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[Seite der Druckausg.: 23(Fortsetzung) ]


5 Weiterbildung und Qualifikation älterer Beschäftigter und Anforderungen an die betriebliche Personalpolitik

Im folgenden Kapitel wird die Diskussion um die notwendig werdenden Qualifizierungs- und Weiterbildungsprozesse bezüglich älterer Beschäftigter dokumentiert. Thematisiert wird die Entwicklung und Umsetzung spezifischer Weiterbildungsmaßnahmen und -konzepte sowie die sich daraus ergebenden Anforderungen an die betriebliche Personalpolitik. Ergänzt werden die Ausführungen durch kritische Reflexionen, um Problembereiche und Realisierungshemmnisse der Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie -konzepte aufzuzeigen.

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5.1 Bisherige Weiterbildungspraxis der älteren Beschäftigten

Ein erster Blick auf die bisherige berufliche Weiterbildungspraxis zeigt, wie restriktiv die betriebliche Weiterbildung der älteren Beschäftigten betrieben wurde und wird.

Allgemein wird konstatiert, „daß bei Qualifizierungsmaßnahmen eine Selektion der Mitarbeiter stattfindet, die als problembehaftet geltende Arbeitnehmergruppen, wie z.B. Ältere ... ausschließt" (Langhoff/Israel 1993: S. 89), sowie daß „Weiterbildungskonzepte, die den besonderen Bedürfnissen Älterer entgegenkommen, ... kaum entwickelt und realisiert" werden. Zudem ist „die Beteiligung älterer Arbeitnehmer an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung .. nach wie vor deutlich geringer als die der Jüngeren. Dies gilt sowohl für Beschäftigte wie für Arbeitslose" (Severing 1993: S. 18).

Erhebungen belegen, daß zwar insgesamt der Anteil Älterer (50-64 Jahre) an allgemeiner sowie beruflicher Weiterbildung im Zeitraum von 1979-1994 angestiegen ist, jedoch dieser Anteil gegenüber anderen Altersklassen (19-34 Jahre und 35-49 Jahre) wesentlich niedriger ausfällt. So haben an beruflicher Weiterbildung 1994 in den Altersklassen 19-34 Jahre 27% und in der Klasse von 35-49 Jahre 29% teilgenommen. Die Gruppe der 50-64jährigen nahm dagegen nur zu 14% an beruflicher Weiterbildung teil. Darüber hinaus liegt auch das Weiterbildungsvolumen, also die 1994 für betriebliche Weiterbildung aufgewendete Zeit, bei der Altersklasse der 50-64jährigen mit 10% deutlich unter dem der anderen Altersklassen (19-34Jahre 55%, 35-49 Jahre 36%) [vgl. Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie 1996: S. 111-119]

Charakterisiert wird die bisherige Weiterbildungspraxis älterer Beschäftigter weiterhin dadurch, daß die Qualifizierungsmaßnahmen für die spezifische Arbeitsmarktsituation der Älteren meist zu lange dauern (bis zu drei Jahren), dabei vorhandenes Erfahrungswissen i.d.R. nicht verwertet wird und die „Mehrzahl der älteren Teilnehmer .. nach der Umschulung in die Arbeitslosigkeit oder den Rentenstand entlassen" (Severing 1993: S. 20) wird (Parkmöglichkeit bis zur Rente).

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Werden jedoch ältere Mitarbeiter in die betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen miteinbezogen, dann im Allgemeinen nur, „wenn sich die Qualifizierungsmaßnahmen auf die gesamte Belegschaft beziehen, wenn der Qualifizierungsanspruch vergleichsweise gering ist und wenn es sich um noch relativ 'junge' ältere Mitarbeiter handelt" (Barkholdt et al. 1995: S. 427). Dabei kann es aber zu dem Problem kommen, daß ältere Beschäftigte „in ihrer Qualifizierung gegenüber anderen Mitarbeitergruppen dadurch benachteiligt [werden], daß Betriebe die spezifischen Qualifizierungsbedürfnisse und Lernvoraussetzungen älterer Arbeitnehmer nicht ausreichend berücksichtigen" (Fritsch 1996: S. 130). Hierin zeigt sich, daß die Erkenntnisse der gerontologischen Forschung noch nicht in die betriebliche Weiterbildungspraxis vorgedrungen sind.

Einhellig wird festgestellt, daß die Weiterbildung älterer Beschäftigter, sofern sie stattfindet, überwiegend im Bereich der Anpassungsfortbildung erfolgt. „Wo betriebliche Weiterbildung für Mitarbeiter über 45 stattfindet, dient sie meist der Einarbeitung an neuen oder veränderten Arbeitsplätzen. Umfassendere Qualifikationsmaßnahmen für Ältere werden aus betrieblicher Sicht wegen des geringeren ‘Amortisationseffektes’ und der Erwartung ungenügender Lernerfolge kaum angeboten" (Severing 1993: S. 20). [vgl. auch Alt/Dinter 1993: S. 24, Pawlowsky/Bäumer 1993: S. 88, Fritsch 1994: S. 166f., Rosenow 1989: S. 37ff.]
Während sich die tätigkeitsübergreifende - also nicht auf Qualifikationsanpassung ausgerichtete - Weiterbildung älterer Führungskräfte für die Betriebe schon eher aus verschiedenen Nutzungsaspekten amortisiert, [vgl. Fritsch 1994: S. 166; dies ist auch im Zusammenhang mit den häufigen positiven Zuschreibungen der älteren Führungskräte, wie sie in Kapitel 2 beschrieben wurden, zu sehen.] ist dies bei den gewerblichen älteren Mitarbeitern nicht der Fall.

