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Wilhelm Adamy
Kombilohn als Beschäftigungschance – Eine Einschätzung des Deutschen Gewerkschaftsbundes




1. Beschäftigungsrisiken Geringqualifizierter

Für Geringqualifizierte gibt es gewiß außerordentlich große Beschäftigungsprobleme. Je niedriger die berufliche Qualifikation, desto schlechter ist zweifelsohne die Stellung am Arbeitsmarkt. Mittlerweile ist fast jeder vierte „Ungelernte" im Westen arbeitslos.

Seit 1990 sind fast eine Million Arbeitsplätze für Ungelernte weggefallen. Die Zahl der Arbeitslosen ohne Ausbildung hingegen erhöhte sich im gleichen Zeitraum „nur" um rund 580.000. Der absolute Anstieg der Arbeitslosigkeit ist damit deutlich hinter den Beschäftigungsverlusten zurückgeblieben. Wie prekär die Situation aber dennoch ist, zeigt sich daran, daß fast die Hälfte aller registrierten Arbeitslosen im Westen keinen Berufsabschluß hat, obwohl sie nur noch knapp 20% der Erwerbstätigen stellen.

Dennoch darf nicht übersehen werden, daß die Langzeitarbeitslosigkeit von Qualifizierten in jüngster Zeit weit überdurchschnittlich gestiegen ist, und zwar zwischen 1995 und 1997 im Westen um ein Drittel und im Osten um 41,5%. Mehr als jeder dritte arbeitslose Facharbeiter bzw. qualifizierte Angestellte wartet im Westen bereits seit mehr als einem Jahr vergebens auf einen Arbeitsplatz.

Alle Prognosen zeigen übereinstimmend, daß der Bedarf an qualifizierten und hoch qualifizierten Erwerbstätigen weiter ansteigen wird. Der Anteil der Ungelernten wird weiter zurückgehen, auf einen Anteil von 10–13%.

Die Ursachen für das sehr hohe Arbeitsmarktrisiko der Geringqualifizierten sind vielschichtig. So sind die Arbeitsplätze der Ungelernten meist einem besonders harten internationalen Wettbewerb ausgesetzt und drohen bei betrieblichen Rationalisierungsmaßnahmen häufig wegzufallen.

Mit der sich verfestigenden Arbeitslosigkeit verstärken sich zugleich Auswahl- und Verdrängungseffekte am Arbeitsmarkt. So sind immerhin 25–30% aller

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betrieblich ausgebildeten Fachkräfte auf an- oder ungelernten Arbeitsplätzen tätig. Qualifizierte Arbeitskräfte verdrängen so Ungelernte.

Auch bei der Weiterbildung zeigt sich ein deutliches qualifikatorisches Gefälle. Ungelernte, aber auch Fachkräfte in Risikoberufen sind, gemessen an ihrem Beschäftigungsanteil, deutlich unterrepräsentiert, insbesondere bei betrieblicher Weiterbildung.

Nicht zuletzt haben die globalen Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt einen starken Einfluß auf die Beschäftigungschancen der Geringqualifizierten. Trotz aller ungünstigen Arbeitsmarktprognosen für diesen Personenkreis hätte ein spürbarer Abbau der Arbeitslosigkeit auch positive Auswirkungen am unteren Rande unseres Beschäftigungssystems.

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2. Zum Defizit im Dienstleistungssektor

Vielfach wird unterstellt, daß insbesondere im Dienstleistungsbereich ein erhebliches Potential für zusätzliche Arbeitsplätze für Ungelernte besteht. Die bayerisch-sächsische Zukunftskommission spricht beispielsweise von bis zu vier Millionen neuen Arbeitsplätzen, die bei einem Kombilohn bei „einfachen" Dienstleistungen entstehen könnten. Fundierte Schätzungen zu dem tatsächlichen Beschäftigungspotential gibt es bisher aber leider nicht.

