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TEILDOKUMENT:
Die Aktualität des Arbeitsvertragsgesetzes [Seite der Druckausg.: 73]
Ulrich Preis
Warum braucht die Bundesrepublik Deutschland eine Kodifikation des Arbeitsvertragsrechts? Die Antwort erschließt sich, wenn die Gegenstände der gegenwärtigen Diskussion benannt werden: Deregulierung als Weg aus der Beschäftigungskrise, Flexibilisierung der Arbeitszeit und des Arbeitsentgelts, Senkung der Lohnnebenkosten, Verhinderung von Scheinselbständigkeit, Bekämpfung des Lohndumping, Teilzeitinitiativen, Lohnfortzahlungskosten, Arbeitsschutz und Kündigungsschutz, Vereinbarkeit von Beruf und Familie dies sind nur Ausschnitte aus der nicht enden wollenden Themenliste, die im Kern ein Rechtsgebiet treffen: das Arbeitsvertragsrecht. Die Politik war bislang weit davon entfernt, in diesem Feld systematisch zu handeln. Das gestellte Thema könnte Zweifel darüber zulassen, die Kodifikation des Arbeitsvertragsrechts für besonders dringlich zu halten. Immerhin ist die Geschichte des einheitlichen Arbeitsvertragsrechts die Geschichte gebrochener Versprechen (Beschluß des Reichstags von 1896; Weimarer Reichsverfassung, Regierungserklärung 1969, Art. 30 Einigungsvertrag) und nicht umgesetzter Gesetzentwürfe (von 1923, 1938, 1942, 1977, 1992, 1995 und 1996). Die neue Regierungskoalition hat das Arbeitsvertragsrecht nicht in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen, obwohl die Überzeugung von der Notwendigkeit einer Kodifikation der Beschlußlage beider an der Regierung beteiligten Parteien entspricht. Statt dessen sieht der Koalitionsvertrag eine grundlegende Novelle einer weithin funktionierenden Kodifikation, nämlich des Betriebsverfassungsgesetzes, vor. Bevor man jedoch an die Novellierung des Kollektivarbeitsrechts geht, müssen die krassen Lücken des Individualarbeitsrechts geschlossen werden. Erstaunlich ist, daß an die vorhandenen jüngeren, in den Bundesrat eingebrachten Entwürfe nicht angeknüpft wird, und zwar weder des Freistaates Sachsen (BR-Drucks. 293/95) noch des Landes Brandenburg (BR-Drucks. 671/96). Die Zeit ist reif für ein Jahrhundertprojekt, nachdem ideologischer Ballast vergangener Epochen eine vernünftige Kodifikation verhinderte und heute klar wird, daß der gegenwärtige Zustand des Arbeitsrechts bei allen Beteiligten nicht mehr auf Akzeptanz stößt.
[Seite der Druckausg.: 74]
1. Die besondere Aktualität des Arbeitsvertragsgesetzes
Die besondere Dringlichkeit und Aktualität des Arbeitsvertragsgesetzes zeigt sich gerade an den jüngsten Aktivitäten der neuen Bundesregierung:
2. Defizite des Arbeitsrechts Der Sinn und die Notwendigkeit einer Kodifikation sowie ihre Chancen für das Wirtschafts- und Sozialsystem der Bundesrepublik seien nachfolgend skizziert: Das Kodifikationsvorhaben betrifft nicht das gesamte Arbeitsrecht, sondern lediglich das Arbeitsvertragsrecht, das aber die Grundlage aller Arbeitsbeziehungen bildet. Das Arbeitsvertragsrecht prägt das tägliche Arbeitsleben viel stärker als das weithin regulierte kollektive Arbeitsrecht. Dieser Bereich ist so sträflich vernachlässigt worden, daß selbst einfachste Rechtsfragen schnell in ein Beschäftigungsprogramm für Juristen münden. Wer die Antwort auf eine einfache Rechtsfrage sucht, muß zahlreiche, völlig unzureichend aufeinander abgestimmte Normen zu Rate ziehen: das Bürgerliche Gesetzbuch, das Handelsgesetzbuch, das Beschäftigungsförderungsgesetz, die Gewerbeordnung, das Entgeltfortzahlungsgesetz, ein fortbestehender Teil des Lohnfortzahlungsrechts, Bundesurlaubsgesetz, Kündigungsschutzgesetz, Mutterschutzgesetz, Bundeserziehungsgeldgesetz, Schwerbehindertengesetz, Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, jüngst das Gesetz über den Nachweis der für ein Arbeitsverhältnis geltenden wesentlichen Bedingungen. Die Liste der anzuführenden Gesetze ließe sich fortführen, weil zahlreiche individualarbeitsrechtliche Fragen in verstreuten Arbeitsschutzgesetzen und Mitbestimmungsgesetzen verankert sind. Den anzuwendenden Rechtssatz zu finden, ist selbst für einen Rechtskundigen, der sich nicht primär mit dem Arbeitsrecht befaßt, nahezu ausgeschlossen. Doch damit nicht genug.