Auch eine weitere empirische Studie zu betrieblichen Weiterbildungsstrategien (Pawlowsky/Bäumer 1995) belegt diese Tendenz der Anpassungsweiterbildung. 81 Prozent von 109 befragten Unternehmen wenden eine Weiterbildungsstrategie an, die reaktiv als letzter Schritt auf die analysierten Marktbedingungen und den daraus abgeleiteten technisch-organisatorischen Konsequenzen der Produktion erfolgt. Indem in der Produktionsplanung die unidirektionale Linie Markt-Technik-Mensch befolgt wird, kann Weiterbildung nur die Stellung eines - abschließenden - Prozesses der Anpassung an die dominanten Faktoren Markt und Technik einnehmen. Unter dem Gesichtspunkt der Innovationsfähigkeit der Betriebe stellt die Dominanz der Anpassungsqualifizierung über die tätigkeitsübergreifenden Formen der Weiterbildung ein erhebliches Hemmnis dar.

Erschwert wird die berufliche Weiterbildung grundsätzlich auch für die älteren Arbeitslosen. Das Arbeitsförderungs-Gesetz (AFG) setzt aufgrund der Klausel der ‘arbeitsmarktpolitischen Zweckmäßigkeit’ der beruflichen Weiterbildung dieser Gruppe Grenzen. [vgl. Duve 1996: S. 162, Severing 1993: S. 20 und Alt/Dinter 1993: S. 23 mit Bezug auf § 36 Ziffer 3 AFG]
In der Bewilligungspraxis der Arbeitsämter „hat die strenge Anwendung des Merkmals ‘arbeitsmarktpolitische Zweckmäßigkeit’ nicht selten dazu geführt, mangels anschließender Vermittlungmöglichkeiten bereits von der Zuweisung [älterer Arbeitsloser, d.V.] in eine FuU-Maßnahme abzusehen" (Duve 1996: S. 162). Daraus resultieren die nur geringen Teilnehmerzahlen der über 45jährigen Arbeitslosen an AFG-geförderten Weiterbildungsmaßnahmen (1990 7%, 1991 10%). [vgl. Severing 1993: S. 20]

Aus diesem kurzen Überblick wird bereits deutlich, daß in der betrieblichen Weiterbildung eine weitreichende Restrukturierung von Qualifizierungsmaßnahmen notwendig ist. Diese Einschätzung wird von einer WZB-Studie zur Arbeitsorganisation der Zukunft unterstützt, in der es

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heißt, „daß bei Managern und Betriebsräten dem gesellschaftlichen Umfeld kaum noch eine Bedeutung zugemessen wird. Faktoren, die die Einführung neuer Formen der Arbeitsorganisation begünstigen, werden von ihnen primär im wirtschaftlichen Kontext des Unternehmens, in den technischen Gegebenheiten und in der Belegschaftsstruktur gesehen" (Auer et al. 1996: S. 25).

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5.2 Argumente zur Notwendigkeit der Weiterbildung älterer Beschäftigter

Argumente für eine Weiterbildung der älteren Beschäftigten ergeben sich aus dem Bemühen um eine grundsätzliche Problemlösung angesichts der Folgewirkungen des erwarteten demographisch bedingten Arbeitskräftemangels. Sie beruhen auf der Feststellung eines volkswirtschaft- lichen, arbeitsmarktbedingten und arbeitskraftspezifischen Weiterbildungsbedarfs.

5.2.1 Qualifizierungsrisiken älterer Beschäftigter und das Konzept des ‘lebenslangen Lernens’

Eine zentrale Ursache für die Notwendigkeit der Weiterbildung älterer Beschäftigter sind die strukturell und ökonomisch bedingten (De-)Qualifizierungsrisiken der Älteren. Barkholdt et al. sehen vier entscheidende „Qualifizierungsrisiken älterer Arbeitnehmer" (Barkholdt et al. 1995: S. 427f.):

1) Dequalifizierungsprozesse, d.h. der betriebliche Einsatz neuer Technologien (ökonomischer Strukturwandel) entwertet die personengebunden Qualifikationen, die Ausbildung und die Arbeitserfahrung der älteren Beschäftigten. [vgl. zu dieser weitestgehend übereinstimmenden Einschätzung z.B. auch Lehr 1990: S. 102f., Fritsch 1994: S. 167f. sowie Gaugler o.J.: S. 8]
Die Spitze dieser Entwicklung dokumentiert folgende Aussage: „In den High-Tech-Bereichen industrieller Produktion z.B. muß bereits heute mit einer 'Halbwertzeit' beruflicher Qualifikation von wenig mehr als drei Jahren gerechnet werden" (Barkholdt et al. 1995: S. 427). In diesem Zusammenhang wird vielfach der Sachverhalt der Inkompatibilität von erworbenen Qualifikationen in der Erstausbildung und den sich wandelnden Qualifikationsanforderungen des Berufslebens hervorgehoben. So wird argumentiert, daß „längst nicht mehr davon ausgegangen werden [kann], daß die in der Ausbildungs- und der nachfolgenden ersten Weiterbildungsphase bis zum Alter von ca. 30 Jahren erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten für das gesamte nachfolgende Erwerbsleben ausreichen" (Barkholdt et al. 1995: S. 427). Daraus ergibt sich, daß die Dequalifizierungsproblematik nicht nur allein für die Älteren, sondern auch für die nachrückenden jüngeren Beschäftigten besteht. Denn „auch Jüngere lernen dann [unter einem sich noch schneller vollziehenden technischen Wandel, d.V.] nur noch für eine äußerst kurze Zeitspanne" (Lehr 1990: S. 103). Wegen des schnellen Wandels der betrieblichen Anforderungsprofile aufgrund technologischer Innovationen wird Weiterbildung zu einem wichtigen Grundpfeiler [Stooss plädiert in diesem Zusammenhang dafür, „Weiterbildung zur vierten Säule des Bildungssystems" auszubauen ( Stooss 1994: S. 54).] bei der Aufrechterhaltung der Arbeitskraftpotentiale alter und junger Menschen gesehen.

