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TEILDOKUMENT:
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2. Der Sozialstaat: Restauration statt Umbau
2.1 Das Erziehungsgehalt stärkt das "Ernährermodell"
Die feministische Sozialstaatskritik hat gezeigt, daß es in den Wohlfahrtsstaaten neben der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung auch die geschlechtshierarchische Teilung der Wohlfahrt gibt (vgl. Gerhard 1996). Auch das bundesdeutsche Wohlfahrtssystem ist in ein Sozialversicherungssystem und ein System der Fürsorge gespalten. Das Sozialversicherungssystem sorgt für diejenigen, die ihr Leben lang erwerbsarbeiten und sichert sie in den Zeiten ab, in denen sie das nicht können. Das Fürsorgesystem tritt dagegen für diejenigen ein, die nicht in den Sozialversicherungssystemen abgesichert sind und unterstützt sie, wenn ihnen keine anderen Mittel zur Verfügung stehen. Die Institution Ehe ist ein spezifisches System der Absicherung, in dem der gegenseitige Unterhalt der Ehepartner verfügt ist, Elternschaft begründet die materielle Absicherung der Kinder. Das Modell, für das diese gespaltene soziale Absicherung konstruiert ist, wird Ernährermodell genannt. Dieses Modell geht davon aus, daß eine Ehe zwischen Mann und Frau geschlossen wird, und ein Partner, in der Regel der Mann, die materiellen Ressourcen für den Lebensunterhalt der Frau und der Kinder verdient, während der andere Partner, in der Regel die Frau, durch die Leistung unbezahlter Arbeit im privaten Bereich den Lebensunterhalt sichert. Damit wird die persönliche Versorgung zumindest von Vätern stillschweigend mit abgedeckt, da der Ernährerlohn nicht nur die Kosten für den Unterhalt von Ehefrau und Kindern decken soll, sondern auch den Versorgungsbedarf des Ehemannes mit Haus- und Familienarbeit, d.h. mit der Erziehungsarbeit für seine Kinder, aber auch mit der Versorgungsarbeit für die eigene Person. Die sozialen Sicherungssysteme wirken nicht geschlechtsneutral, denn die Geschlechter sind nicht gleich beteiligt. Frauen, die Mütter werden, brauchen das eheliche Absicherungssystem oder den Fürsorgestaat, während die meisten Männer, auch wenn sie Väter sind, im Sozialversicherungssystem gesichert bleiben. Der Sozialstaat bietet aber nicht nur unterschiedliche Absicherungssysteme, die geschlechtsspezifisch unterschiedlich wirken, er gestaltet auch die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Systeme: Die Arbeitsmarktpolitik beeinflußt unter anderem den Umfang der Erwerbsarbeit für Frauen und Männer. Mit der Steuerpolitik begünstigt der Staat bestimmte Formen des Zusammenlebens. Durch den Umfang der Infrastruktureinrichtungen zur Betreuung, Erziehung, und Bildung von Kindern und Jugendlichen und zur Betreuung von Altern und Kranken steuert er, welche Mütter bzw. Väter, welche Töchter und Söhne in welchem Umfang erwerbstätig sein können. Das Reglement des Sozialstaates gestaltet damit die Geschlechterverhältnisse. Staatliche Regelungen verändern sich jedoch und werden durch die realen Lebensbedingungen, in denen die Menschen leben, beeinflußt. So hat z.B. die Pluralisierung der Geschlechterrollen und der Familienformen zu Neudefinitionen der Familie geführt, aus der auch veränderte soziale Sicherungsformen abgeleitet werden. Insbesondere in Ostdeutschland widerspricht das westdeutsche Ernährermodell der Lebenswirklichkeit. Der politische Handlungsbedarf wächst mit der Stärke des Widerspruchs zwischen Lebenswirklichkeit und sozialstaatlichen Regelungen. Ein internationaler Vergleich der verschiedenen Ausprägungen sozialstaatlicher Reglements zeigt, daß die Bundesrepublik Deutschland zu den Staaten