Die Ausweitung des Dienstleistungssektors ist aber keinesfalls gleichzusetzen mit dem Ausbau von niedrig qualifizierten Arbeitsplätzen. Auch bei personenbezogenen Dienstleistungen sind vielfach hohe und flexible Qualifikationen erforderlich, wie Unterrichten, Beraten oder Informieren. Auch hauswirtschaftliche Dienstleistungen oder Wach- und Kontrollpersonal setzen meist Qualifikationen voraus.

Allzu oft beschränken sich vage Angaben zu den beschäftigungspolitischen Perspektiven auf einen allgemeinen Vergleich mit den USA. Dabei sind die Unterschiede im Dienstleistungssektor im Vergleich zu den USA geringer als vielfach angenommen. Vergleicht man beispielsweise nicht die Branchen, sondern die Dienstleistungsberufe, so zählen in Deutschland hierzu rund 74% der Erwerbstätigen und in den USA 79%.

Dennoch darf nicht übersehen werden, daß es bei Beratung, Handel oder Gastgewerbe gewiß noch Beschäftigungspotentiale gibt. Auch bei den privaten Haushalten sowie der Wohlfahrtspflege könnten bei einer Übertra-

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gung der amerikanischen Verhältnisse neue Arbeitsplätze entstehen. Zu berücksichtigen sind dabei allerdings die kulturellen Unterschiede wie auch die z.T. anderen Lebensgewohnheiten. Nicht ausgeblendet werden sollte zudem, daß die Subventionierung personenbezogener Dienstleistungen Verteilungswirkungen haben könnte, die möglicherweise unerwünscht sind, da sie stärker von besser verdienenden Haushalten in Anspruch genommen werden. Zweifelsohne spielt auch das zur Verfügung stehende Haushaltsnettoeinkommen für die Nachfrage nach konsumtiven Diensten eine entscheidende Rolle.

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3. Zum Niveau unterster Tariflöhne

Vielfach herrscht Unkenntnis über das Niveau der unteren tariflichen Lohngruppen.

Wie niedrig die Einstiegslöhne in vielen Tarifverträgen sind, zeigt sich beispielsweise daran, daß im westdeutschen Einzelhandel eine Verkäuferin mit Berufsausbildung im ersten Jahr 12,93 DM pro Stunde verdient, im westdeutschen Friseurhandwerk eine Arbeitnehmerin mit Gesellenprüfung im ersten Jahr 10,55 DM pro Stunde, im ostdeutschen Friseurhandwerk sogar nur 6,70 DM. In der westdeutschen Schuhindustrie verdient ein ungelernter Angestellter 8,84 DM bis 13,39 DM je Stunde; ungelernte Arbeiter kommen in der Textilindustrie auf ein tarifliches Bruttoeinkommen von 2.421,00 DM und in den neuen Ländern auf monatlich 1.853,00 DM brutto.

Die Arbeits- und Wirtschaftsminister der Länder haben richtigerweise festgestellt, daß insbesondere in den neuen Ländern oft unter Tarif gezahlt wird. Dennoch zeichnen sich „selbst in diesem Niedriglohnsegment dort z.Z. keine zusätzlichen Beschäftigungspotentiale in der privaten Wirtschaft ab".

In der Zwischenzeit wurde selbst die Neutralität der Arbeitsämter hinsichtlich der Entlohnung aufgehoben. Selbst die Vermittlung in untertarifliche Arbeit wird von den Arbeitsämtern teils gefördert, wie beispielsweise beim Eingliederungsvertrag. Zudem werden Lohnausfallkosten vom Arbeitsamt übernommen. Es gibt während dieser Förderung keinerlei Kündigungsschutz und es kann nach Belieben bezahlt werden. Dennoch erweist sich dieses Instrument als arbeitsmarktpolitischer Flop des Jahres.

