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[Seite der Druckausg.: 7]

Peter König
Zusammenfassung


Vom Arbeitsrecht können entscheidende Impulse für eine Neubelebung von Wirtschaft und Sozialstaat ausgehen. Dies kann aber nur gelingen, wenn das Arbeitsrecht in angemessener Form sowohl auf die gegenwärtigen wirtschaftlichen und sozialen Strukturen als auch vorausschauend auf die entscheidenden Herausforderungen der Zukunft ausgerichtet ist. Experten auf der Veranstaltung des Gesprächskreises Arbeit und Soziales bezweifelten jedoch ganz entschieden, daß diese Aufgabe z.Zt. erfüllt wird.

Es gibt nach ihrer Einschätzung im Arbeitsrecht einen ganz erheblichen Reformstau, der sich im Verlauf der Vergangenheit gebildet hat und dringend aufgelöst werden müßte. Dies ist aber nicht nur durch den Gesetzgeber oder durch Arbeitsrechtler allein leistbar. Denn es bedarf einer Kraftanstrengung, an der sich alle relevanten gesellschaftlichen Institutionen beteiligen müßten. Wir brauchen für Deutschland so etwas wie einen „New Deal" wie in den USA der dreißiger Jahre, konstatierte der Moderator Thomas Dieterich in seinen einleitenden Ausführungen. Es ging ihm darum, an eine allgemeine Aufbruchstimmung anzuknüpfen, aus der heraus Reformprogramme zur Modernisierung der Wirtschaft und des Sozialstaates entstehen könnten. Und die Gesprächskreisveranstaltung könnte ein positives Signal in diese Richtung geben.

Was ist der wirtschaftliche und soziale Hintergrund für diese Herausforderung an das Arbeitsrecht? Zum einen handelt es sich um Veränderungen in der Unternehmensstruktur. Die Organisationsstruktur von Unternehmen wird immer stärker dezentralisiert. Es werden z.B. aus einer größeren Einheit ganze Betriebsteile ausgegliedert. Diese Veränderungen können sich auch auf einzelne Personen beziehen, z.B. auf Arbeitnehmer mit einem Tele-Heimarbeitsplatz oder auf den Übergang eines ehemaligen Arbeitnehmers in die Selbständigkeit. Langfristig gesehen, so lauten Prognosen, könnte sich Erwerbsarbeit viel stärker als bisher in Richtung Selbständigkeit, aber auch Teilzeitarbeit und Leiharbeit verändern. Das sog. Normalarbeitsverhältnis wird nicht mehr wie heute die dominante Rolle spielen. Es geht also neben dem Wandel von Unternehmensstrukturen auch um einen Wandel der Erwerbsarbeit.

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Für das Arbeitsrecht hat das u.a. die Konsequenz, daß seine zentralen Begriffe nicht mehr ohne weiteres passen. Was ein Betrieb ist, was ein Arbeitnehmer ist, das sind in den alten Industriestrukturen entwickelte Vorstellungen, die jetzt plötzlich der Wirklichkeit nicht mehr voll gerecht werden und an veränderte Situationen angepaßt werden müssen. Hierauf angemessen einzugehen, ist für das Arbeitsrecht deshalb so schwer, „weil diese veränderten Situationen schon vorher gar nicht gesetzlich geregelt waren und von der Rechtsprechung in einem langwierigen Prozeß geklärt werden mußten", so Dieterich.

Um Reformvorschläge zum Thema Bestandsschutz und Beschäftigungssicherung ging es in den ersten beiden Vorträgen. Wolfgang Däubler ging es im ersten Teil seiner Ausführungen im Falle von Kündigungen an einzelne Arbeitnehmer oder bei betriebsbedingten Kündigungen um die Schaffung von Rechtsklarheit. Er forderte u.a. die schriftliche Abfassung von Kündigungen und Klarheit darüber, wann wirklich ein wirtschaftlich begründetes und anerkanntes Interesse an betriebsbedingten Kündigungen vorliegt. Darüber hinaus führte er zu dem grundlegenden strukturellen Wandel unserer Gesellschaft aus. Seiner Auffassung nach können Kleinunternehmen nicht unterschiedslos vom Kündigungsschutz ausgenommen werden. Aufgrund der Dezentralisierungstendenzen können selbst sehr kleine Unternehmen Teil eines Großkonzerns sein, während andere dazu im Unterschied organisatorisch und rechtlich völlig selbständig sein können. Wenn Kleinunternehmen einem Konzern angehören, dann sollte das Kündigungsschutzgesetz nicht auf den Betrieb, sondern auf das Gesamtunternehmen abgestellt werden.