2) Betriebsspezifische Einengungen der Qualifikation, d.h. arbeitsplatzspezifische einseitige Tätigkeitsausrichtungen können zu ständiger beruflicher Unterforderung führen und lassen damit das ursprünglich vorhandenen Qualifikationsvermögen verkümmern.

3) Intergenerative Qualifikationsunterschiede, d.h. die kohortenspezifischen Ausbildungs- und damit Qualifikationsunterschiede verschaffen den jüngeren Arbeitnehmern durch die größere Aktualität ihrer Qualifikationen entscheidende Arbeitsmarktvorteile gegenüber den Älteren.

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4) Leistungswandel, d.h. tatsächliche Abnahme der Leistungsfähigkeit der älteren Beschäftigten durch einseitige betriebliche Humanressourcennutzung (z.B. Fehlnutzung, nicht stattfindende Kompensationen der einseitigen Arbeitskraftnutzung etc.).

Allein schon diese strukturell bedingten Qualifizierungsrisiken mit ihren empirisch rekonstruierbaren Folgeerscheinungen für die älteren Beschäftigten machen es notwendig, Weiterbildung für ältere Beschäftigte zur festen Institution werden zu lassen.

Aus dieser Erkenntnis, daß die Qualifizierungsrisiken heute zwar schwerpunktmäßig den älteren, aber z.T. ebenso - und zukünftig zunehmend - den jüngeren Beschäftigten, welche zudem die Älteren von morgen sein werden, widerfahren, gehen die Überlegungen zur beruflichen Weiterbildung vielerorts in Richtung ‘lebenslanges Lernen’. „Sowohl für die Beschäftigungssicherung der Arbeitnehmer als auch für den Erhalt der Innovationsfähigkeit der Betriebe gewinnt .. neben einer möglichst breiten Grundqualifizierung im Sinne der Vermittlung von Schlüsselqualifikationen insbesondere die Institutionalisierung von lebenslangem Lernen eine zentrale Bedeutung" (Barkholdt et al. 1995: S. 428). [vgl. auch Lehr 1990: S. 121, Olbrich 1990: S. 103, Bäcker 1995: S.50]

Barkholdt et al. haben das Konzept des lebenslangen Lernens ausführlich diskutiert und weitgehend in den Kontext der gesamtbetrieblichen Situation zu stellen versucht. Der Kern dieses Konzeptes besteht in der Zusammenführung der folgenden zwei Strategien: „(1) Integration von Qualifizierungsprozessen in die Arbeitsorganisation über lernförderliche Arbeitsprozesse und Arbeitsmittel sowie (2) Integration von Weiterbildung über die gesamte Zeitdauer der Erwerbstätigkeit durch geeignete Arbeitszeitmodelle" (Barkholdt et al. 1995: S. 429).

Das erste Qualifizierungsfeld, die umfassende Qualifizierung am Arbeitsplatz (1), berücksichtigt dabei, daß die Arbeitstätigkeit selbst „stärker als bisher als ein zu aktivierendes Lernpotential anzusehen" ist und daß „das Lernen tendenziell an den Arbeitsplatz zurückkehren kann" (Barkholdt et al. 1995: S. 429). Letzteres sei besonders in Anbetracht der Ergebnisse der gerontologischen Forschung bedeutsam, da hier, wie weiter oben dargestellt, festgestellt wurde, daß Lernen im Alter verstärkt in bestehenden Kontext- und Sinnbezügen (Praxis- und Anwendungsbezug) stattfindet.

Das zweite Qualifizierungsfeld, die kontinuierliche berufliche Weiterbildung (2), bringt dagegen die Vorteile mit sich, daß die „Qualifizierungsbereitschaft der Arbeitnehmer über die Lebenspanne hinweg erhalten werden" kann, daß die „Mitarbeiter mit entsprechendem Qualifikationspotential .. auch im höheren Alter geringere Anpassungsschwierigkeiten bei Änderung der betrieblichen Arbeitsaufgaben haben" werden und daß den Dequalifizierungsprozessen „präventiv, d.h. früher und effektiver begegnet werden" (Barkholdt et al. 1995: S. 429) kann.

Die prognostizierten positiven Effekte des lebenslangen Lernens können nach Ansicht der Autoren allerdings nur dann zum Tragen kommen, wenn die altersübergreifende Qualifizierungspolitik eine Schlüsselrolle in der betrieblichen Personalplanung und -entwicklung einnimmt (Barkholdt et al. 1995: S. 429).

Des weiteren wird es zur Realisierung von lebenslangem Lernen unumgänglich, die Lebensarbeitszeit neu zu organisieren. Qualifizierungsphasen und -pausen zur Ermöglichung kontinuierlichen und erwerbsbiographiebegleitenden Lernens stellen einen zentralen Bestandteil eines solchen Konzeptes dar. [vgl. Barkholdt et al. 1995: S. 431-432, vgl. zum Konzept des lebenslangen Lernens auch Langhoff/Israel 1993: S. 89ff.]

