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TEILDOKUMENT:




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Wolfgang Däubler
Bestandsschutz und Beschäftigungssicherung




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1. Das Problem

Für manche Juristen ist die Kündigung nichts anderes als eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Ihre sozialen Folgen stehen nicht zur Diskussion; sie überschreiten den Verständnishorizont des BGB wie seiner Interpreten.

Für einige Betroffene bedeutet der Verlust des Arbeitsplatzes lebenslängliche Arbeitslosigkeit. Im Regelfall wird dies nicht so sein, aber auch sechs oder acht Monate Arbeitslosigkeit bringen Einbußen an Lebensstandard und soziale Belastungen mit sich. Findet man einen neuen Arbeitsplatz, muß man gewissermaßen bei null beginnen: Man muß sich einarbeiten und Akzeptanz bei den Arbeitskollegen finden. Auf lange Sicht gewichtiger ist, daß man erst allmählich wieder die Rechte erwirbt, die von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängen: längere Kündigungsfristen, betriebliche Sozialleistungen, Absicherung durch die Grundsätze über die soziale Auswahl.

Wer einen befristeten Arbeitsvertrag hatte, der auslief, befindet sich in derselben Situation. Ein Unterschied besteht nur darin, daß die Kündigungserklärung entbehrlich war. Dauerte der Vertrag oder dauerten die Verträge insgesamt nicht länger als zwei Jahre, hat man von vorneherein auch kaum eine Chance, sich einzuklagen – selbst wenn man gute Leistungen erbracht hat und weiter genug Arbeit vorhanden ist.

Daß es Kündigungen und befristete Arbeitsverhältnisse gibt, ist in einer Marktwirtschaft selbstverständlich. Es kann daher von vorneherein nur darum gehen, irrationale weil vermeidbare Formen von Arbeitsplatzverlust zu verhindern. Hierfür sollen im folgenden einige Vorschläge gemacht werden.

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2. Schaffung von Rechtsklarheit

Kündigungen sollten angesichts ihrer enormen Bedeutung nicht weiter formlos möglich sein. Die betroffene Person muß ohne Schwierigkeiten erkennen können, wie ihre Situation beschaffen ist. Auch kann man schon vom

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Verfahren her dazu beitragen, daß unberechtigte Kündigungen nach Möglichkeit erst gar nicht ausgesprochen werden. Deshalb sollte ein modernes Kündigungsschutzrecht folgendes vorsehen:

  • Die Kündigung bedarf der Schriftform.
  • Der Arbeitnehmer muß vor Ausspruch der Kündigung angehört werden. In Betrieben mit Betriebsrat ist damit für den Arbeitgeber kein zusätzlicher Aufwand verbunden. Das geltende Recht kennt überdies in § 82 Abs. 1 BetrVG die Pflicht zur Anhörung „in allen betrieblichen Angelegenheiten, die die Person des Arbeitnehmers betreffen". Warum soll ausgerechnet die einschneidende Maßnahme der Kündigung ausgenommen sein?
  • Ähnlich wie nach § 564 a Abs. 2 BGB im Mietrecht ist die Kündigung mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen. Ohne diese läuft die Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG nicht. Entsprechende Ansätze gibt es mittlerweile auch im Reisevertragsrecht, wo der Veranstalter den Reisenden auf seine Gewährleistungsansprüche hinweisen muß. [Verordnung über die Informationspflichten von Reiseveranstaltern vom 14.11.1994 (BGBl I, 3436), § 3.]
  • Auf Verlangen des Arbeitnehmers sind die Kündigungsgründe mitzuteilen. Die schon heute geltende Regelung des § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB ist auf die ordentliche Kündigung zu erstrecken. Ein obligatorischer Begründungszwang wäre oft eine überflüssige Formalität, weil alle Beteiligten wissen, wie die Hintergründe der Kündigungsentscheidung beschaffen sind. Auch kann sich bei verhaltensbedingter Kündigung eine notwendigerweise „unfreundliche" schriftliche Fixierung von Gründen negativ auf das nachfolgende Zeugnis auswirken, weil sich der Arbeitgeber vermutlich nicht allzu sehr mit dem vorher Bekundeten in Widerspruch setzen möchte.


