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TEILDOKUMENT:
Bestandsschutz und Beschäftigungssicherung [Seite der Druckausg.: 13]
Wolfgang Däubler
1. Das Problem
Für manche Juristen ist die Kündigung nichts anderes als eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Ihre sozialen Folgen stehen nicht zur Diskussion; sie überschreiten den Verständnishorizont des BGB wie seiner Interpreten. Für einige Betroffene bedeutet der Verlust des Arbeitsplatzes lebenslängliche Arbeitslosigkeit. Im Regelfall wird dies nicht so sein, aber auch sechs oder acht Monate Arbeitslosigkeit bringen Einbußen an Lebensstandard und soziale Belastungen mit sich. Findet man einen neuen Arbeitsplatz, muß man gewissermaßen bei null beginnen: Man muß sich einarbeiten und Akzeptanz bei den Arbeitskollegen finden. Auf lange Sicht gewichtiger ist, daß man erst allmählich wieder die Rechte erwirbt, die von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängen: längere Kündigungsfristen, betriebliche Sozialleistungen, Absicherung durch die Grundsätze über die soziale Auswahl. Wer einen befristeten Arbeitsvertrag hatte, der auslief, befindet sich in derselben Situation. Ein Unterschied besteht nur darin, daß die Kündigungserklärung entbehrlich war. Dauerte der Vertrag oder dauerten die Verträge insgesamt nicht länger als zwei Jahre, hat man von vorneherein auch kaum eine Chance, sich einzuklagen selbst wenn man gute Leistungen erbracht hat und weiter genug Arbeit vorhanden ist. Daß es Kündigungen und befristete Arbeitsverhältnisse gibt, ist in einer Marktwirtschaft selbstverständlich. Es kann daher von vorneherein nur darum gehen, irrationale weil vermeidbare Formen von Arbeitsplatzverlust zu verhindern. Hierfür sollen im folgenden einige Vorschläge gemacht werden.
2. Schaffung von Rechtsklarheit
Kündigungen sollten angesichts ihrer enormen Bedeutung nicht weiter formlos möglich sein. Die betroffene Person muß ohne Schwierigkeiten erkennen können, wie ihre Situation beschaffen ist. Auch kann man schon vom [Seite der Druckausg.: 14] Verfahren her dazu beitragen, daß unberechtigte Kündigungen nach Möglichkeit erst gar nicht ausgesprochen werden. Deshalb sollte ein modernes Kündigungsschutzrecht folgendes vorsehen:
3. Umsetzung der Entscheidungen des BVerfG zur sogenannten Kleinbetriebsklausel Bisweilen sind Gerichte moderner als der Gesetzgeber. Das BVerfG hat in seinen Entscheidungen vom 27.01.1998 [DB 1998, 826ff. und 829ff.] zu Recht darauf hingewiesen, daß [Seite der Druckausg.: 15] man nicht unterschiedslos alle Kleinbetriebe aus dem Kündigungsschutz ausnehmen kann, etwa selbst dann, wenn hinter ihnen ein Weltkonzern steht. Und es hat weiter darauf verwiesen, daß den Gesetzgeber auch außerhalb des KSchG eine aus Art. 12 Abs. 1 GG folgende Schutzpflicht trifft, daß er für ein Minimum an Bestandsschutz sorgen muß. Daraus sind möglichst schnell Konsequenzen zu ziehen:
4. Verhaltens- und personenbedingte Kündigung Die Frage, wann ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers und wann insbesondere Krankheiten eine Kündigung rechtfertigen, ist Gegenstand einer reichhaltigen Rechtsprechung. Dabei mag es im Einzelfall Entscheidungen geben, die Kopfschütteln hervorrufen. Der Sachverständigenrat hat dies nachhaltig schon in seinem Jahresbericht 1989/1990 getan und zwei Horrorbeispiele zu Lasten der Arbeitgeberseite genannt. [Ziffer 369, wiedergegeben in RdA 1990, 288.] Man kann genauso Ausreißerentscheidungen" zu Lasten der Arbeitnehmerseite finden, so wenn etwa der Verzehr eines Stücks Kuchen im Wert von DM 1,30 [BAG AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlungen.] und die Entwendung von drei Kiwi-Früchten [BAG AP Nr. 80 zu § 626 BGB.] als wichtiger Grund" für eine fristlose Kündigung gewertet werden. Bei allem verständlichen Protest: Hier sollte man nicht dramatisieren, sondern darauf vertrauen, daß Entscheidungen auch korrigiert werden können. Bei der Entwendung von geringwertigen Lebensmitteln ist diese Entwicklung bereits im Gange. [LAG Düsseldorf vom 19.02.1992, LAGE § 626 BGB Nr. 66: Wegnahme einer Wurst kein „wichtiger Grund"; ArbG Reutlingen vom 04.06.1996, AiB 1996, 623: Entwendung von zwei Bechern Joghurt kein „wichtiger Grund".] Eine nähere gesetzliche Normierung würde nur zusätzliche Probleme schaffen, weil sie der Vielfalt der zu beurteilenden Situationen schwerlich gerecht werden könnte. Insoweit gibt es keinen Reformbedarf.