[Seite der Druckausg.: 76]
3. Kodifikation und Deregulierungsdiskussion
Die Notwendigkeit einer Kodifikation in einer Zeit zu fordern, in der der Ruf nach Deregulierung zur Entlastung der Wirtschaft immer lauter wird, scheint auf den ersten Blick widersprüchlich. In Wahrheit besteht aber der Widerspruch nicht. Das Arbeitsrecht führt mit seinen verstreuten Einzelnormen ohne hinreichendes System eine nicht überschaubare Loseblatt-Existenz". Schon eine Bereinigung der verstreuten Einzelnormen würde eine Kodifizierung als sinnhafte Deregulierung" rechtfertigen. Andererseits darf der beschriebene vorkodifikatorische Zustand des Arbeitsrechts in den wesentlichen Grundfragen nicht zu dem Fehlschluß verleiten, das Arbeitsrecht sei bereits in weiten Bereichen dereguliert. Denn die fehlenden gesetzlichen Grundentscheidungen haben in 50 Jahren Arbeitsrechtsprechung eine Flut von Judikaten produziert. Verfassungsrechtlich waren und sind die Gerichte gezwungen, auch ohne hinreichende Rechtsgrundlage an die Stelle des säumigen Gesetzgebers zu treten. Die Folge: Regulierung durch immer sprunghafter agierendes Richterrecht, ein Rechtszustand, der nur noch von Spezialisten bewältigt werden kann, von denen die wenigsten für sich in Anspruch nehmen können, das ganze Metier zu beherrschen. Es kommt hinzu: Dort, wo der Gesetzgeber gesetzliche Grundlagen zur Verfügung stellt, flüchtet er zumeist in Generalklauseln und verzichtet damit ebenfalls auf notwendige richtungweisende Grundentscheidungen. Die Lösung der Interessenkonflikte wurde zumeist allein der Rechtsprechung überlassen, wie dies etwa im Kündigungsschutzrecht der Fall ist. Eine sinnvolle normative Steuerung des Arbeitslebens findet folglich nicht statt. Der Verzicht auf ein geordnetes Gesetzgebungsprogramm leistet einer insgesamt chaotischen Rechtsentwicklung Vorschub, die der Praktiker kognitiv nicht mehr erfassen und der Spezialist nicht mehr sinnvoll erklären kann. Deshalb ist festzuhalten: Deregulierung als alleiniges gesetzgeberisches Prinzip ist im Arbeitsrecht kontraproduktiv und erreicht gerade das Gegenteil des Gutgemeinten: An die Stelle unterlassener Gesetzgebung tritt ein unüberschaubares Richterrecht, das nur die zweitbeste Lösung gegenüber einer demokratisch legitimierten Gesetzgebung ist. Dem Ruf nach Deregulierung im Arbeitsrecht kann jedenfalls für das Arbeitsvertragsrecht nur insoweit gefolgt werden, als die Vielzahl in sich unstimmiger, zum Teil veralteter Einzelgesetze und Judikate in ein sinnvoll strukturiertes Gesamtsystem überführt werden müssen. Wir leisten uns den Luxus, arbeits- [Seite der Druckausg.: 77] rechtliche Vorschriften aus dem Jahre 1895 für Flössereibetriebe beizubehalten (zuletzt geändert im Jahre 1994), womöglich ohne sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob es solche überhaupt noch gibt. Dieses Beispiel dürfte ein sichtbarer Beleg dafür sein, daß der Gesetzgeber die Erfordernisse moderner arbeitsrechtlicher Gesetzgebung Ende des 20. Jahrhunderts noch nicht hinreichend erkannt hat. Ganz pragmatisch betrachtet könnten nach dem gegenwärtigen Stand rechtswissenschaftlicher Erkenntnis