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5.2.2 Kriterien zur kurz- und mittelfristigen Umsetzung altersrelevanter Weiterbildungsmaßnahmen

Um möglichst gute Erfolgsaussichten zu haben, müssen bei der Umsetzung von altersrelevanten Weiterbildungsmaßnahmen zur Vermeidung von Qualifizierungsrisiken und zum Erhalt der betrieblichen Innovationsfähigkeit einige Kriterien beachtet werden. [vgl. Severing 1993, Alt/Dinter 1993, Fritsch 1996, Barkholdt et al. 1995]
Severing faßt diese „Kriterien für Ältere mit Berufserfahrungen an Industriearbeitsplätzen" (Severing 1993: S. 21f.) wie folgt zusammen, wobei hier diejenigen wiedergegeben werden, die unter dem Gesichtspunkt der qualifikationsbedingten Innovationsfähigkeit relevant sind.

[1] Qualifizierung im Umfeld des bisherigen Tätigkeitsbereiches und Verwertung von bisherigen Berufserfahrungen: Qualifizierungen im Umfeld des bisherigen Tätigkeitsbereiches haben den Vorteil, daß die veralteten Qualifikationen aufgearbeitet werden können und somit ein Arbeitsplatzrisiko verringert wird. Zudem wird ein solcher Qualifizierungsprozeß den gerontologischen Erkenntnissen des kontextuellen Lernens älterer Menschen gerecht.

Darüber hinaus sieht Severing in der Verwertung von bisherigen Berufserfahrungen älterer Beschäftigter ein wesentliches Potential, das es nicht zu verlieren gilt. Entsprechende theoretische Aufarbeitung und Ergänzung dieser Potentiale durch Lerninhalte aus dem Bereich der neuen Technologien erhöhen den Stellenwert und die betriebliche Relevanz der Qualifikation.

In diesem Zusammenhang ist auch zu bemerken, daß die theoretische Aufarbeitung des langfristig gesammelten Praxiswissen der Beschäftigten Vorteile für die Betriebe in Form von Maßnahmenentwicklungen zur Humanisierung und auch zur Effektivierung bzw. Rationalisierung von Arbeitsplätzen und -prozessen nach sich ziehen kann. [vgl. Gaugler o.J.: S. 7]
Eine solche Aufarbeitung des Potentials von Praxiswissen setzt allerdings entsprechende Strukturen und Vorbereitungen in Weiterbildungskonzepten und seitens der Ausbilder voraus. [vgl. auch Langhoff/Israel 1993 und Langhoff/Gidion 1993]

[2] Eingehende Beratung der Teilnehmer: Sollte mit der beruflichen Weiterbildung ein Arbeitsplatzwechsel verbunden sein, so sind aufgrund der relativen Unbekanntheit anderer Arbeitsanforderungen durch jahrelanges Gebundensein des Einzelnen an einen spezifischen Arbeitsplatz Informationsveranstaltungen und Betriebserkundungen in den Qualifizierungsprozeß einzubauen.

[3] Einsatz geeigneter Lernmethoden: Berücksichtigung möglicher Lernentwöhnung und Anpassung der Lernmethoden an die Erkenntnisse der gerontologischen Forschung zur Intelligenz- und Lernentwicklung im Alter.

[4] Relativ kurze Verweildauer in den Maßnahmen: Kurz gehaltene Weiterbildungsmaßnahmen dienen nach Severing dazu, die Teilnahmemotivation der Personen zu erhalten.

[5] Hohe Anteile beruflicher Praxis: Betriebliche Praktika während der Weiterbildungsmaßnahme dienen der Vermittlung relevanten Wissens und relevanter Fähig- und Fertigkeiten, indem sie auf altersgerechte Weise einen Zusammenhang zwischen den betrieblichen Berufserfahrungen und den neuen Qualifizierungsinhalten herstellen.

[6] Allgemein anerkannte Zertifizierung: Betriebs- und trägerübergreifende Zeugnisse der beruflichen Weiterbildungen können in einem System formaler Qualifizierungsnachweise den älteren Beschäftigten zu besseren Verwertungschancen ihrer Arbeitskraft verhelfen. [vgl. auch die erweiterte Diskussion zu den von Severing vorgeschlagenen Kriterien beruflicher Weiterbildung bei Alt/Dinter 1993: S. 25-28 sowie ähnliche und ergänzende Aspekte bei Fritsch 1996: S. 130ff.]

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5.2.3 Volkswirtschaftlich orientierte Argumente zur Weiterbildung Älterer

Ein volkswirtschaftliches Problem stellt die Aufrechterhaltung von Innovationsfähigkeit bei einem verlangsamten Generationenwechsel im Arbeitskräftepotential dar. „Die notwendigen Innovationen in der Arbeitsstruktur und die dafür erforderlichen Qualifikationen waren bisher über den Generationenwechsel zu realisieren" (Alt/Dinter 1993: S. 24). Dieses Muster der sukzessiven Innovation durch das rechtzeitig Nachrücken zeit- und technikgemäß ausgebildeter Generationen funktioniert wegen des steigenden Innovationstempos [vgl. Gaugler o.J.: S. 8] und dem ausbleibenden Nachwuchs nicht mehr. [vgl. dazu auch Stooss 1994, S. 49]