5. Betriebsbedingte Kündigung
Die Situation ist eine grundsätzlich andere, wenn es um die Kündigung aus dringenden betrieblichen Interessen" geht. Lassen Sie mich die beiden wichtigsten Punkte aufgreifen. [Seite der Druckausg.: 17]
5.1 Überprüfung der unternehmerischen Entscheidung?
Der Schutz gegen betriebsbedingte Kündigungen geht von einem Dogma aus: Die unternehmerische Disposition als solche unterliegt nicht der gerichtlichen Kontrolle. [Grundlegend BAG GS AP Nr. 20 zu § 1 KSchG.] Nur wenn sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich" ist, soll anderes gelten, doch scheint es in unserem Land keine unsachlich oder willkürlich handelnden Arbeitgeber zu geben. Dies hängt primär damit zusammen, daß Gewinnsteigerung nie unsachlich" ist, selbst wenn sie gigantische Ausmaße annimmt. Außerdem müßte der Arbeitnehmer das Vorliegen des Ausnahmetatbestands beweisen, wozu er auf der Grundlage der ihm zugänglichen Informationen schwerlich in der Lage ist. Hinzu kommt, daß der Begriff Unternehmerentscheidung" recht weit gefaßt wird: Auch die Entscheidung, dieselben Aufgaben mit weniger Personal zu erledigen, gehört dazu. [BAG vom 24.04.1997, DB 1997, 1776.] Dies bedeutet, daß der Arbeitgeber sich seinen Kündigungsgrund unschwer selbst schaffen kann. Nicht überprüfbar ist auch eine Entscheidung, durch die das Vertriebssystem auf freie Mitarbeiter umgestellt wird. [BAG vom 09.05.1996, DB 1996, 2033.] Schwierigkeiten ergeben sich allerdings für einen Arbeitgeber, der nebenberuflich tätige Arbeitskräfte durch Vollzeitkräfte ersetzen möchte: Darin liege eine unzulässige Austauschkündigung, die im konkreten Fall bestehende arbeitsmarkt- und sozialpolitische Motivation habe keinen konkreten Bezug zum Arbeitsverhältnis und begründe keine dringenden betrieblichen Erfordernisse". [BAG vom 13.03.1987, DB 1987, 1443.] Wie bei allen Dogmen sind die Grundlagen relativ brüchig. Dazu nur drei Stichpunkte.
In einer solchen Interessenabwägung könnte der zutreffende Lösungsansatz liegen: Wenn es nur darum geht, ein eh schon dickes Gewinnpolster durch Personaleinsparungen noch zu vergrößern, liegt eine Verabsolutie- [Seite der Druckausg.: 19] rung des Arbeitgeberinteresses vor. Daß eine solche Kontrolle machbar ist und zu keiner unzumutbaren Reglementierung führt, hat das ArbG Gelsenkirchen vor kurzem deutlich gemacht. [AuR 1999, 38 mit Anm. Däubler.] Damit wäre ein Widerspruch im arbeitsrechtlichen System beseitigt.