Grundsätzlich sprach sich Karl Molitor nicht gegen die Forderungen Däublers aus. Aber er warnte davor, daß rechtliche Veränderungen die Einstellungsbereitschaft der Arbeitgeber verringern und damit negative Folgen für Arbeitsuchende haben könnten. Zu dieser Einschätzung kam er auch im Zusammenhang mit potentiellen Investitionen aus dem Ausland. Darüber hinaus steht seiner Meinung nach die Outsourcing-Welle in Deutschland erst am Anfang der Entwicklung. Es sollte sehr genau geprüft werden, ob das Arbeitsrecht dieser Entwicklung im Wege steht, z.B. ob es das Erfordernis einer höheren Mobilität der Arbeitnehmer blockiert. Und: Wenn die Gründerwelle in Deutschland einen wesentlichen Beitrag zur Lösung unserer Arbeitslosenprobleme leisten soll, dann muß der Kündigungsschutz in diesen Kleinunternehmen dem beschäftigungspolitischen Ziel Rechnung tragen.

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Däubler und Molitor waren sich darin einig, daß das Arbeitsrecht die Mobilität der Arbeitnehmer nicht blockieren und die Wettbewerbschancen der Unternehmen nicht beeinträchtigen darf. Nach Auffassung von Däubler ist es aber problematisch, das Arbeitsrecht ausschließlich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu betrachten. Denn wenn es keinen Konsens über die Grenzen wirtschaftlicher Interessen gibt, dann könne „eines Tages das Grundgesetz als ‘Standortnachteil’" gedeutet werden.

Mit der Modernisierung des Betriebsverfassungsgesetzes beschäftigten sich die daran anschließenden Beiträge. Peter Hanau vertritt die Auffassung, daß das Betriebsverfassungsgesetz in der Vergangenheit ganz erheblich zum wirtschaftlichen und sozialen Aufbau Deutschlands beigetragen hat, aber den neueren Entwicklungen nicht mehr in allen Fällen gerecht wird. Analog zum Kündigungsschutz zeigt sich, daß Umstrukturierungen von Unternehmen und die Veränderung der Erwerbsarbeit u.a. eine Neubestimmung der Begriffe Arbeitnehmer, Betrieb und Unternehmen im Betriebsverfassungsgesetz erforderlich machen. Er forderte auch eine größere Gestaltungsfreiheit bei der Organisation der Betriebsverfassung, womit er die Notwendigkeit einer größeren Flexibilität und Neubestimmung unternehmensinterner Problemlösungskapazitäten ansprach, z.B. durch die Delegation von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates an Arbeits- und Projektgruppen. Von einer Modernisierung des Betriebsverfassungsgesetzes können seiner Meinung nach auch positive Beschäftigungsimpulse ausgehen, wenn z.B. Betriebsräte mehr Einfluß auf die Regulierung von Überstunden nehmen könnten sowie auf die Förderung von Teilzeitarbeit. Die Dringlichkeit einer Reform unterstrich er mit dem Hinweis, daß mittlerweile nur noch 40% der Beschäftigten in ihrem Betrieb eine Arbeitnehmervertretung haben.

Auf diese Situation ging auch Wolfgang Streeck in seinen Ausführungen ein. Wenn die deutsche Betriebsverfassung kein Auslaufmodell sein soll, dann muß auf die abnehmende Repräsentanz von Betriebsräten schnellstens reagiert werden. Sogenannte „mitbestimmungsfreie Zonen" bestehen insbesondere in Unternehmen mit weniger als fünf Beschäftigten, wo die Errichtung eines Betriebsrates nicht vorgesehen ist, und in der überwiegenden Mehrzahl der Unternehmen mit weniger als zwanzig Beschäftigten. Für richtungsweisend hält er die Einschätzung der Kommission Mitbestimmung, an deren Formulierung Arbeitgeber- wie Arbeitnehmervertreter beteiligt waren: Zur sozialverträglichen Steuerung und Beherrschung von

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Strukturwandel in Betrieb und Unternehmen ist das Vorhandensein kooperativer Mechanismen zu gewährleisten. Allerdings, so führte Streeck weiter aus, läßt sich das Problem „mitbestimmungsfreie Zonen" kaum durch gesetzlichen Zwang lösen. Eine Anwendung des bisherigen Betriebsverfassungsgesetzes auf diese Zonen hält er für unangemessen. Es sollte den Sozialpartnern auf tarifvertraglicher oder betrieblicher Ebene ermöglicht werden, Mitbestimmungsmodelle zu entwickeln, die den klein- und mittelbetrieblichen Besonderheiten gerecht werden. Staatliche Gesetzgebung könnte so durch gesellschaftliche Selbstorganisation ergänzt werden. [Vgl. hierzu auch: Mitbestimmung in Klein - und Mittelbetrieben, Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, Abt. Arbeit und Sozialpolitik, Bonn 1996, Gesprächskreis Arbeit und Soziales Nr. 71, ISBN 3–86077–489–1.]