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3. Umsetzung der Entscheidungen des BVerfG zur sogenannten Kleinbetriebsklausel

Bisweilen sind Gerichte moderner als der Gesetzgeber. Das BVerfG hat in seinen Entscheidungen vom 27.01.1998 [DB 1998, 826ff. und 829ff.] zu Recht darauf hingewiesen, daß

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man nicht unterschiedslos alle Kleinbetriebe aus dem Kündigungsschutz ausnehmen kann, etwa selbst dann, wenn hinter ihnen ein Weltkonzern steht. Und es hat weiter darauf verwiesen, daß den Gesetzgeber auch außerhalb des KSchG eine aus Art. 12 Abs. 1 GG folgende Schutzpflicht trifft, daß er für ein Minimum an Bestandsschutz sorgen muß. Daraus sind möglichst schnell Konsequenzen zu ziehen:

  • Statt wie bisher auf den Betrieb ist auf das Unternehmen abzustellen. [So schon nach geltendem Recht Löwisch BB 1999, 102.] Nur wenn die wirtschaftliche (und nicht eine zufällig verselbständigte arbeitstechnische) Einheit vergleichsweise klein ist, rechtfertigt sich eine Lockerung des Kündigungsschutzes mit Rücksicht auf Arbeitgebergrundrechte. In solchen Fällen ist die wirtschaftliche Belastbarkeit relativ gering, nur hier kommt es wirklich auch auf die persönliche Zusammenarbeit an. Nimmt man dies ernst, kann man außerdem nur Unternehmen einbeziehen, die nicht in einem Konzernverbund stehen. Eine vier Personen beschäftigende Tochtergesellschaft von Siemens aus dem Kündigungsschutz auszunehmen, entbehrt der inneren Rechtfertigung. Auf Unternehmen und Konzern abzustellen, legitimiert sich im übrigen auch mit dem Gedanken der Wettbewerbsgleichheit: Andernfalls würde die Zufälligkeit der Organisation darüber entscheiden, ob das KSchG eingreift oder nicht.
  • Wie der von der Verfassung verlangte Minimalkündigungsschutz aussehen soll, ist noch wenig erörtert. [Siehe etwa Kittner NZA 1998, 732.] Eindeutig ist nur, daß er hinter dem KSchG zurückbleiben muß. Man könnte etwa daran denken, daß bei Vertragsverletzungen des Arbeitnehmers schon Vorfälle ausreichen, die im normalen Arbeitsverhältnis nur eine Abmahnung rechtfertigen würden, daß aber solche Unkorrektheiten ausscheiden müssen, die den Arbeitgeber nicht einmal zu einer solchen Maßnahme berechtigen. Bei der betriebsbedingten Kündigung ist – so ausdrücklich auch das BVerfG – ggf. eine Auswahl zu treffen; nur bei in etwa vergleichbarer Leistung wäre hier nach sozialen Gesichtspunkten, insbesondere nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit zu gewichten. Bei der krankheitsbedingten Kündigung werden schon die allgemeinen Maßstäbe häufig zu einer anderen Lösung als bei größeren Betrieben führen, da der Ausfall einer

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    Person ersichtlich schwerer zu verkraften ist, wenn im Unternehmen nur fünf Arbeitnehmer beschäftigt sind. Allerdings wäre es sicherlich auch im Kleinbetrieb nicht gerechtfertigt, einen Arbeitsunfall deshalb zum Anlaß für eine Kündigung zu nehmen, weil er zu einer Arbeitsunfähigkeit von zwei oder drei Wochen geführt hat. [Zur Kündigung wegen arbeitsbedingter Erkrankungen siehe Pflüger DB 1995, 1764.]



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4. Verhaltens- und personenbedingte Kündigung

Die Frage, wann ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers und wann insbesondere Krankheiten eine Kündigung rechtfertigen, ist Gegenstand einer reichhaltigen Rechtsprechung. Dabei mag es im Einzelfall Entscheidungen geben, die Kopfschütteln hervorrufen. Der Sachverständigenrat hat dies nachhaltig schon in seinem Jahresbericht 1989/1990 getan und zwei Horrorbeispiele zu Lasten der Arbeitgeberseite genannt. [Ziffer 369, wiedergegeben in RdA 1990, 288.] Man kann genauso „Ausreißerentscheidungen" zu Lasten der Arbeitnehmerseite finden, so wenn etwa der Verzehr eines Stücks Kuchen im Wert von DM 1,30 [BAG AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlungen.] und die Entwendung von drei Kiwi-Früchten [BAG AP Nr. 80 zu § 626 BGB.] als „wichtiger Grund" für eine fristlose Kündigung gewertet werden.

