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[Seite der Druckausg.: 18 (Fortsetzung)]


4 Leistungsvermögen älterer Beschäftigter: Gerontologische Forschungsergebnisse zum Arbeitskräftepotential alternder und alter Menschen

Will man das Leistungs- und Qualifikationsvermögen von älteren Menschen im Hinblick auf die für die Zukunft prognostizierte notwendige Innovationsfunktion älterer Belegschaften in den Betrieben beurteilen, so läßt sich mittlerweile auf eine recht gut dokumentierte gerontologische Forschung zur körperlichen und kognitiven Entwicklung älterer Menschen zurückgreifen. [vgl. z.B. Neumann 1994, Lehr 1990, Olbrich 1990]
In den letzten Jahren und Jahrzehnten beschäftigte sich die gerontologische Forschung verstärkt mit perspektivisch anders orientierten Forschungsmethoden [vgl. Neumann 1994: S. 69] zur Erforschung der Leistungspotentiale alternder und alter Menschen. Nicht zuletzt ging es wohl auch darum, das vorherrschende Defizit-Modell des Alters mit seinen ungerecht erscheinenden einseitigen Negativ-Zuschreibungen zu korrigieren.

Im Rahmen der Fragestellung nach Alter und Innovationsfähigkeit ist es an dieser Stelle nun bedeutsam, nach den faktischen Möglichkeiten von Leistungserbringung und Qualifizierungsprozessen zu fragen. Beides, Leistung sowie Qualifikation, ist an die körperlichen sowie kognitiven Grundlagen und Voraussetzungen des alternden menschlichen Organismus gebunden. Hier müssen die notwendigen Bedingungen gegeben sein, wenn die zukünftige betriebliche Innovationsfähigkeit auf älteren Belegschaften aufbauen soll.

Im Folgenden wird somit in aller Kürze der neuere Forschungsstand sowie die sich daraus ergebende Wende in der Leistungsbeurteilung älterer Menschen zu dokumentieren sein.

Hat man früher, ganz im Sinne des Defizit-Modells, die These vertreten, „daß bei den Arbeitnehmern allgemein mit fortschreitendem Lebensalter ein Qualifikationsabbau und ein Leistungsabfall verbunden" ist, so vertritt man heute „vielfach die These vom Qualifikationswandel mit zunehmendem Lebensalter" (Gaugler o.J.: S. 2). Neben dem Wechsel der Perspektive von Qualifikationsabbau zu Qualifikationswandel ist bezüglich einiger Faktoren sogar von Qualifikationszunahmen mit dem Alter die Rede. [Dies bezieht sich z.B. auf die maximale Intelligenz im Bereich der kristallinen Intelligenz; vgl. dazu Olbrich 1990: S. 138f. sowie weiter unten im Text.]

Dieser Perspektivenwechsel ist fundiert in einem neuen gerontologischen Theoriemodell. Als Ergebnis vergangener und Basis neuer Untersuchungen geht dieses Theoriemodell von einer differenzierten Sichtweise des Alterns und Alters aus. Entscheidend dabei ist, daß nicht mehr alle Altersentwicklungen aller Menschen unter der einen Dimension des Abbaus und Verfalls gesehen werden, sondern man von einer Differenzierung nach 1) Unterschieden zwischen den einzelnen Individuen (interindividuelle Variabilität von Alternsverläufen), 2) nach Unterschieden von Alterungsprozessen verschiedener Organe und Funktionen innerhalb eines Individuums (intraindividuelle Variabilität bzw. Multidirektionalität von Alterungsprozessen) und 3) nach

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Unterschieden in der körperlichen und kognitiven Entwicklung (Plastizität des Verhaltens, d.h. Modifizierbarkeit bzw. Änderungsfähigkeit im Lernverhalten) ausgeht. [vgl. Neumann 1994: S. 68f.]

Kurz zusammengefaßt besagt dieses Modell, daß jeder zu einem anderen Zeitpunkt und in anderer Weise altert (1), daß jeder andersgelagerte Alterungsprozesse mit Zu- und Abnahmen bestimmter Funktionen verläuft (2) und jeder innerhalb seines Alterungsprozesses durchaus noch die Fähigkeit der Verhaltensänderung (3) besitzt. Entscheidend wirkt zudem die jeweilige Biographie auf den Beginn und die Art des Alterungsprozesses ein. [vgl. Neumann 1994: S. 72]
Ungünstige Lebensumstände (z.B. schlechte Gesundheitsvorsorge, harte und unausgeglichene Arbeit, Streß, finanzielle Nöte etc.) wirken sich dabei natürlich negativ auf die Altersentwicklung aus.