Der quantitative Vergleich von innovativem Bedarf und nachrückenden Generationen macht die Schere der Entwicklung deutlich: „Der Bestand der notwendigen Fachkenntnisse erneuert sich um etwa zehn bis 15 Prozent pro Jahr, während die jährlich auf den Arbeitsmarkt gelangenden Jugendlichen nur etwa zwei Prozent der Erwerbsbevölkerung ausmachen" (Memorandum der EG-Kommision über die Berufsbildungspolitik der Gemeinschaft für die 90er Jahre vom 12.12. 1991, zitiert nach Severing 1993: S.18). Die Differenz von 13 Prozent an erforderlichem Innovationspotential auf Seiten der Arbeitskräfte wäre demnach über die Gruppe der Nicht-Jugendlichen zu kompensieren. Damit ist wiederum die Weiterbildung von bereits im Berufsleben stehenden älteren und alten Beschäftigten zur Sicherung der Innovationsfähigkeit gefragt.

Volkswirtschaftlich relevant ist auch die Tatsache, daß mit dem Trend zur Ausgliederung von älteren Beschäftigten „hohe Humankapitalverluste entstehen" (Bäcker 1995: S. 48). Sollte nach einer möglicherweise durch die demographische Entwicklung bedingten Arbeitskräfteknappheit die Wiedereinstellungen Älterer notwendig werden, so wäre das nur kosten- und zeitaufwendig zu bewerkstelligen. Eine kontinuierliche Weiterbildung der Beschäftigten aller Altersgruppen ist somit auch aus diesem Grund von Bedeutung.

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5.3 Änderungen in der betrieblichen Personalpolitik zum Ausbau der Weiterbildung älterer Beschäftigter

Aus dem oben dargestellten und für die Innovationsfähigkeit zentrale Konzept des lebenslangen Lernens ergeben sich für die betriebliche Personalpolitik weitreichende Veränderungen. Sie liegen in den Anforderungen nach lernoffener Arbeitsplatzgestaltung und veränderten Lebensarbeitszeitkonzepten. „Für die betriebliche Personalplanung," so eine allgemeine Feststellung, „erwächst daraus die spezifische Herausforderung, dem Lernen im Beruf, der beruflichen Fortbildung und Umqualifizierung auch im hohen Alter der Mitarbeiter eine weitaus stärkere Bedeutung als bisher zuzumessen." Für den Autor impliziert dieses u.a., daß „eine engagiertere und qualifizierte Betreuung der älteren Mitarbeiter" (Wingen 1992: S. 10) durch die Betriebe stattfinden muß.

Gaugler argumentiert ähnlich, wenn er die „Schulung betrieblicher Führungskräfte für den Personaleinsatz und für den Umgang mit älteren Arbeitnehmern" (Gaugler o.J.: S. 10) als ein zukünftiges Feld betrieblicher Personalarbeit bezeichnet. [vgl. z.B. zur Aufgabe von betrieblichen Aus- und Weiterbildern im Rahmen des Konzeptes von lebenslangem und arbeitsplatzorientiertem Lernen Langhoff/Israel 1993: S. 90 und Langhoff/Gidion 1993: S. 91f.]

Stellt man jedoch die älteren Beschäftigten als eine derart besonders zu behandelnde und zu betreuende Gruppe durch die Betriebe dar, die sich von den Jüngeren dann scheinbar als eine „Gruppe der potentiellen ‘Problempersonen’" (Wingen 1992: S. 10) unterscheidet, so kann dies

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unter ungünstigen Bedingungen zu einer Stigmatisierung führen, die den Implikationen des Defizit-Modells sehr nahe kommt.

Ein betriebliches Eingehen auf die spezifischen Bedingungen, Interessen und Problemlagen der älteren Beschäftigten, ohne der Gefahr von Stigmatisierungsprozessen zu unterliegen, verlangt eine besonders sensible Personalpolitik, von der angesichts rigider ökonomischer Prämissen der Betriebe nicht immer ausgegangen werden kann. Auch der Versuch der betrieblichen „Förderung des Teamgeistes zwischen den Generationen" (Wingen 1992: S. 10) zur Vermeidung solcher Stigmatisierungen ist nicht einfach, geschweige denn als Präventivmaßnahme ausreichend (vgl. dazu in Kapitel 2 die Problematik der betrieblichen Zuschreibungsmuster von Alter und älterer Beschäftigter).

Weiterhin wird die Notwendigkeit einer Umorientierung der betrieblichen Personalpolitik bezüglich der Wertschätzung der individuellen Humankapitalakkumulation bei den älteren Beschäftigten durch deren Arbeitsbiographie und -erfahrungen gesehen. Wie weiter oben bereits angesprochen, kann dieses individuelle Humankapital von den Betrieben für die „Konzipierung und Entwicklung neuer Maßnahmen zur Humanisierung der Arbeit" (Gaugler o.J.: S. 7) genutzt werden.

Möglichkeiten für zusätzliche Maßnahmen der Betriebe zur konsequenten Humankapitalerhaltung liegen im systematischen „Gesundheitsschutz gegen Frühindividualität (über 50% der 1991 Pensionierten schieden aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigung vorzeitig aus)," in der „Bereitstellung von Arbeitsplatzalternativen mit variablen Anforderungsstrukturen," was u.a. auch innerhalb des Konzeptes des lebenslangen Lernens gefordert wird, [vgl. Barkholdt et al. 1995, besonders dort S. 430f.] sowie in „effektiven Investitionen in Mehrfachqualifikationen und Einsatzflexibilität" (Wiegmann 1995: S. 43).

