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[Seite der Druckausgabe: 35 / Fortsetzung]

5. Fazit



5.1 Je stärker junge Frauen zu "Frauen" gemacht werden, desto mehr werden sie sich von Gewerkschaften fernhalten.

Viele junge Frauen, und zwar mehr als junge Männer, stehen den Gewerkschaften fern, aber vieles an den Gewerkschaften hält auch junge Frauen fern. Gewerkschaften werden jungen Männern nicht deswegen zum Problem, weil sie sich dort als Geschlecht oder mit ihren geschlechtsspezifischen Denkweisen und Gefühlslagen nicht repräsentiert fühlen. Für junge Männer gibt es andere Gründe, wenn sie sich nicht in den Gewerkschaften engagieren. Auch nicht alle jungen Frauen sehen subjektiv ihr Geschlecht und ihre geschlechtsspezifische Denkweise und Gefühlslage als Grund für ihre Nichtbeteiligung. Nicht bei jeder jungen Frau wirken die kulturellen Geschlechterbilder und die geschlechtshierarchischen Strukturen der Gesellschaft in gleicher Weise. Dennoch liegen hier einige Ursachen für die relativ geringere Beteiligung junger Frauen.

Die Anforderungen an die jungen Frauen in der Adoleszenz, die sie an sich gestellt sehen und die Lebensentwürfe, die sie entwickeln, verbinden bei den meisten die privat organisierte Arbeit und die Erwerbsarbeit, enthalten damit auch Wertvorstellungen, die zum Leben in Beziehungen notwendig sind. Je stärker dabei die Priorisierung des Privaten wird, desto weniger stark werden

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sich junge Frauen in den Bereichen engagieren, die sich alleine auf die Erwerbsarbeit beziehen. Die Adoleszenz ist eine Zeit, in der junge Frauen sich von der traditionellen Weiblichkeit absetzen, sie umformen oder ihr entsprechen können. Je mehr sie allerdings in ihrem Selbstverständnis und ihren Lebensvorstellungen die Geschlechterhierarchie akzeptieren, sei es auch nur in der Form der Anerkennung einer Andersartigkeit von Mann und Frau und der je spezifischen gesellschaftlichen Aufgabe in bezug auf Kinder und Erwerbsarbeit, um so weniger werden sie die vorhandenen politischen Strukturen für sich nutzen und sich an ihnen beteiligen. Die Geschlechterhierarchie und das Ausgrenzen weiblicher Sichtweisen und weiblichen Verhaltens als Strukturmerkmal von Großorganisationen ist nicht der abfragbare Grund, der junge Frauen noch mehr als junge Männer von diesen Großorganisationen fernhält. Die daraus folgenden indirekten Diskriminierungsmechanismen verhindern jedoch, daß Problemstellungen aus Sicht des weiblichen Lebenszusammenhanges denselben Stellenwert bekommen wie die traditionellen männlichen Themen. Sie verhindern auch, daß junge Frauen an den Schaltstellen der Organisation viele starke und kompetente Frauen sehen, die ihre politischen Ziele und Gestaltungsformen durchsetzen.

In vielen Jugendverbänden gibt es bereits Reformansätze, die die Geschlechterfrage thematisieren (Jugendpolitik 1994). Feministische Mädchen- und antisexistische Jungenarbeit stellen die symbolische Geschlechterordnung in Frage, geben jungen Frauen Raum zur Identitätsfindung und jungen Männern Raum, die Zwänge der eigenen Geschlechterrolle abzubauen. Auch in der gewerkschaftlichen Jugendarbeit finden sich solche Ansätze und Angebote. Mit diesen Ansätzen wird an einer Stelle der Organisation der Versuch unternommen, dem traditionellen "gender doing" der Gewerkschaften entgegenzusteuern, die Geschlechterhierarchie und die Geschlechterdifferenz zu reflektieren und abzubauen. Solche Ansätze sind als Elemente einer inneren Reform zu unterstützen und auszuweiten. Sie werden unter anderem auch die Beteiligung junger Frauen und Männer in der gewerkschaftlichen Arbeit verstärken.