Bei allem verständlichen Protest: Hier sollte man nicht dramatisieren, sondern darauf vertrauen, daß Entscheidungen auch korrigiert werden können. Bei der Entwendung von geringwertigen Lebensmitteln ist diese Entwicklung bereits im Gange. [LAG Düsseldorf vom 19.02.1992, LAGE § 626 BGB Nr. 66: Wegnahme einer Wurst kein „wichtiger Grund"; ArbG Reutlingen vom 04.06.1996, AiB 1996, 623: Entwendung von zwei Bechern Joghurt kein „wichtiger Grund".] Eine nähere gesetzliche Normierung würde nur zusätzliche Probleme schaffen, weil sie der Vielfalt der zu beurteilenden Situationen schwerlich gerecht werden könnte. Insoweit gibt es keinen Reformbedarf.

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5. Betriebsbedingte Kündigung

Die Situation ist eine grundsätzlich andere, wenn es um die Kündigung aus „dringenden betrieblichen Interessen" geht. Lassen Sie mich die beiden wichtigsten Punkte aufgreifen.

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5.1 Überprüfung der unternehmerischen Entscheidung?

Der Schutz gegen betriebsbedingte Kündigungen geht von einem Dogma aus: Die unternehmerische Disposition als solche unterliegt nicht der gerichtlichen Kontrolle. [Grundlegend BAG GS AP Nr. 20 zu § 1 KSchG.] Nur wenn sie „offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich" ist, soll anderes gelten, doch scheint es in unserem Land keine unsachlich oder willkürlich handelnden Arbeitgeber zu geben. Dies hängt primär damit zusammen, daß Gewinnsteigerung nie „unsachlich" ist, selbst wenn sie gigantische Ausmaße annimmt. Außerdem müßte der Arbeitnehmer das Vorliegen des Ausnahmetatbestands beweisen, wozu er auf der Grundlage der ihm zugänglichen Informationen schwerlich in der Lage ist. Hinzu kommt, daß der Begriff „Unternehmerentscheidung" recht weit gefaßt wird: Auch die Entscheidung, dieselben Aufgaben mit weniger Personal zu erledigen, gehört dazu. [BAG vom 24.04.1997, DB 1997, 1776.] Dies bedeutet, daß der Arbeitgeber sich seinen Kündigungsgrund unschwer selbst schaffen kann. Nicht überprüfbar ist auch eine Entscheidung, durch die das Vertriebssystem auf freie Mitarbeiter umgestellt wird. [BAG vom 09.05.1996, DB 1996, 2033.] Schwierigkeiten ergeben sich allerdings für einen Arbeitgeber, der nebenberuflich tätige Arbeitskräfte durch Vollzeitkräfte ersetzen möchte: Darin liege eine unzulässige Austauschkündigung, die im konkreten Fall bestehende arbeitsmarkt- und sozialpolitische Motivation habe keinen konkreten Bezug zum Arbeitsverhältnis und begründe keine „dringenden betrieblichen Erfordernisse". [BAG vom 13.03.1987, DB 1987, 1443.]

Wie bei allen Dogmen sind die Grundlagen relativ brüchig. Dazu nur drei Stichpunkte.

  • Der Wortlaut des § 1 Abs. 2 KSchG spricht von „dringenden betrieblichen Erfordernissen" und enthält keinerlei Anhaltspunkte für einen solchen Bereich arbeitgeberseitiger Immunität gegenüber gerichtlicher Kontrolle. [Näher dazu Colneric, in: Otto-Brenner-Stiftung, Betriebsbedingte Kündigungen im Widerstreit, Frankfurt/Main 1998, S. 32ff.]