gehört, die einem "starken Ernährermodell" zuzurechnen sind (Ostner 1995). Dazu werden Staaten gezählt, die einerseits eine niedrige Müttererwerbsquote, eine hohe Abhängigkeit der Mütter vom Ehemann und ein geringes Angebot an öffentlichen Kinderbetreuungen vorweisen. [Seite der Druckausg.: 8] Im folgenden soll nun anhand der drei Kriterien geprüft werden, welche Wirkungen die Einführung des Erziehungsgehaltes auf die Gestaltung des Geschlechterverhältnis im Sozialstaat hat. Erster Faktor: Müttererwerbsquote Nicht nur die ersten Umsetzungsvorschläge des CDU-geführten Innenministeriums in Sachsen (Geisler 1998), auch die hohe Akzeptanz konservativer Familienpolitiker weisen darauf hin, daß die Zielsetzung eines Erziehungsgehaltes für bis zu halbtags beschäftigten Eltern nicht dazu dienen soll, den Eltern bzw. den Müttern eine Erwerbsarbeit zuzuweisen. Das Erziehungsgehalt unterstellt im Gegenteil, daß die private Arbeit durch die Bezahlung anerkannt wird, sie wird als echte Alternative zur Erwerbsarbeit strukturiert und in Angleichung an sie steuer- und sozialversicherungspflichtig. Auch das konzeptionell von Leipert/Opielka priorisierte erwerbszeitunabhängige Erziehungsgehalt, also die Gehaltszahlung an jede Erziehungsperson, egal ob sie nun erwerbstätig ist oder nicht, wird real auf keinen Fall eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Müttern zur Folge haben: Für die Mütter, die bisher den relativ schlechter bezahlten Erziehungsurlaub genommen haben - und das sind über 90% aller anspruchsberechtigten Mütter- , bietet das erwerbsarbeitsunabhängige Erziehungsgehalt eine willkommene finanzielle Unterstützung, allerdings mit dem Unterschied zu den bisherigen Regelungen von Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld, daß sie nicht auf zwei Jahre begrenzt ist. Vielmehr wird den Müttern ein Dauergehalt für Betreuungsarbeit angeboten. Die angebotene Minimalsicherung ist mit einer Teilzeitarbeit in einem typischen Frauenberuf vergleichbar und bietet zunächst gar nicht sehr viel weniger ökonomische Sicherheit. Darüber hinaus ist dieses Gehalt mit einem zweiten Kind sogar noch zu verdoppeln, eine Chance, die sich auf dem Arbeitsmarkt nicht bietet. Für die Mütter, die den Erziehungsurlaub bisher aus finanziellen Gründen nicht nehmen konnten, bietet das Erziehungsgehalt eine gewisse attraktive Absicherung beim Ausscheiden aus der Erwerbsarbeit, fördert also auch in dieser Gruppe das Ausscheiden. Nur für die Mütter, die bereits den Erziehungsurlaub nicht voll in Anspruch nehmen konnten oder wollten, weil sie am Ball bleiben wollten oder müssen, bietet das Erziehungsgehalt keine Alternative, denn ihnen geht es nicht so sehr um die finanzielle als um die qualifikatorische Bindung an die Erwerbsarbeit. Für die 2% der Väter, die bisher begrenzt Erziehungsurlaub genommen haben, wird das Erziehungsgehalt eine willkommene Aufstockung des Einkommens sein, für sie war die Gefahr des völligen Ausklinkens aus der Erwerbsarbeit noch nie gegeben. Für die 98% der Väter, die den Erziehungsurlaub bisher nicht genommen haben, sondern dieses eher den Müttern überlassen haben, wird die finanzielle Besserstellung der Mütter bei Erziehungsarbeit erst recht ein Grund sein, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung aufrechtzuerhalten. In ihren Augen werden diejenigen Mütter suspekt erscheinen, die trotz des Erziehungsgehaltes noch erwerbsarbeiten wollen, eine Sichtweise, der auch personalpolitische Entscheidungen in den Betrieben bald folgen werden. Untersuchungen über den Zusammenhang von Erwerbsarbeit und Kindererziehung haben ergeben, daß die Erwerbsarbeit der Mutter eine positive Basis