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TEILDOKUMENT:


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Corinna Barkholdt
Die vergessene Ressource: Qualifizierung älterer Beschäftigter


Meinen Beitrag möchte ich zunächst mit ein paar kursorischen Ausführungen über die gegenwärtige Frühausgliederung Älterer aus dem Erwerbsleben einleiten, um dann die Gründe gegen eine Fortsetzung dieser Strategie anzuführen. Anstelle einer fortgesetzten Vergeudung der Ressource Älterer möchte ich anschließend für deren verstärkte Nutzung im Rahmen einer altersübergreifenden Qualifizierungsstrategie plädieren, deren arbeitsorganisatorischen und arbeitszeitlichen Komponenten ich benennen und abschließend mit politischen Gestaltungsforderungen verknüpfen werde.

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1. Bedeutung der Ressource Älterer (nicht nur) im demographischen und erwerbsstrukturellen Wandel

In der öffentlichen Wahrnehmung werden Ältere nach wie vor eher als „Alterslast" – Stichwort: Rentenfinanzierung - denn als Ressource betrachtet. Ihr wesentlicher Vorzug wird auf betrieblicher Ebene meist überwiegend darin gesehen, sie gegen jüngere, frisch Qualifizierte austauschen zu können. Diesen Schluss legen zumindest Dauer, Umfang und Struktur des seit nunmehr dreißig Jahren zu beobachtenden betrieblichen Frühverrentungsgeschehens nahe. Neben negativen Altersstereotypen, die sich darin niederschlagen, spielen dabei aber durchaus altersunabhängige Faktoren eine zentrale Rolle, die den besonderen Vorzug Älterer als personalpolitische Manövriermasse sehen lässt. So wiesen Rosenow und Naschold bereits Anfang der 90er Jahre nach, dass Ältere als personalpolitische Puffer für durchaus altersunabhängige betriebliche Problemlagen (Bewältigung von Strukturkrisen, Rationalisierungsfolgen etc.) genutzt wurden und werden.

In der Konsequenz fällt die Erwerbsquote zwischen den 55- bis 59-Jährigen hin zu den 60- bis 64-Jährigen stark ab. Bei den 60- bis 64-jährigen Männern (Gesamtdeutschland) pendelt sie seit Jahren um die 30 Prozentmarke und liegt gegenwärtig bei 31,3 %; bei den Frauen – von einem niedrigen

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Ausgangsniveau allmählich steigend - bei 12,8%. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in die Berechnung der Erwerbsquote auch die arbeitslosen Erwerbspersonen dieses Alters eingehen, so dass der tatsächliche Beschäftigungsstand noch deutlich niedriger ausfällt.

Gleichzeitig wächst die Arbeitslosigkeit in den höheren Altersgruppen. Die altersspezifische Arbeitslosenquote (Westdeutschland) der 60- bis 64-Jährigen ist von 15 % im Jahr 1991 auf 22 % im Jahr 1999 (ähnlich in der Altersgruppe der 55- bis 59-Jährigen: von 14% auf 23%) gestiegen. Da weiterhin die Aussichten, die Arbeitslosigkeit mit der Aufnahme einer Arbeit zu beenden, für Ältere besonders gering sind, sind Ältere zudem unter den Langzeitarbeitslosen deutlich überrepräsentiert. Während in Westdeutschland über die gesamten neunziger Jahre hinweg knapp zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen 45 Jahre und älter waren, ist der Anteil dieser Altersgruppe in Ostdeutschland sogar von 46 % im Jahre 1992 auf 60 % im Jahre 1999 gestiegen.

