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[Seite der Druckausg.: 27]

Karl Molitor
Bestandsschutz und Beschäftigungssicherung – Anregungen zur Neubelebung des Sozialstaates und der Wirtschaft


Herr Däubler hat uns in bemerkenswerter Klarheit eine progressive Betrachtung zu unserem Thema „Bestandsschutz und Beschäftigungssicherung" vorgetragen – progressiv im traditionellen Sinne einer möglichst weitgehenden Absicherung bestehender Arbeitsverhältnisse. Wir haben gehört, daß ihm der Sozialstaat mit dem derzeit nach Gesetz und Rechtsprechung bestehenden Bestandsschutz in einer Reihe von Punkten nicht weit genug geht. Folgerichtig sucht Herr Däubler nach Erweiterungen und hat hierzu eine Reihe von Anregungen gegeben.

Unser Gesamtthema heute sieht nun aber vor, daß wir uns nicht nur, wie es in der Einladung zum Stichwort „New Deal" heißt, mit einer „Neubelebung des Sozialstaates", sondern auch mit einer „Neubelebung unserer Wirtschaft" befassen. Offensichtlich sehen unsere Gastgeber hier einen Zusammenhang, und das aus meiner Sicht auch durchaus mit Recht.

Es geht also aus meiner Sicht und offensichtlich aus der Sicht unserer Gastgeber ebenfalls auch darum abzuwägen, was unter dem Gesichtspunkt einer angestrebten wirtschaftlichen Entwicklung zur Fortentwicklung des Sozialstaates und was gleichzeitig unter Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte zur zusätzlichen Belebung unserer Wirtschaft nicht zuletzt mit dem Ziel einer Beschäftigungsförderung getan werden kann.

Diese Beschäftigungsförderung ist ja ein erklärtes Hauptziel der Politik. Sie ist mit Blick auf unser Arbeitslosenproblem in der Tat dringlich, ja geradezu vordringlich.

Es ist für uns alle eine Binsenweisheit, wenn ich sage: Wir brauchen mehr Arbeit, mehr Beschäftigung in unserem Land, und ich füge hinzu, daß es zur Lösung unserer Probleme nicht etwa nur um eine Umverteilung von vorhandenen Arbeitsplätzen gehen kann. Mehr Arbeit aber können und werden wir nur erreichen, wenn in- und ausländische Investoren bereit sind,

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hier zu investieren, im Interesse einer Gewinnerzielung rentable Arbeitsplätze und damit mehr Beschäftigung zu schaffen.

An diesem vordringlichen Ziel müssen sich auch alle Überlegungen zur Neuordnung des Bestandsschutzes messen lassen. Der Kündigungsschutz läßt sich nach meiner Überzeugung aus diesem Problemkreis von Beschäftigungssicherung und Beschäftigungsförderung nicht ausklammern.

Ich will das an einem Beispiel aus der alltäglichen Unternehmenswirklichkeit erläutern: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß gerade die von meinem Vorredner mehrfach zitierten großen Unternehmen weltweit und auch in Deutschland dazu übergegangen sind – der Prozeß ist längst nicht abgeschlossen und sicher im härteren Wettbewerb auch notwendig und damit auch keine „Zufälligkeit der Organisation" –, ihre großen Betriebe aufzuteilen in sogenannte Profit-Center, die weitgehend selbständig am jeweiligen Markt wirtschaften und auch die wirtschaftliche Verantwortung für Personaleinsatz und Arbeitskosten zu tragen haben.

Wenn sie erfolgreich sind, werden sie zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Würde aber der Kündigungsschutz in der Weise ausgedehnt, daß nicht mehr zu beschäftigende Arbeitnehmer im Gesamtunternehmen oder gar im Konzern, wie hier zur Diskussion gestellt, weiterbeschäftigt werden müssen, möglicherweise unter Inkaufnahme von zusätzlichen Kosten, so würden in einer modernen Unternehmensorganisation diese Kosten selbstverständlich intern dem Profit-Center in Rechnung gestellt, was dessen wirtschaftliche Entwicklung zusätzlich belasten müßte und im Extremfall sogar zu dessen Ende mit weiteren Arbeitsplatzverlusten beitragen könnte.

