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TEILDOKUMENT:




[Seite der Druckausg.: 107]

Manfred Löwisch
Kombilohn als Beschäftigungschance
[Siehe ergänzend jetzt Löwisch/Caspers, Kombilohn als Beschäftigungschance – Entgeltersetzende Transferleistungen für neue Arbeitsplätze im Niedrigentgeltbereich –, Arbeitsrecht der Gegenwart, Band 36, 1999, S. 81ff.]




I.

  1. Im Vergleich zu anderen entwickelten Volkswirtschaften hat Deutschland nur einen kleinen Arbeitsmarkt für niedrig vergütete Tätigkeiten: In der privaten Wirtschaft (produzierendes Gewerbe, Handel, Banken und Versicherungen) haben im Jahr 1995 lediglich 7,5% der dort beschäftigten Vollzeitarbeitnehmer einen Bruttojahresverdienst bis 36.000 DM erzielt. Beschäftigte mit einem Bruttojahresverdienst unter 24.000 DM gab und gibt es praktisch nicht. [Bundesamt für Statistik (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland, 1998, S. 598–601; Klös, Erwerbsintegration als Armutsvermeidungsstrategie, iw-trends 3/98, S. 2.] In anderen Beschäftigungsbereichen dürften die Verhältnisse nicht anders sein. Demgegenüber waren 1995 in den USA etwa 18,4 Millionen Personen und damit rund 14,7% aller Erwerbstätigen [Im Jahr 1995 rund 124,9 Millionen Menschen, vgl. Bundesamt für Statistik (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch für das Ausland, 1998, S. 46.] in dem durch die negative Einkommensteuer subventionierten Niedrigentgeltbereich tätig, der bei kinderlosen Erwerbstätigen bis zu einem Bruttojahresverdienst von 9.500 $ reichte. [Bei Erwerbstätigen mit Kindern stieg der subventionierte Entgeltbereich 1995 auf bis zu 25.078 $ bei einem Kind und 28.495 $ bei zwei Kindern an; faktisch übernimmt er damit auch die Funktion eines Kindergeldes. Vgl. zu den Zahlen i.ü. Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft vom 11.9.1997, Nr. 37, S. 5; siehe auch Jerger/Spermann, Wege aus der Arbeitslosenfalle – ein Vergleich alternativer Lösungskonzepte, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 1997, S. 51, 61f. m.w.N.] 6,5 der etwa 115 Millionen Arbeitnehmer erhielten lediglich den gesetzlichen Mindestlohn von jetzt 5,15 $, was der Kaufkraft nach einem Stundenlohn von 10,20 DM und damit einem Jahresentgelt von deutlich weniger als 20.000 DM entspricht. [Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft, a.a.O.; Peter, Sozialhilfe und Arbeitsanreize im Deutsch-Britisch-Amerikanischen Vergleich, iw-trends 3/98, S. 10.]

    [Seite der Druckausg.: 108]

  2. Daß es in Deutschland nur verhältnismäßig wenig Beschäftigung in Niedrigentgeltbereichen gibt, hat Ursachen sowohl auf der Seite der Beschäftigten als auch auf der Seite der Unternehmen. Den Beschäftigten gewähren Niedrigentgelte kein den Lebensbedarf deckendes Einkommen; auch liegen Transfereinkommen (Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe) jedenfalls höher als die Niedrigstentgelte, zu denen in anderen Ländern Beschäftigung noch stattfindet. Auf der anderen Seite rechnet sich für die Unternehmen die Beschäftigung von Arbeitnehmern selbst in den gegebenen untersten Lohngruppen nicht, weil die Kosten beim Einsatz von Maschinen oder bei Bezug von Vorprodukten aus Niedriglohnländern geringer sind.

  3. Das bisherige Instrumentarium vermag diese Beschäftigungslücke nicht zu schließen. Einfache Transferleistungen (teilweise Belassung von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, staatliche Zuschüsse in Form einer negativen Einkommensteuer oder zusätzlichen Kindergeldes) schaffen zwar auf der Seite der Empfänger Anreize, eine Beschäftigung aufzunehmen, senken aber nicht die den Unternehmen durch die Beschäftigung entstehenden Kosten. Die unternehmensbezogenen Transferleistungen (Förderung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder Strukturanpassungsmaßnahmen) sowie die Organisation von Beschäftigung durch die Sozialhilfeträger beschränken sich im wesentlichen auf den öffentlichen Bereich und sparen die Beschäftigung im allgemeinen Bereich der Wirtschaft aus.