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4. Chancen und Risiken von Kombilohn-Modellen

Mit dem Kombilohn, d.h. der Aufstockung von Niedriglohn mittels steuerfinanzierten Sozialtransfers, werden zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen versucht: Einfach und geringqualifizierte Arbeit soll billiger gemacht werden, ohne daß die Betroffenen am Hungertuch nagen sollen. Zugleich soll eine neue Wachstumsdynamik bei persönlichen Dienstleistungen angeregt werden. Der Billiglohn würde durch staatliche Transfers aufgestockt, so daß die Betroffenen deutlich mehr in der Tasche haben sollen als bisher. Angesetzt wird dabei entweder bei betrieblichen Zuschüssen oder unmittelbaren Einkommenshilfen der Arbeitnehmer. Sie unterscheiden sich zugleich danach, ob die Sozialleistung selbst bzw. der Freibetrag für Erwerbstätige erhöht wird oder Steuern und Abgaben im Niedriglohnsektor reduziert werden.

4.1 BDA-Modell

Die BDA hatte gefordert, neue Niedriglohnbereiche zu schaffen, die etwa 20% unter den derzeitigen unteren Lohngruppen liegen. Damit es sich für Arbeitslose dennoch lohne, gering bezahlte Jobs anzunehmen, müßte der Lebensunterhalt durch Kombieinkommen aufgebessert werden. Das Arbeitgebermodell ist finanziell jedoch sehr teuer und belastet die Kommunen sehr stark. Der Vorschlag der BDA hätte dazu geführt, daß Arbeitnehmer mit Durchschnittseinkommen sozialhilfeberechtigt wären und auch diejenigen anspruchsberechtigt wären, die bereits heute arbeiten, ohne sozialhilfeberechtigt zu sein.

Eine dreiköpfige Familie könnte nach dem BDA-Modell selbst bei einem Bruttoerwerbseinkommen von knapp 3.800,00 DM noch Sozialhilfe beziehen, eine fünfköpfige Familie würde erst bei einem Bruttoerwerbseinkommen von 5.054,00 DM aus der Sozialhilfebedürftigkeit herauswachsen.

Wie aber läßt sich erklären, daß bei der von den Arbeitgebern ansonsten immer wieder geforderten Leistungskürzung ein Modell vorgeschlagen wird, mit dem sich das Füllhorn staatlicher Sozialtransfers bei einer Spannbreite von Erwerbseinkommen ergösse, die weit über den statistischen Durchschnittsverdienst hinaus reicht.

Der DIHT-Präsident Stiehl formulierte denn auch die eigentliche Absicht der Arbeitgeber: „Wir können nicht auf einen Schlag das gesamte Sozialniveau absenken, ohne daß die Sozialpolitiker aller Couleur aufschreien. Deshalb

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halte ich den Weg für sinnvoll, über den Kombilohn diesen tabuisierten Bereich aufzubrechen". (Wirtschaftswoche Nr. 51/97, S. 3)

Speziell mit dem BDA-Modell eines Kombilohns ist verbunden, die Dauer des Arbeitslosengeldbezuges auf 12 Monate zu begrenzen, die Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe zu verzahnen und mittelfristig die Arbeitslosenhilfe ganz abzuschaffen sowie die Sozialhilfe einzufrieren. Dies wäre nichts anderes als eine weitere Runde des Sozialabbaus. Dieses Konzept würde nicht zuletzt wegen des Lohnabstandsgebots das Sozialhilfesystem sprengen und zu einer generellen Absenkung der Sozialhilfeleistung führen.

4.2 Blüm-Modell

Das Kombilohn-Modell des ehemaligen Bundesarbeitsministers Blüm sieht wie folgt aus:

Arbeitslosenhilfeempfänger, die eine niedrig entlohnte Tätigkeit annehmen, sollen einen staatlichen Zuschuß erhalten. Damit soll ihr Gesamtnettoeinkommen um 20 Prozentpunkte über die Arbeitslosenhilfe angehoben werden. Durch den Kombilohn soll das Einkommen also vorübergehend auf 71% bzw. 77% (mit Kindern) aufgebessert werden. Die ergänzenden Leistungen sollen lohnsteuer- und sozialversicherungsfrei sein. Damit würden aber keine zusätzlichen Ansprüche an Arbeitslosen- und Rentenversicherung erworben. Zugleich würde der Anwendungsbereich der Zumutbarkeitsregelung ausgeweitet, da durch den Aufstockungsbetrag für weit mehr Menschen diese Jobs zumutbar sind.