Ein ähnliches Beispiel betrifft die zunehmende Zahl von Ausgliederungen von Betriebs- und Unternehmensteilen. Wenn nicht alles täuscht, steht die Outsourcing-Welle erst am Anfang der Entwicklung. Wir sollten uns sehr genau überlegen, ob wir solchen über unsere Grenzen hinausgehenden Entwicklungen in Deutschland zusätzliche arbeitsrechtliche Regulierungen in den Weg stellen sollen, was sicher nicht nur, aber auch den Bestandsschutz betrifft.

Natürlich kann und wird es häufig im Interesse des Gesamtunternehmens liegen, qualifizierte Mitarbeiter – Herr Däubler sprach z.B. von Systemanalytikern und Organisationsfachleuten – nicht zu verlieren und weiter zu be-

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schäftigen, wenn es für diese an anderen Stellen des Unternehmens geeignete Arbeitsplätze gibt. Aber dafür bedarf es keines Gesetzes.

Im unvermeidlichen Wettbewerb um Investoren aus dem In- und Ausland hat Deutschland zweifellos viele Standortvorteile aufzuweisen. Aber es gibt auch Nachteile. Und zu den Nachteilen gehört aus der Sicht vieler Investoren das enge, aus ihrer Sicht zu enge Netz von gesetzlichen Regulierungen. Dabei geht es, um das ausdrücklich klarzustellen, nicht nur um unser Arbeitsrecht. Aber es geht auch ums Arbeitsrecht.

Aus meiner Sicht könnte und würde es vermutlich ein Fehler sein, dieses Problem durch weitere Regulierungen, durch weitere damit verbundene Verengungen der unternehmerischen Möglichkeiten noch zusätzlich zu verschärfen. Eine weitere Ausdehnung des Sozialstaats, der natürlich auf seine Wirksamkeit und seine Zielgenauigkeit immer wieder überprüft werden muß, darf der „Neubelebung der Wirtschaft", um diesen Ausdruck aus der New Deal-Beschreibung zu benutzen, gerade auch im Interesse der Beschäftigungsförderung nicht im Wege stehen.

Wir sollten und dürfen auf den notwendigen Bestandsschutz natürlich nicht verzichten. Aber wir sollten und müssen auch darauf achten, daß wir nicht neue Einstellungshindernisse aufbauen.

Um das zu verdeutlichen, will ich nun im Rahmen dieses zeitlich beschränkten Diskussionsbeitrages versuchen, in aller Kürze drei Grundthesen vorzutragen, aus denen sich ergibt, daß unser Thema wegen unserer Arbeitslosenzahlen und Beschäftigungsprobleme nicht mehr isoliert betrachtet werden kann, wie es vor allem die Arbeitsrechtler früher in Zeiten einer besseren Beschäftigungslage noch überwiegend getan haben.

  1. Selbstverständlich ist es aus der Sicht der beschäftigten Arbeitnehmer wünschenswert, durch einen wirksamen Bestands- und Kündigungsschutz möglichst gut abgesichert zu sein.
    Und ebenso selbstverständlich ist ein solcher Bestandsschutz aus der Sicht der Arbeitgeber mit Problemen behaftet, weil er im Normalfall mit Einschränkungen der Flexibilität und/oder mit Kosten verbunden ist.

    Doch neben diesen altbekannten Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen ist nun schon seit längerer Zeit – nach unser aller sicher übereinstimmenden Meinung: seit zu langer Zeit – ein drittes Interesse getreten, das

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    der Arbeitsuchenden, die in größerer Zahl nach neuen Arbeitsplätzen streben. Während die Arbeitnehmer, die Arbeitsplatzbesitzer möglichst gut geschützt sein wollen, wollen die Arbeitsuchenden vorrangig einen neuen Arbeitsplatz. Der spätere Schutz vor Verlust dieses Arbeitsplatzes ist für sie zweitrangig. Für sie kommt es auf die Einstellungsbereitschaft möglichst vieler Arbeitgeber an!

    Daraus ergibt sich für mich die erste These:
    Bei allen Betrachtungen zum Bestandsschutz ist mit maßgeblich die Überlegung einzubeziehen, ob rechtliche Veränderungen geeignet sind, die Einstellungsbereitschaft der Arbeitgeber nachhaltig zu stören oder umgekehrt zu fördern und arbeitsuchenden Arbeitnehmern die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz zu erschweren oder zu erleichtern.