Mittels eines solchen differenzierten Modells gelangte die gerontologische Forschung zu empirischen Befunden, die für die hier behandelte Thematik der Innovationsfähigkeit älterer Belegschaften von zentraler Bedeutung sind. Nur die wichtigsten Befunde sollen hier nach körperlicher und kognitiver Entwicklung unterteilt exemplarisch angesprochen werden.

Körperliche Entwicklung:

Der menschliche Organismus, d.h. Knochen, Muskelstärke und Muskelleistung, Lungen und Herz-Kreislaufsystem, unterliegt grundsätzlich alters- und gebrauchsbedingter (d.h. vielmals durch Arbeit bedingter) Abnutzung, kann aber, und dies ist die entscheidende neue Erkenntnis, über präventive und ausgleichende Trainings- und Übungstätigkeiten auf dem Leistungsniveau von jüngeren Menschen - und z.T. sogar auf Spitzenniveau - gehalten werden. Diese Möglichkeit der Leistungserhaltung begründet sich u.a. durch die körpereigenen „Reparatur- und Kompensationsmechanismen" (Neumann 1994: S. 76) zur Aufrechterhaltung der Überlebensfunktionen. Jedoch revidiert Training das Altern nicht, „hält aber schädigende Einflüsse auf kritische Funktionssysteme auf" (Neumann 1994: S. 76). Auch hier spielen die Faktoren der persönlichen Biographie und des Lebensstils eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung der körperlichen Funktionen. [vgl. zur körperlichen Entwicklung ausführlich Neumann 1994: S. 70-77 sowie auch Lehr 1990: S. 110f.]

Zusammenfassend kann man zur körperlichen Entwicklung im Alter somit feststellen, daß nicht notwendigerweise ein kontinuierlicher und unaufhaltsamer Verfall einsetzt, der letztlich in der Unbrauchbarkeit der Arbeitskraft älterer Menschen mündet.

Kognitive Entwicklung:

Die kognitive Entwicklung älterer Menschen wird im Vergleich zur körperlichen Entwicklung weitaus differenzierter und vielschichtiger gesehen. Dabei wird unterschieden in die Teilbereiche Psychomotorik, Intelligenz, Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Lernen sowie Motivation und Flexibilität.

Befunde aus der Psychomotorik, welche die Reaktionsgeschwindigkeit der Gliedmaßen auf Umweltreize, d.h. die Umsetzung von z.B. arbeitsorganisatorischen Anforderungen in Handlungen, untersucht, belegen, daß es zwar altersbedingte Unterschiede, aber auch alterskonstante Reaktionsmuster gibt. So stellte sich z.B. heraus, daß bei einfachen Reaktionsanforderungen die Reaktionszeiten über das Alter hinweg nicht variieren, dies jedoch bei komplexen Aufgabenanforderungen mit entsprechenden komplexen Bewegungsabläufen der Fall ist. Betrachtet man dagegen die Reaktionsgeschwindigkeit bei verbalen Äußerungen auf einen Reiz (z.B. Antworten

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geben), so sind keine altersbedingten Unterschiede in der Reaktionsgeschwindigkeit festzustellen. [vgl. Neumann 1994: S. 77-78]

Auch hier läßt sich somit ein differenzierteres Muster des Alterns erkennen; lediglich bei der Umsetzung von komplexen Anforderungen in komplexe Bewegungsabläufe der Gliedmaßen (z.B. Bedienen von vielen Hebeln und Knöpfen einer Maschine unter Zeitdruck) sind die Älteren langsamer, ansonsten zeigt sich ein gleiches Reaktionsverhalten.