für eine Kodifikation dieses Rechtsbereichs etwa 160 grundlegende Vorschriften ausreichen. Hiermit einher ginge der vollständige Verzicht auf mindestens zehn arbeitsrechtliche Sondergesetze sowie die Zusammenführung und Vereinheitlichung arbeitsrechtlicher Vorschriften aus etwa 30 Einzelgesetzen. Rund 200 Einzelnormen könnten aufgehoben werden und annähernd 15.000 veröffentlichte arbeitsgerichtliche Entscheidungen zum Arbeitsvertragsrecht durch ein klar strukturiertes gesetzliches System abgelöst werden. Eine recht verstandene Kodifikation ist damit ein Akt der Deregulierung. Stets haben die großen Kodifikationen unseres Jahrhunderts durch Gelehrte und Gerichte entwickelte Rechtssätze zusammengeführt, sie damit transparent und für eine Vielzahl von Rechtsunterworfenen verstehbar und nutzbar gemacht. Der Heidelberger Rechtsgelehrte Thibaut forderte aus diesem Grunde im Jahre 1814 die Kodifikation des Privatrechts mit den Worten: So ist unser ganzes einheimisches Recht ein endloser Wust einander widerstreitender, vernichtender, buntschäckiger Bestimmungen, ganz dazu geartet, die Deutschen voneinander zu trennen, und den Richtern und Anwälden die gründliche Kenntniß des Rechts unmöglich zu machen". Wer das Arbeitsrecht kennt, weiß, wie aktuell diese Aussage für dieses Rechtsgebiet ist. Die Deutschen in den neuen Bundesländern leiden nach wie vor unter der Unübersichtlichkeit des Arbeitsrechts. Dabei haben gelungene deutsche Kodifikationen, insbesondere das Bürgerliche Gesetzbuch, weltweit Anerkennung erfahren. Die kodifikatorische Tradition Deutschlands hat insbesondere Staaten im osteuropäischen und ostasiatischen Raum veranlaßt, Grundstrukturen des deutschen Privatrechtssystems zu übernehmen. Verstärkt wird auch um Beratung bei der Gestaltung des Arbeitsrechts nachgesucht; man vermutet offenbar ein vorbildhaftes gesetzliches System. Doch hier sind deutsche Berater ratlos. Das komplizierte [Seite der Druckausg.: 78] System des Kollektivarbeitsrechts mit zwei mitbestimmungsrechtlichen (Betriebs- und Unternehmensmitbestimmung) und zwei kollektivvertraglichen Ebenen (Betriebsvereinbarung und Tarifvertrag) ist kaum übertragbar auf andere Länder. Im individualrechtlichen Bereich fehlt jede klare Struktur, was die Partner im Ausland überrascht, die angesichts deutscher Gründlichkeit gerade hier Klarheit vermuten. Nachdenklich sollte uns dies deshalb stimmen, weil die im Aufschwung befindlichen, ehemals sozialistisch geprägten Länder eine klare Regelung des Arbeitsrechts als wichtigen Faktor für weitere Investitionen in einer sich entwickelnden Industrienation ansehen. Zu Recht: Eine klare Kodifikation führt für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu mehr Rechtssicherheit und gibt den Beteiligten des Arbeitslebens gezielte Freiheitsräume für ihr wirtschaftliches Handeln. Ein Investor, der Arbeitsplätze schaffen will, muß wissen, auf welche rechtlichen Rahmenbedingungen er sich bei der Begründung von Arbeitsverhältnissen einläßt. Das ist beim gegenwärtigen Zustand des deutschen Arbeitsrechts kaum möglich. Allein dies ist ein immer größer werdender Standortnachteil.
