FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




[Seite der Druckausg.: 69]

Zusammenfassung der Plenumsdiskussion zum Thema: Modernisierung des Betriebsverfassungsgesetzes

Im zweiten Teil der Veranstaltung behandelten Professor Dr. Dres. h.c. Peter Hanau, Professor Dr. Wolfgang Streeck und Dr. Gerhard Leminsky Aspekte der Modernisierung des Betriebsverfassungsgesetzes. Zu Beginn der Diskussion wies Dr. Paul Oehlke (Projektträger des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Bonn) auf die historische Dimension des Themas hin. In diesem Zusammenhang erläuterte er, daß der Rekurs im Betriebsverfassungsgesetz auf die gesicherten, aber nicht vorhandenen arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen seinerzeit zum Humanisierungsprogramm beigetragen habe. Entsprechend seien heute organisations- und innovationspolitische Alternativen auch unter Berücksichtigung europäischer und internationaler Erfahrungen zu entwickeln und zu erproben. Er sprach sich daher für die Einführung einer entsprechenden Experimentierklausel bei der Modernisierung des Betriebsverfassungsgesetzes aus.

Dr. Wolfram Wassermann (Büro für Sozialforschung, Kassel) kam auf die Rolle der Betriebsverfassung für den Bereich der privaten Dienstleistungsgesellschaften zu sprechen. Er legte dar, daß zahlreiche dieser Unternehmen als sogenannte Netzwerkbetriebe organisiert seien, wobei er als Beispiel Gebäudereinigungsfirmen anführte. Für diese stelle sich das besondere Problem, daß sie gewissermaßen als „Diener zweier Herren" agierten. Auf der einen Seite stünde das Arbeitgeberunternehmen, auf der anderen Seite die jeweiligen Auftraggeber. Auch in Zusammenhang mit den Unternehmen der Auftraggeber bestünden betriebsverfassungsrechtliche Probleme. Für diese Probleme habe ein etwaiger Betriebsrat im arbeitgeberseitigen Unternehmen aber kein Mandat. Diese Konstellation führe im Ergebnis zu einer Aushöhlung der Mitbestimmungsrechte. Für ihn stelle sich daher die Frage, ob die Schaffung eines „Doppelmandats" für Betriebsräte denkbar wäre. Als Alternative biete sich die Schaffung einer Möglichkeit zur verstärkten Zusammenarbeit der Betriebsräte des Arbeitgeber- und des Auftraggeber-Unternehmens an.

Auf die Schwierigkeiten bei der Bildung von Betriebsräten wies Robert Mächtel (Betriebsrat Stiftung Sequa, Bonn) hin. Er widersprach der Forde-

[Seite der Druckausg.: 70]

rung, für Kleinbetriebe eine sogenannte „Betriebsverfassung light" einzuführen. Als Mitglied eines Betriebsrats in einem Kleinbetrieb entspreche es seiner Erfahrung, daß sich Mitarbeiter zur Wahl eines Betriebsrats nur motivieren ließen, wenn die Bildung des Betriebsrats mit allen im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen rechtlichen Vorteilen verbunden sei. Daher sei seine Forderung, die Rechte von Betriebsräten in Kleinbetrieben eher noch zu stärken.

Auch Heinrich Ortmann (IG Bergbau, Chemie, Energie, Hannover) kam auf die Betriebsratswahl zu sprechen. Es seien unbedingt Vereinfachungen des Wahlverfahrens zum Betriebsrat notwendig, wenn man dem Anstieg der Betriebe ohne Betriebsrat begegnen wolle. Im übrigen stimme er den Ausführungen von Hanau zu, mit denen sich dieser für die Erweiterung von Gestaltungsmöglichkeiten bei der Bestimmung des Betriebsbegriffs ausgesprochen hatte. Insoweit gäbe es nach seiner Einschätzung oftmals einen gemeinsamen Gestaltungswillen der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite. Auch dem von Hanau unterstützten Instrument eines sogenannten Transfersozialplans stehe er positiv gegenüber. Allerdings bedürfe es insoweit bestimmter „Umgangsformen" beider Seiten. Grund dafür sei der nach seiner Meinung nicht zu behebende Mangel an rechtlicher Durchsetzbarkeit eines solchen Transfersozialplans. Es bedürfe daher in der Praxis einer besonderen „Verbandsverbindlichkeit" auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite. Im übrigen müsse der Gesetzgeber sicherstellen, daß die rechtlichen Rahmenbedingungen für Transfersozialpläne stimmten. Die Transferleistungen der Unternehmen müßten steuerlich und sozialrechtlich honoriert werden; ansonsten seien Transfersozialpläne bei den Arbeitnehmern nicht durchsetzbar.