Nun unterstellen die Begriffe Ressource, Manövriermasse und Puffer und die angeführten Zahlen zur Beschäftigungssituation, Ältere spielten im Frühausgliederungsgeschehen lediglich eine passive Opferrolle. Das wäre jedoch verkürzt und unzutreffend. Zahlreiche empirische Untersuchungen belegen, dass Ältere das Frühverrentungsgeschehen aus den unterschiedlichsten Motivlagen heraus - nach dem Motto: je früher desto besser - mittragen:

  • sei es aufgrund finanzieller Anreize,

  • aus gesundheitlichen Gründen,

  • um aus belastend empfundenen Arbeitsbedingungen zu fliehen

  • und/oder um die über die Dauer des Erwerbslebens aufgeschobenen privaten Interessen und Bedürfnisse nachzuholen.

Warum also eigentlich das für die unterschiedlichen Akteure hochfunktionale Frühverrentungsgeschehen aufgeben? Warum nicht weitermachen wie bisher? Warum darauf verweisen, Ältere seien stärker als Ressource zu betrachten und zu nutzen, wenn diese es vielleicht selbst gar nicht wollen.

Dafür sprechen zunächst drei Gründe, die überwiegend aus der demographischen Entwicklung resultieren.

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  1. Die durch steigende Lebenserwartung und vorzeitigen Rentenbezug wachsenden Rentenbezugszeiträume sind durch die beitragsfinanzierte Altersvorsorge bekanntermaßen nicht auf existenzsicherndem Niveau finanzierbar. Auch andere Formen der Altersvorsorge ändern an diesem Finanzierungsdilemma nichts Grundsätzliches, sondern verteilen nur die Kosten anders. Im demographischen Wandel führt daher weder gesamtwirtschaftlich noch individuell der Weg an einer Ausweitung der Alterserwerbstätigkeit vorbei, um einerseits die Rentenbezugsdauer zu reduzieren und andererseits das Beitragsaufkommen zu maximieren.

  2. Das Festhalten an einer jugendzentrierten betrieblichen Personalpolitik verhindert angesichts dieser Notwendigkeit jedoch die rechtzeitige Berücksichtigung des Altersstrukturwandels der Belegschaften und der sich daraus ergebenden Anforderungen an zukunftsfähige Personalentwicklungs- und Qualifizierungsstrategien.

  3. Wenn das gesetzliche, durch Abschläge bei vorzeitiger Verrentung wieder verbindlicher gemachte Rentenalter aufgrund fortgesetzter betrieblicher Ausgliederungsstrategien faktisch nicht in Erwerbsarbeit erreicht werden kann, werden Armutsrisiken im Alter zunehmen.

Seitens der Beschäftigten, aber auch seitens der betrieblichen und politischen Akteure wird sich angesichts dieser Rahmenbedingungen die Attraktivität der Frühverrentungen verringern bzw. mittelfristig rächen, insbesondere die Versäumnisse im Bereich zukunftsfähiger Qualifizierungsstrategien. Schließlich steht und fällt die Ausweitung der Alterserwerbsarbeit und die Aufrechterhaltung der Innovationsfähigkeit der Wirtschaft mit insgesamt alternden Belegschaften mit der Frage der Qualifizierung der künftig älteren Beschäftigten.

Dafür sprechen – neben den demographischen Trends und gesamtwirtschaftlichen Implikationen - auch strukturelle Wandlungen im Erwerbssystem :

  1. Betriebliche Strukturen und Grenzen, welche die Arbeitszeit, den Arbeitsort und auch internationale Kooperationen betreffen, geraten immer mehr in Bewegung und werden neu definiert. Dies wirkt sich auch auf die individuelle Erwerbsbiographie aus. Arbeitskarrieren werden flexibler und auch unsteter, der Berufs- und nicht nur der

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    Betriebswechsel wird künftig ein regelmäßiges erwerbsbiographisches Element und keine Ausnahmeerscheinung mehr sein. Dies hat Konsequenzen für die Planung und Gestaltung der Erwerbsbiographie und die Konzeption zukunftsfähiger Qualifizierungsstrategien.