4. Arbeitsrechtskodifikation und die Rechtsetzung der Europäischen Union
Als notwendiger denn je erweist sich eine Kodifikation des Arbeitsrechts vor dem Hintergrund der zunehmenden europarechtlichen Überlagerung des Rechts. Die Kundigen wissen, in welcher Fülle die europäische Gemeinschaft bereits Richtlinien zum Arbeitsrecht und Arbeitsschutzrecht erlassen hat. Das europäische Recht ist überwiegend auf die Ausfüllung durch die Mitgliedstaaten angelegt. Es ist eine Herausforderung an die nationale Gesetzgebung, EG-Richtlinien, die der Vereinheitlichung des Rechts dienen, nicht lediglich phantasielos in zerstückelte Einzelgesetze umzumünzen, sondern in das jeweilige Rechtssystem sinnvoll einzufügen. Auch insoweit leistet eine vernünftige Kodifikation eine Deregulierung sonst unüberschaubar werdender supranationaler Rechtsetzung. Die Umsetzung von EG-Richtlinien in eine Vielzahl von EG-Anpassungsgesetzen ist für die Übersichtlichkeit und systematische Konsistenz des Rechts ein unvertretbarer Weg. Eine Flut von EG-Anpassungsgesetzen versteht niemand mehr und kann niemand mehr anwenden. In der jüngsten Rechtsetzung werden diese Irrwege erstaunlicherweise, trotz sonst anzutreffender Zurückhaltung des Gesetzgebers im Arbeitsrecht, weiter beschritten. Wenn [Seite der Druckausg.: 79] für den schlichten Anspruch des Arbeitnehmers auf einen schriftlichen Nachweis seiner Arbeitsbedingungen auf der Basis der EG-Nachweisrichtlinie im Juli 1995 ein eigenes Gesetz mit mehreren Vorschriften und vielen Absätzen benötigt wird, dann sind wir auf dem besten Wege, das Arbeitsrecht insgesamt in den Zustand vorkodifikatorischer Intransparenz und Unanwendbarkeit zu versetzen. Die Systemwidersprüche werden durch eine derartige Rechtsetzung vorsätzlich erhöht. Man regelt einige Spezialfragen, ohne daß vorrangige Grundfragen geklärt wären.
5. Arbeitsrechtskodifikation und Beschäftigungspolitik
Viele klagen darüber, daß sich das Arbeitsrecht beschäftigungshemmend auswirke. Das ist eine These, die meist sehr pauschal ohne stichhaltige Substantiierung vorgetragen wird, was mit der Komplexität des Arbeitsrechts zu tun haben mag. Die Auswertung dieser Stimmen hinterläßt eher den Eindruck, daß nicht das prinzipiell auf den sozialen Ausgleich bedachte Arbeitsrecht, sondern die durch Widersprüche und Rechtsunsicherheit erzeugte Resignation vor dem Arbeitsrecht zu Attentismus führt und sich beschäftigungshemmend auswirkt. Dem kann durch eine verständliche Kodifikation abgeholfen werden. Es ist ausgeschlossen, das Arbeitsrecht allein unter dem Primat der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik zu diskutieren. Das Arbeitsrecht dient dem gerechten Interessenausgleich zwischen den kollidierenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen. Die Herstellung eines gerechten Interessenausgleichs ist schon aus verfassungsrechtlichen Gründen unverzichtbar. Doch sollte der allgemeine beschäftigungspolitische Nutzen des Arbeitsrechts, das in besonderer Weise den sozialen Frieden in einer Gesellschaft sichert, nicht gering geschätzt werden. Den Grundkonsens der sozialen Marktwirtschaft gilt es zu bewahren, die sich gerade wegen ihrer sozialen Dimension als Erfolgsrezept des Wirtschaftsstandortes Deutschland erwiesen hat. Arbeitsrecht kann auch kein tauglicher Ersatz für eine Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik sein, die andere Steuerungsinstrumente kennt. Weder kann ein noch so ausgebautes Arbeitsrecht Beschäftigung sichern wie umgekehrt dessen Abbau Beschäftigung schafft. Verzicht auf arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen fördert nach aller historischen Erfahrung die Verelendung breiter Bevölkerungsschichten, deren kurzfristiger wirtschaftspoliti- [Seite der Druckausg.: 80] scher Nutzen langfristig Schaden anrichten kann. Immerhin hat die Bundesrepublik unter der Herrschaft des im Kern in der unmittelbaren Nachkriegszeit praktizierten sozialstaatlichen Arbeitsrechts eine beispiellose Entwicklung vollzogen. Das ist auch ein Verdienst der Vernunft der Sozialpartner und der Rechtsprechung. Freilich dürfen die Erfolge der Vergangenheit nicht zu einem Denkverbot für die Zukunft führen. In der anstehenden Arbeitsgesetzgebung darf nicht verkannt werden, daß eine Kodifikation des Arbeitsrechts durchaus