Bemerkenswerte und für die hier untersuchte Fragestellung der Innovationsfähigkeit mit älteren Beschäftigten weitreichende Ergebnisse hat die gerontologische Forschung zur Intelligenzentwicklung im Alter geliefert. Zugrundegelegt wird von den meisten Forschern die „2-Faktoren- Theorie kristallisierter und fluider Intelligenz" (Neumann 1994: S. 78). Diese besagt, daß die Intelligenz aus zwei zentralen Dimensionen besteht: zum ersten aus der kristallinen Intelligenz, was die Pragmatik des Denkens, d.h. Denkinhalte, Kulturwissen und Intelligenz als Wissenssystem bezeichnet, und zum zweiten aus der fluiden Intelligenz, was die Mechanik, d.h. Verarbeitungsgeschwindigkeit und Intelligenz als kognitive Basisoperationen bezeichnet. Einfacher formuliert läßt sich sagen, daß die fluide Intelligenz für die Geschwindigkeit des Denkens, Lernens, Problemlösens etc. verantwortlich ist und die kristalline Intelligenz das Arsenal des bisher angesammelten und erlernten Wissens darstellt.

Entscheidend ist nun, daß sich beide Intelligenzdimensionen im Laufe des Alters unterschiedlich entwickeln. Während die fluide Intelligenz, also die Mechanik des Denkens, mit dem Alter abnimmt, d.h. das Denken allgemein langsamer wird, bleibt die kristalline Intelligenz, also die Pragmatik des Denkens, weitgehend konstant oder gewinnt sogar noch an Kapazität. Die Sprachkompetenz, die soziale Intelligenz oder auch das berufliche Wissen, um nur einige Beispiele zu nennen, nehmen somit im Laufe des Alters nicht ab, sondern können sogar noch einige Steigerungsgrade zulegen. [vgl. Neumann 1994: S. 78-83]

Diametral entgegen die Implikationen des alten Defizit-Modells spricht die Literatur sogar davon, daß „wir die maximale Intelligenz heute im Bereich der kristallinen Fähigkeiten erst im 4. und 5. Lebensjahrzehnt" (Olbrich 1990: S. 138f.) messen. [vgl. auch Lehr 1990: S. 112f.] Dieses Phänomen der späten Intelligenzmaxima der kristallinen Intelligenz wird innerhalb eines sozialhistorisch bedingten Entwicklungskomplexes gesehen. Aufgrund der verbesserten Lebensbedingungen (Bildungssystem, Medien, Reisen, sozial-kulturelle und technologische Veränderungen), so wird argumentiert, kommt es zu einer Verlagerung des Intelligenzmaximums.

Darüber hinaus wird berichtet, daß bei den Generationen von heute - gegenüber den Generationen von z.B. vor 50 oder 70 Jahren - grundsätzlich eine durchschnittlich höhere Intelligenz und ein durchschnittlich späterer Abfall der Intelligenzleistungen festzustellen ist (sogenannte kohortenspezifische Intelligenzentwicklung). [vgl. Olbrich 1990: S. 139]

Die Intelligenzentwicklung im Alter ist darüber hinaus wiederum von der persönlichen Biographie, z.B. den Bildungsvoraussetzungen und den Berufsanforderungen sowie von Gesundheit und persönlichen Motivationen beeinflußt. Auch ist die Intelligenzentwicklung im Alter (z.B. die Lernfähigkeit) wiederum durch Training soweit verbesserbar, daß in einigen Funktionen Unterschiede zu den Jüngeren in längerer oder kürzerer Zeit teilweise oder völlig aufgehoben werden können. [vgl. Neumann 1994: S. 83]

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Aus diesen Befunden der Intelligenzentwicklung im Alter ist festzuhalten, daß zwar die Denk-, Verarbeitungs- und Informationsgeschwindigkeit (fluide Intelligenz) abnimmt, dafür jedoch die Wissensbestandteile (kristalline Intelligenz) konstant bleiben oder sogar zunehmen.

Die Bedeutsamkeit der stetigen und steigenden kristallinen Intelligenz für die Innovationsfähigkeit mit älteren Belegschaften wird noch deutlicher, wenn man den Lernprozeß im höheren Lebensalter berücksichtigt. So wird z.B. berichtet, daß Lernen zwar aufgrund fehlender Übung im Alter ungewohnter oder auch ineffizienter sein kann, was sich aber durch Training kompensieren läßt, man jedoch davon ausgehen muß, daß das Gelernte „differenzierter in eine durch individuelle Erfahrung entwickelte kognitive Struktur eingebunden" wird. „Lernen im Erwachsenenalter," so heißt es weiter, setzt ein „individuelles Anknüpfen an Sinnzusammenhänge" voraus. „In der Regel wird neues Wissen in komplexe, ganzheitliche Sinnzusammenhänge eingebettet; eine extreme Spezialisierung des Lernens ist bei Erwachsenen selten zu beobachten" (Olbrich 1990: S. 137f.).