  2. Die Anforderungen an die Qualifikation der Erwerbstätigen steigen angesichts der zunehmenden Innovationsdynamik. Weiterbildung ist nicht mehr nur Voraussetzung für Karrieresprünge, sondern bereits für die bloße Aufrechterhaltung der Erwerbstätigkeit. Weiterbildungs- und Neuqualifizierungsphasen werden daher regelmäßig in die Erwerbsbiographie eingearbeitet werden müssen.

  3. Der Charakter der Arbeit wandelt sich, das Verhältnis von Arbeit und Leben, die Verteilungsfrage von Arbeit stellt sich unter veränderten Vorzeichen, nämlich nicht mehr nur zwischen einzelnen Beschäftigtengruppen oder zwischen diesen und Erwerbslosen, sondern auch in erwerbsbiographischer Perspektive: Weniger Lebensarbeitszeitvolumen muss über eine steigende Lebenszeit gestreckt werden, das bedeutet, dass auch unabhängig von der konkreten Ausübung einer Erwerbstätigkeit kontinuierliche Qualifizierungsprozesse stattfinden müssen.

Entgegen der offenkundig wachsenden Bedeutung zukunftsfähiger Qualifizierungsstrategien finden sich jedoch weder auf betrieblicher noch auf politischer Ebene diesbezüglich konsistente konzeptionelle Ansätze. Im Gegenteil: auf betrieblicher Seite wird – wie jüngste Forschungsergebnisse am Institut für Gerontologie zeigen - weiterhin auf einen Austausch älterer gegen jüngere Beschäftigte mit aktuellen Qualifikationen gesetzt, auf politischer Seite werden angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit kontraproduktive Signale – etwa mit der Altersteilzeit – gesetzt, die letztlich die mit den Heraufsetzungsbeschlüssen verbundene Intention, Frühverrentungen zu reduzieren, konterkarieren.

Demgegenüber soll im folgenden der Versuch unternommen werden, die groben Umrisse einer den künftigen Anforderungen vielleicht angemesseneren Strategie zu zeichnen: die „altersübergreifende Qualifizierungsstrategie".

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2. Dequalifizierungsrisiken Älterer und ihre strategische Bewältigung durch altersübergreifende Qualifizierung

Warum altersübergreifende und nicht altersspezifische Qualifizierungsstrategie? Schließlich scheinen doch die unzureichenden Qualifikationen Älterer der Grund für die arbeitsmarktpolitische Bevorzugung der Jüngeren und ihrer besseren Qualifikationen zu sein.

Tatsächlich findet sich kein empirischer Beleg für die sogenannte Defizit-Hypothese des Alterns, d.h. die Vermutung eines „natürlichen" altersbedingten Abbaus der Leistungsfähigkeit und -bereitschaft steht aus. Vielmehr zeigen zusammenfassende Analysen von Einzelfallstudien zur Produktivitätsentwicklung im Alter keinen oder nur einen geringen Zusammenhang zwischen dem Indikator Alter als solchem und Produktivität (Dittmann-Kohli & Heijden, 1996; Kohli 1996, Naegele 1992, Thomae und Lehr 1973).

Wie die Bildungsgesamtrechnung des IAB (Reinberg & Hummel 1999) außerdem belegt, ist auch das Argument von der im Vergleich zu jüngeren deutlich niedrigeren formalen Ausgangsqualifikation Älterer nicht stimmig. Sowohl für die alten wie auch für die neuen Bundesländer gilt, dass das formale berufliche Qualifikationsniveau der 30- bis 50-Jährigen (von 1995) ziemlich ähnlich ist. Erst die 55-Jährigen wiesen merklich höhere Anteile von Personen ohne beruflichen Ausbildungsabschluss bzw. niedrigere Anteile von Personen mit Hochschulabschluss als jüngere Kohorten auf (Koller & Plath, 2000).

Zeichnen sich Ältere dann durch eine besondere Weiterbildungsabstinenz aus?

