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1. Problemstellung

Im November 1998 hat das Bundesverfassungsgericht (Beschluß des Zweiten Senats) in einem Urteil entschieden, daß Kindern nicht nur ein existentieller Sachbedarf, sondern auch ein genereller Betreuungsbedarf zuzugestehen ist und daß dies steuerlich berücksichtigt werden muß. Neu an dieser Entscheidung ist die Anerkennung der Tatsache, daß die Deckung dieses Betreuungsbedarfs auch zum notwendigen Existenzminimum jeder Familie zu zählen ist. Bislang gab es diese Anerkennung nur für Alleinerziehende. Dieses von allen Seiten begrüßte Urteil wollte die Benachteiligung ehelicher Familien gegenüber anderen Formen der Lebensgemeinschaft aufheben. Das Urteil hat dazu geführt, daß die Debatte über Umfang und Formen des Familienlastenausgleichs wieder neu aufgelebt ist und über Kindergelderhöhungen, Steuerentlastungen oder kombinierte Formen der Förderung der Eltern mit Kindern wieder diskutiert wird (vgl. DIW 1999).

In diese Debatte wird von konservativer Seite nun der Vorschlag eingebracht, ein Erziehungsgehalt zu zahlen. Das Erziehungsgehalt wurde als ein großes familienpolitisches Projekt vom Deutschen Arbeitskreis für Familienhilfe e.V. bereits im März 1996 vorgestellt (Hatzold, Leipert 1996). Kern des Vorschlags ist die Zahlung eines Erziehungsgehaltes von monatlich 1.300 DM je Kind unter zwölf Jahren an den betreuenden Elternteil, sofern dieser gar nicht oder allenfalls halbtags beschäftigt ist. In einem Gutachten über die wirtschaftlichen und sozialen Wirkungen bezahlter Erziehungsarbeit der Eltern wurde das Erziehungsgehalt von vier renommierten Instituten aus verschiedenen Perspektiven untersucht. Das Zykloplan-Institut für Familie und Gesellschaftspolitik in München, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung e.V. in Berlin, das ifo-Institut für Wirtschaftsforschung e.V. in München und die Infas Wirtschaftsforschung GmbH in München haben daran mitgewirkt. Bereits im Oktober 1996 hat der Landesparteitag der CDU in Sachsen die Einführung eines Erziehungsgehaltes beschlossen. Das sächsische Innenministerium legte bald darauf einen finanziell etwas bescheideneren Entwurf vor: Danach sollten 1.100 DM vom ersten bis dritten Lebensjahr, 800 DM vom vierten bis sechsten Lebensjahr eines Kindes sozialabgabenpflichtig für die Person gezahlt werden, die allenfalls halbtags beschäftigt ist. Ein Teil des Geldes soll als Betreuungsgutschein ausgegeben werden, mit dem die Eltern entscheiden können, wie eine Fremdbetreuung des Kindes aussehen soll. Damit war die im Erziehungsgehaltkonzept vorhandene Idee des Übergangs von der sogenannten Subjekt- zur Objektförderung vollzogen. Mit diesem Begriff ist gemeint, daß der Staat die Kinderbetreuungsstätten nicht mehr in der Form vorhält wie bisher, sondern daß ein Betreuungsmarkt geschaffen wird, in dem die Eltern zu Kunden werden und die Betreuungsstätten zu Unternehmern.

Die Diskussion um das Erziehungsgehalt entbrannte, der Deutsche Frauenrat sprach sich gegen den sächsischen Entwurf aus (Deutscher Frauenrat 1998), die Hausfrauengewerkschaft begrüßte ihn. "Endlich Anerkennung der Arbeit der Mütter", freuten sich die einen, "ein neuer Zug zur weiblichen Reservearmee", kritisierten die anderen.

Im April 1998 legte der Deutsche Arbeitskreis für Familienhilfe ein zweites Gutachten vor. Verantwortlich zeichnen Christian Leipert und Michael Opielka: "Erziehungsgehalt 2000. Ein Weg zur Aufwertung der Erziehungsarbeit". Als Kernpunkt der Reform wird nun die materielle Honorierung von Erziehungsarbeit dargestellt, die sozialversicherungspflichtige Geldleistung beträgt nun 2.000 DM für das erste Kind und 1.000 DM für jedes weitere Kind bis zum Alter von sieben Jahren. Ab dem Alter von acht Jahren sollen es 1.400 DM für das erste Kind, 600 DM für das zweite und alle weiteren Kinder sein, allerdings soll dieser Betrag einkommensabhängig gezahlt werden. Darüber hinaus ist eine einkommensabhängige Grundsicherung ab dem 18. Lebensjahr für die Erziehungsperson vorgesehen.

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Die Kosten für dieses Konzept belaufen sich auf ca. 125 Milliarden. Der Finanzierungsvorschlag umfaßt Einsparungen im Bereich der staatlichen Mittel für Sozialleistungen, Einsparungen im Bereich der Objektförderungen (Kinderbetreuung), aber auch Veränderungen des Ehegattensplittings und einen steuerlichen Familienzuschlag.

Bezeichnend für dieses zweite Gutachten ist die Vorstellung und Diskussion einer Vielfalt von Varianten. So werden diskutiert:

  • erwerbszeitabhängige oder erwerbszeitunabhängige Geldleistungen, was bedeutet, daß die Gelder für die Erziehungsarbeit entweder allen bezahlt werden oder nur dann, wenn bestimmte Arbeitszeitverkürzungen für die Betreuung des Kindes nachgewiesen werden,
  • ausschließliche Geldleistungen oder kombinierte Geldleistung mit Erziehungsgutscheinen, was bedeutet, daß mit dem Erziehungsgutschein ein Teil des Geldes für die Fremdbetreuung reserviert ist,
  • die strikte Bindung der Geldleistungen an das Alter der Kinder oder die Variante eines Zeitkontos, innerhalb dessen der Anspruch auf die Geldleistung besteht,
  • die Geldleistung ohne Voraussetzungen oder deren Verknüpfung mit Auflagen zur Elternbildung.

Mit diesen Varianten nimmt das Gutachten die Kritik, die an dem ersten Modell geübt wurde, auf. Es gibt sich den Anschein, ohne jede ideologische Scheuklappe, weder der von Feministinnen noch von Vertretern konservativer Familienmodelle, vor allem eins zu wollen: die Aufwertung der Erziehungsarbeit. Mit diesem Gutachten gibt es nun nicht mehr das eine Modell Erziehungsgehalt, sondern eine Vielzahl von Varianten, die Erziehungsarbeit monetär zu vergelten.

Dennoch bietet das Konzept Erziehungsgehalt auf die Frage, in welcher Form und in welcher Höhe die Kinderbetreuungsarbeit finanziert werden soll, eine strukturkonservative Antwort. Im folgenden soll dies aus vier Perspektiven begründet werden:

  1. Es werden die Konsequenzen einer monetären Vergütung der Erziehungsarbeit für das Geschlechterverhältnis im Sozialstaat, den Arbeitsmarkt und die Bevölkerungsentwicklung diskutiert.
  2. Es wird die sogenannte Aufwertung der Familienarbeit als feministisches Mißverständnis interpretiert.
  3. Es werden Leitbilder der Kindererziehung, die hinter dem Erziehungsgehalt stecken, analysiert.
  4. Es werden konzeptionelle Alternativen zum Erziehungsgehalt beschrieben.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 1999

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