für die Entwicklung des Kindes abgeben kann und daß die emotionale Sicherheit und Zufriedenheit der ausschlaggebende Faktor ist. Dies ist aber beeinflußt durch gesellschaftliche Rollenbilder und staatliche Strukturbedingungen. Je stärker die ausschließliche Mutter-Kind-Bindung als Garant für eine positive Entwicklung gepriesen wird, desto eher werden die erwerbstätigen Mütter unter Druck geraten, daß ihre Lebensform nicht konform ist. Aus einer solchen Rollenunsicherheit heraus verschlechtern sich die Entwicklungsbedingungen der Kinder. Es ist aber nicht die Tatsache mütterlicher Erwerbsarbeit an sich, sondern deren gesellschaftliche Problematisierung, die dies bewirkt. Das Erziehungsgehalt würde diese [Seite der Druckausg.: 9] Problematisierung weiter verstärken und das herstellen, was als natürliche Notwendigkeit dargestellt wird: die Mutter gehört zum Kind. Die Perspektive, die das Erziehungsgehalt für junge Frauen in ihrer Lebensplanung bietet, ist fatal: Wenn Frauen einen Beruf ergreifen wollten, weil sie damit ihre materielle Eigenständigkeit erwerben wollten, war das bisher ein akzeptierter Grund. Das Erziehungsgehalt-Konzept winkt nun mit einer Alternative, die jedoch die Eigenständigkeit nicht bietet. Wenn junge Frauen es auf dem Ausbildungsmarkt bereits heute schon schwieriger haben, einen Beruf zu erlernen, der ihnen eine lebenslange Berufsperspektive eröffnet, so wird mit dem Erziehungsgehalt ein Einstieg nicht einfacher, ein Ausstieg aber noch leichter. Das Erziehungsgehalt stellt für junge Frauen die Weiche in die private Arbeit statt in die Erwerbsarbeit. Zweiter Faktor: Hohe Abhängigkeit der Mütter vom Ehemann Das Erziehungsgehalt verspricht: 2.000 DM für das erste Kind, 3.000 DM bei zwei kleinen Kindern, bezugsberechtigt ist die Erziehungsperson, in der Regel die Mutter (Leipert/Opielka, S. 34). Aktuell wird die finanzielle Unabhängigkeit der Mütter, die ihre Kinder betreuen, gestärkt, allerdings ist diese Stärkung nur vorübergehend. Selbst 3.000 DM für zwei kleine Kinder sind ein Gehalt, das nach Abzug der Steuern und der Sozialversicherungsbeiträge etwa dem heutigen Sozialhilfeniveau entspricht und damit zwar die materielle eigenständige Existenz sichern kann, aber keine erweiterungsfähige finanzielle Ressource darstellt. Es bietet mehr, als viele nichterwerbstätige Mütter heute zur Verfügung haben, aber weniger, als viele Frauen in einem qualifizierten Beruf verdienen würden. Im Alter bietet dieses niedrige Gehalt keine ausreichende Absicherung, spätestens dann ist die Mutter wieder auf die Sozialversicherungsleistungen oder den Verdienst des Partners angewiesen, genau wie diejenigen, die heute aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Da die Bezugsdauer zunächst für sechs Jahre in voller Höhe vorgesehen ist, wird das Erziehungsgehalt für diejenigen, die es ausschließlich in Anspruch nehmen, zur Arbeitsmarktfalle: Ein Wiedereingliedern wird mit zunehmender Dauer der Nichterwerbsarbeitszeit schwerer und zu immer schlechteren Bedingungen erfolgen. Bereits heute ist bekannt, daß die Wiedereingliederung von Müttern sehr oft unter dem vorher erreichen Niveau und zu schlechteren Bedingungen erfolgt, wenn sie überhaupt gelingt. Ohne kontinuierliche Erwerbsarbeit ist die Abhängigkeit vom Ehemann durch das Erziehungsgehalt nur gemindert, auf keinen Fall aufgehoben. Je mehr Kinder eine Frau erzieht, desto eher wird sie bis zu einem gewissen Grad aus der Abhängigkeit vom Ehemann befreit, desto stärker wird sie aber auf ihre Gebärfähigkeit als einziger Quelle des Reichtums verwiesen. Wenn Frauen durch das Erziehungsgehalt nicht mehr so sehr vom Berufsschicksal des