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Zusammenfassung der Plenumsdiskussion zum Thema: Bestandsschutz und Beschäftigungssicherung

Mit dem Titel der Veranstaltung „New Deal im Arbeitsrecht?" beabsichtigte der Gesprächskreis Arbeit und Soziales der Friedrich-Ebert-Stiftung, an die grundlegende Intention des New Deal der dreißiger Jahre in den USA anzuknüpfen, insbesondere an die allgemeine Aufbruchstimmung dieser Zeit. Es gelte auszuloten, inwieweit auch heute eine entsprechende Bereitschaft zu sozialstaatlichen und wirtschaftlichen Reformen vorhanden sei. Den Referenten und Teilnehmern der Veranstaltung wolle man Raum bieten, Signale in diese Richtung zu setzen.

Dem schloß sich der Moderator der Veranstaltung, Professor Dr. Thomas Dieterich, an. Es sei beabsichtigt, mit der Diskussion einen Beitrag zum Abbau des Reformstaus im Arbeitsrecht zu leisten. Er erläuterte zur angestrebten Diskussion, man habe Themen wie das Tarifvertragsrecht, das Arbeitskampfrecht und das Prozeßrecht ausklammern wollen, weil ersteres ausdiskutiert, das zweite hoffnungslos und das dritte Thema demnächst im Rahmen einer Veranstaltung der Hans-Böckler-Stiftung behandelt werde.

Dr. Cornelia Fischer, Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, gab eine Einführung in die Thematik der Konferenz. Nach den sich daran anschließenden beiden Referaten von Professor Dr. Wolfgang Däubler und Professor Dr. Dr. h.c. Karl Molitor zum Thema Bestandsschutz und Beschäftigungssicherung wies Dieterich darauf hin, daß sich beide Referenten im Hinblick auf die Problematik der Jungunternehmer und ausländischen Investoren bereits stark einander angenähert hätten. Als erster Sprecher kritisierte Werner Glaubitz (Gesamtmetall, Köln), das bei über 4 Millionen Arbeitslosen bedauerliche Fehlen von konkreten Vorschlägen zur Beschäftigungsförderung in den Vorträgen beider Referenten. Dem entgegnete Däubler mit dem Hinweis auf die Themenstellung seines Referats, nach der er sich auf den Bestandsschutz habe konzentrieren müssen; im übrigen sei die Vermeidung irrationaler Kündigung durchaus ein Stück „Beschäftigungssicherung". Weiter führte Glaubitz aus, die von Däubler angestrebte Wahl des Konzerns als Anknüpfungspunkt für den Kündigungsschutz entspreche nicht den wirtschaftlichen Realitäten. Tatsächlich bestünden zwischen den

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Konzernunternehmen nur rechtliche Beziehung; eine einheitliche Wirtschaftseinheit bestehe aber gerade nicht. Leugne man dies, müsse man konsequenterweise auch bei der betrieblichen Altersversorgung und den Sozialplänen an den Konzernbegriff anknüpfen. Däubler widersprach dem, indem er auf die Konzernbilanz hinwies, die deutlich mache, daß es sich bei dem Konzern um eine einheitliche wirtschaftliche Größe handele. Im übrigen knüpfe auch das BAG z.B. bei der Anpassung von Betriebsrenten bereits an den Konzern an. Bei den Sozialplänen entspreche dies der herrschenden Ansicht. Kritisch reagierte die Zuhörerschaft auf den Hinweis von Glaubitz, er müsse der Literaturansicht beipflichten, die bemängele, daß das Arbeitsverhältnis heute mehr Bestandsschutz genieße als das Eheverhältnis. Die Reaktion der Zuhörer faßte Dieterich dahingehend zusammen, daß man diese Parallele nicht mehr ernst nehmen könne.