5.2 Kündigung als letztes Mittel
Im Grundsatz besteht Einigkeit, daß nur dann betriebsbedingt gekündigt werden darf, wenn kein weniger belastendes Mittel zur Verfügung steht. Der Gesetzgeber hat dies im Jahre 1997 durch § 2 SGB III noch einmal bestätigt. [Dazu Schaub NZA 1997, 810.] Dennoch hat man den Eindruck, daß bislang bei der Suche nach Alternativen wenig Kreativität entwickelt wurde. Deshalb drei Vorschläge:
Alle drei Maßnahmen dienen der Sicherung von Beschäftigung, ohne die Arbeitgeberinteressen substantiell zu beeinträchtigen. Sie verhindern vermeidbare Arbeitslosigkeit, können freilich keine neuen Arbeitsplätze schaffen.
6. Befristung
6.1 Beibehaltung des BeschFG?
Die Befristungsregeln des BeschFG 1996 laufen am 31.12.2000 aus. Es scheint angebracht, sich Gedanken über eine evtl. Neuregelung zu machen. Ausgangspunkt muß die schon 1954 in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nachlesbare Erkenntnis sein, daß die beliebige Zulassung der Befristung den Kündigungsschutz unterlaufen würde. [BAG vom 21.10.1954, AP Nr. 1 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag.] Die heutige Regelung gibt dem Arbeitgeber das Recht, über das angemessene Maß hinaus einen Arbeitnehmer zwei Jahre lang auf Probe zu beschäftigen und überdies das Risiko einer schwankenden Auftragslage auf ihn abzuwälzen. Es fällt schwer, Argumente zu finden, um eine solche Regelung auch nur noch bis Ende 2000 beizubehalten. Es müßte genügen, daß nach der Rechtsprechung Befristungen bis zu sechs Monaten grundsätzlich auch ohne sachlichen Grund zulässig sind und daß u.a. vorübergehender Arbeitsanfall genau wie Erpro- [Seite der Druckausg.: 21] bung und Vertretung als sachliche Gründe" anerkannt sind. Dies schafft für einen einstellungsbereiten Arbeitgeber ausreichende Spielräume. Unterstellt man, daß die Befristung nach § 1 BeschFG für die Arbeitgeberseite einen hohen Symbolwert besitzt, der einer Abschaffung politisch entgegensteht, so könnte man sich folgende Lösung vorstellen: Der Gedanke der Beschäftigungsförderung" wird (erstmals) ernst genommen und eine Befristung ohne Sachgrund nur dann zugelassen, wenn eine Unternehmensgründung vorliegt oder wenn in anderen Fällen durch die Einstellung ein neuer Arbeitsplatz geschaffen wird. Da Privatunternehmen anders als der öffentliche Dienst nicht notwendig über Stellenpläne verfügen, muß man als Vergleichsgröße das durchschnittliche betriebliche Arbeitszeitvolumen der letzten drei Monate heranziehen. Wird dieses auf Grund der Einstellung überschritten oder tritt diese an die Stelle von Überstunden, ist die Befristung gerechtfertigt.