Mannes abhängig sind, verlagert sich ihre Abhängigkeit auf ihre Gebärfähigkeit, ein zweifelhafter Gewinn. Es entsteht eine Gesellschaft mit doppeltem Maßstab: Für Männer wird nach wie vor die berufliche Qualifikation, für Frauen die Anzahl ihrer Kinder zum Gradmesser materiellen Erfolgs und materieller Unabhängigkeit vor allem im Alter. Das Erziehungsgehalt hat auch eine bevölkerungspolitische Zielsetzung, die Erhöhung der Geburtenrate wird als eine wesentliche Komponente bei der Sanierung der Sozialversicherungen angesehen. In der Begleitstudie, die die Akzeptanz des Erziehungsgehaltes in erster Form messen sollte, hat die Infas Marktforschung insbesondere nach den Einflüssen auf den Kinderwunsch geforscht und festgestellt, daß das Erziehungsgehalt den Kinderwunsch erhöht und zu ca. 20% mehr Geburten führen würde. Allerdings sind die Autoren bezüglich der Verhaltensrelevanz solcher Aussagen sehr vorsichtig sind. Aus der Perspektive der Frauen bietet das Erziehungsgehalt eine umso bessere finanzielle Absicherung, je mehr Kinder sie haben und je weniger Geld sie für die Fremdbetreuung ausgeben. Je mehr sie ihre Gebährfähigkeit nutzen, je stabiler wird ihr Arbeits [Seite der Druckausg.: 10] platz. Im gleichen Zug wird ihnen aber auch die Selbstbestimmung über die Schwangerschaften beschnitten werden: Die von konservativer Seite immer wieder angestrebte Verschärfung des § 218 wird mit Einführung eines Erziehungsgehaltes neuen Auftrieb erhalten. Dem Argument, Frauen seien durch ökonomische Zwangslagen zu einem Schwangerschaftsabbruch gezwungen, wäre der Boden entzogen. Die Entscheidung gegen eine Schwangerschaft wird den Frauen erschwert werden, wenn ihnen der Staat ein Gehalt zahlt (vgl. Merkel 1997). Darüber hinaus verstärkt die erwerbszeitabhängige Zahlung des Erziehungsgehalts die eheliche Abhängigkeit, denn in dieser Variante gibt es das volle und dennoch für die Existenzsicherung unzureichende Erziehungsgehalt nur, wenn die Erwerbszeit bis auf 19 Stunden oder in der zweiten Variante auf weniger als fünf Stunden in der Woche reduziert wird. Das zeigt, daß es hier nicht um die Betreuungs- und Erziehungsarbeit selber geht, sondern vor allem um die finanzielle Unterstützung beim Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt, und das für eine lange Zeit, mindestens bis zum sechsten Lebensjahr des letzten Kindes. Wer vom Staat mit einem Erziehungsgehalt alimentiert werden will, muß sich also in die eheliche Abhängigkeit begeben, wobei die Höhe der staatlichen Unterstützung bei weitem für viele nicht ausreicht, das materielle Niveau zu halten, das bei Beibehaltung der Erwerbsarbeit möglich wäre. Dritter Faktor: Ausmaß der öffentlichen Kinderbetreuung Ein Teil der Summe, die für das Erziehungsgehalt aufgebracht werden muß, soll aus dem bislang für die öffentliche Kinderbetreuung ausgegebenen Topf genommen werden. In der Logik des Erziehungsgehaltes ist dies nur folgerichtig, da ja die private Erziehungsarbeit aufgewertet werden soll. Erziehungsgehalt ist also eine Alternative zu einem Ausbau öffentlicher Kinderbetreuung, eine Alternative zu einer umfassenden gesellschaftlichen Finanzierung professioneller Erziehungsarbeit. Weder Mittel für mehr öffentliche Kinderbetreuungsplätze noch die Mittel für die angemessene Bezahlung der in den Erziehungsberufen Arbeitenden, noch gar die Mittel für eine Erhöhung des Ausbildungsniveaus in diesen Berufen, wie sie in anderen Ländern bereits vorhanden ist, stehen damit mehr zur Verfügung. Demnach ist also auf keinen Fall ein Ausbau oder eine Qualitätsverbesserung der öffentlichen Betreuung zu erwarten. Die Einführung eines Erziehungsgutscheines soll sogar