Wie ein Vergleich der Teilnahmequoten der unterschiedlichen Altersgruppen an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung zeigt, ist innerhalb der Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen die Teilnahmequote zwar kontinuierlich gestiegen (1997: 20 %), sie ist aber tatsächlich weiterhin deutlich niedriger als die der jüngeren Altersgruppen (35- bis 49-Jährige: 36% und 19- bis 34-Jährige: 33%) (Berichtssystem Weiterbildung, Kuwan 1999).

Bei genauerer Betrachtung der für die Integration Älterer in Qualifizierungsprozesse maßgeblichen Faktoren wird jedoch deutlich, dass diese Weiterbildungsabstinenz kein Altersphänomen ist, sondern vielfach auf

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mangelnde Anreize zurückzuführen ist bis hin zu einer altersdiskriminierenden Zuteilung von Weiterbildungsofferten. Beides begründet sich sowohl aus der Sicht der Betriebe wie auch aus Sicht der Beschäftigten – zutreffend oder nicht – mit der parallel zur immer weiter sinkenden Lebensarbeitszeit ebenfalls sinkenden „Restnutzungszeit" dieser Humankapitalinvestition – wenn man diese Begrifflichkeit eines cost-benefit-modells heranziehen möchte. Werden betrieblicherseits Anstrengungen unternommen, die an derartigen Motivationsbarrieren ansetzen, zeigen eine Reihe betrieblicher Beispiele einen deutlichen Anstieg der Teilnahmebereitschaft (Bullinger et al. 1993).

Die – zumal unter den Bedingungen des konstanten Frühverrentungsgeschehens weiter sinkende – „Restnutzungszeit von Älteren" scheint zudem auch eine bessere Erklärung für die schwierige Rückvermittlung Älterer aus der Arbeitslosigkeit in Arbeit zu bieten als deren vermeintlich unzureichende altersbedingte Leistungsfähigkeit oder Qualifikation. Dafür sprechen etwa Daten der Arbeitsvermittlungsstatistik, denen zufolge auch qualifizierte Ältere ohne gesundheitliche Einschränkungen vergleichsweise geringe Aussichten auf Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt haben (1996/97 nur 28,4% der 55-jährigen und älteren Arbeitslosen).

Das Alter ist demnach kein Indikator für eine unzureichende Qualifikation oder ein Nachlassen der Leistungsfähigkeit oder -bereitschaft, wenngleich durchaus von einem altersspezifischen Leistungswandel gesprochen werden kann und Ältere verstärkt Dequalifizierungsrisiken ausgesetzt sind oder werden.

Diese Dequalifizierungsrisiken sind jedoch ebenfalls nicht naturgesetzlich oder altersspezifisch, wie ihre genauere Betrachtung zeigt:

Im einzelnen handelt es sich um folgende – überwiegend auf der betrieblichen Ebene angesiedelten – Faktoren, die eine Entwertung der vorhandenen Qualifikation bewirken können:

  • die betriebsspezifische Einengung oder Nicht- bzw. Fehlnutzung (Disuse-Effekt) der erworbenen Qualifikation,

  • verschleißende und/oder demotivierende Arbeitsbedingungen,

  • eine altersblinde Personalentwicklungspolitik,

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  • die Dynamik technologischer Entwicklung (Produkte, Produktionsverfahren etc.) mit ihren Konsequenzen für die Qualifikationspassung,

  • die unzureichende oder punktuelle Einbeziehung in oder Teilnahme an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung.

Bilanziert man diese Ausführungen zu Qualifikation und Dequalifikationsrisiken Älterer und spiegelt sie vor den eingangs angeführten Anforderungen des demographischen und arbeitsstrukturellen Wandels, so erscheint eine erst im höheren Erwachsenenalter ansetzende Qualifizierungsoffensive wenig effizient und angemessen.