Das Blüm-Modell ist zum Teil noch nicht durchdefiniert. So ist der Lohnkorridor noch nicht konkret bestimmt, innerhalb dessen eine Förderung möglich sein soll. Folglich muß ein Mindestlohn-Korridor bestimmt werden, innerhalb dessen die Zuschüsse gezahlt werden sollten.

4.3 SPD-Modell

In der SPD wird demgegenüber das Konzept gestaffelter Sozialabgaben diskutiert. Dieses Modell will nicht in die Tarifautonomie eingreifen, sondern die Rahmenbedingungen im Abgabesystem zugunsten geringbezahlter Tätigkeiten ändern. Danach soll der Bund bis zu einem Lohn von 10,00 DM pro Stunde die Sozialversicherungsbeiträge voll übernehmen und die eigene Beitragsleistung – zur Hälfte vom Arbeitgeber finanziert – erst dann in einem gleiten-

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den System mit steigendem Einkommen ansetzen. Erst bei 18,00 DM pro Stunde bestünde die volle Beitragspflicht für Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Aber auch dieses Modell ist wenig zielgenau und würde auch diejenigen einbeziehen, die bereits heute kein höheres Erwerbseinkommen erzielen.

Im SPD-Wahlprogramm heißt es hingegen präziser: „Wir wollen das Angebot für haushaltsbezogene Dienstleistungen in privaten Serviceagenturen bündeln, dort reguläre und sozial abgesicherte Arbeitsverhältnisse schaffen. Bei Bedarf kann jeder Haushalt die Leistungen dieser Vermittlungsagentur für die gewünschte Zeit abrufen. Die Bezahlung der Dienstleistung erfolgt zum Teil durch den privaten Haushalt selbst, zum anderen Teil durch Dienstleistungsgutscheine, die für jeden privaten Haushalt erhältlich sind. Die Kosten der Gutscheine übernimmt die Bundesanstalt für Arbeit. Dadurch werden die Kosten der Arbeit für die privaten Haushalte so verbilligt, daß auch Normalverdienende sich Haushaltshilfen leisten können und damit der gewünschte Beschäftigungseffekt erreicht wird. Durch diese neuen Arbeitsplätze spart die Bundesanstalt für Arbeit Geld, das sie sonst für Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe ausgeben müßte."

4.4 Mainzer Modell

Ein weiterer Ansatzpunkt ist das „Mainzer Modell für Beschäftigung und Familienförderung". Es sieht bis zu einem Bruttoeinkommen von monatlich rund 1.550,00 DM für Ledige und 3.100,00 DM für Verheiratete einen Zuschuß zum Sozialversicherungsbeitrag aus Steuermitteln vor. Zugleich wird ein Zuschlag zum Kindergeld gezahlt. Vorgeschlagen wird ein Betrag von 150,00 DM zum regulären Kindergeld. Dieser Zuschlag soll Arbeitnehmerhaushalten gewährt werden, die aufgrund ihrer Einkommensverhältnisse wohngeldberechtigt sind.

Bei Alleinverdienenden soll der Sozialversicherungsbeitrag zwischen 620,00 DM bis 1.240,00 DM voll subventioniert und dann linear abgebaut werden.

Mit dem einkommensabhängigen Kindergeldzuschlag wird sichergestellt, daß der finanzielle Ausgleich in einer Höhe gezahlt wird, den das Sozialamt für den Lebensunterhalt von Kindern zu zahlen hat. Die Koppelung des Kindergeldzuschlages an die Richtlinien der Wohngeldgewährung bewirkt eine relative zielgenaue Unterstützung der Kleinverdienerhaushalte, vermeidet aber zusätzlichen bürokratischen Aufwand bei der Leistungsgewährung.