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5.2 Der direkte Ausschluß (junger) Frauen qua Geschlecht erfolgt nicht, aber die Leugnung der realen Geschlechterhierarchie führt zur Tradierung spezifischer Ausgrenzungsmechanismen.

In den Entlohnungskämpfen der Nachkriegszeit hatten die Frauen in den Gewerkschaften erreicht, daß die direkte Geschlechtsdiskriminierung abgeschafft wurde: Tarifverträge durften für Frauen nicht mehr wegen ihres Geschlechtes weniger Lohn vorsehen. Die Etablierung der Leichtlohngruppen brachte faktisch keine Veränderung des Lohnes für die Frauen, nur die Legitimierung für die geschlechtsspezifisch geringere Bezahlung hatte sich geändert. Ähnliche Prozesse spielen sich auch heute noch ab: Ein kritischer Blick auf die Großorganisationen wie Gewerkschaften belegt, wie durch Pseudointegration der Frauen die reale Geschlechterhierarchie verschleiert wird. Mit der angeblich bereits erreichten Geschlechtsneutralität der Organisation wird verleugnet, daß Frauen nach wie vor aus den mächtigen Gremien ausgegerenzt sind, daß die Blickweise und Formulierung von Problemen androzentrisch erfolgt, daß die Strukturen der Organisation auf männliche Lebensweisen zugeschnittenen sind und daß es dem kulturellen Bild der Männlichkeit entsprechende Umgangsformen und Interaktionsnormen gibt. Dem Vollzug der Geschlechterhierarchie in Strukturen und Umgangsformen zum Trotz erscheinen auch Gewerkschaften geschlechtsneutral und je mehr sie die symbolische Geschlechterordnung repräsentieren, so eher erscheinen sie im Lot, im geschlechtshierarchischen Lot. Die scheinbar geschlechtsneutralen Arbeitsweisen und Strukturen wirken um so geschlechtsdifferenter, je mehr in der Organisationskultur die symbolischen Geschlechterbilder tradiert werden und zwar von den Männern und den Frauen.

Die heutige Generation der jungen Frauen wird oft als frech, selbstbewußt, mutig und kritisch beschrieben, also mit Verhaltensweisen, die junge Frauen gerade nicht geschlechtsrollentypisch erscheinen lassen. Es gibt viele junge Frauen, die bewußt nicht die Geschlechterdifferenz betonen, weil für sie diese Differenz mit der Abwertung des Weiblichen verknüpft ist. Sie definieren sich gerade nicht als Frauen, wie sie die symbolische Repräsentanz des Weiblichen vorsieht, nämlich dem Männlichen unterstellt und nachgeordnet. Sie setzen auf ihre subjektive Stärke ohne auf ihr Geschlecht zu rekurrieren und wagen es, die kulturelle Geschlechterdifferenz teilweise außer Kraft zu setzen. Wenn diese jungen Frauen vorgeführt werden, um die Vermutung zu bestätigen, daß die Gleichberechtigung bereits herrsche und es keine Frauenausgrenzung gäbe, so

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wird das Selbstverständnis dieser jungen Frauen mißbraucht. Die jungen Frauen wehren sich nämlich als Subjekte gegen die Zuweisungen des Zweitrangigen und Untergeordneten, wenn sie die Geschlechterfrage nicht betonen, sie schütteln förmlich ab, was ihnen aufgeklebt werden soll. Die Behauptung, dadurch sei die Gleichstellung der Geschlechter bereits erreicht, verleugnet die Ausgrenzungsmechanismen und realen Schlechterstellungen.