  2. Der im Zuge der Globalisierung der Märkte verstärkte Wettbewerb hat bereits zu erheblichen Veränderungen in den Unternehmen geführt. Dazu gehören auch Ausgliederungen und Verlagerungen ganzer Betriebe. Dieser Trend wird sich im einheitlichen Währungsgebiet der Euroländer noch weiter verstärken. Demgemäß wird auch den Arbeitnehmern immer lauter nahegelegt, sich auf größere Mobilität einzustellen.

    Auf der anderen Seite stellt der Bestandsschutz im Grundsatz auf den Bestand des jeweiligen Arbeitsverhältnisses ab. Er stellt deshalb eher darauf ab, der Mobilität entgegenzuwirken.

    Deshalb meine zweite These:
    Bei allen Überlegungen zum Bestandsschutz sollten wir davon ausgehen, daß die lebenslange Beschäftigung im gleichen Betrieb in Zukunft eher die Ausnahme als die Regel sein wird.

  3. Wir erhoffen uns von einer Gründerwelle in Deutschland einen wesentlichen Beitrag zur Lösung unserer Arbeitslosenprobleme. Das gilt ausdrücklich auch für die Bundesregierung. Demgemäß werden umfangreiche und gut durchdachte Programme zur Förderung solcher Unternehmensneugründungen angeregt und auf Länder- und Bundesebene auch erstellt.

    Die Jungunternehmer müssen jedoch andererseits in Kauf nehmen, daß nach unserem Kündigungsschutzgesetz bei Erreichung der Zahl von mehr als fünf Arbeitnehmern der gesetzliche Kündigungsschutz greift und sie

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    die Arbeitnehmer in der für sie normalerweise besonders schwierigen Anfangsphase unter Umständen nur mit für sie teueren Abfindungen kündigen können.

    Ich darf das noch ein wenig erläutern:
    Ich beschäftige mich im Auftrag des Bundesforschungsministeriums als Vorsitzender eines Beraterkreises mit der Förderung der Biotechnologie in Deutschland. Dabei geht es unter anderem gerade auch darum, junge Wissenschaftler, die überwiegend noch an den Hochschulen tätig sind, anzuregen, eigene Unternehmen zur Verwertung ihrer speziellen Kenntnisse zu gründen. Diese jungen Neuunternehmer brauchen qualifizierte Mitarbeiter. Wenn es Anfangserfolge gibt, wird die Zahl von fünf Arbeitnehmern bald überschritten sein. In der Anfangszeit werden diese Jungunternehmer sich mit den Befristungen der Arbeitsverhältnisse bis zu zwei Jahren helfen können. Doch zwei Jahre sind für solche Neugründungen eine kurze Zeit. Rückschläge sind nicht ausgeschlossen und erfahrungsgemäß auch recht häufig, übrigens auch nach internationalen Erfahrungen. Nur der kleinere Teil dieser Jungunternehmer hat auf Dauer Erfolg. Die jungen Unternehmer selbst wissen das. Sie sollen und müssen das Risiko eingehen. Und sie müssen sich nicht selten auch von Mitarbeitern wieder trennen, deren Fähigkeiten sie vielleicht, auch aufgrund ihrer Unerfahrenheit, zunächst und auch für eine längere Frist falsch eingeschätzt haben.

    Mit solchen Jungunternehmern oder potentiellen Neugründern über Bestandsschutz, über Kündigungsschutz zu sprechen, erscheint doch problematisch. Die Aussichten auf solchen Bestandsschutz nicht für sie selber, sondern für die Mitarbeiter dürften hier eher abschreckend wirken und der Werbung um solche erwünschten Neugründungen eher im Wege stehen.

    Für alteingesessene Kleinbetriebe mag die Grenze von fünf Arbeitnehmern vertretbar sein. Ob die Reduzierung dieser Grenze von zehn auf fünf Arbeitnehmer durch die neue Regierungskoalition in solchen Altfällen sinnvoll ist, kann und will ich nicht abschließend beurteilen.

    Meine dritte These lautet:
    Für neugegründete Unternehmen ist die Grenze von fünf Arbeitnehmern im Kündigungsschutz problematisch und zu eng.

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    Ich rege deshalb an zu überlegen, für solche neu gegründeten Unternehmen eine andere höhere Zahl für den Kündigungsschutz zu Grunde zu legen und diese höhere Zahl mit einer noch zu bestimmenden Frist nach der Unternehmensgründung zu verbinden.

    Mir scheint, daß man damit einen wirksamen Beitrag zur Förderung der dringend erwünschten Neugründungen von Unternehmen und damit auch einen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leisten kann.


    © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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