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4.5 Bewertung

Bei allen Modellen stellt sich die Frage, ob alle Arbeitskräfte – und damit auch die bereits erwerbstätigen – einbezogen werden sollen, was sehr schnell einen großen Finanzbedarf auslöst. Bei einer Begrenzung auf Arbeitslose wird die Förderung zugleich zeitlich befristet sein müssen, während die auf die Einbeziehung aller Niedriglöhne eher auf eine längerfristige Förderung abzielt.

Soweit die Modelle am Sozialversicherungssystem ansetzen, ergeben sich zugleich unmittelbare Rückwirkungen auf die Ausgestaltung des Sozialsystems und die Existenzsicherung der Betroffenen.

Ausgeblendet bei der Diskussion sind meist die zahlreichen Eingliederungshilfen und Lohnsubventionen, die es schon heute gibt, in den Betrieben jedoch nur zum Teil genutzt werden.

Aus der Arbeitsmarktforschung zu Lohnkostenzuschußprogrammen sind jedoch Verdrängungseffekte ebenso bekannt wie Substitutionseffekte. Schwervermittelbare werden häufig durch diese Zuschüsse auf Arbeitsplätze vermittelt, die ansonsten nicht subventionierte Arbeitskräfte innehalten. Substitutionseffekte entstehen, wenn Unternehmen ohne Lohnkostenzuschüsse bei neuen Einstellungen Kurzzeitarbeitslose gegenüber Langzeitarbeitslosen bevorzugen und sich dieses Verhalten erst durch Lohnkostenzuschüsse ändert.

So zeigt das arbeitsmarktpolitische Instrument der Strukturanpassungsmaßnahmen für Wirtschaftsunternehmen im Osten, daß ohne konkrete beschäftigungspolitische Auflagen betriebliche Mitnahmeeffekte schnell entstehen können. Dieses auf Ostdeutschland begrenzte Förderinstrument verdrängt zwischenzeitlich die klassischen Eingliederungszuschüsse an Arbeitgeber. Jedes Unternehmen im gewerblichen Bereich kann einen Zuschuß von über 2.000,00 DM erhalten, wenn Arbeitslose zusätzlich eingestellt und innerhalb der letzten sechs Monate das Personal nicht abgebaut wurde.

Auch die verbesserte steuerliche Regelung zur regulären Beschäftigung bei haushaltsbezogenen Dienstleistungen hat nicht die erwarteten Effekte gebracht. Nach den IAB-Berechnungen gibt es ein Potential von 500.000 bis 600.000 Haushalten, für die sich die steuerliche Förderung lohnen würde. Dennoch werden Zweifel geäußert, ob die steuerliche Neuregelung die Zahl

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der regulär Beschäftigten in Privathaushalten von gut 30.000 nachhaltig erhöhen kann (vgl. IAB Werkstattbericht Nr. 5/98, S. 8).

Von entscheidender Bedeutung bei all diesen Modellen ist die Frage, ob ein neuer Niedriglohnsektor sich neutral gegenüber dem bestehenden Tarifgefüge verhält oder das Lohn- und Gehaltsgefüge nach unten gedrückt und ein Drehtüreffekt in Gang gesetzt wird, bei dem besser entlohnte Tätigkeit durch geringentlohnte Tätigkeit verdrängt wird. Sowohl von einer dauerhaften Subventionierung von Arbeitskosten als auch individuellen Zuschüssen zum Arbeitseinkommen können falsche Marktsignale ausgehen, die mit beträchtlichen Risiken für Beschäftigung, Tarif- und Sozialsystem verbunden sein können. Am ehesten werden all diese Risiken hingegen beim „Mainzer Modell" zu verhindern versucht.

