zunehmendem Maße einfache oder geringqualifizierte Tätigkeiten wegfallen. Dafür wird im wesentlichen der Globalisierungstrend in Verbindung mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt verantwortlich gesehen, in dessen Folge Einfacharbeitsplätze wegfallen. Verstärkte Qualifizierungsmaßnahmen werden jedoch als durchaus wirksame Maßnahmen betrachtet, die zu einer Verbesserung der Beschäftigungschancen auch für Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung oder Geringqualifizierte führen könnten (Reinberg & Hummel, 2001).

In der Folge dieses qualifikatorischen Strukturwandels

  • werden die größten Beschäftigungsprobleme bei Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung erwartet. Allein zwischen 1985 und 1995 ist der Anteil der Geringqualifizierten an der Gesamtbeschäftigung um über 8 Prozentpunkte zurückgegangen (1985: 25,3 %; 1995: 16,7 %). Bis zum Jahr 2010 könnte der Anteil nur noch bei 11,4 % liegen – ein Rückgang, der „Ungelernte„ knapp 1,5 Mio. Arbeitsplätze kosten könnte (Reinberg & Hummel, 2001),

  • werden Personen mit Lehr- und Fachschulabschluss nach diesen Schätzungen bis zum Jahr 2010 Beschäftigungsgewinne erzielen können (Anteil 1985: 64,4 %, 2010:71,6 %), wobei eine Verschiebung in Richtung Fachschulebene erwartet wird,

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  • steigt der Akademikerbedarf ebenfalls weiterhin (1985: 10,2 %; 2010: 17,0 %), allerdings stärker nach Fachhochschulabsolventen (+ 1,6 %) als nach Absolventen mit Universitätsausbildung (+ 1,3 %).

(2) Parallel zum qualifikatorischen Strukturwandel werden folgende Veränderungen der Tätigkeitslandschaft (2. IAB-Prognos-Studie vgl. Weidig u.a. 1999) festgestellt:

  • Größte Wachstumsdynamik der sekundären Dienstleistungstätigkeiten (Forschung, Entwicklung, Organisation und Management, Beraten, Betreuen, Lehren, Publizieren),

  • leichter Anstieg bei den primären Dienstleistungstätigkeiten (Handels- und Bürotätigkeiten sowie die allgemeinen Dienste wie Reinigen, Bewirten, Lagern, Transportieren, Sichern),

  • Beschäftigungsrückgang bei den produktionsorientierten Tätigkeiten wie Gewinnen und Herstellen, Maschinen einrichten und warten sowie Reparieren.

In Verbindung mit formalen Qualifikationen besteht folgendes Verhältnis: je höher das Wachstumspotenzial des Tätigkeitsfeldes, desto höher auch das Ausbildungsniveau der darin Beschäftigten. Geringqualifizierte sind hauptsächlich im rückläufigen Bereich der produktionsorientierten Tätigkeiten eingesetzt, Hochqualifizierte in expandierenden Tätigkeitsbereichen:

In diesem Zusammenhang ist es zudem bedeutsam, dass die Veränderung der Tätigkeitslandschaft in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem sektoralen Strukturwandel steht, vielmehr – wie eine Studie des DIW zeigt (Lichtblau, 1998) – ist der Trend zur Höherqualifizierung branchenübergreifend zu beobachten.

Mit der Zugehörigkeit der Tätigkeit zu unterschiedlichen Produktionsregimes können potentielle Dequalifizierungsrisiken Älterer somit noch verstärkt werden, wenn Ältere nicht in die speziellen Qualifizierungserfordernisse einbezogen werden: Neuere Untersuchungen (Frerichs, 1998) belegen, dass Qualifikationsrisiken keineswegs gleich verteilt sind. Sie sind vor allem hoch in Branchen und Betrieben mit tayloristischen Produktionsregimes insbesondere aufgrund des hier hohen Anteils an typischen Verschleißarbeitsplätzen und der geringen Bedeutung an Erfahrungswissen für Ältere. Demgegenüber bieten Branchen und Betriebe der diversifizierten Qualitätsproduktion, aber auch im Bereich der Qualitätsdienstleistung, vor allem aufgrund der Möglichkeit, Erfahrungswissen anzuwenden, und des hohen Anteils an manueller Facharbeit, sehr viel günstigere Beschäftigungsperspektiven. Allerdings entstehen hier durch die Zunahme psychischer Belastungsfaktoren im Zuge der Flexibilisierung von Arbeit neue Risiken. Branchen und Betriebe der innovativen Qualitätsproduktion verlangen demgegenüber hohe Anforderungen an Humanressourcen und Qualifikationen, denen ältere Arbeitnehmer nur gerecht werden können, wenn diese ständig gepflegt und aktualisiert werden. In diesem Zusammenhang ist der Erhalt Innovationsfähigkeit mit alternden Belegschaften ein eigenständiges Problem (vgl. dazu ausführlich Wachtler et al., 1997).