Hierin und in der daraus resultierenden Konsequenz für den Umgang mit kontextuellem Wissen liegt wohl auch die weiter oben beschriebene Tatsache begründet, daß die Besetzung der wichtigen Führungs- und Kontrollfunktionen, welche ja genau diese Qualität der Übersicht verlangen, in den Betrieben durch ältere Mitarbeiter erfolgt.

Betont wird allerdings immer wieder im Zusammenhang von Alter und Intelligenz, daß die Lernbedingungen und -fähigkeiten älterer Menschen andere sind als die von jüngeren und somit lerngewohnten Menschen. Besonders die Lerngeschwindigkeit läßt nach, was aus den Erkenntnissen über die fluide Intelligenz im Alter notwendig folgt. Die „weniger günstigen Lernstrategien" (Neumann 1994: S. 85) Älterer resultieren neben dem Verlernen von Lernen auch aus gesundheitlichen, ausbildungs- und berufsbiographischen Gründen. Allerdings hat man auch hier wiederum festgestellt, daß die altersspezifisch und biographisch bedingten ungünstigeren Lernbedingungen „durch Training jedoch optimiert werden können" (Neumann 1994: S. 85). Auch sind Lernmodelle zur Kompensation bestehender Lerndefizite denkbar, die den erhöhten Zeit- und Kontextbedingungen des Lernens alter Menschen gerecht werden. [vgl. Olbrich 1990: S. 138, Neumann 1994: S. 85ff. ]
Im weiter unten zu behandelnden Kapitel zur Weiterbildung älterer Beschäftigter wird auf diesen Punkt noch ausführlicher einzugehen sein.

Des weiteren hat sich die gerontologische Forschung mit dem Thema der Aufmerksamkeitsleistung beschäftigt. Die wichtigsten Befunde sind hier, daß im visuellen Bereich keine, jedoch im auditiven Bereich erhebliche Unterschiede im Aufmerksamkeitsverhalten bestehen. Weiterhin ist die Fähigkeit der Daueraufmerksamkeit bei den Älteren geringer, während kurze Aufmerksamkeitsspannen altersspezifisch nicht variieren. Allerdings bedeuten diese Ergebnisse nicht, daß es einen „alterskorrelierten Abbau der Vigilanz (Wachheit)" (Neumann 1994: S. 85) gibt. Vielmehr ist hier auch von einem interindividuellen Variabilitätsmuster auszugehen.

Interessant sind auch die Befunde zur Motivation, Leistungsbereitschaft und Flexibilität älterer Menschen. Ebensowenig wie bei den anderen Dimensionen des Alters kann hier von einem unwiederruflichen Abbau und Verfall ausgegangen werden. Vielmehr sind die genannten Eigenschaften den Befunden nach über die Lebenszeit hinweg konstant und hängen anstatt mit dem Alter mit den spezifischen Persönlichkeitsmerkmalen jedes einzelnen zusammen. [vgl. Neumann 1994: S. 89-91]

Darüber hinaus ist bei diesen Merkmalen ein Trend festzustellen, der auch schon bei der Intelligenzentwicklung konstatiert wurde: Flexibilität (des Verhaltens, der Einstellungen), Rigidität und die Flüssigkeit von Assoziationen sind kohortenspezifisch. Die jüngeren Generationen erwei-

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sen sich gegenüber den älteren Generationen als wesentlich flexibler. [vgl. Olbrich 1990: S. 140f.] Zu erklären wäre dieser Befund sicherlich wiederum über die veränderten Lebensbedingungen innerhalb eines sich wandelnden sozio-kulturellen Lebensraumes.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß die Implikationen des Defizit-Modells unzutreffend sind. Die neuere gerontologische Forschung belegt recht gut, daß es zwar Alterungsprozesse in allen Funktionen des menschlichen Körpers gibt, die aber jedoch nicht gleichbedeutend mit Abbau und Verfall sind. Vielmehr können bestimmte Leistungsfunktionen aufrechterhalten oder sogar gesteigert werden. Wegzuleugnen ist allerdings auch nicht die Tatsache, daß wenige Funktionen, so z.B. das Hören, mit dem Alter abnehmen.