  • Das Arbeitsrecht behandelt in anderen Zusammenhängen die unternehmerische Entscheidung keineswegs als nicht mehr hinterfragbare Vorgabe. So erstreckt sich nach Auffassung des BAG die tarifliche Gestal-

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    tungsbefugnis auch auf die unternehmerische Sphäre, wenn sich die soziale und die wirtschaftliche Seite einer Maßnahme nicht trennen lassen, was bei einem Personalbemessungssystem angenommen wurde. [BAG AP Nr. 56 zu Art. 9 GG.] Auch die Mitbestimmung des Betriebsrats kann in die unternehmerische Sphäre hineinreichen und beispielsweise bewirken, daß die Ladenöffnungszeiten hinter dem gesetzlich zugelassenen Maß zurückbleiben. [BAG DB 1983, 453, bestätigt durch BVerfG AP Nr. 15 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit.] In beiden Fällen findet eine Abwägung zwischen der Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers aus Art. 12 GG und den gesetzlich garantierten Einwirkungsmöglichkeiten der Arbeitnehmerseite statt. Dies geschieht in sehr differenzierter Weise auch bei der Kürzung von betrieblichen Altersrenten, die im übrigen nur zulässig ist, wenn auch andere am Unternehmen Beteiligte Opfer bringen. [BAG AP Nr. 154 zu § 342 BGB Ruhegehalt, ständige Rechtsprechung.] In allen angeführten Fällen geht es nicht darum, die unternehmerischen Dispositionen auf ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen; vielmehr führt die Intervention der Arbeitnehmerseite oder des Gerichts nur zu einer Mißbrauchskontrolle. Ähnliches sieht im übrigen § 22 GWB ganz generell für die Preisgestaltung durch marktbeherrschende Unternehmen vor.

  • Die bisherige Rechtsprechung führt dazu, daß nicht einmal der aus Art. 12 Abs. 1 GG folgende Minimalschutz gewahrt ist. [Zu diesem siehe oben Fn. 2.] Unterstellt man, daß im Unternehmen kein anderer Arbeitsplatz frei ist und die soziale Auswahl nicht zum Tragen kommt, weil keine vergleichbaren Arbeitnehmer vorhanden oder weil sie für den Fortbestand des Unternehmens unentbehrlich sind (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG), so reduziert sich der Kündigungsschutz auf null: Der Arbeitnehmer kann nicht mit Erfolg geltend machen, auch ihm stehe das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG zu, weil die Rechtsprechung insoweit keine Interessenabwägung mehr vornimmt. [Nachweise bei KR-Etzel, 5. Auflage 1998, § 1 KSchG Rn. 566.]

In einer solchen Interessenabwägung könnte der zutreffende Lösungsansatz liegen: Wenn es nur darum geht, ein eh schon dickes Gewinnpolster durch Personaleinsparungen noch zu vergrößern, liegt eine Verabsolutie-

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rung des Arbeitgeberinteresses vor. Daß eine solche Kontrolle machbar ist und zu keiner unzumutbaren Reglementierung führt, hat das ArbG Gelsenkirchen vor kurzem deutlich gemacht. [AuR 1999, 38 mit Anm. Däubler.] Damit wäre ein Widerspruch im arbeitsrechtlichen System beseitigt.

5.2 Kündigung als letztes Mittel

Im Grundsatz besteht Einigkeit, daß nur dann betriebsbedingt gekündigt werden darf, wenn kein weniger belastendes Mittel zur Verfügung steht. Der Gesetzgeber hat dies im Jahre 1997 durch § 2 SGB III noch einmal bestätigt. [Dazu Schaub NZA 1997, 810.] Dennoch hat man den Eindruck, daß bislang bei der Suche nach Alternativen wenig Kreativität entwickelt wurde. Deshalb drei Vorschläge:

  • Bestehen innerhalb des Konzerns freie Arbeitsplätze, die von den zu Kündigenden besetzt werden könnten, so ist diese Möglichkeit auszuschöpfen. Bisher wird der Kündigungsschutz grundsätzlich auf das Unternehmen beschränkt. [BAG AP Nr. 4 zu § 1 KSchG Konzern.] Außerdem wäre zu überlegen, ob es eigentlich gerechtfertigt ist, immer nur auf den aktienrechtlichen Konzernbegriff abzustellen. Man könnte statt dessen ähnlich wie in der EBR-Richtlinie den Kreis der verbundenen Unternehmen weiter bestimmen, evtl. sogar alle einbeziehen, auf deren Verhalten der Arbeitgeber Einfluß hat (Zulieferer!).