Nach Auffassung von Gerhard Leminsky zielt die Richtung der Diskussion zu Recht auf eine Stärkung der gesellschaftlichen Selbstorganisation ab. Dies kommt der Vielfalt der realen Strukturen und der Forderung nach Flexibilität am nächsten. Trotz dieser positiven Einschätzung gesellschaftlicher Selbstorganisation ist nicht auszuschließen, daß damit auch nachteilige Erscheinungen auftreten könnten, denen entgegengewirkt werden sollte: Eine Zunahme von Wahlmöglichkeiten könnte gerade in einer Zeit der Massenarbeitslosigkeit zu einer stärkeren Polarisierung in der Gesellschaft führen. Dies könnte durch ein Schutznetz von staatlichen, tariflichen und betrieblichen Mindestabsicherungen abgefedert werden. Leminsky geht in seinen abschließenden Bemerkungen auch auf die Anforderungen an die Gewerkschaften ein. Sie müssen seiner Einschätzung nach eine neue Balance zwischen kollektiver und individueller Entfaltung finden. Lange Zeit hätte die gewerkschaftliche Strategie auf zentrale Lösungen abgezielt. Der Ausschluß betrieblicher Sonderregelungen im Tarifvertrag und die mit Mißtrauen betrachtete betriebliche Mitbestimmung wegen der Gefahr des „Betriebsegoismus" seien hierfür Beispiele. Es habe in den Gewerkschaften aber bereits bei vielen ein Umdenkungsprozeß stattgefunden, was an den Novellierungsvorschlägen zum Betriebsverfassungsgesetz deutlich würde.

„Bevor man jedoch an die Novellierung des Kollektivarbeitsrechts geht, müssen die krassen Lücken des Individualarbeitsrechts geschlossen werden", so eine Ausgangsthese im Vortrag von Ulrich Preis zur Aktualität des Arbeitsvertragsgesetzes. Konkreter: Der Arbeitnehmer-, aber auch der Betriebsbegriff sind seiner Auffassung nach nicht primär im Betriebsverfassungsgesetz

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neu zu fassen, sondern im Arbeitsvertragsgesetz, weil hier zuerst Antworten auf lösungsbedürftige Rechtsfragen gefunden werden müssen. Der gegenwärtige Zustand des Arbeitsvertragsrechts sei jedoch höchst bedenklich und werde in der Praxis von allen Beteiligten des Arbeitslebens immer weniger akzeptiert. Denn die Unübersichtlichkeit des Arbeitsrechts hat zu einer unerträglichen Rechtsunsicherheit geführt. Richterrecht hat mehr und mehr gesetzgeberische Funktion übernehmen müssen, das aber auf Dauer eine Kodifikation des Arbeitsvertragsrechts nicht ersetzen kann. Er fordert eine Kodifikation, die die Vielzahl verstreuter Einzelnormen nicht nur zusammenführt, sondern gleichzeitig auf wenige Gesetze und Normen reduziert. Entscheidend ist: Er schlägt eine Kodifikation vor, die nur den gesetzlichen Mindestschutz regelt. Weitergehende Regelungen sollten den Tarif- und Betriebsparteien überlassen werden. Es geht folglich wie auch bei der Modernisierung des Betriebsverfassungsgesetzes darum, stärker auf eine gesellschaftliche Selbstorganisation zu setzen.