Von besonderer Relevanz ist die differenzierte Betrachtungsweise der jeweiligen Funktionen des Organismus sowie der einzelnen Individuen. Diese Perspektive verbietet die Aufrechterhaltung eines negativ konnotierten Defizit-Modells des Alters. Andererseits sieht sich das Defizit-Modell auch von den Befunden zur kohortenspezifischen Entwicklung in seiner Berechtigung bedroht. Die heutigen 50jährigen sind eben nicht mehr mit den 50jährigen von 1910, 1920 usw. in einen Topf zu werfen. Nicht nur die gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern auch die notwendig daran gekoppelten individuellen Lebensverhältnisse der Menschen ändern sich.

Auf der Basis solcher Befunde zur Leistungsfähigkeit älterer Beschäftigter läßt sich die Frage nach Innovationsfähigkeit mit alternden Belegschaften anders stellen, als dies wohl noch vor 30 Jahren möglich gewesen wäre. Deutlich wird hier die Tatsache, daß der alternde und alte Mensch genauso wie die Jüngeren über ein, wenn zum Teil auch gewandeltes, allgemeines Potential von Leistungs- und Qualifikationsmerkmalen verfügt. Eine arbeitskraftspezifisch begründete Ausgliederung der Älteren aus dem Arbeits- und Produktionsprozeß scheint nur noch schwierig mit den Argumenten von verminderter Leistung zu begründen zu sein.

Die Befunde der gerontologischen Forschung dürfen nun aber nicht dahingehend verstanden werden, daß es faktisch keine arbeitsbedingten Verschleiß- und Abnutzungserscheinungen älterer Menschen gibt. Die zentrale Prämisse der oben wiedergegebenen Forschungsergebnisse besteht ja darin, daß Verschleiß- und Abnutzungserscheinungen mit Verfallscharakter bei spezifischen Funktionen eben dann nicht eintreten, wenn präventiv und kontinuierlich auf Ausgleich, Kompensation, Training und Übung bezüglich der kritischen Funktionen geachtet wird. Da dem aber gegenwärtig in der Arbeitspraxis kaum so ist, sind tatsächlich Abnutzungs- und Verfallserscheinungen zu beobachten. Diese entstehen demnach aber nicht aus der Anlage des menschlichen Organismus selbst, sondern aus den spezifischen Bedingungen, unter denen Arbeit verrichtet werden muß.

So haben die gerontologischen Untersuchungen gezeigt, „daß typische Leistungsprobleme älterer Arbeitnehmer nicht etwa Ausdruck eines biologischen Determinismus im Sinne von altersbedingten Abbauprozessen sind, sondern in weiten Bereichen Ausdruck und Ergebnis eines Prozesses der konkreten Humankapitalnutzung in der Arbeit" (Naegele 1994, 329). [vgl. auch Barkholdt et al. 1995: S. 428]
In Hinblick auf die Intelligenz- bzw. Lernfähigkeitsentwicklung älterer Beschäftigter heißt dies z.B., daß „das Verlernen von Lernfähigkeit .. generell ... nicht als Alters-, sondern als Fehlnutzungsergebnis anzusehen [ist], d.h. es ist u.a. Ergebnis einer Arbeitsbiographie mit fehlenden kontinuierlichen arbeitsbezogenen Lernanforderungen und Lernangeboten" (Barkholdt et al. 1995: S. 428).

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Will man die betriebliche Innovationsfähigkeit in Zukunft mit älteren Beschäftigten aufrechterhalten, so ist nach dem hier Dargestellten konsequenterweise eine grundlegende Veränderung in der konkreten Arbeitskraftnutzung des alternden und alten Menschen notwendig. Nicht Raubbau an der Arbeitskraft des einzelnen, sondern nur der schonende Erhalt des Humankapitals kann eine gewünschte Leistungsfähigkeit bis ins hohe Alter hinein ermöglichen. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis werden verschiedene Konzepte zur Thematik von Alter und betrieblicher Zukunft angedacht.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000

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