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Zusammenfassung der Plenumsdiskussion zum Thema: Die Aktualität des Arbeitsvertragsgesetzes

Im dritten Teil der Veranstaltung nahmen Professor Dr. Ulrich Preis und Helga Nielebock zur Aktualität des Arbeitsvertragsgesetzes Stellung. Im Anschluß an ihre Ausführungen hob Dieterich hervor, daß trotz der kritischen Einschätzung von Nielebock beide Referenten der Idee der Gesamtkodifikation letztlich positiv gegenüberstünden, da zwischen der von Nielebock vorgeschlagenen schrittweisen Kodifikation des Arbeitsvertragsrechts nach Art des Sozialgesetzbuches und der sofortigen Einführung eines Arbeitsvertragsgesetzes im Ergebnis kein großer Unterschied bestünde.

Aus dem Publikum bezog zunächst Muhr Stellung zum historischen Verlauf der Kodifikationsbemühungen. Er wies auf das Scheitern der Arbeitsgesetzbuchkommission von 1976 hin. Dieses Scheitern habe daran gelegen, daß man seinerzeit nicht nur das Arbeitsvertragsgesetz, sondern auch das kollektive Arbeitsrecht habe kodifizieren wollen. Letzteres sei aber nicht konsensfähig gewesen. Hätte man sich mit dem Arbeitsvertragsgesetz begnügt, hätte man schon 1976 eine Kodifikation haben können. Diesen Ausführungen fügte Dieterich hinzu, das Scheitern der Arbeitsgesetzbuchkommission hätte seinen Grund wohl auch in der Schwäche der Koalition zu diesem Zeitpunkt gehabt.

Dr. Michael Blank (Vorstand IG Metall, Frankfurt a.M.) griff die geschichtliche Dimension des Projekts auf. Nach seiner Einschätzung biete die jetzige politische Konstellation eine einmalige historische Chance zur Verwirklichung des Projekts. Er stimme grundsätzlich Nielebock darin zu, daß diese Chance auch dazu genutzt werden solle, zumindest genutzt werden könne, die Reformen im individuellen Arbeitsrecht weiter voranzutreiben. Schließlich sei ein Arbeitsvertragsgesetz auch im Hinblick auf die abnehmende Regelungsdichte kollektiv-rechtlicher Vereinbarungen wünschenswert. Diese abnehmende Regelungsdichte zeige sich sowohl für den Tarifvertrag als auch für die Betriebsvereinbarung. Selbst dort, wo Arbeitsverhältnisse von Tarifverträgen erfaßt würden, blieben bestimmte Bereiche oftmals ungeregelt. Dazu gehörten die Entgeltfortzahlung, die Aufhebungsverträge usw. Für die Einführung eines Arbeitsvertragsgesetzes spreche nicht zuletzt, daß die Reform

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der Manteltarifverträge zur Zeit nicht vorankomme. Kritisch beurteile er an dem neuen Entwurf allerdings die ausufernde Tarifdispositivität. Es sei nach seiner Meinung keine ausreichende Lösung, hinsichtlich wichtiger Fragen die Regelungslast wiederum auf die Tarifvertragsparteien abzuwälzen.

Für die Einführung des Arbeitsvertragsgesetzes sprach sich auch Wolf Klimpe-Auerbach (Arbeitsgericht Heilbronn) aus. Er könne die Kritik von Nielebock nicht nachvollziehen; es sei eine leichtfertige Behauptung, den Entwurf als „Rückschritt" zu bezeichnen. Der Entwurf sei in vielen Bereich fortschrittlich, vor allem aber ausgewogen. Die Chance zur Schaffung eines Arbeitsvertragsgesetzes sei noch zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte so groß gewesen wie in dieser Legislaturperiode. Diese Chance dürfe nicht vertan werden, indem man an den Entwurf überhöhte Anforderungen stelle. Es sei bereits ein großer Fortschritt, wenn z.B. die Problematik der Arbeitnehmerhaftung oder die Beurteilung von Vertragsklauseln endlich gesetzlich normiert würden.

Auch Dieterich wies darauf hin, daß ein Arbeitsvertragsgesetz nur dann eine Chance habe, wenn die Verbände als Rechtsanwender sich nicht dagegen aussprächen. Die Einführung des Entwurfs hänge damit davon ab, ob diese politisch-taktische Erwägungen zurückstellten. Dem stimmte auch Dr. Hans Friedrich Eisemann (Landesarbeitsgericht Brandenburg, Potsdam) zu. Insbesondere halte er es für bedenklich, wenn Nielebock fordere, dem Entwurf bezüglich „offener Zukunftsfragen" eine wissenschaftliche Diskussion vorausgehen zu lassen. Zur Kodifikation werde es so kaum kommen. Offene wissenschaftliche Probleme gebe es schließlich stets, offene Zukunftsfragen auch, denn „Zukunft ist immer".