Im Anschluß ging Rechtsanwalt Dr. Burchard Bösche, Hamburg, auf die Problematik der Abfindungen bei Kündigungen ein. Nach seiner Ansicht könne der Bestandsschutz von Arbeitsverhältnisses nicht allein am Kündigungsschutz gemessen werden. Ebenso relevant sei die Existenz eines Betriebsrats in den jeweiligen Unternehmen. Ansonsten werde – zumindest in der Praxis – der gesetzliche Kündigungsschutz nicht respektiert. Dies illustrierte Bösche durch zwei Beispiele aus dem Alltag seiner Kanzlei. Der Gesetzgeber müsse als Realität zur Kenntnis nehmen, daß in bestimmten Branchen, in denen die Arbeitnehmerschaft nicht organisiert sei, der Arbeitnehmer keine Wahl habe, ob er einen Aufhebungsvertrag unterschreibe oder nicht. Tue er dies nicht, finde er auch in anderen Unternehmen der Branche keine Arbeitsstelle mehr. Die Existenz eines Betriebsrats führe dagegen auch dazu, daß dieser auf die Bildung von Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften dränge. Dies sei nicht zuletzt im Hinblick auf die verlängerte Gewährung von Arbeitslosengeld vorteilhaft für den Arbeitnehmer. Abschließend sprach er sich dafür aus, die Zahlung einer Abfindung bei betrieblicher Kündigung gesetzlich anzuordnen. Diesen Ausführungen pflichtete Däubler insoweit bei, als auch nach seiner Erfahrung die rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen einer Kündigung in der Praxis stark differierten. Dies sei durch nichts gerechtfertigt. Daher halte er die Einführung gesetzlich angeordneter Minimalabfindungen für einen wünschenswerten Schritt in Richtung auf eine stärkere Vereinheitlichung der praktischen Konsequenzen einer Kündigung.

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Dr. Volker Bahl (DGB-Landesbezirk Rheinland-Pfalz, Mainz) kam in seinen Ausführungen auf die durch den Veranstaltungstitel gezogenen Parallele zu den USA zu sprechen. Er bezweifle, daß gerade die Niedriglöhne in den USA dort zu einer Besserung der Beschäftigungssituation geführt hätten. Wichtiger seien insoweit Innovation und Forschung.

Anschließend stellte Manfred Horn (Gesamtbetriebsrat Müller-Weingarten AG, Weingarten) die Frage an Molitor, wie er begründen könne, daß deutsche Unternehmen weiterhin einen Großteil ihrer Investitionen im Ausland tätigten. Molitor stimmte diesem Faktum zu. Umgekehrt gäbe es nur eine geringe Bereitschaft ausländischer Unternehmen, in Deutschland zu investieren. Dabei dürfe die Tatsache nicht aus den Augen verloren werden, daß es keinen „deutschen Markt" mehr gäbe; der „Euromarkt" erlaube es ausländischen Investoren, in jedem anderen europäischen Land zu produzieren und die Produkte auch nach Deutschland einzuführen.

Thomas Kreuder (Hessisches Ministerium der Finanzen, Wiesbaden) wies darauf hin, daß die Einstellungsbereitschaft von Unternehmen letztlich nicht an einzelnen Punkten, wie z.B. dem Kündigungsschutz, festgemacht werden könne. Es komme vielmehr auf das Gesamtarrangement der rechtlichen und wirtschaftlichen Umstände an. Jedes System der Arbeitsbeziehungen habe seine Eigenheiten. Von daher sei fraglich, ob Teile des Individualarbeitsrechts anderer Länder, wie etwa die als Kündigungshindernis empfundenen hohen Abfindungen, ohne weiteres auf die Bundesrepublik übertragen werden könnten. Hierzulande seien die kollektiven Regelungsmechanismen vergleichsweise stark ausgeprägt und hätten kollektive Interessenvertretungen wie Betriebsräte und Gewerkschaften eine relativ starke Position, so daß bei Veränderungen im Gesamtarrangement der deutschen Arbeitsbeziehungen negative Auswirkungen auf die kollektive Interessenvertretung nicht ausgeschlossen werden könnten. Im übrigen erinnerte er daran, daß gerade im Hinblick auf die offenbar erwünschte Welle von Existenzgründungen die bürokratischen Anforderungen an neuentstandene Kleinunternehmen bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern nicht zu hoch geschraubt werden sollten, damit ungeachtet eventuell später relevant werdender Kündigungsschutzregeln nicht schon der bloße administrative Aufwand als subjektiv empfundenes Einstellungshindernis wahrgenommen werde.

Zum Abschluß kehrte Rudolf Buschmann (Arbeit und Recht, Kassel) zu der von Däubler in seinem Referat vorgeschlagenen Einführung des Schrift-

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formerfordernisses für Kündigungen zurück. Nach seiner Ansicht sei dieser Punkt konsensfähig. Zur Kleinbetriebsklausel (§ 23 Abs. 1 KSchG) sei anzumerken, daß die von der neuen Regierung geplanten Änderungen nur einen halben Schritt zurück zur ursprünglichen Fassung der Vorschrift darstellten. Der nach den Änderungen bestehende Kündigungsschutz sei im Hinblick auf die Situation der Arbeitnehmer in Kleinbetrieben immer noch schwächer als der Kündigungsschutz von vor 1984.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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