Dabei geht es nicht nur um die Ausgrenzung von Frauen als Personen, wie sie die geschlechtsdifferenzierenden Statistiken über Beteiligungen von Frauen in den verschiedenen Machtbereichen einer Organisation aufzeigen. Es geht auch um die Ausgrenzung von Denkweisen, Vorstellungen und Lebensweisen, die aus der privaten Arbeit entstehen. Bei diesen Denkweisen und Vorstellungen handelt es sich nicht um biologische Geschlechtsmerkmale, sondern um Formen zu denken und zu leben, die sich in Annäherung oder Auseinandersetzung mit den kulturellen Geschlechterbildern und der damit verbundenen Lebensweise entwickeln. Daher werden sie auch nicht durch jede Frau repräsentiert oder eingebracht. Wie nicht jeder Mann automatisch zu einer konkurrenz- und machtorientierten Person wird, ist auch nicht jede Frau beziehungs- und personenorientiert. Dennoch werden in Großorganisationen wie Gewerkschaften eher typisch männliche Sicht-und Verhaltensweisen strukturell belohnt, während typisch weibliche eher zur Ausgrenzung führen. Das ist aber nicht zwangsläufig so. Es sind durchaus Strukturen denkbar, in denen sogenanntes weibliches Denken, also Kontextsensibilität und Bedürfnisbezogenheit, zugelassen werden und damit als Korrektur für die bisherige Einseitigkeit der nur durch männliche Erfahrungen geprägten Strukturen fungieren kann. Eine weiblich konnotierte Problemsicht wäre damit nicht nur eine ergänzende Sichtweise, sondern eine vollständigere und richtige Erfassung von Problemen.

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5.3 Die Verhältnisse, die junge Frauen subjektiv reklamieren, wenn sie die Bedeutung der Geschlechterdifferenz für sich abbauen, sind durch tiefgreifende Reformprozesse innerhalb der Gewerkschaften real herzustellen.

Die Anzahl der jungen Frauen, die sich anders als frühere Generationen offen gegen das traditionelle Frauenbild absetzen, sich stark und kompetent auch gegenüber jungen Männern fühlen, wächst. Viele junge Frauen hadern auch in der eigenen Partnerschaft mit der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung. Viele wollen ihre Stärke aus öffentlichen und privaten Räumen ziehen und für

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sich selber vereinbaren, was sonst geschlechterpolar zugeordnet wird: Unabhängigkeit und Fürsorge, Stärke und Intuition, Rationalität und Sinnlichkeit.

Als organisationspolitische Handlungsstrategie folgt daraus, junge Frauen durchaus an ihren Stärken anzusprechen, sie darin zu unterstützen und sie zur Beteiligung an politischen Prozessen einzuladen. Diese Beteiligung kann nicht in Frauenstrukturen geschehen, denn diese Strukturen sind als Reaktion auf Ausgrenzung und Minderbewertung der Lebenszusammenhänge von Frauen entstanden. In welcher Lebensphase und nach welchen Erfahrungen Frauen die Geschlechterhierarchie, die sich durch alle Themen und Strukturen von Organisationen hindurchzieht, zum wesentlichen Gegenstand ihrer politischen Denkweisen und Aktionen machen, kann nicht allgemein bestimmt werden. Die Adoleszenz scheint für die meisten gerade keine günstige Zeit zu sein. Viele junge Frauen wollen sich nicht mit der Geschlechterhierarchie auseinandersetzen, sondern wie selbstverständlich an der Gestaltung anderer Verhältnisse mitarbeiten und hier erfolgreich sein.

Wenn diese jungen Frauen allerdings in der Organisation aktiv mitmachen sollen, wird die Notwendigkeit zu tiefgreifenden inneren Reformen deutlich. Die Verwirklichung von mehr Transparenz, weniger Hierarchie und Kontrolle und offeneren Beteiligungsstrukturen fördert nicht nur die Mitarbeit der jungen Frauen, sondern entspricht auch den Ansprüchen vieler junger Männer.

Die Quotierung von Sitzen für Frauen ist eine unerläßliche, aber auch paradoxe Strategie, da sie am Geschlecht anknüpft, um das Geschlecht unwichtig zu machen. Sie leitet einen Prozeß der Entgeschlechtlichung durch die Vermischung von Erfahrungen von Männern und Frauen ein, garantiert allerdings noch nicht, daß eine solche Vermischung auch standhält und nicht durch geschlechtsspezifische Aktionsformen oder Strategien wieder umgangen wird. Empirische Erkenntnisse zeigen, daß ein Frauenanteil, der kleiner als 15% ist, den Einfluß der Frauen sehr gering hält. Im Gegenteil, Frauen in dieser Minderheit werden immer wieder zum Symbol ihres Geschlechts gemacht und nicht etwa ermächtigt, die eigenen Vorstellungen durchzusetzen (Bernadoni, Werner 1987). Erst ein Frauenanteil ab 50% scheint die Chancen zur Veränderung der politischen Kultur in sich zu bergen. Die Quote für Frauen ist kein inhaltlicher Reformansatz, weil nicht vorausgesetzt werden kann, daß jede Frau für und wie alle Frauen denkt. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit höher, daß Sichtweisen