(3) Eine kohortenspezifische Betrachtung von Bildungsverläufen und Qualifikationsstrukturen (Reinberg & Hummel, 2001) erlaubt demgegenüber Aussagen über die Entwicklung von Qualifikationsstrukturen einzelner Geburtsjahrgänge.

Bereits die Daten der IAB-Bildungsgesamtrechnung von 1995 zeigten – Reinberg & Hummel 1991 - sowohl für die alten wie auch für die neuen Bundesländer, dass das formale berufliche Qualifikationsniveau der 30- bis 50-Jährigen ziemlich ähnlich ist. Ein Kohortenvergleich von Bildungsverläufen (Reinberg & Hummel, 2001) auf der Grundlage der Daten von 1998 lässt

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nunmehr sogar die Schlussfolgerung zu, dass die nachrückenden Geburtsjahrgänge sogar im Verhältnis zu den rentennahen Jahrgängen ein eher niedrigeres Qualifikationsniveau aufweisen, sodass im Zuge des demographischen Wandels mit einem Fachkräftemangel zu rechnen sein wird. Im Zuge der Bildungsexpansion konnten zwar auch die 50- bis 64-Jährigen ihre Ungelerntenanteile nachhaltig abbauen (1976: 49 %; 1998: 27%) und eine Zunahme der beruflich ausgebildeten Anteile verzeichnen, allerdings fiel der Ausbau des Akademikeranteils deutlich geringer aus als in den Altersgruppen, deren Ausbildungsphase in die Zeit der Bildungsexpansion fiel (1976: 5 %; 1998: 11 %). Im Vergleich zu der Gruppe der 35- bis 49-Jährigen liegen die Anteile der Ungelernten deutlich höher – 5 % - und der Anteil der auf der mittleren (Lehr- und Fachschulabschluss) bzw. auf der höchsten Qualifikationsstufe (Fachhochschul- und Universitätsabschluss) verorteten deutlich niedriger – um 7% bzw. um 11 %. Schätzungen für das Jahr 2003 lassen eine Stagnation des Abbaus der Ungelerntenbereich erkennen, sowie ein weiteres Auseinanderklaffen der 35- bis 49-Jährigen und der 50- bis 64-Jährigen im Bereich der mittleren und hohen Qualifikationsstufe.

Die altersspezifischen Qualifikationsentwicklungen spiegeln generell eine Stagnation der Bildungsexpansion mit Beginn der 90er Jahre wider, in deren Folge künftig ein eher geringeres Qualifikationsniveau der nachrückenden Geburtsjahrgänge erwartet wird. Das bedeutet, dass die heute noch mittleren und gut ausgebildeten Altersgruppen immer näher an das Rentenalter heranrücken und in den nächsten 10 bis 15 Jahren deshalb das Qualifikationsniveau der älteren Bevölkerungsteile zwangsläufig steigen wird. Es erscheint jedoch fraglich, ob die nachrückenden geburtenschwächereren Jahrgänge auf mittlere bis lange Sicht noch in der Lage sind, genügend qualifizierten Ersatz für die bis dahin immer besser qualifizierte, aber aus dem Erwerbsleben ausscheidende, ältere Bevölkerung zu schaffen.

Das im Vergleich zu den mittleren bis älteren Bevölkerungsteilen eher sinkende Bildungsniveau führen Reinberg und Hummel auf eine gewissen „Bildungsmüdigkeit„ der jetzt nachwachsenden Generationen zurück: in BiBB-Untersuchungen (Troltsch u.a., 1999) gaben ein Drittel von umgerechnet rund 1,3 Mio. jungen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren an, keine Ausbildung anzustreben. Stagnierende Studienanfängerzahlen werden in diesem Kontext ebenfalls als Ausdruck einer steigenden Bildungsmüdigkeit gewertet. Zudem wird die demographische Entwicklung die Alterung der qualifizierten Bevölkerungsteile noch verstärken, so schrumpft die Bevölkerung im Alter zwischen 15 bis 34 Jahren und wird bereits bis zum Jahr 2005 auf ein Niveau von unter 15 Mio. sinken. 2010 ist mit einem weiteren Rückgang zu rechnen.