Ein weiterer Aspekt, der zu einer grundlegenden betrieblichen Umorientierungen im Umgang mit den Qualifikationspotentialen älterer Beschäftigter führen könnte, ergibt sich aus dem von Olbrich (1990) vorgestellten Zusammenhang von technologischem Wandel und dessen Trägern. Hervorgehoben wird, daß ältere Beschäftigte aktiv über ihre konkrete Arbeit die Transformation von technologischen Anforderungen in konkrete Handlungsweisen vollziehen und somit aufgrund ihrer Erfahrungen besonders erfolgreich Übersetzungshilfen und -lösungen entwickeln können. Hieraus ergäbe sich eine andere Wertschätzung des Humankapitals älterer Beschäftigter im Hinblick auf die Innovationsfähigkeit.

Es ist weiter „zu bedenken, daß jene Tätigkeiten, die ein großes Ausmaß an Körperkraft verlangen, mehr und mehr abnehmen und durch Tätigkeiten, die geistige Funktionen beanspruchen, ersetzt werden" (Lehr 1990: S. 111). Die fortschreitende Technisierung (Automatisierung, Roboterisierung, neue Informations- und Kommunikationstechniken) übt „einen prägenden Einfluß auf die Arbeitsbedingungen aus. Dabei kann man allgemeine Trends beobachten, die für ältere Arbeitnehmer vorteilhaft erscheinen. So reduziert die fortschreitende Technisierung vielfach die körperliche Beanspruchung der Mitarbeiter" (Gaugler o.J.: S. 4).

Aus dieser Wende zum „brain-work" (Lehr 1990: S. 111), innerhalb derer Ausbildungs- und Trainingsfaktoren - also Qualifikationsmerkmale - relevanter werden als das Kriterium des Lebensalters, ergibt sich für die Betriebe eine neue Perspektive auf ihre älteren Beschäftigten. Trägt man den Ergebnissen der gerontologischen Forschung zur Intelligenz-, Wissens- und Lernentwicklung im Alter Rechnung, so stellen die älteren Beschäftigten im Zuge der Wende zum 'brain-work' für die Betriebe grundsätzlich ein hoch relevantes, weil entsprechend qualifizierbares Arbeitskräftepotential dar. Um dieses betrieblich verwerten zu können, sind allerdings grundlegende

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Änderungen in der Wertschätzung und personalplanerischen Berücksichtigung der Qualifikationspotentiale ältere Beschäftigter seitens der Betriebe notwendig.

Die in diesem Argument zugrundegelegte These der sich verringernden Arbeitsbelastungen aufgrund der technologischen Wende und den sich daraus ergebenden Arbeitsmarktvorteilen für die Älteren wird in der Literatur nicht nur einstimmig vorgetragen. So wird an andere Stelle argumentiert, daß sich zu den erwarteten Arbeitsentlastungen „nach heutigem Wissenstand kein abschließendes Urteil sprechen" (Bäcker 1995: S. 51) läßt. Zwar seien einzelne belastungsärmere Arbeitsbedingungen festzustellen, dafür jedoch aber auch Belastungszunahmen auf der psychischen (z.B. Streß, Zeitdruck, Verantwortungszunahme etc.) und körperlichen Ebene (Kranken- und Altenpflege) im Dienstleistungssektor sowie in bestimmten Wirtschaftsbereichen (Nacht- und Schichtarbeit, Schwerstarbeit etc.) zu verzeichnen. [vgl. Bäcker 1995: S. 51f.]

Unter dieser kritischen Einschätzung scheint der arbeitserleichternde Trend aufgrund des technologischen Wandels nur für bestimmte Wirtschafts- und Arbeitsbereiche zutreffend zu sein, was die Vorteile dieser Entwicklung für die Arbeitsmarktsituation qualifizierter und qualifizierungswilliger älterer Beschäftigter wiederum relativiert und auf ganz bestimmte Bereiche einschränkt.

Deswegen muß in den Katalog der erforderlichen Umstellung betrieblicher Personalpolitik noch die Forderung nach einer veränderten betrieblichen Weiterbildungsstrategie aufgenommen werden. In der bereits weiter oben angesprochenen empirischen Studie zu den bestehenden Konzepten betrieblicher Weiterbildung (Pawlowsky/Bäumer 1995) wird neben anderen eine Strategie dargestellt, die ihren Ausgangspunkt nicht in den technisch determinierten Anforderungen, sondern in dem verfügbaren oder dem zu entwickelnden Qualifikationspotential der Beschäftigten sieht. [vgl. Pawlowsky/Bäumer 1995: S. 150]

Das Ziel dieser „proaktiv-potentialorientierten ‘strategischen’ Vorgehensweise" liegt darin, „die Gestaltungspotentiale, die in den Qualifikationen der Mitarbeiter bereits vorhanden oder entwickelbar erscheinen, für strategische gesamtbetriebliche Optionen nutzbar zu machen" (Pawlowsky/Bäumer 1995: S. 146). Nicht die alte Markt-Technik-Mensch orientierte Qualifizierungspraxis, innerhalb derer die Beschäftigten unidirektional den Vorgaben von Absatzchancen und Technik nachgeordnet werden, sondern ein die Mitarbeiter zu gestaltendem Handeln befähigendes Modell der Weiterbildung ist somit gefordert.