  • Der Arbeitgeber sollte zunächst den Versuch unternehmen, zu einer Arbeitszeitverkürzung ohne (vollen) Lohnausgleich zu kommen. Wo ein entsprechender Tarifvertrag besteht, ist er sowieso verpflichtet, die dadurch geschaffenen Möglichkeiten auszuschöpfen. [Kittner-Trittin, KSchR, 3. Auflage 1997, § 1 KSchG Rn. 289.] Aber auch in anderen Fällen sollte er verpflichtet sein, sich um eine solche einvernehmliche Lösung zu bemühen. Dies hat für ihn den Vorteil, daß dem Betrieb erfahrene Kräfte erhalten bleiben. [Näher Schüren DB 1996, 625.] Die Verpflichtung beschränkt sich auf ein Sich-Bemühen; eine Pflicht, allen eine Änderungskündigung mit dem Ziel

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    einer kürzeren Arbeitszeit auszusprechen, ist abzulehnen, [Dafür hatte sich ArbG Bocholt DB 1982, 1938 ausgesprochen. Das Urteil wurde durch LAG Hamm DB 1983, 506 aufgehoben; die Position wird heute allgemein abgelehnt. Siehe die Nachweise bei Däubler, Arbeitsrecht 2, 11. Auflage 1998, Rn. 1041.] da dies u.a. dazu führen könnte, daß Leistungsträger die Kündigung hinnehmen und zu einem Konkurrenten wechseln.

  • Wirtschaftliche Schwierigkeiten müssen nicht von Dauer sein. Stockt das Unternehmen nach einiger Zeit sein Personal wieder auf, so sollten die Gekündigten ein vorrangiges Recht auf Wiedereinstellung haben. Entsprechendes ist seit langem in der ILO-Empfehlung Nr. 119 enthalten. [Text in: ILO, Übereinkommen und Empfehlungen, Genf 1966, S. 1205, Art. 16.] Auch in einzelnen Tarifverträgen sollten sich entsprechende Klauseln finden. Für die Arbeitgeberseite entsteht auch hier der Vorteil, sich das betriebliche Know-how der Beschäftigten zunutze machen zu können.

Alle drei Maßnahmen dienen der Sicherung von Beschäftigung, ohne die Arbeitgeberinteressen substantiell zu beeinträchtigen. Sie verhindern vermeidbare Arbeitslosigkeit, können freilich keine neuen Arbeitsplätze schaffen.

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6. Befristung



6.1 Beibehaltung des BeschFG?

Die Befristungsregeln des BeschFG 1996 laufen am 31.12.2000 aus. Es scheint angebracht, sich Gedanken über eine evtl. Neuregelung zu machen.

Ausgangspunkt muß die schon 1954 in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nachlesbare Erkenntnis sein, daß die beliebige Zulassung der Befristung den Kündigungsschutz unterlaufen würde. [BAG vom 21.10.1954, AP Nr. 1 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag.] Die heutige Regelung gibt dem Arbeitgeber das Recht, über das angemessene Maß hinaus einen Arbeitnehmer zwei Jahre lang auf Probe zu beschäftigen und überdies das Risiko einer schwankenden Auftragslage auf ihn abzuwälzen. Es fällt schwer, Argumente zu finden, um eine solche Regelung auch nur noch bis Ende 2000 beizubehalten. Es müßte genügen, daß nach der Rechtsprechung Befristungen bis zu sechs Monaten grundsätzlich auch ohne sachlichen Grund zulässig sind und daß u.a. vorübergehender Arbeitsanfall genau wie Erpro-

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bung und Vertretung als „sachliche Gründe" anerkannt sind. Dies schafft für einen einstellungsbereiten Arbeitgeber ausreichende Spielräume.

Unterstellt man, daß die Befristung nach § 1 BeschFG für die Arbeitgeberseite einen hohen Symbolwert besitzt, der einer Abschaffung politisch entgegensteht, so könnte man sich folgende Lösung vorstellen: Der Gedanke der „Beschäftigungsförderung" wird (erstmals) ernst genommen und eine Befristung ohne Sachgrund nur dann zugelassen, wenn eine Unternehmensgründung vorliegt oder wenn in anderen Fällen durch die Einstellung ein neuer Arbeitsplatz geschaffen wird. Da Privatunternehmen anders als der öffentliche Dienst nicht notwendig über Stellenpläne verfügen, muß man als Vergleichsgröße das durchschnittliche betriebliche Arbeitszeitvolumen der letzten drei Monate heranziehen. Wird dieses auf Grund der Einstellung überschritten oder tritt diese an die Stelle von Überstunden, ist die Befristung gerechtfertigt.