Helga Nielebock nähert sich der Frage nach der Aktualität des Arbeitsvertragsgesetzes aus einer anderen Perspektive als Preis und kommt auch zu anderen Schlußfolgerungen. In einer historischen Betrachtung hat sich das Selbsthilfeprinzip als der geeignetste Weg zum Schutz der abhängig Beschäftigen erwiesen. Hieraus resultierten kollektive Vereinbarungen wie Tarifverträge und Vereinbarungen betrieblicher Interessenvertretungen. Sie haben eine ordnungs- und friedensstiftende Funktion, die sich bewährt hat. Allerdings haben diese Regelungsmöglichkeiten auch Grenzen. Dort, wo sie den Schutz der Arbeitskraft nicht gewährleisten, ist der Staat mit entsprechenden Gesetzen gefordert, z.B. dem Arbeitsvertragsgesetz. Ihr kommt es darauf an, in einem ersten Schritt die kollektiven Rechte zu stärken und erst in einem zweiten auf der Ebene des Individualrechts Verbesserungen herbeizuführen. Im Hinblick auf die individualrechtliche Ebene (Arbeitsvertragsgesetz) hat sie jedoch Zweifel, ob die bisherigen Vorschläge zu einer Kodifizierung ausreichen. U.a. sind sie kurzfristig kaum zu realisieren, beinhalten Fehler, und die Chancen für einen Konsens sind in wichtigen Punkten gering. Geeigneter wäre es nach ihrer Auffassung, thematische Prioritäten zu setzen, die dann bearbeitet und diskutiert werden müßten. Zukunftsfragen wären zunächst einer wissenschaftlichen Diskussion zu unterziehen. Die Ergebnisse aus diesen Vorgehensweisen sollten in einem einheitlichen Arbeitsvertragsgesetzbuch zusammengeführt werden.

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Um der Beschäftigungsentwicklung positive Impulse zu geben, ist in jüngerer Zeit der Kombilohn als eine Möglichkeit in die Diskussion gebracht worden. Auf der Gesprächskreisveranstaltung wurden unterschiedliche Modelle vorgestellt, in denen arbeitsrechtliche Überlegungen eine Rolle spielen. Nach dem Konzept von Manfred Löwisch sollen insbesondere Langzeitarbeitslose darin unterstützt werden, eine Beschäftigung aufzunehmen. Zum einen soll der Beschäftigte einen Teil seines Entgeltes vom Arbeitgeber beziehen, zum anderen Transferleistungen aus der Arbeitslosenversicherung, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe erhalten. Hinsichtlich des Gesamtentgeltes muß eine Vereinbarkeit mit der Tarifautonomie bestehen, d.h. eine Orientierung an den untersten Lohn- und Gehaltsgruppen erfolgen. Robert Reichling plädiert für einen anderen Ansatz. Es sollen Lohngruppen geschaffen werden, die ca. 20 bis 30% unter den jetzigen Tarifgruppen liegen. Damit für Arbeitsuchende ein Anreiz besteht, diese Tätigkeiten aufzunehmen, soll in drei Bereichen der sozialen Sicherung eine Reform erfolgen: In der Sozialhilfe sollen die Freibeträge um eine haushaltsspezifische Komponente erweitert werden, die Sozialhilfe-Regelsätze sind einzufrieren, und bei einer Ablehnung von Stellenangeboten sind höhere Kürzungen der Sozialhilfe vorzunehmen. Außerdem soll die Arbeitslosenhilfe schrittweise an die Sozialhilfe angepaßt und die Dauer der Zahlung von Arbeitslosengeld verkürzt werden. Wilhelm Adamy übte an beiden Modellen Kritik: In den vorgestellten Modellen fehlen Aussagen darüber, in welchen Bereichen es förderungsfähige Tätigkeitsfelder gibt. Ebenso fehlen Angaben zu wirksamen Beschäftigungseffekten. Er befürchtet auch, daß ein „Drehtüreffekt" einsetzt, wodurch besser entlohnte Tätigkeit durch eine gering entlohnte verdrängt wird. Überlegungen zu einem Kombilohn müßten in eine andere Richtung gehen, die u.a. folgenden Kriterien standhalten müßten: keine Verdrängung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze, kein Aushöhlen von Tarifverträgen, Entstehen zusätzlicher Beschäftigung, Arbeitsaufnahme verbunden mit Qualifizierung.

Welche Akteure in unserem Land sind angesichts dieser Situation nun besonders gefragt, d.h. wer sollte Lösungsvorschläge erarbeiten? Dieterich verwies darauf, daß die alten Strukturen zunächst von der Wirtschaft und Gewerkschaft entwickelt wurden. Erst danach hat „der Gesetzgeber sie in Formeln gefaßt". Er hält es deswegen für den angemessensten Weg, wenn auch jetzt wieder Unternehmens- und Gewerkschaftsvertreter konsensfähige Konzepte entwickeln würden, die der Gesetzgeber aufgreifen kann.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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