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5.4 Strukturelle und motivationale Probleme der beruflichen Weiterbildung

Eine genauere Betrachtung der betrieblichen Wirklichkeit macht allerdings den gegenwärtig noch weitgehend appellativen Charakter der aufgeführten Lösungsvorschläge deutlich. Verantwortlich dafür ist die Orientierung betrieblichen Handelns an relativ kurzfristigen ökonomischen Nutzenkalkülen, die nicht berücksichtigt, daß sich zwei „unterschiedliche Anliegen und Zielperspektiven" (Pawlowsky/Bäumer 1993: S. 70) in der allgemeinen - also nicht nur in der altersspezifischen - Weiterbildungsdiskussion ausmachen lassen, aus denen sich ein interessengebundenes Spannungs- und Konfliktfeld entfaltet. Auf der einen Seite stehen die gesellschaftspolitischen Forderungen nach arbeitsplatzübergreifenden Ausgleichs- und Ergänzungsfunktionen der beruflichen Weiterbildung, [vgl. dazu Pawlowsky/Bäumer 1993: S. 70] auf der anderen Seite die Interessen der betrieblichen Handlungsebene mit der Beschränkung der „Bedeutung von beruflicher Weiterbildung im wesentli-

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chen auf ihre ökonomische Verwertbarkeit für Arbeitgeber und Arbeitnehmer" (Pawlowsky/Bäumer 1993: S. 70).

Behandelt man nun die Gesamtheit der oben wiedergegebenen Argumente zur Weiterbildung älterer Beschäftigter, so läßt sich feststellen, daß zwar dabei auch arbeitsplatzübergreifende Weiterbildung und die Verbesserung der Arbeitsmarktchanchen für die Beschäftigten thematisiert werden, jedoch geschieht dies vorwiegend in einer Zuschneidung von Weiterbildungsmaßnahmen entlang betrieblicher Interessen.

Verschwinden aber in den Konzepten einer eng betriebsorientierten Weiterbildungspraxis die Interessen der Beschäftigten - oder werden diese auf den betriebsspezifischen Wert ihrer Arbeitskraft reduziert - und entfallen die gesellschaftspolitischen Interessenvertretungen zur beruflichen Weiterbildung, d.h. werden Staat, freie Träger und Gewerkschaften in den Dienst der betrieblichen Weiterbildungsinteressen gestellt, so geht bei dem anhaltenden systemimmanenten Trend von Externalisierung und Individualisierung der Arbeitsmarktrisiken ein möglicherweise Alternativen setzendes Gegengewicht der beruflichen Weiterbildung verloren.

In diesem Zusammenhang muß dann auch die Frage gestellt werden, inwiefern sich Innovationsfähigkeit, und damit u.a. eine auf breites und arbeitsplatzunspezifisches Wissen gestützte Kreativität, mit einer sehr eng an betrieblichen Verwertungsinteressen geführten Weiterbildungspraxis ermöglichen läßt. Die Vermittlung eines für Innovationen besonders wichtigen und aus betriebsübergreifenden Kontexten resultierenden Qualifikationsüberschusses scheint allgemein unberücksichtigt zu bleiben.

Mit diesen Überlegungen öffnet sich ein weites und konfliktäres Feld von Argumenten, das hier jedoch nicht behandelt, sondern nur vage angedeutet werden kann.

Ein weiterer Problemkomplex ergibt sich aus der in den Weiterbildungsargumentationen weitgehend vernachlässigten Perspektive der Weiterbildungsmotivation und -bereitschaft.

Rationalistische Handlungstheorien sehen die Motivation zur beruflichen Weiterbildung älterer Beschäftigter im Erlangen von unmittelbarem persönlichen Nutzen begründet. „Gerade ältere Arbeitnehmer, die nur noch eine begrenzte und absehbare Zeit im Betrieb verbleiben, sind oftmals nicht bereit, an Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen, wenn die konkreten Bildungsziele und der Weiterbildungsnutzen für sie nicht erkennbar und als persönlicher Vorteil erlebbar sind" (Fritsch 1996: S. 131).

Demnach haben nur tatsächlich bestehende Vorteilsmomente wie z.B. Arbeitsplatzsicherheitszusagen oder garantierte Mehrverdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten ausreichende Motivierungskraft für die Teilnahme an beruflicher Weiterbildung. Daß solche Zusagen allerdings von den Betrieben in einer Arbeitsmarktsituation gemacht werden, die derzeit noch durch einen Überhang an qualifizierten Arbeitskräften gekennzeichnet ist und damit eine externe Rekrutierung von Qualifikationen billiger ausfällt als innerbetriebliche Weiterbildung, ist fraglich.

In der soziologischen Weiterbildungsliteratur liegen anders orientierte Analysen zu den Weiterbildungschancen der Beschäftigten vor. Auch hier wird festgestellt, daß „instrumentelle Motive, wie Einkommen, Aufstieg und Arbeitsplatzsicherheit als verhaltensbestimmende Gründe dominieren" (Pawlowsky/Bäumer 1993: S. 78), darüber hinaus aber bereits unterschiedliche Zugangschancen zur beruflicher Weiterbildung und somit ungleichheitserzeugende Segmentationstendenzen bestehen. So haben Beschäftigte aus berufsfachlichen und hochqualifizierten Segmenten bezüglich beruflicher Weiterbildung grundsätzlich bessere Zugangs- und damit auch bes-

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sere Verwertungschancen als Beschäftigte aus instabilen Randbelegschaften. [vgl. Pawlowsky/Bäumer 1993: S. 82]
Entsprechend dieser unterschiedlichen Erfolgschancen wird sich vermutlich auch eine unterschiedliche Weiterbildungsmotivation der jeweiligen Beschäftigtengruppen nachzeichnen lassen.