6.2 Diskriminierungsverbot

Befristet Beschäftigte sind nicht nur dadurch benachteiligt, daß sie keinen Bestandsschutz genießen. Auch bei den Arbeitsbedingungen sind sie in vielfältiger Weise schlechter gestellt. Am deutlichsten wird dies bei betrieblichen Sozialleistungen, die in der Regel an der Dauer der Betriebszugehörigkeit anknüpfen und deren Voraussetzungen deshalb häufig nicht erfüllt sind. Dem sollte durch eine Anti-Diskriminierungsvorschrift entsprechend § 2 Abs. 1 BeschFG entgegengewirkt werden. Für gleiche Arbeit muß gleiche Vergütung bezahlt werden – wer nur einen Teil des Jahres arbeitet, muß deshalb einen seiner Tätigkeitsdauer entsprechenden Bruchteil des Urlaubsgeldes und der Weihnachtsgratifikation bekommen. Dies läßt sich auch mit dem Verbot der (mittelbaren) Diskriminierung wegen des Geschlechts begründen: 53,7% aller befristet Beschäftigten sind Frauen, [Büchtemann-Höland, Befristete Arbeitsverträge nach dem BeschFG, 19989, S. 84f.] während ihr Anteil an den Arbeitnehmern insgesamt bei ca. 43% liegt.

Ein solches Diskriminierungsverbot ist weniger neu, als man dies im ersten Moment vermuten möchte. Die EG-Richtlinie vom 24. Juni 1991 [ABl vom 29.07.1991 Nr. L 206/19, abgedruckt auch bei Däubler-Kittner-Lörcher, Internationale Arbeits - und Sozialordnung, 2. Auflage 1994, unter Nr. 449.] verbietet ausdrücklich eine Benachteiligung befristet Beschäftigter im Arbeitsschutz.

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Das LAG Hamm hat es als Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG angesehen, daß ein Tarifvertrag Saisonarbeitskräfte mit weniger als 1.000 Arbeitsstunden pro Jahr von der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst ausschloß. [LAG Hamm DB 1996, 632.] Dies sollte der Gesetzgeber oder ein innovationsbereiter Richter aufgreifen und insbesondere auf Jahressonderzahlungen erstrecken. Dem Arbeitgeber würde so auch ein zusätzlicher wirtschaftlicher Anreiz genommen, auf befristete statt auf unbefristete Arbeitsverhältnisse zurückzugreifen. Weitergehend könnte man auch an eine „Präkaritätsprämie" denken, also z.B. einen prozentualen Zuschlag zum verkehrsüblichen Entgelt, der in gewissem Umfang das Beschäftigungsrisiko abgelten würde. [Dafür bereits Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Auflage 1993, Rn. 980.]

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7. Bestandsschutz als Beschäftigungshindernis?

In der juristischen Literatur konnte man vor nicht allzu langer Zeit auf das Bekenntnis treffen, schon der bisherige Kündigungsschutz sei ein Beschäftigungshindernis. Die soziale Auswahl zwinge zu ökonomisch ineffizienten Auswahlentscheidungen. Die Schwerbehindertenquote verschlechtere die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Trotz höherer Durchschnittskosten weibliche Arbeitskräfte genauso wie männliche bezahlen zu müssen, sei wirtschaftlich nicht vertretbar und führe zu Umgehungsstrategien. [Von Stebut RdA 1997, 293, 295.]

Ich will hier nicht problematisieren, ob es eigentlich legitim ist, den Kündigungsschutz ausschließlich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu diskutieren. Geht man nämlich diesen Weg, so ist nicht auszuschließen, daß man eines Tages auch das Grundgesetz als „Standortnachteil" qualifiziert, ermöglicht es doch die freie Bildung von Gewerkschaften und Betriebsräten, was mit Kostenbelastungen für die Unternehmen verbunden ist. Auch verbietet Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV im Grundsatz die Sonntagsarbeit, was im internationalen Wettbewerb noch viel „schlimmer" als die „Lasten" durch Frauen und Schwerbehinderte sein kann.