  4. Um die Beschäftigungslücke im Niedrigentgeltbereich der allgemeinen Wirtschaft zu schließen, sind Transferleistungen notwendig, die „als Kombilohn" entgeltersetzenden Charakter haben und damit einerseits den Beschäftigten als (Teil)Entgelt zufließen und andererseits die Unternehmen von einem Teil des an sich zu zahlenden Entgelts entlasten.

  5. Zu finanzieren ist der Kombilohn auf absehbare Zeit nur aus den bestehenden Transfersystemen Arbeitslosenversicherung, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, indem die entgeltersetzende Transferleistung an die Stelle der einfachen Versicherungs- bzw. Sozialleistung tritt.

    II.

  6. Sozialpolitisch vertretbar ist ein Kombilohn nur, wenn er den Beschäftigten den Entgeltstandard gewährleistet, wie er durch die untersten

    [Seite der Druckausg.: 109]

    Lohn- und Gehaltsgruppen repräsentiert wird. Nur das ist auch mit der Tarifautonomie vereinbar: Die Koalitionen dürfen nicht dazu gezwungen werden, sich bei der Regelung regulärer Arbeitsverhältnisse daran auszurichten, daß es staatlich subventionierte Arbeitsverhältnisse gibt, die für die Unternehmen kostengünstiger sind. [Löwisch, Gemeinschaftsarbeiten für Bezieher von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe in rechtlicher Sicht, NZS 1993, S. 473, 478.]

  7. Entgeltersetzende Transferleistungen tangieren die Tarifautonomie auch insofern, als sie für den geförderten Personenkreis das tariflich vereinbarte Entgelt zum Teil ersetzen. Sie nehmen damit den Tarifvertragsparteien die Entscheidung über den persönlichen Geltungsbereich der betroffenen Entgeltgruppen faktisch weg. Nicht mehr die Tarifvertragsparteien, sondern eine öffentliche Stelle entscheidet über die Öffnung der betreffenden Tarifgruppen für bestimmte Personenkreise. Mit Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz vereinbar ist dies nur, wenn die Fälle entgeltersetzender Transferleistungen deutlich begrenzt, etwa auf sogenannte zusätzliche Arbeiten, also solche, die sonst nicht, nicht in diesem Umfang oder nicht zu diesem Zeitpunkt erbracht werden, beschränkt werden. [Löwisch, NZS 1993, S. 473, 478.] Verzichtet man, wie im folgenden vorgeschlagen, im Interesse größerer Beschäftigungswirkung und Praktikabilität auf eine solche Begrenzung, muß es den Koalitionen überlassen bleiben, ihre Tarifverträge gegenüber Niedrigtarifen für Transferleistungsempfänger zu öffnen. Nur soweit dies geschieht oder eine Tarifbindung ohnehin nicht besteht, kann der Kombilohn dann wirken.

  8. Als entgeltersetzende Transferleistung muß sich der Kombilohn an den allgemeinen Prinzipien der Lohnfindung ausrichten. Mit einer besonderen Familienkomponente kann er deshalb nicht ausgestattet werden.

  9. Dem Kombilohn wohnt die Tendenz inne, bestehende reguläre Arbeitsverhältnisse durch solche zu ersetzen, bei denen ein Teil des Entgelts im Wege der Transferleistung von der Allgemeinheit aufgebracht wird. Zwar sind Kündigungen zu diesem Zweck im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes unzulässig. Möglich ist aber eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Auch dieser Tendenz könnte durch eine Beschränkung der Förderung auf zusätzliche Arbeiten

    [Seite der Druckausg.: 110]

    begegnet werden. Praktikabler und ausreichend ist eine Beschränkung des zu fördernden Personenkreises auf langzeitarbeitslose Arbeitnehmer. [So auch Jerger/Spermann, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 1997, S. 51, 59.]

  10. Unternehmen, die neu in den Markt eintreten, können aus dem Kombilohn insofern einen Wettbewerbsvorteil ziehen, als sie in größerem Umfang Arbeitnehmer zu diesen Bedingungen beschäftigen, als dies bereits im Markt tätigen Konkurrenten möglich ist, die lediglich die Fluktuation ausnutzen können. Beschränken läßt sich dieser Wettbewerbsvorteil einerseits dadurch, daß bestimmte Mindestentgelte zur Voraussetzung der Förderung gemacht werden, und andererseits dadurch, daß die Dauer der Förderung begrenzt wird. Völlig aufheben läßt er sich nicht. Das muß im Interesse der Beschäftigungswirkung jedoch in Kauf genommen werden.