6.2 Diskriminierungsverbot
Befristet Beschäftigte sind nicht nur dadurch benachteiligt, daß sie keinen Bestandsschutz genießen. Auch bei den Arbeitsbedingungen sind sie in vielfältiger Weise schlechter gestellt. Am deutlichsten wird dies bei betrieblichen Sozialleistungen, die in der Regel an der Dauer der Betriebszugehörigkeit anknüpfen und deren Voraussetzungen deshalb häufig nicht erfüllt sind. Dem sollte durch eine Anti-Diskriminierungsvorschrift entsprechend § 2 Abs. 1 BeschFG entgegengewirkt werden. Für gleiche Arbeit muß gleiche Vergütung bezahlt werden wer nur einen Teil des Jahres arbeitet, muß deshalb einen seiner Tätigkeitsdauer entsprechenden Bruchteil des Urlaubsgeldes und der Weihnachtsgratifikation bekommen. Dies läßt sich auch mit dem Verbot der (mittelbaren) Diskriminierung wegen des Geschlechts begründen: 53,7% aller befristet Beschäftigten sind Frauen, [Büchtemann-Höland, Befristete Arbeitsverträge nach dem BeschFG, 19989, S. 84f.] während ihr Anteil an den Arbeitnehmern insgesamt bei ca. 43% liegt. Ein solches Diskriminierungsverbot ist weniger neu, als man dies im ersten Moment vermuten möchte. Die EG-Richtlinie vom 24. Juni 1991 [ABl vom 29.07.1991 Nr. L 206/19, abgedruckt auch bei Däubler-Kittner-Lörcher, Internationale Arbeits - und Sozialordnung, 2. Auflage 1994, unter Nr. 449.] verbietet ausdrücklich eine Benachteiligung befristet Beschäftigter im Arbeitsschutz. [Seite der Druckausg.: 22] Das LAG Hamm hat es als Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG angesehen, daß ein Tarifvertrag Saisonarbeitskräfte mit weniger als 1.000 Arbeitsstunden pro Jahr von der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst ausschloß. [LAG Hamm DB 1996, 632.] Dies sollte der Gesetzgeber oder ein innovationsbereiter Richter aufgreifen und insbesondere auf Jahressonderzahlungen erstrecken. Dem Arbeitgeber würde so auch ein zusätzlicher wirtschaftlicher Anreiz genommen, auf befristete statt auf unbefristete Arbeitsverhältnisse zurückzugreifen. Weitergehend könnte man auch an eine Präkaritätsprämie" denken, also z.B. einen prozentualen Zuschlag zum verkehrsüblichen Entgelt, der in gewissem Umfang das Beschäftigungsrisiko abgelten würde. [Dafür bereits Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Auflage 1993, Rn. 980.]
7. Bestandsschutz als Beschäftigungshindernis?
In der juristischen Literatur konnte man vor nicht allzu langer Zeit auf das Bekenntnis treffen, schon der bisherige Kündigungsschutz sei ein Beschäftigungshindernis. Die soziale Auswahl zwinge zu ökonomisch ineffizienten Auswahlentscheidungen. Die Schwerbehindertenquote verschlechtere die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Trotz höherer Durchschnittskosten weibliche Arbeitskräfte genauso wie männliche bezahlen zu müssen, sei wirtschaftlich nicht vertretbar und führe zu Umgehungsstrategien. [Von Stebut RdA 1997, 293, 295.] Ich will hier nicht problematisieren, ob es eigentlich legitim ist, den Kündigungsschutz ausschließlich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu diskutieren. Geht man nämlich diesen Weg, so ist nicht auszuschließen, daß man eines Tages auch das Grundgesetz als Standortnachteil" qualifiziert, ermöglicht es doch die freie Bildung von Gewerkschaften und Betriebsräten, was mit Kostenbelastungen für die