Auch wenn man sich einmal auf die ökonomische Seite beschränkt, wäre es viel zu eng gesehen, wollte man im Bestandsschutz primär einen Nachteil

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für den Arbeitgeber erblicken. Dies zeigt sich schon daran, daß bei der Max-Planck-Untersuchung zum Kündigungsschutz nur 13,5% der befragten 557 Personen auf Arbeitgeberseite erklärten, das geltende Kündigungsschutzrecht sei „mangelhaft" oder „völlig ungenügend". [Falke u.a., Kündigungspraxis und Kündigungsschutz in der Bundesrepublik, 1980, S. 151.] Eine Mehrheit von immerhin 86,5% war mit dem geltenden Recht durchaus zufrieden – und dies Ende der siebziger Jahre, als es noch kein BeschFG und eine eher strengere Rechtsprechung zur Befristung von Arbeitsverhältnissen als heute gab. Auch sollte man sich bisweilen daran erinnern, daß in den fünfziger und sechziger Jahren die Bundesrepublik ja keine autarke Wirtschaft hatte, sondern sich im internationalen Wettbewerb die Marktanteile erst einmal erkämpfen mußte – und niemand beschwerte sich mit dem Argument, das KSchG stehe als ein Stück „Überregulierung" unternehmerischem Erfolg im Wege.

Stabile Arbeitsverhältnisse schaffen soziale Bindungen an den Betrieb, [KR-M. Wolf, 3. Auflage, Rn. 51.] sie haben – wie übrigens auch der Sachverständigenrat anerkannte [RdA 1990, 280.] – effizienzsteigernde Wirkungen. Sie fördern – wie es bei Vertretern der ökonomischen Analyse des Rechts heißt – „die berufliche Identität und bilden damit eine Grundlage für berufliche Kompetenz, innovatives Verhalten und Anpassungsbereitschaft an technisch-organisatorische Veränderungen". [Brandes-Buttler-Dorndorf-Walwei, Grenzen der Kündigungsfreiheit, in: Semlinger (Hrsg.), Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, 1991, S. 112.] In Alltagssprache ausgedrückt: Wer weiß, daß er morgen wieder draußen ist oder sein kann, wird sich mit seinen Aufgaben nicht identifizieren und im besten Fall korrekt, aber uninteressiert das Seine tun. Die deutsche Wirtschaft braucht aber innovative Arbeitskräfte, die sich vor eigenen Initiativen und den damit verbundenen Risiken nicht scheuen. Auch das Arbeitsrecht muß daran denken, daß man heute nicht gute Fließbandarbeiter, sondern Systemanalytiker und Organisationsfachleute benötigt.

Dieses Arbeitgeberinteresse an stabilen Beschäftigungsverhältnissen endet selbstredend bei schweren Störungen – sei es bei persönlichem Fehlverhalten, sei es bei dauerhaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Daß in solchen Fällen eine Trennung möglich ist, bestreitet niemand – es geht nicht darum, das japanische Lebenszeitarbeitsverhältnis zu importieren, obwohl man of-

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fensichtlich auch mit ihm ganz gute unternehmerische Erfolge erzielen kann. [Dazu Schregle, International Labour Review 1993, 507.] Selbst wenn man alle hier vorgetragenen Veränderungen akzeptieren und umsetzen würde, gibt das deutsche Kündigungsschutzrecht nur einen relativen Bestandsschutz. Warum sich die Arbeitgeberseite vor ihm fürchten und deshalb auf Einstellungen verzichten sollte, ist nicht ersichtlich.

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8. Ein Blick über die Grenze

Viele haben sich daran gewöhnt, unser Arbeitsrecht als das am weitesten fortgeschrittene auf der Welt zu qualifizieren. Zwar gehört es sich nicht, derlei juristischen Nationalismus offen zu bekunden, weil sich andere dadurch gekränkt fühlen könnten – gleichwohl ist die Vorstellung in vielen Köpfen tief verankert und schwingt unausgesprochen in zahlreichen Zusammenhängen mit.

Im Kündigungsschutz kann man eine solche Vorstellung leider nur als schlichtes Vorurteil bezeichnen. Auch wenn wir Japan mal außen vor lassen – innerhalb der EG gehören wir auf diesem Gebiet eher ins letzte Drittel. Bei den Ländern mit stärkerem Schutz kommen zu den Kündigungsgründen, die mit den unseren weithin übereinstimmen, noch einige „Extras" hinzu.