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3. Komponenten einer altersübergreifenden Qualifizierungsstrategie

Was verbirgt sich demgegenüber hinter der „altersübergreifenden Qualifizierungsstrategie"?

Altersübergreifende Qualifizierung meint im Kern, dass Qualifizierungsprozesse systematisch in die gesamte Erwerbsbiographie einbezogen werden und sich nicht auf die Ausbildungsphase und jüngere Erwerbstätige konzentrieren dürfen.

Wie die Rückvermittlungsprobleme Älterer in den ersten Arbeitsmarkt zeigen, muss Ansatzpunkt eines angemessenen Konzepts zur produktiven Nutzung der Potentiale Älterer die Vermeidung von Ausgliederungen sein. Also:

  • Prävention statt Kompensation!

Das erfordert – unserer Meinung nach – in erster Linie die Schaffung geeigneter Voraussetzungen, um die Qualifikationen und die Qualifizierungsbereitschaft der Arbeitnehmer über die Lebensspanne hinweg erhalten zu können. Also:

  • Prävention durch altersübergreifende Qualifizierung (lebenslanges Lernen)

Schließlich sind angesichts der Dynamik technologischer Entwicklungen intergenerative Qualifikationsunterschiede von relativer Bedeutung: Auch die zunächst aktuelleren Qualifikationen der Jüngeren unterliegen der

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insgesamt wachsenden Verfallsgeschwindigkeit des Wissens. Arbeitsplätze, auf denen einmal erworbenes Wissen 20, 10 oder auch nur noch 8 Jahre vorhält, verschwinden zusehens, und das Wort von der „begrenzten Tätigkeitsdauer" (so etwa der Titel eines vom BMBF geförderten Verbundprojektes von 1996 bis 1998) erlebt demgegenüber Konjunktur.

Diese Dynamik steckt gleichzeitig auch den Rahmen für die – jüngst immer intensiver diskutierte - Kompensation von Qualifizierungslücken oder Dequalifizierungsprozessen durch den Zuwachs an Erfahrungswissen ab. Aufgrund langjähriger Berufserfahrung und besonderer Kenntnisse betriebsinterner Zusammenhänge können ältere Beschäftigte durchaus Produktivitätspotentiale jenseits einer aktuellen, fachspezifischen Qualifizierung aufweisen. Angesichts der im Zuge des technologisch-organisatorischen Wandels erfolgenden, z.T. völligen Neuorganisation der betrieblichen Abläufe, kann „Erfahrungswissen" jedoch u.U. auch durchaus hinderlich sein.

Gerade angesichts dieser hohen Verfallsgeschwindigkeit des Wissens – Schuman et al. sprachen 1990 (!) von 3 Jahren – kann bei der altersübergreifenden Qualifizierungsstrategie nicht von einem Qualifikationsbegriff ausgegangen werden, der sich eng funktionalistisch an die für die Erfüllung von gestellten Arbeitsaufgaben notwendigen Qualifikationen koppelt, sondern muss auf die Entwicklung langfristiger Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen gerichtet sein. D.h.:

  • Berufliche Weiterbildung muss als selbstverständlicher Bestandteil der Arbeitstätigkeit durch deren lernförderliche Gestaltung integriert werden;

  • arbeitsplatzbezogene Qualifizierungen müssen durch kontinuierliche berufliche Weiterbildung ergänzt werden.

In der Konsequenz beinhaltet altersübergreifende Qualifizierung somit drei Säulen:

  1. Die Integration von Qualifizierungsprozessen in die Arbeitsorganisation über lernförderliche Arbeitsprozesse und Arbeitsmittel sowie

  2. die Integration von Weiterbildungsphasen über die gesamte Zeitdauer der Erwerbstätigkeit durch geeignete Arbeitszeitmodelle.

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Den damit angesprochenen Gestaltungsanforderungen auf den Handlungsebenen Arbeitsorganisation und Arbeitszeit kann dabei nur durch eine

  1. integrative Personal- und Organisationsentwicklungsplanung

entsprochen werden.