konzeptionell von der Objektförderung, also der Förderung und öffentlichen Gestaltung der Einrichtungen, zur Subjektförderung, also zur Förderung der Eltern als Kunden, führen. Damit wird ein nach dem Paradigma des freien Marktes gestaltetes Kinderbetreuungsarrangement favorisiert: Die Eltern avancieren zu finanzkräftigen Nachfragern nach Kinderbetreuungsdienstleistungen. Die Einrichtungen, denen die staatliche Grundsicherung erst einmal genommen wird, müssen sich kundenorientiert verhalten und ihr Angebot dem Bedarf nach Umfang und Qualität der Eltern entsprechend ausgestalten. So modern dieser Gedanke auch erscheinen mag: Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch nicht einmal die Versorgung aller Drei bis Sechsjährigen mit einem Kindergartenplatz, geschweige denn mit einer Ganztagsbetreuung möglich, insbesondere gibt es noch immer regionale Unterversorgungen. Selbst in diesem Bereich, der ja nur einen kleinen Ausschnitt des Bedarfs bildet, gibt es wenig freie Wahl von Eltern, zumal die Kinderbetreuung der Kleineren ja möglichst wohnortnah erfolgen sollte. Die sogenannten Wahlmöglichkeiten sind dann eher durch die Wahl verschiedener Tagesmütter gegeben, eine privat finanzierte Form der Kleinkindbetreuung. Beim Ausbau dieser Variante allerdings würden öffentliche Betreuungsangebote weiter abgebaut bzw. gar nicht ausgebaut werden, ohne daß über Qualitätskriterien der Kindererziehung diskutiert oder entschieden wäre. Die Chancen, die in der [Seite der Druckausg.: 11] für die Kinder optimalen Gestaltung von öffentlichen Betreuungsangeboten bestehen, werden durch die Verlagerung auf die Subjektförderung verspielt. Schlechter ausgestattete oder in der Grundsicherung nicht abgesicherte Kindertageseinrichtungen werden eher vom Markt verschwinden, denn sie können nur qualitativ gut arbeiten, wenn sie nicht den Wechselfällen des Elternmarktes ausgesetzt sind, sondern wenn die öffentliche Hand für einen sicheren finanziellen Rahmen sorgt. Die Überprüfungen der drei Kriterien, die für das "starker-Ernährer-Modell" des bundesdeutschen Sozialstaates charakteristisch sind, haben gezeigt, daß die Einführung eines Erziehungsgehaltes dieses Modell weiter verstärken würde: Die Müttererwerbsquote würde weiter sinken, die Abhängigkeit der Frauen vom Ehemann würde zumindestens auf Dauer gesehen verstärkt und der Grad der öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen würde eher verringert als erhöht.
2.2 Erziehungsgehalt schafft einen Niedriglohnsektor für Mütter
Arbeitslosigkeit und die Krise der Sozialversicherung, das sind die analytischen Ausgangsbedingungen, auf die das Konzept Erziehungsgehalt antworten soll. Die Antwort erscheint genial: die Umdefinition der Erwerbslosigkeit von Erziehenden als Erwerbstätigkeit und die Erhöhung der Kinderzahl als zukünftige Sicherung der Rentenversicherung. Die Arbeitsmarkteffekte des Erziehungsgehaltes werden in verschiedenen Aspekten beschrieben: Den höchsten Anreiz, bestehende Erwerbsarbeit aufzugeben, bietet die erwerbszeitabhängige Variante: Hier gibt es nur dann die volle Höhe des Erziehungsgehaltes, wenn eine entsprechende Reduktion der Erwerbsarbeitszeit bei den Eltern vorliegt, entweder, wenn ein Partner die Erwerbsarbeit ganz aufgibt- oder gar keine Erwerbsarbeit hatte- oder wenn beide bislang vollzeitig Erwerbstätigen beide die Arbeitszeit um die Hälfte reduzieren. In der ersten Variante wird die volle Aufwertung des häuslichen Arbeitsplatzes gesehen: Eine echte Alternative zum Erwerbsarbeitsplatz ist gegeben. Damit ergeben sich Umschichtungen auf dem Arbeitsmarkt: Die freigewordenen Stellen der die Arbeitszeit reduzierenden Eltern