  11. Der Kombilohn darf für die Arbeitnehmer keine Anreize schaffen, reguläre Arbeitsverhältnisse zu verlassen. Deshalb muß das durchschnittliche Arbeitsentgelt der jeweils untersten Lohn- und Gehaltsgruppe auch die Obergrenze des Kombilohns darstellen. Wird dieses Niveau überschritten, muß die Förderung entsprechend gekürzt werden.

  12. Bei Teilzeitarbeit muß die Förderung entsprechend vermindert werden. Sonst führt sie zu signifikant unterschiedlichen Stundeneinkommen von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten und löst eine Tendenz zu Teilzeitbeschäftigung aus, die die Belastung der öffentlichen Träger maximiert.

  13. Die Finanzierung des Kombilohns durch die bestehenden Transfersysteme hat zur Folge, daß die Voraussetzungen für den Bezug dieser Transferleistungen jeweils erfüllt sein müssen. Insbesondere kann Arbeitslosengeld nur solange geleistet werden, wie Anspruch darauf besteht. Nicht sachgerecht wäre es allerdings, die Beschäftigung in einem Kombilohnarbeitsverhältnis unter den Vorbehalt der Zuweisung eines zumutbaren regulären Arbeitsverhältnisses zu stellen, wie das für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vorgesehen ist und sich für die Beschäftigung von Sozialhilfeempfängern aus dem Zusammenhang des Sozialhilferechts ergibt. Ausreichend ist eine zeitliche Begrenzung und degressive Ausgestaltung der Förderung.

    [Seite der Druckausg.: 111]

  14. Der Höhe nach muß die entgeltersetzende Transferleistung die Differenz zwischen dem vom Arbeitgeber zu tragenden Mindestentgelt und dem Entgelt der jeweils untersten Lohn- und Gehaltsgruppe abdecken. Dafür ist ein Anteil von 75 vom Hundert der sonst zu erbringenden Transferleistung typischerweise erforderlich und ausreichend.

  15. Um eine genügende soziale Absicherung der im Kombilohn beschäftigten Arbeitnehmer zu gewährleisten, muß die entgeltersetzende Transferleistung als Zuschuß an den Arbeitgeber gezahlt werden, der seinerseits dem Arbeitnehmer das volle Entgelt der betreffenden untersten Lohn- und Gehaltsgruppe zu zahlen hat, auf das wiederum die normalen Versicherungsbeiträge zu entrichten sind. So wird zugleich eine einheitliche und damit zweckmäßige Abwicklung in sozialversicherungsrechtlicher und steuerrechtlicher Hinsicht erreicht. [Siehe dazu auch Scharpf, Für eine Subventionierung niedriger Erwerbseinkommen, Wirtschaftsdienst 1994, S. 111, 114.]


III.

Gesetzesvorschlag:

(1) In der Zeit von … bis … kann die Bundesanstalt für Arbeit einen Arbeitgeber, der einen Arbeitslosen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung einstellt, durch einen Zuschuß bis zur Höhe von 75 vom Hundert des Arbeitslosengeldes oder der Arbeitslosenhilfe, die der Arbeitslose ohne Aufnahme der Beschäftigung bezogen hätte, für die Dauer von höchstens drei Jahren fördern, wenn

  1. der Arbeitslose vor Aufnahme der Beschäftigung länger als sechs Monate arbeitslos war und
  2. das Arbeitsentgelt in den ersten zwei Jahren ohne Zuschuß nicht weniger als 70 vom Hundert und im dritten Jahr nicht weniger als 90 vom Hundert des durchschnittlichen Arbeitsentgelts der jeweiligen untersten Lohn- und Gehaltsgruppe beträgt.

Übersteigt der Zuschuß zusammen mit dem Arbeitsentgelt den Betrag des durchschnittlichen Arbeitsentgelts der untersten Lohn- und Gehaltsgruppe, ist er entsprechend zu kürzen. Unterschreitet die Arbeitszeit des Beschäfti-

[Seite der Druckausg.: 112]

gungsverhältnisses die Arbeitszeit einer vergleichbaren Vollzeitbeschäftigung, vermindert sich der Zuschuß entsprechend.

(2) In der Zeit von … bis … kann ein Träger der Sozialhilfe einen Arbeitgeber, der einen arbeitslosen Sozialhilfeempfänger für eine versicherungspflichtige Beschäftigung einstellt, durch einen Zuschuß fördern. Absatz 1 gilt entsprechend.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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