FES | ||
|
|
TEILDOKUMENT:
4. Das "gender doing" von Gewerkschaften als Großorganisationen Die Gewerkschaft ist eine Großorganisation, die durch ihre Politikinhalte und Strukturen dazu beitragen kann, daß sich eher Männer als Frauen angesprochen fühlen. Je mehr sie in ihrer Kultur die traditionellen Geschlechterbilder präsentiert, um so mehr grenzt sie junge Frauen aus. Im folgenden sollen einige thematische und strukturelle Dimensionen analysiert werden, die einen solchen "gender doing" Prozeß bewirken.
4.1 Ausgrenzung von Frauen durch die Gleichsetzung von Arbeit mit Erwerbsarbeit
Gewerkschaften vertreten die Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, beziehen sich damit auf den Erwerbsarbeitsbereich. Für Männer decken sie den wichtigsten Lebensbereich damit ab, für die meisten Frauen allerdings nicht, denn ihnen fällt bei der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung neben der Erwerbsarbeit auch die unbezahlte und minderbewertete private Haus- und Sorgearbeit zu. Dadurch entstehen für sie spezifische Lebensumstände, die aus der gewerkschaftlichen Programmatik und Interessenvertretungsstruktur ausgeblendet werden: Nicht-Erwerbstätigen ist sogar der Zugang zur Gewerkschaft versperrt, auch wenn sie, wie viele Frauen, die ausschließlich zu Hause arbeiten, mindestens einen vollen 8-Stunden-Tag haben. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen, aber auch die vielen Frauen in Teilzeitarbeit finden kaum Zugang zu Gewerkschaften, nicht zuletzt auch, weil in ihrem Bewußtsein Gewerkschaft nicht als ihre Interessenvertretung erscheint. Auch ehrenamtlich Arbeitende, und gerade Frauen leisten überwiegend die konkrete soziale Hilfearbeit, haben in der Gewerkschaft keinen Raum. Arbeitsbiographien von Frauen zeigen, wie vielfältig die Formen sind, in denen Frauen arbeiten. Darin unterscheiden sie sich von Männern, die oft ein Leben lang im Normalarbeitsverhältnis bleiben. Frauen, die nicht wie Männer leben, also private und unbezahlte Haus- und Sorgearbeit leisten, finden in den Gewerkschaften nicht die Interessenvertretung für diese [Seite der Druckausgabe: 31] Form der Arbeit. Die Tatsache, daß Männer kontinuierlich nur deswegen im Normalarbeitsverhältnis stehen können, weil Frauen ihnen den Rücken freihalten, wird verdrängt. Diese Ausgrenzung findet nicht nur über die spezifische Gestaltung der formalen Zugangsmöglichkeiten statt, sondern auch in den Themen gewerkschaftlicher Politik und in den Strukturen gewerkschaftlicher Arbeit : Die Problemlagen, die aus der Leistung der unbezahlten Arbeit resultieren, wird allzuoft hinten angestellt, ob es um die Notwendigkeit der täglichen Arbeitszeitverkürzung, um die Notwendigkeit von Kinderbetreuungsplätzen oder um Existenzsicherung im Alter geht. Nicht zuletzt sind die Strukturen der alltäglichen Gewerkschaftsarbeit nicht auf die Zeitbedürfnisse abgestimmt, die aus der privaten und unbezahlten Haus- und Sorgearbeit entstehen. Abendliche Sitzungen, Wochenendtagungen, mehrtägige Kongresse setzen die Freistellung von anderen Verpflichtungen, etwa für Kinder, Kranke oder Alte voraus. Das gilt auch für die verbreitete Form der Häufung von Ämtern und Positionen, die geborenen Mitgliedschaften in Gremien, die bereits in Satzungen verankert sind. Für junge Frauen, die sich Kinder wünschen, aber noch keine haben, ist dieser Mechanismus der Ausgrenzung der privaten Arbeit vielleicht am wenigsten wirksam. Wenn sie sich aber damit arrangieren, beginnen sie die einseitige Orientierung auf Erwerbsarbeit mitzutragen, eine Spaltung der Arbeit, unter der sie später ihre eigene Ausgrenzung erfahren müssen.
