FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




[Seite der Druckausg.: 16]

4. Das Leitbild der Kindererziehung

Das erklärte politische Ziel, das mit dem Erziehungsgehalt verknüpft ist, liegt in der Eröffnung von Existenzsicherungsoptionen im familiären Arbeitsfeld. Konkret gelingt eine Existenzsicherung allerdings erst, wenn drei Kinder unter sechs Jahren ausschließlich zu Hause betreut werden. Wird nur ein Kind betreut, wird zwar die private Erziehungsarbeit im Vergleich zum jetzigen Zustand finanziell etwas besser, aber längst nicht existenzsichernd abgesichert. Die Inanspruchnahme eines Krippen- oder Kindergartenplatzes schließt die angestrebte Existenzsicherung der erziehenden Person aus, da die für den Platz anfallenden Kosten einerseits erhöht, andererseits aber mit dem gewährten Erziehungsgehalt bezahlt werden sollen. Die Variante mit dem Erziehungsgutschein bringt eine Zweckbindung des Erziehungsgehaltes an die Fremdbetreuung, und entfernt sich damit von dem Ziel der Existenzsicherung der erziehenden Person. Wer konsequent eine eigenständige Existenzsicherung der Erziehungsperson will, muß also die Erziehungsarbeit ausschließlich privat vorsehen oder unbezahlt von anderen leisten lassen. Auch das mögliche Teilzeitmodell beider Eltern verfehlt die Existenzsicherungsoption, weil die Absicherung in diesem Falle sowohl über Erziehungsgehalt als auch über Erwerbseinkommen erfolgt. Damit bedingen sich logischerweise die ausschließlich private Erziehung der Kinder und die Existenzsicherung über diese private Arbeit gegenseitig. Wer das eine will, muß auch das andere befürworten.

Ausgehend von der Annahme, daß die Eltern als einzige am besten entscheiden können, wie sie ihre Kinder erziehen wollen, taucht wieder der alte Begriff der Wahlfreiheit auf. Während dieser Begriff ehemals die konservative Option für Frauen zwischen Beruf und Familie bezeichnete, und die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung nicht antastete, ist er dieses Mal bezogen auf die Option zwischen der privaten oder öffentlichen Erziehung. Um eine solche Wahlfreiheit zu garantieren, mangelt es jedoch an Voraussetzungen: Noch nicht einmal für jedes Kleinkind gibt es im Westen einen Betreuungsplatz, die Situation im Alter von null bis drei Jahren ist noch viel prekärer. Die enormen Summen, die für das Erziehungsgehalt aufgebracht werden sollen, fließen aber in die privaten Haushalte, die dann ihrerseits die Nachfrage nach Betreuungsplätzen steuern sollen, so die Theorie. Um jedoch die Finanzierung des Erziehungsgehaltes zu sichern, ist im Konzept eine fünfzigprozentige Kürzung der Mittel für die öffentliche Kinderbetreuung vorgesehen. Diese Mittel können, müssen aber nicht über die Entscheidung der Eltern wieder in diesen Sektor fließen. Je mehr Erziehende sich für die private Erziehungsarbeit entscheiden, desto geringer wird die Nachfrage. Im Erziehungsgehaltkonzept ist konsequenterweise an keiner Stelle an den öffentlich geförderten Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen gedacht. Das bedeutet, daß das vorhandene Angebot für ausreichend, ja eher für reduzierbar gehalten wird. Unter diesen Bedingungen kann allerdings von einer wirklichen Wahlfreiheit zwischen dem öffentlichen Betreuungsplatz oder der privaten Betreuung keine Rede sein.

Die private Erziehung als existenzsichernde Arbeit im privaten Bereich, das ist das verborgene Leitbild der Erziehung, das hinter den vielen verschlungenen Modellvarianten letztlich doch hervor scheint. Selbst die Gutscheinlösung ist nur ein scheinbarer Garant für eine öffentliche Erziehung: Bezahlbar werden damit ja nicht nur öffentliche Erziehungsplätze, sondern auch, wenn auch auf Anerkennung angewiesene private Organisationsformen wie Tagesmütter, Kleinkindgruppen oder Kindermädchen.

Damit wird die Entprofessionalisierung der Kleinkinderziehung weiter vorangetrieben. Ebensowenig, wie das Erziehungsgehaltkonzept die Qualität der Erziehungsarbeit oder die Arbeitsbedingungen berücksichtigt, genausowenig wird diskutiert, welche Entwicklungsbedingungen für Kinder damit hergestellt werden und welche Wirkungen die private Erziehungsarbeit hat.

[Seite der Druckausg.: 17]

Erziehen-können wird als Allerweltsfähigkeit angesehen, die jeder Person, sobald sie ein Kind bekommen hat, zugeschrieben wird. Die Frage nach optimalen Entwicklungsbedingungen wird gar nicht gestellt, weder für die Kinder noch für die natürliche Erziehungsperson.

Kindergärten sind keine Plätze, in denen die Kinder aufbewahrt werden, sondern Orte lebendigen Lernens, sozialer Förderung und kompensatorischer Entwicklungsangebote (vgl. Wüstenberg 1999). Die gesellschaftliche Verantwortung für die Entwicklung der Kinder, die im Osten bis zur Wende sehr viel deutlicher wahrgenommen wurde, wird aufgegeben. Die öffentliche Hand wird reduziert, sie wird weder in ihrer Planungskompetenz noch in ihren Ressourcen gestärkt, im Gegenteil: Kinder werden wieder und noch mehr zur Privatsache der Eltern, wenn auch der Staat sie finanziell besser ausstattet. Bei dieser Tendenz ist eine Diskussion um Elternbildung oder einen Bonus für die Qualitätsentwicklung der Erziehungsarbeit sehr halbherzig (Leipert, Opielka 1998, S.35), und sie wird auch nicht ernst geführt: Konsequent weitergedacht wäre eine flächendeckende Elternbildung, die wirklich zur Erziehung eines Kindes auf dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse befähigt, ein gewaltiges Bildungskonzept, dessen Finanzierung völlig ungeklärt ist. Und selbst dann, wenn alle Erziehungspersonen, die Erziehungsgehalt beziehen, gut ausgebildet wären, wäre die ausschließlich private Betreuung der Kinder nicht optimal: Die Rundum-Betreuung durch eine einzige Person hat sich bereits in der Vergangenheit als defizitär erwiesen: Lernmöglichkeiten in der Gruppe, gezielte Spielangebote, ein kindgerechter Rhythmus, all dies ist nicht in der Privatheit der Wohnung mit einer Erziehungsperson herzustellen. Die Qualität der Erziehung in der Familie ist nur begrenzt zu verbessern, weil die Familie die Alleinzuständigkeit einer unausgebildeten erwachsenen Person und das Fehlen von Gleichaltrigen impliziert. So sympathisch die Worte von der „Subjektförderung zur Objektförderung" klingen, sie bedeuten nichts anderes als den weiteren Rückzug öffentlich geplanter und strukturierter Kinderbetreuung (Objekt) zugunsten des privaten nicht-öffentlichen und damit auch unkontrollierbaren Umgangs mit Kindern (Subjekt).


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 1999

Previous Page TOC Next Page