können von Arbeitslosen eingenommen werden, und gleichzeitig zählen die Eltern nicht als Arbeitslose, also ein doppelter Effekt. Das erwerbszeitunabhängige Erziehungsgehalt bietet weniger direkte Anreize, die Erwerbsarbeit aufzugeben, kann aber dazu führen, daß Frauen eine bereits gering bezahlte Teilzeitarbeit aufgeben, um ihre Kinder ganz privat zu betreuen. Auch hier bieten sich neue Stellen für Arbeitslose. Alle diejenigen, die das volle Erziehungsgehalt bekommen und trotzdem erwerbsarbeiten, werden mit diesem Geld die außerhäuslichen, öffentlichen oder privat organisierten Kinderbetreuungsformen besser finanzieren können, hier wäre ein Beschäftigungseffekt zu erwarten. Allerdings, und das ist zu bedenken, ist dieser Beschäftigungseffekt insbesondere im Bereich der als niedrig oder unqualifiziert angesehenen Arbeit zu erwarten. Durch die zur Finanzierung des Erziehungsgehalts notwendigen Einsparungen im Bereich der öffentlichen Kinderbetreuung werden die Betreuungsarbeiten eben nicht in professionalisierten, sondern in niedrig bezahlten Arbeitsverhältnissen geleistet werden. Das Erziehungsgehalt-Konzept führt neben dem Ausscheiden von Frauen aus dem Erwerbsarbeitsmarkt gleichzeitig auch dazu, daß Frauen wieder verstärkt die Arbeitsformen aufnehmen werden, in denen sie bereits heute arbeiten. Untersuchungen haben gezeigt, daß gerade Mütter, die als nicht erwerbstätig registriert sind, in prekären Be- [Seite der Druckausg.: 12] schäftigungsformen arbeiten. Sie werden auch bei Bezug von Erziehungsgehalt diese Arbeitsverhältnisse weiter eingehen müssen oder wollen: Die Rückkehr in ihren qualifizierten Beruf ist ja erst nach Abschluß der Familienphase, also mit dem 18. Lebensjahr ihres letzten Kindes, vorgesehen. Die Umformung der bisher unbezahlten und privat geleisteten Betreuungsarbeit in steuer- und sozialversicherungspflichtige Arbeit schafft einen neuen Arbeitssektor, der dem bestehenden Arbeitsmarkt konkurrenzlos gegenübersteht. Die Entlohnung an diesen so geschaffenen Arbeitsplätzen läge bei durchschnittlich 2.000 DM brutto und das für eine Arbeit, die nicht nur über acht Stunden täglich, sondern rund um die Uhr zu leisten ist, ohne Wochenende oder Ferien. Darin ist die Schaffung eines gewaltigen, staatlich finanzierten Niedriglohnsektors zu sehen, eine arbeitsmarktpolitische Option, die bereits in anderen Feldern umstritten ist. Dieser Sektor würde bei den gegenwärtigen Verhältnissen zwischen den Geschlechtern fast ausschließlich von Frauen besetzt werden. Als Mütter, ob im Erziehungsurlaub, ohne Erwerbsarbeitsbindung oder neben der Erwerbsarbeit arbeiten sie bereits heute unter noch schlechteren finanziellen Bedingungen im privaten Haushalt, allerdings im Erziehungsurlaub mit dem Vorteil der zeitlichen Begrenzung. Diese ist nun im Modell des Erziehungsgehaltes nicht enthalten, im Gegenteil. Es sieht in der Phase 2 bis zum 18. Lebensjahr des Kindes eine einkommensabhängige Zahlung von 1.400 DM für das erste und 600 DM für jedes weitere Kind vor, über das 18. Lebensjahr hinaus noch die einkommensabhängige Grundsicherung von 1.400 DM. Damit ist klar: Wenn die private Erziehungsarbeit zu einem Arbeitsplatz umdefiniert wird, so soll dieser Arbeitsplatz auch über einen sehr langen Zeitraum bis über 20 Jahre hinweg zur Verfügung stehen. Das Erziehungsgehalt führt damit zu einer weiteren Verschärfung der geschlechtsspezifischen Spaltung des Arbeitsmarktes, indem es einen neuen, fast ausschließlich von Frauen besetzten Sektor niedrig bezahlter Beschäftigung schafft und den bereits bestehenden Sektor deregulierter Arbeit verbreitert. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 1999 |