Es ist jedoch zu bedenken zu geben, dass sich diese Annahmen und Einschätzungen auf das Niveau der Ausbildung bezieht und sich aufgrund der ebenfalls prognostizierten hohen Verfallsgeschwindigkeit von Wissen und der ebenfalls ansteigenden qualifikatorischen Anforderungen, damit noch nicht abschließend über die Passgenauigkeit der Ausgangsqualifikation mit den aktuellen oder künftigen Qualifikationsanforderungen geurteilt werden kann (vgl. dazu auch Barkholdt et al., 1995).

Für die Qualifizierungs- und Beschäftigungssituation der gegenwärtig (!) Älteren bedeuten diese Entwicklungstendenzen:

  1. Dass Ältere aufgrund ihres im Kohortenvergleich höheren Anteils an Nichtformal- und Geringqualifizierten eher in den nicht-expandierenden bzw. von Beschäftigungsrückgang betroffenen Bereichen Beschäftigung finden und zu den Verlierern des qualifikatorischen Struktur- und Tätigkeitswandels zu zählen sind, wenn nicht verstärkte Qualifizierungsanstrengungen unternommen werden,

  2. Dass das Nachrücken von Altersgruppen mit formal höheren formalen Ausbildungsabschlüssen gleichwohl Qualifizierungsanstrengungen erfordern, da Qualifikationen unter

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    den Bedingungen des technisch-organisatorischen Wandels im erwerbsbiographischen Verlauf schnell veralten.

  3. Dass die Strategie einer Weiterentwicklung betrieblichen Know-hows vor allem über die Externalisierung Älterer und die Einstellung von jungen, frisch ausgebildeten Berufsanfängern sichergestellt werden kann, an ihre (demographischen) Grenzen stoßen wird und die Erhaltung und Weiterentwicklung der beruflichen Kompetenz älterer Mitarbeiter stärker in den Vordergrund rücken muss.

    Insbesondere bezogen auf die Gruppe der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist davon auszugehen, dass sich die bereits in Kapitel 1 beschriebenen Beschäftigungs- und Qualifizierungsrisiken Älterer verschärfen, wenn angesichts der rapiden Veränderungen im Erwerbsbereich an dem geltenden status quo festgehalten wird:

    Vor dem Hintergrund dieser Veränderungen sind etwa fortbestehende altersselektive Qualifizierungsstrukturen fatal und verleihen den besonders Ältere betreffenden Risiken der Veraltung der einstmals erworbenen Ausgangsqualifikation, der Entwertung des Erfahrungswissens durch vollständig neue Produktionsverfahren und der betriebsspezifischen Einengung von Qualifikationen (sogenannte Disuse-These) ein noch stärkeres Gewicht. Dies zeigte sich bereits in der Vergangenheit als die Einführung von modernen Kommunikations- und Informationstechnologien im Büro- und Verwaltungsbereich zu erheblichen Beschäftigungsnachteilen für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer führte.

    Die vermuteten besseren bildungsmäßigen Voraussetzungen der nachrückenden Älteren können aber überhaupt auch nur dann zur Geltung kommen, wenn die bisherige Qualifizierungspolitik zum Nachteil Älterer überwunden wird. Mit Blick auf die erwähnte demographische Entwicklung müßte bereits heute damit begonnen werden, um die – sofern von den Nachwuchsjahrgängen tatsächlich mitgebracht - bildungsmäßigen Vorteile nicht versickern zu lassen bzw. um den für lebenslang praktizierte Fort- und Weiterbildung erforderlichen Gewohnheitseffekt zu erzielen oder Versäumnisse der Erstausbildung zu kompensieren (Naegele, 1994). Erfolgt eine derartige altersübergreifende Qualifizierungspolitik nicht, so werden sich mittelfristig die Betriebe unvorbereitet mit dem Erfordernis konfrontiert sehen, ihre Innovationsfähigkeit mit – auch qualifikatorisch – alternden Belegschaften aufrechterhalten zu müssen (vgl. dazu ausführlich Wachtler et al., 1997).

    Nach diesem kurzen Überblick über Tendenzen und Strukturen, die den Rahmen für die gegenwärtige Qualifizierungs- und Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abstecken, soll im folgenden ein vertiefender Blick auf die konkrete (vorrangig betriebliche) Qualifizierungssituation in Bezug auf Ältere vorgenommen werden.


    © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2002

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