Gemeinsam ist allen diesen Modellen jedoch, daß konkrete Aussagen zu den förderungsfähigen Tätigkeitsfeldern fehlen. Dies gilt ebenso hinsichtlich einer realistischen Einschätzung der erwarteten Beschäftigungseffekte.

Den Betrieben ist es vollkommen überlassen, welchen Lohn sie zahlen. Bewegen sie sich bis zur Höchstgrenze des Zuschusses, entstehen ihnen keine Kosten, mit Ausnahme der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung. Dieser von den Arbeitsämtern gewährte pauschale Zuschuß ist häufig identisch mit dem Bruttolohn. In der Praxis jedoch sind bereits Fälle bekanntgeworden, bei denen nicht einmal der volle Lohnkostenzuschuß der Arbeitsämter an die Arbeitskräfte weitergegeben wird.

Nach einer aktuellen Untersuchung im Arbeitsamtsbezirk Chemnitz erhalten z.B. 51% der geförderten Arbeitnehmer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden und mehr ein Bruttoarbeitsentgelt bis zu 2.162,00 DM, dem offiziellen Fördersatz des Arbeitsamtes. Umgerechnet auf die Stunde ergeben sich Löhne von 8,65 DM bis maximal 14,42 DM brutto. Tarifliche Entlohnung wurde dabei nur für 9,5% der Arbeitnehmer festgestellt. Zugleich wird darauf hingewiesen, daß diese Förderung an den arbeitsmarktpolitischen Zielgruppen im wesentlichen vorbeigeht. Zugleich wird festgestellt, daß „Strukturanpassungsmaßnahmen Ost für Wirtschaftsunternehmen vor allem genutzt werden, um anstehende Produktions- bzw. Dienstleistungsaufträge möglichst kostengünstig zu realisieren".

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5. Was zeigen internationale Vergleiche?

Die Lohnspreizung in Deutschland ist zweifelsohne geringer als in angelsächsischen Ländern. Weniger stark sind bei uns beispielsweise die Unterschiede hinsichtlich des Entlohnungsniveaus von verarbeitendem Gewerbe und Dienstleistungssektor. Zudem ist die Einkommensungleichheit in diesen Ländern größer als in Deutschland und hat sich auch im Zeitablauf dort vergrößert. Dennoch haben beispielsweise die Geringqualifizierten in den USA oder Großbritannien nicht von dieser größeren Ungleichheit profitieren können (vgl. G. Bosch, Brauchen wir mehr Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt?, in: WSI-Mitteilungen 1/1998, S. 15). Internationale Vergleiche zeigen zudem, daß die Wahrscheinlichkeit, arm zu bleiben, größer ist, wenn große Einkommensdifferenzen bestehen, die beruflichen Aufstiegschancen folglich sinken.

Die OECD gelangt in einer vergleichenden Studie zu einem für neoliberale Konzepte vernichtenden Urteil. Wörtlich heißt es: „Es gibt nur wenige schlüssige Belege, die zeigen, daß Länder mit einem geringen Anteil an niedrig bezahlen Arbeitskräften dies auf Kosten höherer Arbeitslosigkeit zahlen oder ein geringeres Beschäftigungsniveau für besonders gefährdete Gruppen erreicht wird" (zitiert nach G. Bosch, ebd.).

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6. Schlußfolgerung

Die bisher diskutierten Kombilohn-Modelle sind mit großen Risiken verbunden bei gleichzeitig zweifelhaften Beschäftigungseffekten. Vorrangig sollten alle Möglichkeiten für eine Beschäftigungspolitik ausgeschöpft werden, die nicht mit den skizzierten Nachteilen verbunden sind und eine größere Wirksamkeit erwarten lassen.

Günstiger als Einfacharbeitsplätze sind beispielsweise Mischtätigkeiten, zumal sie einseitigen gesundheitlichen Belastungen entgegenwirken und mit einer qualifikatorischen Anreicherung einhergehen können.