geeignet wäre, in Randbereichen beschäftigungspolitische Maßnahmen zu flankieren, zum Teil auch zu fördern. Insbesondere muß darauf geachtet werden, daß beschäftigungspolitische Initiativen nicht durch arbeitsrechtliche Regelungen konterkariert werden. Wer etwa Teilzeitbeschäftigung fördern möchte, muß diese arbeitsrechtlich auch so ausgestalten, daß der Förderungserfolg nicht de facto vereitelt wird. Beschäftigungsförderung kann allerdings nicht um den Preis der Diskriminierung erreicht werden. Das gilt in vielfacher Hinsicht und ist europaweiter Rechtskonsens. So darf Beschäftigungsförderung im Inland nicht um den Preis der Diskriminierung von EG-Ausländern erreicht werden. Das gilt seit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Art. 48 EG-Vertrag) im Jahre 1957. Auch Teilzeitbeschäftigte dürfen gegenüber Vollzeitbeschäftigten in den Arbeitsbedingungen nicht ungleich behandelt werden. Dies ist schon deshalb unverzichtbar, weil die Grenzen zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigung angesichts flexibler Arbeitszeitmodelle mehr und mehr zerfließen. Teilzeitbeschäftigte sind überdies in der Regel wesentlich effektiver einsetzbar. Deshalb sind zum Teil geforderte weitergehende Schutzvorschriften für Teilzeitbeschäftigte sorgfältig daraufhin zu überprüfen, ob diese nicht das begehrte Ziel, nämlich durch Teilzeitarbeit eine bessere Verteilung der Arbeit zu fördern, konterkarieren. Beschäftigungspolitisch nützlich erscheint sicher ein gesetzliches Recht des Arbeitnehmers, im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten ein Recht auf Teilzeitarbeit durchzusetzen. Hiermit korreliert das Recht des Arbeitnehmers auf Rückkehr zur Vollzeitarbeit, soweit eine entsprechende Beschäftigungsmöglichkeit vorhanden ist. Diese Chance zur Verbesserung der Verteilung der Arbeitszeit sollte das Arbeitsvertragsrecht nutzen, wenn auch die Erwartung einer spürbaren Entlastung des Arbeitsmarktes nicht zu hoch geschraubt werden sollte. Man wird abwarten müssen, wie viele Arbeitnehmer tatsächlich mit weniger Arbeit und [Seite der Druckausg.: 81] Lohn auskommen wollen. Beschäftigung kann aber durch ein ganzes Bündel von Maßnahmen gesichert werden, zu denen die Förderung von Teilzeitbeschäftigung gehört. Erstrebenswert ist ferner die Förderung der Altersteilzeit. Grundvoraussetzung hierfür sind aber vernünftige arbeitsrechtliche Regelungen zur Altersgrenze und zum Anspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit vor Erreichen der Altersgrenze, an denen es trotz des erkennbaren beschäftigungspolitischen Nutzens zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit mangelt. Viele meinen, durch eine Lockerung des Bestandsschutzes des Arbeitsverhältnisses könne die Beschäftigung gefördert werden. Doch weiß jeder Praktiker des Arbeitsrechts, daß der einmal gekündigte Arbeitnehmer in der Regel nicht an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt. Das durch die Rechtsprechung ausgestaltete Bestandsschutzrecht verhindert im Ergebnis den Austausch der Arbeitskräfte nicht. Durchschnittlich wurden in den Jahren 1990 1992 etwa 6,8 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse pro Jahr begonnen. Völlig zu Recht hat das Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Professor Franz, darauf hingewiesen, daß man bei dieser Zahl wohl kaum von einem sklerotischen Arbeitsmarkt in Deutschland sprechen könne. Vielmehr ist zu konstatieren, daß der Austausch von Arbeitsverhältnissen trotz des vorhandenen Kündigungsschutzes offenbar funktioniert. Die Forderung nach der Lockerung des Bestandsschutzes, der im Kern nicht mehr als Schutz vor willkürlicher Entlassung ist, hat denn auch eher das Ziel, Umstrukturierungsprozesse von Kosten zu entlasten. Fraglich ist aber, ob das Mittel der kostengünstigen Massenentlassung wirklich die richtige Antwort auf die Strukturprobleme ist. Die adäquate Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen im Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteresse ist das Gebot der Stunde; dafür enthält unser Arbeitsrecht aber keine praktikablen Instrumente. Auch die verschiedenen Beschäftigungsförderungsgesetze haben im übrigen, anders als ihr Titel versprach, Beschäftigung nur unwesentlich gefördert. Die Erleichterung betriebsbedingter Kündigung