Deswegen wäre auch grundsätzlich die Realisierung vorgeschlagener Maßnahmen zur Qualifikation älterer Beschäftigter unter den bestehenden Ungleichheitsstrukturen zu überprüfen.

Schließlich muß noch ein weiterer Argumentationskomplex im Zusammenhang mit der Weiterbildungsmotivation der älteren Beschäftigten diskutiert werden. Aus der biographisch orientierten Arbeitssoziologie ist seit langem bekannt, daß unter den älteren Beschäftigten in der Bundesrepublik überwiegend das Bedürfnis besteht, vorausgesetzt die institutionellen Möglichkeiten sind gegeben, Vorruhestandsformen anzunehmen und damit frühzeitig die Erwerbsarbeit zu verlassen. [vgl. z.B. Kohli/Wolf 1987, Wolf/Kohli 1988, Wolf 1989, Kohli 1996, Rosenow 1996]

So wird berichtet, daß die älteren Beschäftigten „als Akteure erscheinen, die mit dem frühen Ausscheiden einverstanden sind und diesen Prozeß selber vorantreiben. [...] Die große Mehrheit von ihnen akzeptiert ein frühes Ausscheiden und sieht darin sogar eine Erleichterung - eine Befreiung aus einer Arbeit, die körperlich zunehmend schwerer erträglich wird und wo sie sich zunehmend weniger »zu Hause« mit sich ändernden Technologien und Organisationsformen fühlen" (Kohli 1996: S. 366).

Neben der zunehmenden Arbeitsbelastung stellt zudem noch ein sich wandelndes Biographiemuster die Grundlage für den Wunsch nach Frühverrentung dar. Nicht mehr allein das Leben in der Arbeit, sondern ein Leben nach der Arbeit mit neuen Möglichkeiten der Verwirklichung der Fähigkeiten, die durch die Arbeitsperiode unmöglich gemacht wurde, wird zu einem selbstverständlicher vertretenen Anspruch. Dabei spielen auch Überlegungen der Beschäftigten in Richtung ausgleichender Gerechtigkeit gegenüber der langfristigen, ungenügenden Bewertung ihrer Arbeitskraft eine Rolle. [vgl. dazu die Literatur aus Fußnote 84]

Besteht somit aufgrund der vielfachen negativen Erfahrungen aus dem Arbeitsleben bei den Älteren der Wunsch - und bereits der Trend - nach möglichst frühzeitigem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben, so ist es unter dieser Perspektive zweifelhaft, ob alle älteren Beschäftigten gleichermaßen bereit sind, unter den gleichen Arbeitsbedingungen sich fortzubilden und damit eventuell eine Verlängerung ihrer Berufstätigkeit herbeizuführen. Wird zunehmend die persönliche Negativseite der durch Machtasymmetrien regulierten Arbeitstätigkeit von den Beschäftigten festgestellt und thematisiert sowie der Wunsch nach zumindest später Kompensation der arbeitsbiographisch bedingten Entbehrungen durch Frühverrentung bestimmter formuliert, so geraten auch in dieser Hinsicht die oben vorgetragenen Weiterbildungsargumente ins Schwanken.

Allein der vorgenommene Versuch, die Weiterbildungsdiskussion um die älteren Beschäftigten etwas zu systematisieren und einige der nicht unproblematischen Konsequenzen aufzuzeigen, fördert bereits Widersprüche und Problemlagen zu Tage, die darauf verweisen, daß die Diskussion sich allemal am Anfang, sozusagen in einer vorläufigen Materialsammlung befindet, die einer noch wesentlich weitgehenderen Betrachtung und Analyse bedarf.

[Seite der Druckausg.: 33 ]

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5.5 Fazit aus den Ausführungen zum Leistungs- und Qualifikationsvermögen älterer Beschäftigter

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß aus der Perspektive der körperlichen und kognitiven Leistungsfähigkeit älterer Beschäftigter (vgl. die Ergebnisse der gerontologischen Forschung) sowie in den verschiedenen Vorschlägen zur Möglichkeit der zukünftigen Gestaltung der Weiterbildung Älterer - und dies unter besonderer Berücksichtigung und Einarbeitung der Leistungspotentiale älterer Menschen in Qualifizierungsmaßnahmen -, grundsätzlich keine Hemmnisse in der Aufrechterhaltung von Innovationsfähigkeit mit alternden Belegschaften gesehen werden. Die Leistungspotentiale der älteren Beschäftigten sind gegeben, Qualifizierungsmaßnahmen zu ihrer Umsetzung, Förderung und letztlichen Nutzung sind formulier- und konzeptualisierbar.

Hemmnisse treten aber immer dann auf, wenn die betrieblichen Interessen, die betrieblichen Produktionspraxen sowie die personalpolitischen Strategien der Unternehmen - und dies notwendigerweise - in Rechnung gestellt werden. Die Integration der verschiedenen Interessen in ein funktionales Weiterbildungskonzept wird immer dann schwierig und widersprüchlich sowie die praktische Umsetzung fragwürdig, wenn die unveränderbar erscheinende Orientierung der Betriebe an Kapitalrentabilität und Wirtschaftlichkeit eingerechnet werden muß. Aus diesen Gründen ist die Realisierbarkeit eines praktikablen Weiterbildungskonzeptes notwendigerweise auf flankierende - d.h. die Unternehmen finanziell entlastende - Maßnahmen seitens der anderen beteiligten Akteure (Staat, Tarifparteien, Interessenvertretungen) angewiesen (vgl. dazu auch Kapitel 7).


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