Auch die mit der Steueränderung geplante Anhebung des Grundfreibetrages und des steuerlichen Existenzminimums weist in die richtige Richtung.

Die Anschubfinanzierung bestimmter haushaltsbezogener Dienstleistungen weist gleichfalls in die richtige Richtung, wie die Förderung von Dienstleistungsagenturen. Auch dies kann einen Beitrag dazu leisten, Verhaltens-

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weisen in Privathaushalten zu ändern und Schwarzarbeit in reguläre Arbeit zu überführen.

Ebenso wichtig sind neue arbeitsmarktpolitische Instrumente, um Ungelernte stärker für Weiterbildungsmaßnahmen der Arbeitsämter zu gewinnen und sie auch stärker in betriebliche Weiterbildungsmaßnahmen einzubeziehen. So könnte ein Konzept „weiterbilden und einstellen" vorgesehen werden. Dabei sollte bei betrieblicher Qualifizierung von bereits beschäftigten Arbeitskräften und gleichzeitiger vertretungsweisen Einstellung von Ungelernten die öffentliche Förderung ausgebaut werden.

Dringend verbessert werden müssen ebenso die Chancen benachteiligter Jugendlicher im Ausbildungssystem. Immer mehr Jugendliche mit schlechteren Startchancen bleiben ohne Ausbildungsplatz oder werden in Schmalspurqualifizierung abgedrängt. 1998 ist z.B. die Zahl der Jugendlichen, die ohne Hauptschulabschluß eine Lehrstelle bekommen haben, um 11,4% im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen.

Die Ausbildungsaktivitäten müssen insbesondere für diese Jugendlichen erhöht und die Inhalte stärker praxisorientiert ausgestaltet werden, weil sie nach jahrelangen Mißerfolgen in der Schule häufig entmutigt sind.

Genauso sollte der Einhaltung der Schwerbehindertenquote mehr Nachdruck verliehen und die Fördermöglichkeiten der Arbeitsämter mit denen der Ausgleichsabgabe nach dem Schwerbehindertengesetz besser verzahnt werden.

Darüber hinaus sind die Gewerkschaften durchaus zu Modellversuchen bereit, um zu prüfen, ob und unter welchen Bedingungen die mit dem Kombilohn vielfach verbundenen Erwartungen aufgehen können, ohne daß die genannten Nachteile entstehen. Zentrale Voraussetzungen aus unserer Sicht müssen dabei jedoch sein, daß

  • keine Verdrängung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze durch geförderte Einfacharbeitsplätze entsteht,

  • Armut trotz Erwerbstätigkeit vermieden wird,

  • Tarifverträge nicht ausgehöhlt werden,

  • zusätzliche Beschäftigungsfelder erschlossen und zusätzliche Beschäftigung erreicht werden kann,

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  • die Maßnahmen auf einzelne Personengruppen ausgerichtet und möglichst mit Qualifizierungselementen verbunden werden, damit den Betroffenen auch tatsächlich berufliche Aufstiegschancen eröffnet werden können,

  • negative Rückwirkungen auf das Sozialsystem verhindert werden.

Selbst das Arbeitgeberinstitut verweist darauf, daß angesichts geringer Qualifikation eine dauerhafte Eingliederung selbst auf Einfacharbeitsplätzen des ersten Arbeitsmarktes ohne zusätzliche Kenntnisse und Fertigkeiten schwierig ist.

Entgegen weit verbreiteter Meinung stellte das Arbeitgeberinstitut fest, daß von „einem generellen Desinteresse an der Übernahme von Einfachtätigkeiten bei den befragten Sozialhilfeempfängern nicht gesprochen werden kann". Noch wichtiger als das Entgelt für die Akzeptanz einer Tätigkeit seien für die Betroffenen „dabei die konkreten Arbeitsbedingungen". Zudem werde die Re-Integration von Sozialhilfeempfängern auch durch Vorurteile der Betriebe erschwert.

[Seite der Druckausg.: 132 = Leerseite]


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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