ist zwischenzeitlich durch die neue Regierungskoalition wieder rückgängig gemacht worden. Die Ausweitung befristeter Arbeitsverträge ist demgegenüber nicht beschäftigungsfeindlich, doch müssen die Regelungen in das Gesamtsystem des Arbeitsvertragsrechts eingefügt werden. Die Ausweitung der ohne sachlichen Grund zulässigen Befristungsmöglichkeit auf zwei Jahre bewirkt sofern das Instrument nicht zweckwidrig eingesetzt wird eine Verlängerung der Probe- [Seite der Druckausg.: 82] zeit. Beschäftigungspolitisch vorteilhaft wirkt sich allerdings aus, daß Unternehmen der Schritt zur Einstellung erleichtert wurde, wenn noch nicht absehbar war, ob eine Arbeit dauerhaft zur Verfügung steht. Gegen die durch das Beschäftigungsförderungsgesetz faktisch erreichte Verlängerung der Probezeit ist nichts einzuwenden, wenn diese, was vielfach geschehen ist, in eine Dauerbeschäftigung mündet. Kein Unternehmer wird einen Arbeitnehmer entlassen, für den er Beschäftigung hat und der sich bewährt hat. Von daher gilt es, die in der Vergangenheit vehement geführte Diskussion um die Befristungsregelungen niedriger zu hängen. Als allgemeine Regelung bietet sich an, die Zulässigkeit befristeter Arbeitsverträge generell auf ein Jahr zu fixieren; ein Kompromiß, der auch bei den Gewerkschaften Akzeptanz finden müßte. In der Praxis erweist sich oftmals die Probezeit von einem halben Jahr als zu kurz, was den Arbeitgeber zu vorzeitiger Kündigung veranlassen kann und dem Arbeitnehmer vielfach noch nicht hinreichend ermöglicht, seine Leistungsfähigkeit effektiv unter Beweis zu stellen. Es dürfte daher allen Interessen gleichermaßen dienen, eine generelle Befristungsmöglichkeit für die Dauer von ein oder zwei Jahren vorzusehen. Umgehungen des Kündigungsschutzes durch die gegenwärtig nicht auszuschließende Möglichkeit von Kettenbefristungen sind jedoch auszuschließen. Im Bereich der älteren Arbeitnehmer oder bei Langzeitarbeitslosen ist zu prüfen, ob und inwieweit deren Beschäftigungschancen verbessert werden können. Eine Vereinfachung des Arbeitsrechts ist insbesondere auch unter dem Aspekt der Beschäftigungsförderung in kleinen oder mittelständischen Unternehmen zu betrachten. Gerade für sie, die sich keine eigenen Rechtsabteilungen leisten können, wäre die überschaubare gesetzliche Regelung eine große Entlastung. Besonders bedenklich ist der gegenwärtige Zustand des Arbeitsrechts im Bereich Befristung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Zerstückelte Einzelgesetze und eine Rechtsprechung, die nur noch ganz wenige Spezialisten in Deutschland durchschauen, prägen das Bild. Die Hauptverantwortung hierfür liegt beim Gesetzgeber, der es bislang nicht verstanden hat, verständliche Grundregeln zum Kündigungsschutz, zu Probearbeitsverhältnissen und zur Zulässigkeit der Befristung zu schaffen. Nur ein Beispiel: § 1 Beschäftigungsförderungsgesetz regelt die Zulässigkeit befristeter Arbeitsverträge bei Neueinstellungen. Nirgends findet sich aber der Grundsatz, daß dergleichen unzulässig sein könnte. Um die Norm in ihrer Bedeutung zu verstehen, muß man wissen, daß die Rechtsprechung befristete Arbeitsverhältnisses grundsätzlich an das Erfordernis eines sachlichen [Seite der Druckausg.: 83] Grundes bindet, um die Umgehung des Kündigungsschutzes auszuschließen. Das Beschäftigungsförderungsgesetz regelt eine Ausnahme von dieser Rechtsprechung. Eine Grundregelung für die typischen befristeten Arbeitsverträge findet der Rechtssuchende dagegen nicht, statt dessen weitere Sonderregelungen im Bundeserziehungsgeldgesetz, im Hochschulrahmengesetz und anderen Sondernormen mehr. Zahllose Fallstricke und kontraproduktive Effekte ließen sich auflisten, wie die weitgehende Ermöglichung von Kettenbefristungen durch § 1 Abs. 3 BeschFG oder die Regelung einer allgemeinen Klagefrist in § 1 Abs. 5 BeschFG, als in einem Maßnahmegesetz, wo sie kein verständiger Mensch sucht. Dabei wäre alles so einfach: Eine klare Grundentscheidung ist erforderlich, welche Regelbefristungsdauer möglich sein soll. Darüber hinaus muß der Gesetzgeber eine mit dem Grundgedanken des Kündigungsschutzes kompatible Regelung schaffen, ob und inwieweit über die stets zulässige Grundbefristung hinaus die Befristung von Arbeitsverträgen aus bestimmten sachlichen Gründen zulässig ist.