Die arbeitsorganisatorischen Anforderungen im Rahmen einer altersübergreifenden Qualifizierungsstrategie können über eine unverzichtbare Förderung des präventiven Arbeits- und Gesundheitsschutzes hinaus mit folgenden Kernelementen aus der industriesoziologischen, arbeits- und alterspsychologischen Forschung abgeleitet werden:

  • Möglichkeit zum eigenständigen Zielsetzen und Entscheiden in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht;

  • Anforderungsvielfalt durch Aufgabenintegration und Aufgabenwechsel;

  • lernförderliche Gestaltung der Arbeitsmittel;

  • Gewährleistung von Kooperations- und Kommunikationsmöglichkeiten;

  • Partizipation bei der Gestaltung der Arbeitsorganisationssysteme.

Konkrete Bezüge zwischen Arbeitsorganisation und einer altersübergreifenden Qualifizierungsstrategie können beispielsweise gerade mit der Einführung neuer Produktions- und Arbeitsorganisationskonzepte hergestellt werden, wie die Beispiele Gruppenarbeit, das Konzept Lernen und Fertigen sowie Qualifizierung durch Arbeitsplatzwechsel zeigen.

Ohne auf die Details dieser Konzepte an dieser Stelle eingehen zu können, muss dabei grundsätzlich darauf hingewiesen werden, dass die genannten Beispiele weder Patentlösungen darstellen können und sollen, die für jede Betriebsgröße und für jede Branche oder jedes Produktionsregime gleichermaßen geeignet oder praktizierbar wären. Sie enthalten jedoch fruchtbare Ansätze, deren differenzierte Prüfung auf Eignung und Umsetzbarkeit im hier diskutierten Kontext lohnen würde.

Es sollen hier außerdem nicht die möglichen Folgebelastungen durch einen permanenten Qualifizierungsdruck verschwiegen werden. Das Risiko, durch entsprechende Qualifizierungskonzepte und arbeitsorganisatorische Maß-

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nahmen psycho-physische Belastungen durch eine erhöhte Umstellungsbereitschaft und Beschleunigung der Arbeitsprozesse zu erzeugen oder weiter zu verstärken, sollte in diesem Zusammenhang immer mitreflektiert werden.

Für die arbeitszeitlichen Anforderungen eines altersübergreifenden Qualifizierungskonzeptes bietet die fortschreitende Arbeitszeitflexibilisierung mit innovativen Arbeitszeitmodellen fruchtbare Anknüpfungspunkte.

Hier ließe sich an die Nutzung der Gestaltungsspielräume von Wahlarbeitszeit, Langzeitkonten, Jahresarbeitszeitmodellen etc. für ein planmäßiges Abwechseln von Arbeits- und Lernphasen über die gesamte Erwerbsbiographie hinweg denken, idealerweise im Rahmen einer Neuorganisation der Lebensarbeitszeit, die eine stärkere Verschmelzung von Erwerbs- und Bildungsverläufen zum Inhalt hat.

Vorstellbar wäre es darüber hinaus, die zeitlichen Spielräume innovativer Arbeitszeitmodelle für „rotierende" Qualifizierungsinitiativen zu nutzen, die unabhängig von aktuellen betrieblichen Bedarfen, aber auch individuellen Voraussetzung (wie etwa Alter), kontinuierliche, auch betriebsübergreifende Qualifizierungsinitiativen in die Arbeit integrieren und von subjektiven Voraussetzungen unabhängig gestalten. Damit könnte die selektive Zuteilung von Qualifizierungschancen vermieden werden.