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aus der weiblichen Sozialisation und aus weiblichen Lebenszusammenhängen eher von Frauen eingebracht und durchgesetzt werden als von Männern, was nicht ausschließt, daß auch Männer diese übernehmen und unterstützen können. Die formelle Beteiligung von Frauen qua Geschlecht ist auch noch keine Garantie für die Ermächtigung ihrer Interessen. Dennoch muß überall dort, wo über das Geschlecht ausgegrenzt wird, also in Berufen, an Arbeitsplätzen und in Positionen, über das Geschlechtskriterium der Ausgrenzungsprozeß rückgängig gemacht werden.

Wo Probleme einseitig androzentrisch formuliert und bearbeitet werden, müssen ganzheitliche Sichtweisen und die bisher ausgeschlossenen Interessen Priorität und Gewicht erhalten. Dies kann nicht allein durch Abstimmungsprozesse geschehen, sondern muß bereits bei der Entstehung von Diskursen beginnen. Bislang ist es nicht selbstverständlich, daß Großorganisationen sich für die Aufwertung der Frauenberufe, für die Gleichrangigkeit der privaten und öffentlich organisierten Arbeit, für die Sicherung von Ausbildungsplätzen für

junge Frauen durch Quote, für die gleiche Verteilung der Erwerbsarbeitsplätze auf Männer und Frauen und für die Förderung junger Mütter und Väter in der Erwerbsarbeit einsetzen, und zwar nicht nur programmatisch, sondern auch durch tagespolitische Prioritäten. Innerhalb der Großorganisationen muß es deswegen neben der quantitativ gleichen Beteiligung nach Geschlecht auch um die Ermächtigung der Frauenstrukturen gehen. Die Geschlechterparität in den Entscheidungsstrukturen ist durch die Etablierung frauenspezifischer Strukturen inhaltlich zu stärken. Eine solche Doppelstrategie zielt einerseits auf repräsentative demokratische Strukturen, indem sie die Geschlechterparität als formales Kriterium der Gleichberechtigung erfüllt. Sie zielt aber auch auf die Herstellung der Chancengleichheit verschiedener Lebenszusammenhänge. Dazu bedarf es der Ermöglichung von geschlechtsbezogenen Diskussions- und Arbeitszusammenhängen, in denen Gelegenheiten gegeben sind, die geschlechtshierarchischen Strukturen und ihre Auswirkungen zu politisieren. Die bestehenden Frauenstrukturen in den Gewerkschaften sind ein wichtiger Teil dieser organisatorischen Möglichkeiten, die Diskurse über das Geschlechterverhältnis zu entwickeln. Sie müssen ihrerseits wieder verknüpft werden mit den Gremien, in denen Entscheidungen getroffen werden, damit diese Diskurse auch in der Politik der Organisation zum Tragen kommen (Cockburn 1996).

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Junge Frauen können nicht zu Trägerinnen dieser Doppelstrategie werden, weil ihnen die organisationsbezogenen Erfahrungen fehlen. Die Durchsetzung dieser Strukturen, die die Frauen ermächtigen, ihre Sichtweisen und ihre politischen Ziele mit der gleichen Macht durchzusetzen wie dies die Männer bisher können, schafft aber die Voraussetzungen auch für junge Frauen, sich an der gewerkschaftlichen Arbeit in gleicher Weise zu beteiligen. Die quantitativ gleiche Beteiligung von jungen Frauen in Großorganisationen wie Gewerkschaften wird nicht das Ergebnis von Kampagnen sein, sondern setzt innere und äußere Reformen voraus.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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