Unternehmen verbunden ist. Auch verbietet Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV im Grundsatz die Sonntagsarbeit, was im internationalen Wettbewerb noch viel schlimmer" als die Lasten" durch Frauen und Schwerbehinderte sein kann. Auch wenn man sich einmal auf die ökonomische Seite beschränkt, wäre es viel zu eng gesehen, wollte man im Bestandsschutz primär einen Nachteil [Seite der Druckausg.: 23] für den Arbeitgeber erblicken. Dies zeigt sich schon daran, daß bei der Max-Planck-Untersuchung zum Kündigungsschutz nur 13,5% der befragten 557 Personen auf Arbeitgeberseite erklärten, das geltende Kündigungsschutzrecht sei mangelhaft" oder völlig ungenügend". [Falke u.a., Kündigungspraxis und Kündigungsschutz in der Bundesrepublik, 1980, S. 151.] Eine Mehrheit von immerhin 86,5% war mit dem geltenden Recht durchaus zufrieden und dies Ende der siebziger Jahre, als es noch kein BeschFG und eine eher strengere Rechtsprechung zur Befristung von Arbeitsverhältnissen als heute gab. Auch sollte man sich bisweilen daran erinnern, daß in den fünfziger und sechziger Jahren die Bundesrepublik ja keine autarke Wirtschaft hatte, sondern sich im internationalen Wettbewerb die Marktanteile erst einmal erkämpfen mußte und niemand beschwerte sich mit dem Argument, das KSchG stehe als ein Stück Überregulierung" unternehmerischem Erfolg im Wege. Stabile Arbeitsverhältnisse schaffen soziale Bindungen an den Betrieb, [KR-M. Wolf, 3. Auflage, Rn. 51.] sie haben wie übrigens auch der Sachverständigenrat anerkannte [RdA 1990, 280.] effizienzsteigernde Wirkungen. Sie fördern wie es bei Vertretern der ökonomischen Analyse des Rechts heißt die berufliche Identität und bilden damit eine Grundlage für berufliche Kompetenz, innovatives Verhalten und Anpassungsbereitschaft an technisch-organisatorische Veränderungen". [Brandes-Buttler-Dorndorf-Walwei, Grenzen der Kündigungsfreiheit, in: Semlinger (Hrsg.), Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, 1991, S. 112.] In Alltagssprache ausgedrückt: Wer weiß, daß er morgen wieder draußen ist oder sein kann, wird sich mit seinen Aufgaben nicht identifizieren und im besten Fall korrekt, aber uninteressiert das Seine tun. Die deutsche Wirtschaft braucht aber innovative Arbeitskräfte, die sich vor eigenen Initiativen und den damit verbundenen Risiken nicht scheuen. Auch das Arbeitsrecht muß daran denken, daß man heute nicht gute Fließbandarbeiter, sondern Systemanalytiker und Organisationsfachleute benötigt. Dieses Arbeitgeberinteresse an stabilen Beschäftigungsverhältnissen endet selbstredend bei schweren Störungen sei es bei persönlichem Fehlverhalten, sei es bei dauerhaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Daß in solchen Fällen eine Trennung möglich ist, bestreitet niemand es geht nicht darum, das japanische Lebenszeitarbeitsverhältnis zu importieren, obwohl man of- [Seite der Druckausg.: 24] fensichtlich auch mit ihm ganz gute unternehmerische Erfolge erzielen kann. [Dazu Schregle, International Labour Review 1993, 507.] Selbst wenn man alle hier vorgetragenen Veränderungen akzeptieren und umsetzen würde, gibt das deutsche Kündigungsschutzrecht nur einen relativen Bestandsschutz. Warum sich die Arbeitgeberseite vor ihm fürchten und deshalb auf Einstellungen verzichten sollte, ist nicht ersichtlich.