Mit dieser Frage befassen sich schwerpunktmäßig eine Reihe von Forschungsarbeiten des Instituts für Gerontologie,

  • wie etwa das Verbundprojekt „Das Problem der begrenzten Tätigkeitsdauer und neue Arbeitszeitmodelle für ältere Arbeitnehmer" von ISO, ISIS, ZeS und IfG auseinander, das im Forschungsprogramm „Demographischer Wandel und die Zukunft der Erwerbsarbeit im Standort Deutschland" des BMBF 1996 bis 1998 gefördert wurde oder

  • gegenwärtig die im Rahmen von QUATRO in Kooperation mit AIQ durchgeführte Projekt TransAlt („Transfer altersintegrativer Modelle in den Betrieb„) und

  • das Beratungsprojekt „Lebensarbeitszeitgestaltung in der Altenpflege: Ein Beratungsprojekt zum Transfer altersgerechter Personalentwicklung„.

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4. Ausblick

Grundsätzlich fordert eine altersübergreifende Qualifizierungsstrategie die Betriebe in ganz besonderer Weise. Dabei müssen nicht nur die Masse der Klein- und Mittelbetriebe – sie beschäftigten in Deutschland die Mehrheit der älteren Arbeitnehmer – besondere Unterstützung erhalten (z.B. durch Weiterbildungsberater, finanzielle Förderung, Organisation überbetrieblicher Weiterbildung). Im Grundsatz gilt dies auch für die Großbetriebe, um ihre selektive berufliche Weiterbildungspraxis zu überwinden. Da ein Eigeninteresse der Betriebe nicht zuletzt aufgrund der Kurzfristigkeit ihrer „Personalplanung" nicht per se erwartet werden kann, ergeben sich zwangsläufig neue Herausforderungen an die gewerkschaftliche Tarifpolitik ebenso wie neue Gestaltungsaufgaben für den Staat.

Die kürzlich im Bündnis für Arbeit thematisierte Möglichkeit, das Potential von Lebensarbeitszeitkonten für Weiterbildung zu erschließen, halte ich in diesem Zusammenhang für eine interessante Option (vgl. den Beitrag von Hartmut Seifert).

Grundsätzlich sollte deutlich geworden sein, dass arbeitsorganisatorische und arbeitszeitliche Gestaltungsansätze im Rahmen einer altersübergreifenden Qualifizierungsstrategie einen wesentlichen Beitrag zur Förderung der Beschäftigungsaussichten älterer Arbeitnehmer von heute und morgen leisten können. Schließlich gibt es zur Nutzung dieser vergessenen Ressource keine Alternative, wenn die zukünftigen Herausforderungen des demographischen und erwerbsstrukturellen Wandels bewältigt werden müssen.

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Literatur

Dittmann-Kohli, F. & Heijden, B. van der (1996): Leistungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer – interne und externe Einflussfaktoren. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 29, S. 323 – 327.

Kohli, M. (1996): Arbeitsmarktperspektiven und Tätigkeitsformen der Älteren in einer alternden Gesellschaft. In J. Behrens & W. Voges (Hrsg.), Kritische Übergänge – Statuspassagen und sozialpolitische Institutionalisierungen (S. 349 – 376). Frankfurt/Main, New York: Campus.

Koller, B. & Plath, H.-E. (2000): Qualifikation und Qualifizierung älterer Arbeitnehmer. MittAB 1.

Naegele, G. (1992): Zwischen Arbeit und Rente. Gesellschaftliche Chancen und Risiken älterer Arbeitnehmer. Augsburg: Maro.

Naegele, G. (1995): Strategies to recruit older unemployed workers in Germany. III European congress of Gerontology. Invited Session on Ageing and Deployment. Amsterdam, September 1995. Dortmund: Vervielfältigung.

Reinberg, A. & Hummel, M. (1999): Bildung und Beschäftigung im vereinten Deutschland. Beitr.AB 226. Nürnberg.

Thomae, H. & Lehr, U. (1973): Berufliche Leistungsfähigkeit im mittleren und höheren Erwachsenenalter. Göttingen: Schwartz & Co.


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