6. Lohnnebenkosten
Die Einsicht, daß die Lohnnebenkosten nicht weiter steigen dürfen, ja gesenkt werden müssen, ist verbreitet. Doch kann die Kodifikation des Arbeitsvertragsrechts hierzu nur wenig beitragen, weil die Problemlösung primär in der Entlastung der Sozialversicherung von versicherungsfremden Leistungen liegt. Krankenstände könnten ferner durch eine Verbesserung des Arbeitsschutzes reduziert werden. Im übrigen ist der überwiegende Teil der sogenannten Lohnnebenkosten hausgemacht, sei es durch die Tarifparteien oder durch die Parteien des Arbeitsverhältnisses selbst. Viele, die hierüber lauthals klagen, müßten zunächst einmal vor der eigenen Tür kehren. Das gesetzliche Arbeitsrecht hat aber nicht den Zweck, frei vereinbarte Vergütungsabreden oder Zusatzleistungen in Frage zu stellen. Auch an diesem Punkt endet die Verantwortung der Partner des Arbeitslebens nicht. Doch gibt es in puncto Lohnnebenkosten einige gesellschaftspolitisch brisante Bereiche des Arbeitsrechts, über die diskutiert werden muß. Sowohl aus dem Gesichtspunkt der Wirtschaftsförderung als auch der Frauenförderung muß die Frage aufgeworfen werden, ob der Ansatz wirklich richtig war und ist, den Arbeitgebern sozialstaatliche Lasten aufzuerlegen, die die Gemein- [Seite der Druckausg.: 84] schaft aller Steuerzahler tragen müßten. So wächst die Erkenntnis für die Gefahr, daß sich ein familienfreundliches Arbeitsrecht nachteilig auf die Beschäftigungschancen von Frauen auswirkt. Wenn nur 1,13% der Männer bereit sind, den Schutz des gesetzlichen Erziehungsurlaubs in Anspruch zu nehmen, dann werden diese geschlechtsneutral eingeräumten Schutzrechte de facto Frauenschutzrechte, mit den leider feststellbaren Abwehrtendenzen bei denen, die personalpolitische Entscheidungen zu treffen haben. Im Mutterschutzrecht erscheint es mir evident, daß über die bloße Freistellungspflicht hinausgehende Lasten nicht von einem Arbeitgeber, sondern von den Krankenkassen bzw. der staatlichen Gemeinschaft getragen werden müssen. Wer den Arbeitgebern im Übermaß Kosten für allgemeine soziale Risiken auferlegt, der muß sich nicht über Vermeidungsstrategien wundern, die das gutgemeinte Ziel ins Gegenteil verkehren. Beschäftigungs-, frauen- und familienpolitisch ist daher zu empfehlen, die Mutterschutzlasten vom Arbeitsverhältnis auf die Allgemeinheit zu verlagern. Dies würde nicht nur die Unternehmen entlasten, sondern auch die mehr oder minder offen vertretene Scheinlegitimation für eine Diskriminierung bei der Einstellung obsolet machen. Eine Erweiterung des Umlageverfahrens für kleinere Unternehmen könnte viel bewirken, wenn man nicht so weit gehen will, generell eine sozialversicherungsrechtliche Lösung im Bereich der Entgeltfortzahlung zu bevorzugen.
7. Leitlinien einer Kodifikation
[Seite der Druckausg.: 88]
8. Vorliegende Entwürfe bieten zahlreiche Problemlösungen
9. Umsetzungschancen
[Seite der Druckausg.: 94 = Leerseite] © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999 |