8. Ein Blick über die Grenze
Viele haben sich daran gewöhnt, unser Arbeitsrecht als das am weitesten fortgeschrittene auf der Welt zu qualifizieren. Zwar gehört es sich nicht, derlei juristischen Nationalismus offen zu bekunden, weil sich andere dadurch gekränkt fühlen könnten gleichwohl ist die Vorstellung in vielen Köpfen tief verankert und schwingt unausgesprochen in zahlreichen Zusammenhängen mit. Im Kündigungsschutz kann man eine solche Vorstellung leider nur als schlichtes Vorurteil bezeichnen. Auch wenn wir Japan mal außen vor lassen innerhalb der EG gehören wir auf diesem Gebiet eher ins letzte Drittel. Bei den Ländern mit stärkerem Schutz kommen zu den Kündigungsgründen, die mit den unseren weithin übereinstimmen, noch einige Extras" hinzu. In Frankreich gibt es keine Kleinbetriebsklausel. Nur der Anspruch auf Weiterbeschäftigung ist bei kleinen Einheiten eingeschränkt. Die betriebsbedingte Kündigung ist dann ausgeschlossen, wenn die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens nicht gefährdet ist und dieses lediglich die Arbeitsabläufe umstrukturieren will. [Dazu Lyon-Caen/Pélissier/Supiot, Droit du travail, 18 édition 1996, Rn. 458ff.; Colneric, a.a.O.] Im niederländischen Recht bedarf jede vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung der Genehmigung einer staatlichen Behörde. [Jacobs u.a. Elementair sociaal recht, Alphen aan den Rijn 1988, S. 110ff.] Sie wird keinesfalls automatisch erteilt und ist oft von der Gewährung durchaus beträchtlicher Abfindungen abhängig. Nach österreichischem Recht führt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses immer zu einem Abfindungsanspruch, es sei denn, sie wäre überwiegend vom Arbeitnehmer verschuldet. [§§ 23, 23 a Angestelltengesetz, worauf das „Arbeiterabfertigungsgesetz" verweist. Siehe dazu Migsch, Abfertigung für Arbeiter und Angestellte, Wien 1982; Runggaldier (Hrsg.), Abfertigungsrecht, Wien 1991.] Die Höhe [Seite der Druckausg.: 25] hängt von der Dauer der Betriebszugehörigkeit ab; sie beginnt mit zwei Monatsgehältern nach drei Jahren und endet mit zwölf Monatsgehältern nach 25 Jahren. Daneben kann ggf. ein Sozialplan verlangt werden. Noch weiter geht die Regelung in Italien. Art. 2120 des Codice Civile [Wiedergegeben nach der zweisprachigen Ausgabe, erstellt im Auftrag der Südtiroler Lan desregierung und veröffentlicht in der Verlagsanstalt Athesia, Bozen 1987.] sieht vor, daß für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit ohne Rücksicht auf den Grund des Ausscheidens eine Abfindung bezahlt wird, die ein Jahresgehalt geteilt durch 13,5 ausmacht. [Darstellung der Einzelheiten bei Runggaldier, Das Recht der Arbeit (Wien) 1990, 247ff.; aus dem italienischen Schrifttum siehe Ghezzi-Romagnoli, Il rapporto di lavoro, 3a edizione, Bologna 1995, Rn. 346ff.] Ich will den Überblick hier abbrechen und auch das Faktum nicht vertiefen, daß der Grundsatz der automatischen Abfindung bei betriebsbedingtem Arbeitsplatzverlust in Großbritannien selbst die Ära Thatcher überdauert hat. Entscheidend ist etwas ganz anderes: Für multinationale Konzerne wird geradezu ein Anreiz geschaffen, einen geplanten Personalabbau in Deutschland durchzuführen. Die Schwierigkeiten werden hier relativ gering sein; nur bei einem sehr erfolgreich agierenden Betriebsrat und einem für die Arbeitnehmerinteressen aufgeschlossenen Einigungsstellenvorsitzenden wird es gelingen, Abfindungssätze wie in Österreich oder gar in Italien durchzusetzen. In allen anderen Fällen muß man mit sehr viel geringeren Beträgen rechnen, sofern man nicht die Sozialplanpflicht insgesamt vermeidet und schleichenden Personalabbau ohne Abfindung praktiziert. Daß die Gerichte eingreifen und Kündigungen kassieren, ist wenig wahrscheinlich. Am ehesten bestehen Risiken, wenn eine soziale Auswahl vorzunehmen war spätestens vor Gericht wird man dann im Vergleichswege gegen Zahlung einer Abfindung die Auflösung des Arbeitsverhältnisses erreichen. Geringer Kündigungsschutz wird so zum Standortnachteil. Es wäre wünschenswert, in der künftigen Diskussion um ein besseres Kündigungsschutzrecht diesen Aspekt stärker als bisher zu beachten. Auch die Rechtspolitiker müssen sich internationalisieren und bereit sein, die Lösungen anderer ernsthaft in Augenschein zu nehmen. [Seite der Druckausg.: 26 = Leerseite] © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999 |