In Frankreich gibt es keine Kleinbetriebsklausel. Nur der Anspruch auf Weiterbeschäftigung ist bei kleinen Einheiten eingeschränkt. Die betriebsbedingte Kündigung ist dann ausgeschlossen, wenn die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens nicht gefährdet ist und dieses lediglich die Arbeitsabläufe umstrukturieren will. [Dazu Lyon-Caen/Pélissier/Supiot, Droit du travail, 18 édition 1996, Rn. 458ff.; Colneric, a.a.O.]

Im niederländischen Recht bedarf jede vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung der Genehmigung einer staatlichen Behörde. [Jacobs u.a. Elementair sociaal recht, Alphen aan den Rijn 1988, S. 110ff.] Sie wird keinesfalls automatisch erteilt und ist oft von der Gewährung durchaus beträchtlicher Abfindungen abhängig. Nach österreichischem Recht führt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses immer zu einem Abfindungsanspruch, es sei denn, sie wäre überwiegend vom Arbeitnehmer verschuldet. [§§ 23, 23 a Angestelltengesetz, worauf das „Arbeiterabfertigungsgesetz" verweist. Siehe dazu Migsch, Abfertigung für Arbeiter und Angestellte, Wien 1982; Runggaldier (Hrsg.), Abfertigungsrecht, Wien 1991.] Die Höhe

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hängt von der Dauer der Betriebszugehörigkeit ab; sie beginnt mit zwei Monatsgehältern nach drei Jahren und endet mit zwölf Monatsgehältern nach 25 Jahren. Daneben kann ggf. ein Sozialplan verlangt werden.

Noch weiter geht die Regelung in Italien. Art. 2120 des Codice Civile [Wiedergegeben nach der zweisprachigen Ausgabe, erstellt im Auftrag der Südtiroler Lan desregierung und veröffentlicht in der Verlagsanstalt Athesia, Bozen 1987.] sieht vor, daß für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit ohne Rücksicht auf den Grund des Ausscheidens eine Abfindung bezahlt wird, die ein Jahresgehalt geteilt durch 13,5 ausmacht. [Darstellung der Einzelheiten bei Runggaldier, Das Recht der Arbeit (Wien) 1990, 247ff.; aus dem italienischen Schrifttum siehe Ghezzi-Romagnoli, Il rapporto di lavoro, 3a edizione, Bologna 1995, Rn. 346ff.]

Ich will den Überblick hier abbrechen und auch das Faktum nicht vertiefen, daß der Grundsatz der automatischen Abfindung bei betriebsbedingtem Arbeitsplatzverlust in Großbritannien selbst die Ära Thatcher überdauert hat. Entscheidend ist etwas ganz anderes: Für multinationale Konzerne wird geradezu ein Anreiz geschaffen, einen geplanten Personalabbau in Deutschland durchzuführen. Die Schwierigkeiten werden hier relativ gering sein; nur bei einem sehr erfolgreich agierenden Betriebsrat und einem für die Arbeitnehmerinteressen aufgeschlossenen Einigungsstellenvorsitzenden wird es gelingen, Abfindungssätze wie in Österreich oder gar in Italien durchzusetzen. In allen anderen Fällen muß man mit sehr viel geringeren Beträgen rechnen, sofern man nicht die Sozialplanpflicht insgesamt vermeidet und schleichenden Personalabbau ohne Abfindung praktiziert. Daß die Gerichte eingreifen und Kündigungen kassieren, ist wenig wahrscheinlich. Am ehesten bestehen Risiken, wenn eine soziale Auswahl vorzunehmen war – spätestens vor Gericht wird man dann im Vergleichswege gegen Zahlung einer Abfindung die Auflösung des Arbeitsverhältnisses erreichen.

Geringer Kündigungsschutz wird so zum Standortnachteil. Es wäre wünschenswert, in der künftigen Diskussion um ein besseres Kündigungsschutzrecht diesen Aspekt stärker als bisher zu beachten. Auch die Rechtspolitiker müssen sich internationalisieren und bereit sein, die Lösungen anderer ernsthaft in Augenschein zu nehmen.

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