Von seiten der Politik kehrte Thomas Zuleger (SPD-Bundestagsfraktion, Bonn) zur Kleinbetriebsproblematik zurück. Diese müsse nach seiner Überzeugung im Vordergrund aller Reformüberlegungen stehen. Daneben verdiene aber auch die Einführung individueller Mitbestimmungsrechte des einzelnen Arbeitnehmers an seinem und in bezug auf seinen Arbeitsplatz stärkere Beachtung. Gerd Muhr (ehemaliger stellvertretender Vorsitzender des DGB, Düsseldorf) sprach sich angesichts der Problematik des sogenannten Outsourcing für die Bildung von Gesamtbetriebsräten bei Ausgliederung von Betriebsteilen aus, wenn diese im Betriebsverbund bleiben.

Auf diese Problematik ging auch Bösche ein. Der Gesetzgeber solle dafür sorgen, daß, wo dies möglich sei, für betriebsratslose Betriebe ein Gesamt-

[Seite der Druckausg.: 71]

betriebsrat zuständig werde. Im übrigen sei auch er der Auffassung, daß der bisherige § 3 BetrVG zu eng gefaßt sei. Der Freiraum für Betriebsbegriffsverhandlungen sei zu vergrößern. Andererseits sei zu bedenken, daß solche Verhandlungen ein funktionierendes Gleichgewicht zwischen den Parteien voraussetzten. Im Hinblick auf Kleinbetriebe widersprach er Mächtel. Nach seiner Einschätzung sei eine „Betriebsverfassung light" für solche Betriebe immer noch besser als das Fehlen jeglicher betrieblicher Mitbestimmung.

Nachdem wiederholt § 3 BetrVG angesprochen worden war, bat Dieterich den für die Zustimmung im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zuständigen Dr. Gerd Engels, zur Zustimmungspraxis Stellung zu nehmen. Dieser wies darauf hin, daß im Ministerium noch nicht entschieden sei, ob es einer Ausweitung des § 3 BetrVG bedürfe oder nicht. Seiner Ansicht nach sei der Wortlaut des § 3 BetrVG in der Tat zu eng. Dem habe man jedoch durch eine progressive Zustimmungspraxis begegnen können. Die Erfahrungen der letzten Jahre hätten nach seiner Einschätzung jedenfalls gezeigt, daß man an dem Zustimmungserfordernis festhalten solle. Die Zustimmungsbehörden haben ihren Einfluß auf die Tarifvertragsparteien oftmals zu deren Vorteil nützen können. Insbesondere habe verhindert werden können, daß kleinere Gewerkschaften sich ihre Rechte aus der Betriebsverfassung „abkaufen" ließen. Diese Ausführungen faßte Dieterich dahingehend zusammen, daß offenbar über das Zustimmungserfordernis Legitimationsdefizite ausgeglichen werden könnten.

Zum Abschluß der Diskussion stellte Streeck noch einmal heraus, daß nicht nur in Unternehmen mit weniger als 20 Arbeitnehmern, sondern auch in Unternehmen mit 20 bis 50 Arbeitnehmern überwiegend kein Betriebsrat bestehe. Hanau dankte den Diskussionsteilnehmern für die Weiterführung seiner Anregungen. Im Hinblick auf die zunehmende Zahl von Betrieben ohne Betriebsräte bestehe für den Gesetzgeber Handlungsbedarf; dies gelte auch im Hinblick auf „betriebsratslose Zeiten". Allerdings könne bei Unternehmensumstrukturierungen ein Übergangsmandat des Betriebsrats auch schon heute durch Rechtsanalogie begründet werden. Auf die von Molitor angesprochene Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten sei er nicht eingegangen, weil ihm diese Problematik im Hinblick auf das Referatsthema zu unmodern schien. Diese Differenzierung gehöre in der Tat ins „Betriebsverfassungsmuseum".

[Seite der Druckausg.: 72 = Leerseite]


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

Previous Page TOC Next Page