4.2 Ausgrenzung von Frauen durch Gleichsetzung der Geschlechterfrage mit der Frauenfrage
Programmatisch haben Gewerkschaften die Gleichberechtigung der Frauen schon seit jeher als ihr politisches Ziel formuliert - oft erscheint es aber so, als wäre damit die Anpassung an die männliche Blick- und Denkweise und die Aufhebung eines weiblichen Defizits gemeint. Daß die Frauenfrage nicht ohne die Neubestimmung des Geschlechterverhältnisses, ohne die Aufhebung der Unterdrückung und Abwertung des Weiblichen, ohne eine radikale Veränderung der männlichen Lebensweisen zu lösen ist, daß es sich bei der Geschlechterfrage um eine Kernfrage der Kultur handelt, diese Sichtweise ist in den Gewerkschaften selten. Es herrscht die patriarchale Fassung der Frauenfrage vor, nach der Männer "ihren" Frauen Unterstützung zuteil werden lassen, damit diese die Doppelbelastung ertragen (Derichs-Kunstmann 1993). Eine solche Sicht auf die Geschlechterfrage verleugnet die Komplementarität der Geschlechter und die Tatsache, daß die Frauen bestimmte Probleme nur des [Seite der Druckausgabe: 32] wegen haben, weil Männer sie nicht haben. Sie konstituiert das Geschlecht als Merkmal einer Gruppe, die einerseits idealisiert und überhöht, anderseits abgewertet und nicht für voll genommen wird. Innerhalb der Organisation wird der Frauenfrage deswegen auch oft ein besonderer Ort gelassen, an dem Frauen ihre Probleme bearbeiten können, eine geschickte Strategie, die Ausgrenzung mit Duldung verbindet und oft benutzt wird, um den Frauen ihren Platz in der Organisation zuzuweisen: nicht in den entscheidenden Gremien, sondern in den für sie gedachten Ausschüssen. Die Infragestellung dieser Ausschüsse ist teilweise eine Reaktion auf die unerwartete Widerständigkeit, die Frauen in diesen Ausschüssen entwickelten und auf ihre Ansprüche an größere Teilhabe an den entscheidenden Orten. Solange die besonderen Probleme der Frauen nicht als allgemeine Probleme beider Geschlechter begriffen werden, solange die Männer an einem eingeschränkten Erfahrungshintergrund festhalten und den privaten Bereich als Frauensache ansehen, werden Frauen zu einer Randgruppe mit einem spezifischen Stigma, die allenfalls Duldung erfahren, aber in ihrem Anliegen als Sonderfall gewertet werden. Eine solche Schließung der eigentlichen gewerkschaftlichen Politik und Struktur gegenüber den Frauen ist eine mächtige Form der Ausgrenzung (vgl. Bachler 1995). Junge Frauen bestärken anscheinend die männliche Sichtweise, wenn sie die Geschlechterfrage nicht für wesentlich halten und davon ausgehen, daß es an ihrer eigenen Kraft liegt, wenn sie sich durchsetzen. Anders als ihre Mütter lassen sich die Aktiven unter ihnen nicht mehr mit Tugenden wie Selbstbescheidung und Genügsamkeit etikettieren, lassen sich auch nicht mehr von Männern vorschreiben, was Politik ist und welche Interessen sie zu haben haben, erst recht lassen sie sich nicht in eine Frauenecke abdrängen, die sie nicht selbst für sich einfordern. Und selbst wenn sie die Bedeutung der Geschlechterfrage für sich noch nicht entdeckt haben, reine Frauenprobleme sehen sie überhaupt nicht. Das bedeutet, daß sie sich mitnichten auf den geschlechtsspezifischen Platz, den Gewerkschaften und andere Großoranisationen für sie vorsehen, verweisen lassen, das bedeutet aber nicht, daß sie deswegen bereits in der Lage wären, die Geschlechterproblematik politisch zu lösen.
4.3 Ausgrenzung der Frauen durch Leugnung der Geschlechterhierarchie
Eine andere Strategie, Frauen ohnmächtig zu halten, besteht in der Nichtwahrnehmung und dem Nichtwahrhabenwollen der Geschlechterhierarchie und [Seite der Druckausgabe: 33] der damit verknüpften Erkenntnis, daß Männer qua Geschlecht und männlicher Kultur, nicht aber qua Leistung und Ausstrahlung überall die höheren Positionen besitzen. Die Geschlechterhierarchie als Strukturmerkmal auch der eigenen Organisation ernst zu nehmen, hieße für Männer, ihre mangelnde Legitimation einzugestehen, hieße männliche Privilegien als solche zu erkennen und abzugeben, hieße auf Macht zugunsten von Frauen zu verzichten. Freiwillig übergaben Männer bisher noch nirgendwo ihre machtvollen Positionen an Frauen, vielmehr versuchen sie bei wachsendem Druck, die Geschlechterhierarchie zu verleugnen, die Geschlechterfrage an die Frauen zurückzugeben. Männer halten die Geschlechterfrage für gelöst, bevor sie überhaupt thematisiert wurde, wenn sie das Ideal der Geschlechtsneutralität der eigenen Organisation beschwören. Alle Frauen, die nicht auf die Geschlechterhierarchie hinweisen, werden als Bündnispartnerinnen herangezogen und in ihnen der Beweis gesehen, daß jede und jeder mitarbeiten kann, wenn er/sie nur will. Solange niemand auf die Idee kommt, die Geschlechterhierarchie in der Frage der Besetzung von Posten, in der Ermächtigung von Themen und in den Interaktionen, die zwischen den Geschlechtern in Sitzungen, Konferenzen und Seminaren ablaufen, zu thematisieren und zu kritisieren, solange also auch Frauen sich an die von Männern aufgestellten Tabus halten, scheint die Organisation wirklich geschlechtsneutral, ist eine Geschlechterhierarchie kaum sichtbar (Derichs-Kunstmann 1995). Solange Frauen die männlichen Spielregeln übernehmen, um mitspielen zu dürfen, überlassen sie den Männern die Inbesitznahme und Gestaltung von Räumen, auch, um sich vor ihren Aggressionen zu schützen und um ein Aufenthaltsrecht zu bekommen. Die in Wirklichkeit über weniger Selbstbestimmung und Handlungsräume verfügenden Frauen werden nur akzeptiert, wenn sie an dieser Beschränkung und Einengung nicht rütteln, und wenn sie der männlichen Sichtweise folgen, nach der ihnen alles offensteht. Solange auch Frauen an dem Trugbild der Geschlechtsneutralität von Großorganisationen festhalten, verstärken sie die Ausgrenzung des eigenen Geschlechts. Thematisieren sie allerdings die Geschlechterhierarchie, werden sie schnell mit der daraus resultierenden Ohnmacht konfrontiert (Bilden u.a. 1994, Morgenroth 1996).