Auch Werner Glaubitz betonte den historisch günstigen Augenblick für die Einführung des Arbeitsvertragsgesetzes. Allerdings rufe es bei ihm gemischte Gefühle hervor, wenn auch die Arbeitnehmerseite insoweit den Augenblick für historisch günstig halte. In jedem Falle dürfe neben dem Bemühen um Kodifikation nicht aus den Augen verloren werden, daß es sich um ein eminent politisches Gesetz handele. Dem bloßen Systematisierungsinteresse könne er jedenfalls keinen so hohen Stellenwert einräumen. Wer einen systematischen Überblick über das Arbeitsrecht brauche, könne auch heute schon zum Arbeitsrechtshandbuch von Schaub greifen. Vielmehr stehe er der Kodifikationsidee kritisch gegenüber, soweit er befürchten müsse, daß

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die Arbeitnehmerseite die Kodifikation nutzen könnte, ein neues Arbeitsrecht in ihrem Sinne zu schaffen.

Gegen das Argument, dem Rechtsanwender sei bereits mit der Lektüre des Schaub ausreichend gedient, wandte sich Buschmann. Die Wiedergabe der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sei auch mit Schaub nicht immer fehlerfrei möglich. Im übrigen wolle er noch einmal daran erinnern, daß die unterschiedlichen Arbeitsvertragsgesetz-Entwürfe sich deutlich voneinander unterschieden. So sei z.B. der sogenannte „Professoren-Entwurf" aus dem Jahre 1992 arbeitgeberlastig und für Arbeitnehmer nicht akzeptabel. Auch gebe er keine Antwort auf die neuen Fragestellungen. Jedenfalls reiche es nach seiner Einschätzung für ein Arbeitsvertragsgesetz nicht, lediglich den rechtlichen Status quo festzuschreiben.

Zusammenfassend stellte Dieterich fest, daß bei der Beurteilung der Zukunftschancen des Entwurfs zum Arbeitsvertragsgesetz ein optimistischer Verstand der negativen Erfahrung gegenüberstehe. Im Anschluß erteilte er den Referenten das Schlußwort. Preis stellte klar, daß bei der Fassung des Entwurfs in der Tat das Systematisierungsinteresse im Vordergrund gestanden habe. Auch er sehe im Arbeitsvertragsrecht Reformbedarf. Es sei aber nicht Anliegen des Entwurfs gewesen, diese Reformen durchzusetzen. Schließlich hingen die Zukunftschancen des Entwurfs daran, daß dieser nicht mir Reformen überfrachtet werde. Der von Blank erhobene Einwand zu weitgehender Tarifdisposivität habe ihn überrascht. Bei der ersten Fassung des Entwurfs habe man aus Zeitgründen auf die Regelung der Tarifdispositivität verzichten müssen. Es sei dann auf dem Deutschen Juristentag 1992 von seiten der Arbeitnehmer die mangelnde Tarifdisposivität gerügt worden. Gerade daraufhin habe man Regelungen eingefügt, die eine weitgehende Tarifdisposivität herstellten.

Nielebock räumte ein, daß innerhalb der Gewerkschaften die Ansichten zur Vorgehensweise noch nicht endgültig geklärt sind. Das Diskussionsergebnis der Arbeitsrechtsjuristen, an welches sie gebunden sei, beruhe auf der Einschätzung, daß der Entwurf Defizite und ein erhebliches Konfliktpotential enthält. Daher halte man die sofortige Umsetzung des Entwurfs für zu risikoreich. Andererseits wollte auch die Arbeitnehmerseite das Projekt angesichts des im Einigungsvertrag enthaltenen Auftrags an den Gesetzgeber nicht auf den „Sankt-Nimmerleins-Tag" verschieben. Es sei auch nicht ihre Intention gewesen, den Entwurf im „dichten Nebel von Zukunftsfragen

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untertauchen zu lassen". Sie schlage deshalb eine schrittweise Annäherung an eine Gesamtkodifikation vor, da dies sicher konsensfähiger mit den Arbeitgebern sei.

Abschließend betonte Dieterich, daß bei Nichtumsetzung des Arbeitsvertragsgesetzes letztlich der Rechtsprechung die rechtsfortbildende Verantwortung zuwachse. Er warnte davor, nur aus politischen Motiven und Praktikabilitätsinteressen das Projekt zu behindern. Entschieden würden offene bzw. zukünftige Rechtsfragen allemal.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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