[Seite der Druckausgabe: 34]
4.4 Ausgrenzung von Frauen durch Abwertung weiblicher Sichtweisen und Wertorientierung
Nicht jede Frau, aber überwiegend Frauen haben auch einen anderen Blick auf die gewerkschaftliche Politik. Schon der Zugang zur Politik basiert auf einer anderen Gewichtung von Motiven. So betonen Frauen eher das Gefühl der Zugehörigkeit, wollen spezielle Ziele unterstützen und mit Gleichgesinnten zusammenarbeiten, während Männer eher den Willen betonen, Ziele durchzusetzen und Andersdenkende in ihrem Einfluß zurückzudrängen (Meyer 1992). Frauen, die diese Motive für ihre Mitgliedschaft in einer Großorganisation wie Partei oder Gewerkschaft angeben, rekurrieren dabei auf geschlechtsspezifische Orientierungen: Allerdings entsprechen die bisherigen Strukturen und Kulturen der Großorganisationen eher den männlich konnotierten Werten: Auch in ihnen herrscht Konkurrenz, Hierarchie und Rationalität vor Fürsorge, Intuition oder Sinnlichkeit. Deutlich wird dies in Rede- und Kommunikationsformen, die in Gremien herrschen oder von exponierten Personen genutzt werden: Vielen Frauen sind diese Formen nicht nur fremd, sondern sie können sie weder mitmachen noch ertragen. Wenn die männliche Kultur als "Saufkultur" der weiblichen "Gesprächskultur" entgegengesetzt wird, so bildet eine solche Charakteristik die Polarität der Geschlechterbilder ab. Aber selbst in dieser platten Form spiegelt sie die Erfahrungen vieler Frauen wider, die sich vor die Entscheidung gestellt sehen, mit den Männern zu saufen oder außen vor zu bleiben, insbesondere, wenn sie vereinzelt in Männergruppen arbeiten. In dieser Konfrontation mit der Männerdomäne sehen Frauen oft nur die Möglichkeit, sich anzupassen oder sich herauszuhalten, zu desengagieren. Es fehlt oft die Kraft, den Stil, die Kultur und die Themen selber mit- und umzugestalten und sich damit nach weiblich konnotierten Wertorientierungen, die ja auf der den Frauen zugewiesenen Erfahrung mit dem privaten Bereich basieren, zu verhalten. Erschwert wird das auch, wenn Frauen dies als Einzelkämpferin leisten sollen oder wenn sich Frauen, die sich lieber männlichen Sichtweisen anpassen, dagegen stellen. Dieser Mechanismus, der die herrschenden Kommunikationsstile verstärkt, hat nicht nur eine personenausgrenzende Wirkung, sondern hat auch Einfluß auf die politische Thematik. Die für Frauen wichtigen Themen werden oft vergessen, spielen eine untergeordnete Rolle und ihnen wird kein wichtiger Stellenwert zugeschrieben, während die Männer betreffende Thematik als allgemeine selbstverständlich im Vordergrund steht. Junge Frauen fühlen sich durch Themen wie Bundeswehr und Wirtschaftspolitik nicht so sehr angesprochen, zumal ihre Themen wie zum Beispiel Arbeits- und Lebenszeit, [Seite der Druckausgabe: 35] Beruf und Leben mit Kindern, einen geringen Stellenwert haben. Wenn aber die Diskrepanz zwischen dem, was sie persönlich für wichtig haben und dem, was man in der Organisation diskutiert, wenn die Diskrepanz zwischen dem, wie sie sich den Umgang mit anderen vorstellen und dem, wie man in der Organisation miteinander umgeht, zu groß ist, bleiben sie fern, womit die Geschlechterspaltung vertieft wird. Wenn junge Frauen als Anforderungen an Großorganisationen formulieren, daß sie flache Hierarchien, kooperative Arbeitsformen, Transparenz, projektorientierte Arbeitsweisen, stringente Arbeitsprozesse und vernetztes Denken wünschen, so liest sich das beinahe wie ein Zielkatalog fortschrittlicher Organisationsentwicklungsprozesse (Ristau, Hesse 1994). Organisationen, die solche Strukturen entwickeln, werden wohl kaum als männliche erfahren werden. Sie wären auch keine Organisationen, die die Polarisierung der Geschlechter stabilisieren und Frauen ausgrenzen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999 |